TE OGH 1989/1/18 1Ob710/88 (1Ob711/88)

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Veröffentlicht am 18.01.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Kodek und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria D***, Pensionistin, Wien 21., Theodor Körner-Gasse 9, vertreten durch Dr. Werner Sporn, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Ö***

V*** Gemeinnützige Gesellschaft mbH, Wien 9.,

Spittelauerplatz 4, 2.) S*** W***, beide vertreten durch Dr. Alfred Peter Musil, Rechtsanwalt in Wien, wegen Wiederaufnahme, infolge Revisionsrekurses der beklagten Parteien gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 19. Mai 1988, GZ 41 R 587/87-15, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 2. Oktober 1987, GZ 6 C 1175/87, 1176/87-10, ersatzlos aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 8.206,37 bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren (darin enthalten S 518,77 Umsatzsteuer und S 2.500 Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Begründung:

Mit Aufkündigung 6 K 29/85 des Erstgerichtes kündigte die erstbeklagte Partei der Klägerin die von ihr in Wien 21., Theodor Körner-Gasse 9, gemietete Liegenschaft im Ausmaß von ca. 488 m2 gemäß § 30 Abs 2 Z 15 MRG zum 31. Dezember 1985 auf. Die Klägerin wendete u.a. ein, die Errichtung eines neuen Baues sei nicht sichergestellt. Dies würde in der Folge dahin ausgeführt, daß die Finanzierung nicht nachgewiesen sei. Zum Beweise dafür beantragte die Klägerin die Beischaffung eines Aktes der MA 64. In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 14. Mai 1985 legte die erstbeklagte Partei u.a. den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, MA 37, Baupolizei, MA 37/21-Theodor KörnerG 5/2/79, vom 14. August 1981 vor, womit ihr und anderen Bauwerbern gemäß § 70 der Bauordnung für Wien (im folgenden: WrBO) die Bewilligung erteilt wurde, auf den Grundstücken 659, 660, 666, 661 und anderen in EZ 1302, 1303, 1305 und anderen KG Donaufeld nach den vorgelegten Plänen eine Wohnhausanlage mit zwei Stiegen mit 39 Wohnungen an der Theodor Körner-Gasse und drei Stiegen mit 76 Wohnungen sowie einer Tiefgarage mit 73 Stellplätzen und zwei Kleingaragen mit insgesamt vier Stellplätzen an der Mühlschüttelgasse errichten zu lassen. Die klagende Partei gab die Echtheit dieser Urkunde zu und verwies zur Richtigkeit auf das eigene Vorbringen. Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil vom 13. Juni 1985, 6 C 2117/85-6, aus, daß diese Aufkündigung vorbehaltlich der Ersatzbeschaffung rechtswirksam sei. Im Berufungsverfahren 41 R 70/86 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien trat am 13. Mai 1987 Ruhen des Verfahrens ein. Mit Aufkündigung 6 K 123/86 des Erstgerichtes kündigten beide beklagte Parteien der Klägerin die von ihr in Wien 21., Floridusgasse 26 a und Theodor Körner-Gasse 9, gemietete Liegenschaft mit ca. 489,70 m2 gemäß § 30 Abs 2 Z 15 MRG zum 31. Dezember 1986 auf. Auch in diesem Verfahren wendete die Klägerin ein, die Errichtung eines neuen Baues sei nicht sichergestellt. Die beklagten Parteien legten in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 1. Oktober 1986 den Bescheid vom 14. August 1981 über die Erteilung der Baubewilligung vor, die Klägerin verwies auf ihr bisheriges Vorbringen. Mit Zwischenurteil des Erstgerichtes vom 15. Dezember 1986, 6 C 2510/86-7, bestätigt mit Urteilen des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 13. Mai 1987, 41 R 151/87-12, und des Obersten Gerichtshofes vom 30. Mai 1988, 6 Ob 696/87, wurde diese Aufkündigung vorbehaltlich der Ersatzbeschaffung für rechtswirksam erklärt.

Renate S*** ist Miteigentümerin der Nachbarliegenschaft EZ 1301 KG Donaufeld. Vertreten durch Dr. Walter S*** beantragte sie mit Schriftsatz vom 9. Mai 1986 bei der Baubehörde erster Instanz, ihre Parteistellung im Bewilligungsverfahren festzustellen und ihr den Bescheid vom 14. August 1981 zuzustellen. Sie sei dem Baubewilligungsverfahren nicht zugezogen worden und habe auch den Bescheid nicht erhalten. Sie sei Nachbarin und daher gemäß § 134 Abs 3 WrBO Partei. Über Devolutionsantrag der Renate S*** hat die Bauoberbehörde für Wien mit Bescheid vom 6. März 1987, MDR-B XXI-25/86, gemäß § 73 Abs 2 AVG und § 134 Abs 3 WrBO festgestellt, daß Renate S*** als Miteigentümerin der Liegenschaft EZ 1301 KG Donaufeld in dem Baubewilligungsverfahren, das vom Magistrat der Stadt Wien MA 37/21 zur Zahl MA 37/21-Theodor Körnergasse 5/2/79 durchgeführt wurde und in dem der Baubewilligungsbescheid vom 14. August 1981 ergangen sei, Partei sei. Die Baubehörde erster Instanz habe zwar die Miteigentümer der benachbarten Liegenschaft EZ 1301 KG Donaufeld, Wien 21., Floridusgasse 26, als Parteien zugezogen, die Zuziehung sei aber in der Art erfolgt, daß die Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 17. August 1979 an Wilhelm K*** und Miteigentümer zu Handen der Firma B*** Gemeinnützige Gesellschaft mbH, Spittelauer Lände 7/16, 1090 Wien, zugestellt worden sei. Ein Prokurist dieser Gesellschaft habe auch an der mündlichen Bauverhandlung teilgenommen, jedoch keine Einwendungen erhoben. Der Bescheid vom 14. August 1981, mit dem das Bauvorhaben bewilligt worden sei, sei weder der B*** Gemeinnützige Gesellschaft mbH noch den Eigentümern der Liegenschaft EZ 1301 KG Donaufeld zugestellt worden. Der B*** Gemeinnützige Gesellschaft mbH hätten die Eigentümer der Liegenschaft EZ 1301 KG Donaufeld, darunter auch Renate S***, am 21. Jänner 1974 Vollmacht erteilt. Es stehe dahin, ob die B*** Gemeinnützige Gesellschaft mbH auf Grund des Umfanges der Vollmacht berechtigt gewesen wäre, die Liegenschaftsmiteigentümer in einem baubehördlichen Verfahren, in dem sie als Nachbarn Parteistellung hatten, zu vertreten. Die Vollmacht sei im Baubewilligungsverfahren schon allein deshalb unbeachtlich, weil sie einer juristischen Person erteilt worden sei und juristischen Personen im Anwendungsbereich des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes die Fähigkeit fehle, als gewillkürte Parteienvertreter einzuschreiten. Renate S***, deren Parteistellung nie bestritten gewesen sei, habe im Baubewilligungsverfahren einen untauglichen Vertreter beigezogen, so daß sie zur übergangenen Partei geworden sei. Es werde Aufgabe der Baubehörde erster Instanz sein, dem Wunsch der Renate S*** auf Zustellung des Baubewilligungsbescheides nachzukommen. Im übrigen stehe es Renate S*** aber frei, sich durch Akteneinsicht, auf die sie einen Rechtsanspruch habe, Kenntnis vom Inhalt des erstinstanzlichen Baubewilligungsbescheides zu verschaffen und gegen diesen Bescheid sodann sofort zu berufen. Diese Vorgangsweise sei zulässig, weil der Baubewilligungsbescheid infolge seiner Zustellung an andere Verfahrensbeteiligte bereits dem Rechtsbestand angehöre. Der Bescheid über die erteilte Baubewilligung samt Richtigstellungsbescheid und einem Bescheid über eine Fristverlängerung wurde Dr. Werner S*** als Vertreter der Renate S*** am 20. Mai 1987 zugestellt. Bereits am 14. Mai 1987 hatte Renate S***, vertreten durch Dr. Walter S***, wegen Verletzung subjektiv öffentlicher Rechte gegen den Bescheid vom 14. August 1981, über dessen Inhalt sie sich durch Akteneinsicht am 29. April 1987 Kenntnis verschafft habe, Berufung mit dem Antrag erhoben, den Bescheid dahin abzuändern, daß der Antrag auf Erteilung einer Baubewilligung abgewiesen werde.

Mit zwei am 25. Mai 1987 eingebrachten, mit Beschluß des Erstgerichtes zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Wiederaufnahmsklagen begehrt die Klägerin, ihr die Wiederaufnahme der Verfahren 6 C 2117/85 und 6 C 2510/86 des Erstgerichtes zu bewilligen, dessen Zwischenurteile vom 13. Juni 1985 und 15. Dezember 1986 zur Gänze aufzuheben und die Aufkündigungen 6 K 29/85 und 6 K 123/86 für rechtsunwirksam zu erklären. Die Klägerin habe am 16. Mai 1987 von Renate S*** erfahren, daß diese als Partei am Bauverfahren übergangen worden sei und nach Feststellung ihrer Parteistellung am 13. Mai 1987 rechtzeitig den Baubewilligungsbescheid mit Berufung bekämpft habe. Das Gericht habe in den beiden Aufkündigungsverfahren zu prüfen gehabt, ob die Errichtung des geplanten Neubaues sowohl in baurechtlicher als auch in finanzieller Hinsicht sichergestellt sei, wozu der Nachweis einer Baubewilligung nötig gewesen sei. Da einer Berufung gegen den Baubewilligungsbescheid aufschiebende Wirkung zukomme und eine Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 64 Abs 2 AVG bei Baubewilligungen nicht in Betracht komme, fehle dem Baubewilligungsbescheid vom 14. August 1981 die Rechtswirksamkeit, bis über die von Renate S*** erhobene Berufung entschieden worden sei. Somit sei der geplante Neubau in baurechtlicher Hinsicht keineswegs sichergestellt. Die Klägerin sei ohne ihr Verschulden außerstande gewesen, diese Tatsachen und Beweismittel im Kündigungsverfahren geltend zu machen. Das Wissen des Klagevertreters in der Bauangelegenheit der Renate S*** sei der Klägerin nicht zurechenbar. Die Rechtskraft des Baubewilligungsbescheides sei erst mit der Einbringung der Berufung durch Renate S*** weggefallen.

Die beklagten Parteien wendeten ein, daß dem Klagevertreter, der auch Vertreter der Renate S*** sei, spätestens seit Mai 1986 bekannt gewesen sei, daß Renate S*** im Baubewilligungsverfahren übergangen worden sei. Dieses Wissen ihres Vertreters sei der Klägerin zuzurechnen. Die Berufung im Baubewilligungsverfahren stütze sich nicht auf Gründe, die eine Abweisung des Baubewilligungsantrages rechtfertigten.

Das Erstgericht wies nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung beide Wiederaufnahmsklagen zurück. Der Klägerin sei das Wissen ihres Vertreters zuzurechnen. Diesem seien aber die Tatsachen, die nunmehr als Wiederaufnahmsgrund ins Treffen geführt würden, spätestens am 9. Mai 1986 bekannt gewesen. Der Klägerin wäre es daher möglich gewesen, diese Tatsachen im Verfahren 6 C 2510/86 des Erstgerichtes noch vorzubringen, so daß sich die darauf beziehende Wiederaufnahmsklage gemäß § 530 Abs 2 ZPO unzulässig sei. Darüber hinaus seien beide Klagen als verfristet anzusehen, weil die vierwöchige Klagefrist durch die Kenntnis des Rechtsfreundes der Klägerin spätestens am 9. Mai 1986 in Gang gesetzt worden sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin Folge, hob den Beschluß des Erstgerichtes auf und trug ihm die Fortsetzung des Verfahrens über die Wiederaufnahmsklagen auf. Es sprach aus, daß der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstandes in beiden Verfahren S 300.000,-- übersteige. Es führte aus, die Kenntnis des Machthabers müsse zwar der Prozeßpartei grundsätzlich zugerechnet werden. Wenn sich die Klägerin nunmehr aber darauf berufe, daß sich ihr Rechtsanwalt an seine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht habe halten müssen und die ihm in seinen beruflichen Eigenschaften bekannt gewordenen Tatsachen nicht an eine andere Person habe weitergeben dürfen, sei ihr beizupflichten. Abgesehen davon, daß das Gesetz bei Wissenserklärungen sehr wohl zwischen der Kenntnis des Machtgebers und der des Machthabers unterscheide und es unbillig wäre, die Pflichtwidrigkeit des Machthabers dem Machtgeber gerade dort aufzulasten, wo die Richtigkeit und Wahrheit der Entscheidungsgrundlage gesucht werden solle, könne die Kenntnis eines prozeßbevollmächtigten Vertreters nur dann der von ihm vertretenen Prozeßpartei zugerechnet werden, wenn dem Vertreter das Wissen im Rahmen der Vertretung dieser Prozeßpartei zur Kenntnis gelangt sei bzw. für den Vertreter überhaupt die Möglichkeit bestanden habe, über diese Kenntnis frei zu verfügen und der vertretenen Prozeßpartei mitzuteilen. Dies sei aber auf Grund der Bestimmung des § 9 RAO zu verneinen. § 9 Abs 2 RAO verpflichte den Rechtsanwalt zur Verschwiegenheit über die ihm anvertrauten Angelegenheiten und die ihm sonst in seiner beruflichen Eigenschaft bekannt gewordenen Tatsachen. Diese Verschwiegenheitspflicht beziehe sich nicht nur Dritten, sondern auch anderen Klienten des Rechtsanwaltes gegenüber. Die Verschwiegenheitspflicht erstrecke sich auf alles, was dem Rechtsanwalt in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt bekannt geworden sei. Sie finde aber ihre Grenze bei jenen Tatsachen, die ohnehin öffentlich bekannt oder für jedermann wie z.B. durch Einsichtnahme in das Grundbuch und die dazugehörige Urkundensammlung beschaffbar seien. Das Wissen des Klagevertreters aus der Bauangelegenheit Renate S*** könne daher der Wiederaufnahmsklägerin nicht zugerechnet werden.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der beklagten Parteien ist berechtigt. Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 15 MRG, dessen Vorläufer (§ 19 Abs 2 Z 4 dritter Fall bzw. § 19 Abs 2 Z 4 a MG) auf die Bestimmung des Art. I Z 30 des III. Abschnittes des Wohnbauförderungs- und Mietengesetzes BGBl. 1929/200 zurückgeht, setzt u.a. voraus, daß die Errichtung eines neuen Baues sichergestellt ist. Diese Bestimmung wurde immer dahin verstanden, daß der von den Gerichten zu prüfende (VfSlg. 6936/1972; VwSlg. 8379/A) Nachweis der Baubewilligung erforderlich ist (Derbolav in Korinek-Krejci, Handbuch zum MRG 454; Swoboda, Kommentar zum MG2 205; Sternberg, Das Mietengesetz4 352). Der Oberste Gerichtshof hat daher in zwei Fällen, in denen eine Baubewilligung noch nicht erteilt war, das Vorliegen dieses Kündigungsgrundes verneint (MietSlg 20.392; RZ 1933, 171). Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, daß im Baubewilligungsverfahren zwar Renate S*** als Nachbar und damit als Partei im Sinn des § 134 Abs 3 WrBO dem Bewilligungsverfahren beigezogen wurde, aber weder ihr noch ihrem Vertreter der Baubewilligungsbescheid zugestellt wurde, so daß er ihr gegenüber auch nicht in Rechtskraft erwachsen konnte. Nach § 72 WrBO darf aber vor der Rechtskraft der Baubewilligung mit dem Bau nicht begonnen werden. Da nach § 64 Abs 1 AVG 1950, welche Vorschrift gemäß Art. II Abs 2 A Z 21 EGVG auf das Berufungsverfahren nach der Bauordnung für Wien anzuwenden ist (Ringhofer, Österreichische Verwaltungsverfahrensgesetze I Anm. 29 zu Art. II EGVG), Berufungen im Baubewilligungsverfahren aufsuhiebende Wirkung zukommt, war vor Ablauf der Rechtsmittelfrist gegenüber allen Parteien nicht sichergestellt, daß der Neubau rechtlich einwandfrei hätte in Angriff genommen werden können. Der Baubewilligungsbescheid konnte alle von ihm angestrebten Rechtswirkungen erst mit dem Zeitpunkt entfalten, in dem seine Rechtskraft eintrat (Ringhofer aaO 605; Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts4 191). Erst mit diesem Zeitpunkt war dann aber, waren die übrigen Voraussetzungen gegeben, die Ausführung des Neubaues sichergestellt.

Nach § 530 Abs 2 ZPO ist eine auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützte Wiederaufnahmsklage nur dann zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, die neuen Tatsachen oder Beweismittel vor Schluß der mündlichen Verhandlung, auf welche das Urteil erster Instanz erging, geltend zu machen. Die Wiederaufnahmsklage ist nicht dazu bestimmt, von den Parteien begangene Fehler ihrer Prozeßführung zu beheben (SZ 59/14; JBl 1976, 439; SZ 25/158); die Unkenntnis der Partei im früheren Prozeß muß daher unverschuldet sein (Fasching, Zivilprozeßrecht Rz 2067). Ein Verschulden an der Unterlassung der rechtzeitigen Geltendmachung von Tatsachen im Verfahren, das wiederaufgenommen werden soll, ist von Amts wegen aufzugreifen (EvBl 1972/78); die Behauptungs- und Beweislast, die verspätete Kenntnis sei unverschuldet, trifft den Wiederaufnahmskläger (Fasching aaO). Fehlen solche Behauptungen, ist die Klage nach § 538 ZPO vor Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung mit Beschluß zurückzuweisen (JBl 1979, 268; IndS 1976 H 3, 9; EvBl 1973/163; EvBl 1972/78; Fasching aaO).

Die Tatsache, daß die Miteigentümer der EZ 1301 KG Donaufeld zwar im Baubewilligungsverfahren gemäß § 134 Abs 3 WrBO als Partei zugezogen wurden, aber weder ihnen selbst noch der von ihnen bevollmächtigten Firma B*** Gemeinnützige Gesellschaft mbH der Baubewilligungsbescheid zugestellt wurde, wäre durch Beischaffung und Verlesung des Bauaktes leicht nachzuweisen gewesen. Die Klägerin beschränkte sich in den Vorprozessen jedoch darauf, vorerst völlig unsubstantiiert zu bestreiten, daß die Errichtung des neuen Baues sichergestellt sei. Auch nach Vorlage des Baubewilligungsbescheides verwies sie nur auf ihr unzureichendes Sachvorbringen; im ersten Kündigungsverfahren führte sie dann ihre Einwendung dahin aus, die Finanzierung des Baues sei nicht sichergestellt, konkrete Behauptungen in baurechtlicher Hinsicht stellte sie nicht auf. Der Antrag auf Beischaffung des Bauaktes wäre also umso mehr zu beantragen gewesen, als durch die Bestimmungen der Bauordnung für Wien der Begriff der Nachbarn, soweit es sich um die Beeinträchtigung ihrer subjektiv-öffentlichen Rechte (öffentlichen Nachbarrechte) handelt, weit gezogen ist (Krzizek, System des öffentlichen Baurechts II 115 ff), und nach herrschender Auffassung der übergangene Nachbar nachträglich die Zustellung der Baubewilligung verlangen und diese sodann mit Rechtsmitteln bekämpfen kann (Krzizek aaO 146 f; Mell-Schwimann, Grundriß des Baurechts 252; Hauer, Zur Problematik der übergangenen Partei in Korinek-Krejci, Handbuch des Bau- und Wohnungsrechts II-Mon-2 insbesondere 3 ff und 27 ff; Walter-Mayer aaO 157;

vgl. ZfVB 1984/5/1618), so daß ihnen gegenüber der Bescheid nicht rechtskräftig werden kann. Von der Klägerin hätte daher bei gewissenhafter Verfahrensführung erwartet werden können, wollte sie nicht Gefahr laufen, daß nach Vorlage des Baubewilligungsbescheides ihre Vorgangsweise als Geständnis beurteilt würde (vgl. SZ 55/116; SZ 47/3 ua), ihr Vorbringen zu substantiieren und den Antrag auf Beischaffung des Bauaktes zu stellen. Es hätte sich dann herausgestellt, daß der Baubewilligungsbescheid mangels Zustellung an eine bereits als Partei zugezogene Nachbarin noch nicht rechtskräftig geworden ist, so daß, da gemäß § 72 WrBO vor Rechtskraft der Baubewilligung nicht mit dem Bau begonnen werden darf, die Neuerrichtung der Wohnhausanlage in baurechtlicher Hinsicht nicht sichergestellt schien. Soweit der in einem Prozeß beklagten Partei vorzuwerfen ist, daß sie ihr mögliche Tatsachenbehauptungen nicht aufstellte und dazu Beweismittel nicht anbot, hat sie ihr obliegende prozessuale Pflichten nicht erfüllt; zur Nachholung kann ihr dann aber eine Wiederaufnahme nicht bewilligt werden (so schon 6 Ob 698/83). Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten hat die Partei gegen sich gelten zu lassen (SZ 25/158 ua; Fasching, Komm IV, 520). Eine Behauptung, aus welchen besonderen Gründen das Unterlassen der Antragstellung nach Sachverhaltserweiterung durch die Klägerin ihr nicht als Nachlässigkeit in ihrer Prozeßführung hätte vorgeworfen werden können, wurde von ihr nicht aufgestellt. Fehlten aber solche Behauptungen, hat das Erstgericht dem Ergebnis nach zutreffend die beiden Wiederaufnahmsklagen gemäß § 543 ZPO zurückgewiesen. Dem Revisionsrekurs ist Folge zu geben; der angefochtene Beschluß ist dahin abzuändern, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelverfahren gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E16759

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0010OB00710.88.0118.000

Dokumentnummer

JJT_19890118_OGH0002_0010OB00710_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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