Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 26.Jänner 1989 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hörburger, Dr. Brustbauer und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Zeh als Schriftführers in der Strafsache gegen Karin S*** wegen des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB. über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichts beim Landesgericht Klagenfurt vom 22. Juli 1988, GZ. 14 Vr 431/88-37, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Klagenfurt als Schöffengericht verwiesen.
Mit ihrer Berufung wird die Angeklagte hierauf verwiesen.
Text
Gründe:
Die am 3.März 1960 geborene kaufmännische Angestellte Karin S*** wurde zufolge einer ursprünglich auf das Verbrechen des Mordes (§ 75 StGB.) gerichteten, nach Beginn der Hauptverhandlung jedoch auf das Verbrechen des Totschlags (§ 76 StGB.) modizifierten Anklage in diesem Sinn schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Der Schuldspruch beruht auf dem stimmeneinhelligen Wahrspruch der Geschwornen, welche die anklagekonforme Hauptfrage in Richtung Totschlag bejaht und die Zusatzfrage nach Zurechnungsunfähigkeit der Angeklagten zur Tatzeit verneint haben.
Diesen Schuldspruch bekämpft die Angeklagte mit einer auf § 345 Abs. 1 Z. 5 und 8 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.
Rechtliche Beurteilung
Der Beschwerde kommt insoweit Berechtigung zu, als der Sache nach die unrichtige Belehrung der Geschwornen anläßlich einer ergänzenden Instruktion behauptet wird.
Auf Grund des durch eine von den Geschwornen unterfertigte Niederschrift vom 26.August 1988 (I S. 487, 488) belegten Vorbringens der Angeklagten, wonach der Akteninhalt über verschiedene wesentliche Vorgänge bei der Beratung und Abstimmung der Geschwornen keinen Aufschluß geben soll, veranlaßte der Oberste Gerichtshof Maßnahmen zur Klärung des Sachverhalts (§§ 285 f., 344 StPO.). Die Aufklärung ergab, daß die Geschwornen in der Beratung zu einer vorläufigen Meinungsbildung gelangt waren. Anschließend kam es jedoch nicht zu allen für die Beendigung einer Abstimmung vorgesehenen Verfahrensschritten (§ 331 Abs. 2, 3 und 4 StPO.), sondern zu einem Ersuchen des Obmanns an den Vorsitzenden des Schwurgerichtshofs um ergänzende Rechtsbelehrung (§ 327 Abs. 1 StPO.). Daraufhin begab sich der Schwurgerichtshof in das Beratungszimmer, wo der Vorsitzende den Geschwornen "neuerlich eingehende Rechtsbelehrung" erteilte. Indes war entgegen den Bestimmungen des § 327 Abs. 1 und 2 StPO. weder ein Schriftführer anwesend noch wurde der Belehrungsinhalt in einem Protokoll festgehalten. Diese unbeachtet gebliebene Protokollierungsvorschrift stellt eine besonders wichtige Verfahrensregelung dar, weil die Richtigkeit der Belehrung mit Nichtigkeitsbeschwerde bestritten werden kann (§ 345 Abs. 1 Z. 8 StPO. unter ausdrücklicher Zitierung des § 327 StPO.). Demgemäß erwächst einerseits den Parteien aus der Rechtsmittelbefugnis ein unbeschränkter Anspruch auf Kenntnis der ergänzenden Belehrung; andererseits benötigt der Oberste Gerichtshof für die Beurteilung der auf Z. 8 im Grund des § 327 StPO. gestützten Rüge eine aktenmäßige Grundlage der den Laienrichtern gegebenen Erklärungen.
Der Nichtigkeitsgrund nach Z. 8 liegt nicht nur dann vor, wenn die den Geschwornen erteilte Rechtsbelehrung erwiesenermaßen unrichtig war, sondern auch bei verbleibender Ungewißheit darüber, ob die Erläuterungen einen richtigen Inhalt hatten; bei anderer Auslegungen müßten zweifelhafte Belehrungen der Geschwornenbank als richtig unterstellt werden. Die soeben angesprochene Fallgestaltung ist hier gegeben, weil durch die angeordnete Aufklärung (§§ 285 f., 344 StPO.) keine Gewißheit erzielt werden konnte, welche zusätzlichen Belehrungen die Laien erfahren haben und ob dabei unzutreffende oder irreführende Erörterungen stattgefunden haben. Die Stellungnahmen der Mitglieder des Schwurgerichtshofs lassen bloß die Annahme zu, daß die damaligen Erläuterungen über die in den §§ 321 Abs. 2 sowie 323 Abs. 2 und 3 StPO. umschriebenen Grenzen für die Anleitung der Laienrichter erheblich hinausgegangen sind und sich insbesondere auch auf den für die Fragestellung gar nicht mehr aktuellen Unterschied zwischen Mord und Totschlag sowie auf hypothetische Antrags- und Rechtsmittelmöglichkeiten des Staatsanwalts erstreckt haben.
Die durch das Beschwerdevorbringen aufgezeigten und nicht behebbaren Zweifel an der Richtigkeit der ergänzenden Rechtsbelehrung ziehen die Nichtigkeit (Z. 8) des Urteils des Geschwornengerichts nach sich und erfordern eine kassatorische Entscheidung, die gemäß §§ 285 e, 344 StPO. schon bei der nichtöffentlichen Beratung ergehen konnte. Zugleich war die Strafsache in analoger Anwendung des § 351, letzter Halbsatz, StPO. an das für die Erledigung der Anklage wegen § 76 StGB. zuständige Schöffengericht zu verweisen (vgl. EvBl. 1976/242 = SSt. 47/11, 13 Os 181/85, 11 Os 25/86, 11 Os 9/87, 14 Os 83/87). Mit ihrer Berufung war die Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
Anmerkung
E16311European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0130OS00148.88.0126.000Dokumentnummer
JJT_19890126_OGH0002_0130OS00148_8800000_000