Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Kurt Resch (Arbeitgeber) und Anton Prager (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Erich L***, Im Rosenbichl 12, 3251 Purgstall im Revisionsverfahren nicht vertreten wider die beklagte Partei A*** U***,
Adalbert Stifter-Straße 65, 1200 Wien vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien wegen Versehrtenrente infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6. September 1988, GZ 31 Rs 215/88-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 15. März 1988, GZ 33 Cgs 1314, 1315/87-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 14. Juli 1969 erlitt der Kläger bei einem Arbeitsunfall einen Verlust der dreigliedrigen Finger und eines Teiles der dritten bis fünften Mittelhandknochen an der linken Hand. Die Folgen dieses Unfalles bedingen für sich allein gesehen, eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 vH. Mit Bescheid vom 23. Juni 1971 gewährte die Beklagte dem Kläger für die Folgen dieses Unfalles eine Versehrtenrente im Ausmaß von 40 vH der Vollrente als Dauerrente. Am 2. Dezember 1985 erlitt der Kläger bei einem Arbeitsunfall Schnittverletzungen am rechten Unterarm mit Durchtrennung beider Beugesehnen des Kleinfingers und der oberflächlichen Beugesehnen des Ringfingers und des Mittelfingers und eine Teildurchtrennung des Ellennervs. Vom 1. April 1987 bestand auf Grund der Folgen dieses Unfalles eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 vH. Für die Folgen dieses Unfalles gewährte die beklagte Partei dem Kläger mit Bescheid vom 10. Juni 1987 für die Zeit vom 10. März 1986 bis 31. März 1987 eine Versehrtenrente im Ausmaß von 20 vH der Vollrente samt Zusatzrente und sprach aus, daß für die Folgen dieses Unfalles für die Zeit ab 1. April 1987 keine Rente gebühre; ab diesem Zeitpunkt liege eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im rentenfähigen Ausmaß nicht mehr vor. Die Voraussetzungen für die Gewährung der Zusatzrente seien gegeben, weil der Kläger auf Grund des Unfalles vom 14. Juli 1969 bereits eine Versehrtenrente im Ausmaß von 40 vH der Vollrente beziehe.
Mit Bescheid vom selben Tag sprach die beklagte Partei aus, daß die für die Folgen des Unfalles vom 14. Juli 1969 gewährte Versehrtenrente von 40 vH der Vollrente für die Zeit vom 10. März 1986 bis 31. März 1987 auf eine Versehrtenrente von 40 vH der Vollrente zuzüglich Zusatzrente erhöht werde. Die Voraussetzungen für die Gewährung der Zusatzrente für diese Zeit sei erfüllt, weil beide Rentenleistungen zusammen 50 vH der Vollrente erreichen. Gegen den Bescheid betreffend die Feststellung der Rentenleistung für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 2. Dezember 1985 richtet sich die zu 33 Cg 1314/87 des Erstgerichtes erhobene Klage mit dem Begehren die beklagte Partei ab 1. April 1987 weiterhin zur Gewährung einer Rentenleistung im Ausmaß von 20 vH der Vollrente zu verpflichten; es bestehe als Folge der bei dem Unfall vom 2. Dezember 1985 eingetretenen Verletzungen nach wie vor eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 vH. Gegen den Bescheid mit dem über die Neufeststellung der Versehrtenrente betreffend die Folgen des Unfalles vom 14. Juli 1969 abgesprochen wurde, richtet sich die zu 33 Cg 1315/87 des Erstgerichtes erhobene Klage mit dem Begehren die beklagte Partei zu einer Rentenleistung im Ausmaß von 60 vH der Vollrente ab 1. Jänner 1987 zu verpflichten. Die Folgen des Unfalles machten dem Kläger sehr zu schaffen.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klagen. Die vorgenommene Einschätzung entspreche jeweils der durch die Unfallfolgen bedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit. Die auf Grund beider Unfälle insgesamt bestehende Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt 45 vH.
Das Erstgericht verpflichtete nach Verbindung der beiden Rechtssachen die beklagte Partei dem Kläger für die Folgen beider Unfälle eine Versehrtenrente im Ausmaß von 45 vH der Vollrente zuzüglich einer Zusatzrente zu gewähren und wies das darüber hinaus gehende Begehren auf Gewährung einer Versehrtenrente von 60 vH der Vollrente samt Zusatzrente ab 1. Jänner 1987 sowie einer weiteren Versehrtenrente im Ausmaß von 20 vH der Vollrente ab 1. April 1987 ab. Insgesamt bestehe eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 45 vH, was einen Anspruch auf Leistung der Versehrtenrente in diesem Ausmaß begründe. Da aber die Zusammenrechnung der auf Grund der beiden Unfälle gesondert ermittelten Minderung der Erwerbsfähigkeit 50 vH erreiche, seien die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Zusatzrente erfüllt.
Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei erhobenen Berufung teilweise Folge und verpflichtete die beklagte Partei zur Leistung einer Versehrtenrente von 45 vH der Vollrente (ohne Zusatzrente) und wies das Mehrbegehren ab. Da erwiesen sei, daß die aus dem zweiten Arbeitsunfall resultierende Minderung der Erwerbsfähigkeit 10 vH betrage, seien auch die Voraussetzungen für die Bildung einer Gesamtrente gegeben. Die Entscheidungsbefugnis hierüber sei zufolge der gegen beide Bescheide erhobenen Klagen auf das Gericht übergegangen. Es sei davon auszugehen, daß ab 1. April 1987 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 45 vH bestehe. Daß am 1. April 1987 der Zweijahreszeitraum des § 210 Abs 2 ASVG noch nicht abgelaufen gewesen sei, stehe dem Zuspruch einer Gesamtrente ab diesem Zeitpunkt nicht entgegen, da der Zweijahreszeitraum nur eine Obergrenze bilde und die Gesamtrentenfeststellung auch davor erfolgen könne. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Zusatzrente seien allerdings nicht gegeben, weil die festgestellte Minderung der Erwerbsfähigkeit (maßgeblich sei das der Gesamtrentenbildung zugrunde gelegte Ausmaß) nicht 50 vH erreiche. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei, die die Entscheidung nur insoweit anficht, als dem Kläger für die Zeit vom 1. April 1987 bis 30. November 1987 eine Gesamtrente im Ausmaß von 45 vH der Vollrente zuerkannt wurde. Begehrt wird die Abänderung der Entscheidung dahin, daß dem Kläger für die Folgen des Unfalles vom 2. Dezember 1985 für die Zeit vom 1. April 1987 bis (offenbar richtig) 30. November 1987 eine vorläufige Versehrtenrente im Ausmaß von 10 von 100 der Vollrente zuzüglich einer anteiligen Zusatzrente gewährt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Gegenstand des Verfahrens ist nach Verbindung der beiden Rechtssachen sowohl der Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Versehrtenrente für die Folgen des Unfalles vom 14. Juli 1969 sowie auf eine Rentenleistung für die Folgen des Unfalles vom 2. Dezember 1985. Wohl trifft es zu, daß ausgehend von den Feststellungen für die Zeit vom 1. April 1987 bis 30. November 1987 grundsätzlich auch die Voraussetzungen für die Gewährung einer Versehrtenrente im Ausmaß von 40 vH für die Folgen des Unfalles vom 14. Juli 1969 sowie für die Gewährung einer Versehrtenrente im Ausmaß von 10 vH für die Folgen des Unfalles vom 2. Dezember 1985 - soweit das Berufungsgericht die Voraussetzungen für die Gewährung der letztgenannten Rente negiert, läßt es die Bestimmung des § 210 Abs 4 iVm § 210 Abs 1 ASVG außer Acht - je samt Zusatzrente erfüllt wären. Der Kläger hat jedoch den Zuspruch einer Gesamtrente von 45 vH der Vollrente und die Abweisung des darüber hinaus gehenden Begehrens unangefochten gelassen.
Die beklagte Partei vertritt nun den Standpunkt, daß die Bildung einer Gesamtrente nur zulässig sei, wenn der letzte Versicherungsfall zumindest zwei Jahre zurückliege, zumal eine zwingende Notwendigkeit die Gesamtrente vorzeitig festzustellen, weil etwa die Unfallfolgen medizinisch nicht zu trennen seien, nicht gegeben gewesen sei. Dem kann nicht beigetreten werden. Das Gesetz kennt nur einen einzigen Begriff der Versehrtenrente, diese Rente ist unter den in § 209 Abs 1 ASVG bezeichneten Voraussetzungen als vorläufige Rente (SSV-NF 1/5), sonst als Dauerrente und entsprechend den Bestimmungen des § 210 Abs 2 ASVG als Gesamtrente festzustellen. Das Gesetz enthält bezüglich der Feststellung der Gesamtrente nur die Bestimmung, daß diese spätestens zu Beginn des dritten Jahres nach dem letzten einbezogenen Unfall geschehen muß. Die Gleichartigkeit dieser Zeitbestimmung mit der des § 209 Abs 1 zweiter Satz für die Feststellung der Dauerrente läßt den Schluß zu, daß der Gesetzgeber will, daß in entsprechend gelagerten Fällen die Gesamtrente im Zeitpunkt der Dauerrentenfeststellung für den letzten Unfall gebildet werden soll. Der Zweck liegt darin, daß bis zum Eintritt einer gewissen Konsolidierung der Unfallfolgen die Versehrtenrente sich der Höhe nach möglichst elastisch den sich ergebenden Veränderungen des Gesundheitszustandes anpassen können soll, daß sodann aber dem Versicherten eine gewisse Sicherheit hinsichtlich der Höhe seines Rentenbezuges gewährt werden soll. Der Auftrag geht daher, wie aus der Diktion des § 209 Abs 1 ASVG klar hervorgeht, dahin, die Dauerrente tunlichst bald festzustellen. Die Zweijahresfrist soll also nicht als Regel, sondern als Grenzfall angesehen werden. Das gleiche gilt für die Gesamtrentenfeststellung (Leitner SozSi 1961, 129 f insb 135).
Im vorliegenden Fall war, wie dargestellt, die Rentengewährung nach beiden Unfällen Gegenstand des Verfahrens, wobei die gerichtliche Prüfung hinsichtlich beider Rentenansprüche die Zeit ab 1. April 1987 betraf. Die im Rahmen der sukzessiven Kompetenz auf das Gericht übergegangene Entscheidungsbefugnis umfaßte in diesem Umfang auch die Frage, ob bzw ab welchem Zeitpunkt eine Gesamtrente zuzuerkennen ist. Das Erstgericht war keineswegs darauf beschränkt, über die Gesamtrentenfeststellung erst ab dem Zeitpunkt des Ablaufes der Zweijahresfrist abzusprechen, sondern konnte sofern die Konsolidierung der Unfallfolgen schon zu einem davor liegenden Zeitpunkt eingetreten war, bereits ab diesem Zeitpunkt eine Gesamtrente zuerkennen. Die Vorinstanzen sind bei ihren Entscheidungen davon ausgegangen, daß ab 1. April 1987 beim Kläger eine Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit von 45 vH bestand. Dies wird von der beklagten Partei nicht in Zweifel gezogen. Daß in diesem Zeitpunkt die Entwicklung der Folgen des Unfalles noch nicht abgeschlossen gewesen wäre, wurde von der beklagten Partei nicht geltend gemacht. Geht man aber davon aus, daß die Unfallfolgen am 1. April 1987 bereits konsolidiert waren, so wurde zutreffend ab diesem Zeitpunkt die Gesamtrente zuerkannt.
Eine Kostenentscheidung entfiel, da Kosten nicht verzeichnet wurden.
Anmerkung
E16685European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00036.89.0207.000Dokumentnummer
JJT_19890207_OGH0002_010OBS00036_8900000_000