TE OGH 1989/1/24 10ObS15/89

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.01.1989
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (Arbeitgeber) und Eduard Giffinger (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Albin H***, Heilmasseur, 5020 Salzburg, Purtschellergasse 11, vertreten durch Dr. Wilhelm Traunwieser und Dr. Herbert Hübel, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1021 Wien,

Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Erich Proksch und Dr. Richard Proksch, Rechtsanwälte in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. September 1988, GZ 12 Rs 71/88-21, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 9. März 1988, GZ 40 Cgs 1106/87-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 10. August 1987 wies die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 1. April 1987 auf Berufsunfähigkeitspension mangels Berufsunfähigkeit ab.

In der dagegen rechtzeitig erhobenen Klage behauptete der Kläger, wegen mehrerer Leiden keiner geregelten Erwerbstätigkeit mehr nachgehen zu können und beantragte eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. April 1987. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger ab 1. April 1987 die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu "be"zahlen (Punkt 1. des Spruches) und trug der beklagten Partei auf, dem Kläger bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Leistung von monatlich 6.000 S ab 1. April 1987 zu erbringen, und zwar die bereits fällig gewordenen Beträge binnen 14 Tagen, die in Hinkunft fällig werdenden monatlich zum Ersten im vorhinein. Nach den erstgerichtlichen Feststellungen absolvierte der am 3. August 1932 geborene Kläger nach der Volks- und Hauptschule eine Zahntechnikerlehre, mußte die Ausbildung zum Dentisten jedoch im Jahre 1952 wegen einer Augenoperation abbrechen. Anschließend war er bis 1959 als Angestellter in der land- und forstwirtschaftlichen Sozialversicherung, bis 1969 als (angestellter) Baukaufmann beschäftigt. Nach einer längeren Behandlung wegen Verdachtes auf multiple Sklerose schulte er nach Beendigung des Krankenstandes auf den Beruf eines Masseurs um. Von 1972 an war er teils als "freischaffender", teils als angestellter Masseur beschäftigt, seit 1982 ist er als selbständiger Masseur tätig. Er führte sämtliche klassischen Massagen durch, aber auch Spezialmassagen, wie Lymphbahnendrainagen und Reflexzonenmassagen. "Diese Massagen werden sicherlich in halbgebückter Haltung ... durchgeführt, die durchschnittliche Dauer der Massage pro Patienten beträgt 40 Minuten bis eineinhalb Stunden. Die Arbeiten werden überwiegend im Stehen gemacht, die Möglichkeit, während des Massierens Gehbewegungen auszuführen, ist praktisch nicht vorhanden."

Wegen des etwa seit April 1987 bestehenden, im einzelnen festgestellten körperlichen Zustandes kann der Kläger während eines achtstündigen Arbeitstages mit den üblichen Unterbrechungen leichte und mittelschwere Arbeiten im Stehen, Gehen und Sitzen vorwiegend in geschlossenen Räumen unter Schutz vor Kälte und Nässeeinwirkungen durchführen, bei denen übermäßige Gehleistungen, vor allem unter Zeitdruck, zu vermeiden sind. Auf dem Weg zum Arbeitsplatz kann er einen Kilometer in langsamem Schritttempo zurücklegen oder ein öffentliches Verkehrsmittel benützen. Bewegungsloses Stehen auf einem Ort ist ihm etwa zehn Minuten lang zumutbar. Wenn er sich zwischendurch bewegt, ist das Stehen sicherlich in einem längeren Zeitraum möglich.

Weil die Tätigkeit eines Masseurs ausschließlich im Stehen zu verrichten sei, dem Kläger aber ein längeres Stehen ohne Bewegungszwischenräume nicht möglich sei, könne er seine bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben und sei daher berufsunfähig iS des § 273 Abs 1 und Abs 3 ASVG. Deshalb gebührten ihm die begehrte Leistung und die nach § 98 (richtig 89) Abs 2 ASGG aufzutragende und festzusetzende vorläufige Zahlung ab Antragstag.

Dagegen erhob die beklagte Partei Berufung wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie vertrat die Rechtsansicht, daß die Ausbildung zum Masseur, bei dem es sich um einen nach §§ 255 ff ASVG zu beurteilenden Sanitätsdienst handle, im Rahmen eines mehrwöchigen Kurses erfolge. Wegen des Alters des Klägers könnte § 273 Abs 3 ASVG erst ab 1. September 1987 angewendet werden. Auch ab diesem Zeitpunkt träfen die Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle auf ihn nicht zu, weil er innerhalb der letzten 15 Kalenderjahre vor dem Stichtag keinen einzigen Beitragsmonat der Pflichtversicherung nach dem ASVG, sondern nur Zeiten der freiwilligen Weiterversicherung, eingekaufte Versicherungszeiten und Zeiten nach dem GSVG erworben habe. Daß die Eigenschaften der in den letzten 15 Kalenderjahren erworbenen Versicherungszeiten nicht festgestellt worden seien, bilde einen wesentlichen (Feststellungs)Mangel.

In der mündlichen Berufungsverhandlung ergänzte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Beweisverfahren durch Verlesung einer der beklagten Partei aufgetragenen Aufstellung über den Versicherungsverlauf des Klägers vom 1. Oktober 1947 bis 31. Juli 1988, der von den qualifiziert vertretenen Parteien außer Streit gestellt wurde. Weiters wiederholte das Berufungsgericht die Parteiaussage des Klägers vor dem Erstgericht. Daraufhin wurde außer Streit gestellt, daß "der Kläger vom 1. Februar 1973 an nicht mehr ASVG-pflichtversichert als unselbständig Erwerbstätiger tätig war". Das Berufungsgericht gab der Berufung Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies. Die geminderte Arbeitsfähigkeit des Klägers sei (materiell) nach § 255 ASVG zu beurteilen. Weil es sich bei der Tätigkeit des Masseurs weder um einen erlernten noch um einen angelernten Beruf iS der Abs 1 und 2 leg cit handle, könne der Kläger nach Abs 3 auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden. Aber auch nach der Vollendung des 55. Lebensjahres lägen die Voraussetzungen nach Abs 4 lit c dieser Gesetzesstelle nicht vor, weil der Kläger seit 1973 nicht mehr unselbständig erwerbstätig gewesen sei und eine Tätigkeit, welche die Versicherungspflicht nach dem GSVG nach sich ziehe oder bei entsprechender Anmeldung des Gewerbes nach sich ziehen würde, keine Tätigkeit iS des Abs 4 lit c sei. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, das angefochtene Urteil "aufzuheben", womit aber erkennbar die Abänderung durch Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung gemeint ist, "und der beklagten Partei bei sonstiger Exekution aufzutragen, dem Kläger bis zur Entscheidung des Höchstgerichtes die vorläufige Leistung einer Berufsunfähigkeitspension in Höhe von monatlich S 6.000 ab 1. April 1987 zu bezahlen."

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs 2 leg cit zulässige Revision ist nicht berechtigt.

Daß das Berufungsgericht im angefochtenen Urteil nicht über den die von der beklagten Partei nach § 89 Abs 2 ASGG zu erbringende Leistung betreffenden Punkt 2 des erstgerichtlichen Urteils entschieden hätte, ist unrichtig. Das Berufungsgericht hat nämlich das den Rechtsstreit nach § 89 Abs 2 ASGG durch ein zweiteiliges Endurteil, nämlich die stattgebende Entscheidung über den Grund des Anspruches und den Auftrag einer vorläufigen Zahlung, erledigende erstgerichtliche Entscheidung durch ein klageabweisendes Urteil abgeändert. Damit hat es das Zurechtbestehen des Klagebegehrens dem Grunde und der Höhe nach verneint und damit den nur bei Bejahung dieser Voraussetzungen zulässigen erstgerichtlichen Auftrag zur vorläufigen Zahlung beseitigt, ohne daß es eines diesbezüglichen ausdrücklichen Berufungsantrages noch eines ausdrücklichen Ausspruches im Berufungsurteil bedurfte. In einem solchen Fall bleibt es bei der durch die rechtzeitige Erhebung der Berufung bewirkten Hemmung der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils im Umfang der Berufungsanträge bis zur Erledigung des Rechtsmittels iS des § 466 ZPO, so daß die vom Erstgericht aufgetragene vorläufige Zahlung weiterhin nicht zu erbringen ist (Kuderna, ASGG § 89 Erl 7). Die in diesem Zusammenhang gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsurteils liegt daher nicht vor. Auch im Zusammenhang mit der behaupteten Verletzung des Neuerungsverbotes liegt keine Mangelhaftigkeit (§ 503 Abs 1 Z 2 ZPO) vor (so auch Fasching, ZPR Rz 1733 unter Hinweis auf die stRsp; § 510 Abs 3 ZPO).

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß der Kläger keinen Anspruch auf eine Berufsunfähigkeitspension nach § 273 Abs 1 ASVG ab 1. April 1987 hat, wird in der Revision nicht mehr bekämpft. Das Berufungsgericht hat auch einen Anspruch des Klägers auf eine Berufsunfähigkeitspension nach § 273 Abs 3 ASVG ab Vollendung des 55. Lebensjahres deshalb zu Recht verneint, weil der versicherte Kläger nicht in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (§ 223 Abs 2 ASVG) eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt hat (lit c).

Stichtag für die im letzten Absatz genannte Leistung ist der der Vollendung des 55. Lebensjahres nächstfolgende Monatserste, also der 1. September 1987. In den letzten 15 Jahren vor diesem Stichtag, also in der Zeit vom 1. September 1972 bis zum 31. August 1987 hat der Kläger nach der Außerstreitstellung in der mündlichen Berufungsverhandlung vom September 1972 bis Jänner 1973 5 Beitragsmonate der Pflichtversicherung nach dem ASVG als Angestellter, vom Februar 1973 bis Dezember 1976 47 Einkaufsmonate, die nach Art VII Abs 1 der 32. ASVGNov BGBl 1976/704 Beitragsmonaten der freiwilligen Versicherung in der Pensionsversicherung nach dem ASVG gleichzuhalten sind, vom Oktober 1978 bis März 1981 und im September 1981, im März 1982, im September 1982 und im Jänner 1983 34 Beitragsmonate der freiwilligen Versicherung in der Pensionsversicherung nach dem ASVG und vom Februar 1983 bis August 1987 55 Beitragsmonate der Pflichtversicherung nach dem GSVG erworben.

Daraus folgt, daß der Kläger in den letzten 15 Kalenderjahren vor dem 1. September 1987 86 Beitragsmonate nach dem ASVG aufzuweisen hat, von denen aber nur 5 Beitragsmonate der Pflichtversicherung, die übrigen 81 Beitragsmonate der freiwilligen Versicherung sind.

So ähnlich, wie als überwiegend im Sinne des § 255 Abs 1 ASVG nach Abs 2 S 2 dieser Gesetzesstelle solche erlernte (angelernte) Berufstätigkeiten gelten, wenn sie in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (§ 223 Abs 2) ausgeübt wurden, so daß Beitragszeiten der freiwilligen Versicherung nicht als Zeiten einer Berufsausübung in einem erlernten oder angelernten Beruf gelten (so zB OLG Wien 1. April 1965 SSV 5/39, 24. Juni 1966 SozSi 1966/11, 15. Oktober 1981 SSV 21/101), können Beitragsmonate der freiwilligen Versicherung auch bei den § 255 Abs 2 S 2 ASVG nachgebildeten Bestimmungen des § 255 Abs 4 lit c und § 273 Abs 3 lit c ASVG nicht als Beitragsmonate gewertet werden, in denen eine (die Pflichtversicherung nach dem ASVG begründende) Tätigkeit ausgeübt wurde (so zB auch OLG Wien 16. November 1981 SSV 21/112, 29. Juni 1982 SSV 22/61; teilweise anders OLG Wien 27. März 1985 SSV 25/48), und zwar gleichgültig, ob eine und allenfalls welche Tätigkeit in dieser Zeit tatsächlich ausgeübt wurde. Die im § 273 Abs 3 lit c ASVG bezeichnete Voraussetzung ist daher hier nicht erfüllt, weshalb der Kläger auch keinen Anspruch auf eine Berufsunfähigkeitspension nach dieser Gesetzesstelle hat. Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Anmerkung

E16958

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00015.89.0124.000

Dokumentnummer

JJT_19890124_OGH0002_010OBS00015_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten