Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria S***, ÖBB-Beamtin, Wien 11, Mautner-Markhof-Gasse 17-21/2/22, vertreten durch Dr. Erhard C.J. Weber, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dr. Günter P***, praktischer Arzt, Wien 21, Jeneweingasse 10/10, vertreten durch Dr. Günther Romauch, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 27.000,-- s.A. (Revisionsinteresse S 25.800,--) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 6. September 1988, GZ 45 R 418/88-24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 1. April 1988, GZ 15 C 4596/86-18, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie unter Einbeziehung der formell nicht abgewiesenen Teilansprüche zu lauten haben:
"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 22.800,-- samt 4 % Zinsen aus S 25.800,-- vom 10. Oktober 1986 bis 1. Dezember 1986 und aus S 22.800,-- seit 2. Dezember 1986 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen. Das Mehrbegehren von S 4.200,-- samt 4 % Zinsen aus S 7.200,-- vom 10. Oktober 1986 bis 1. Dezember 1986 und aus S 4.200,-- seit 2. Dezember 1986 wird hingegen abgewiesen."
Die beklagte Partei ist ferner schuldig, der klagenden Partei die mit S 26.650,30 bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen (darin S 1.753,30 Umsatzsteuer und S 7.364,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin leidet schon seit etwa 15 Jahren an Schmerzzuständen im Bereich beider Handgelenke. Seit 1984 traten auch Schmerzen und Verspannungen im Bereich des Rückens auf. Der Beklagte diagnostizierte bei der Klägerin eine durch starke Verspannungen der paravertibralen Muskulatur hervorgerufene Dorsalgie (Rückenschmerzen). Sie unterzog sich deshalb im September 1984 beim Beklagten einer Ozontherapie, zu welcher mehrere Sitzungen notwendig sind. Bei dieser Therapie infiltriert der Beklagte gewöhnlich beiderseits der Brustwirbelsäule Ozon. Um die Schmerzen der Ozoninfiltration zu lindern, injiziert er vor dem Infiltrationsvorgang Xyloneural. Ist dieses Mittel injiziert, steckt der Beklagte auf dieselbe Nadel eine Ozonfüllung auf, um das Ozon in dieselbe Körperstelle zu infiltrieren. Ziel seiner Therapie sind die Nervenwurzeln im Bereich der mittleren Brustwirbelsäule; jedenfalls soll mit der Infiltration durch das An- und Durchfluten des Gases bis zu den Nervenwurzeln hin zumindest eine mittelbare Wirkung erreicht werden. Der Beklagte führt die Injektionen zur Körpermitte hin aus; als Einstichstelle wählt er dabei jene Körperstelle, als der nach Angaben des Patienten die größte Schmerzempfindung besteht. Die Klägerin hatte bereits etwa zehn Sitzungen hinter sich. Dabei waren ihr die Injektionen jeweils im Bereich der Brustwirbelsäule verabreicht worden. Die Einstichstellen waren von der Brustwirbelsäule jedoch nicht immer gleich weit entfernt. Vor dem Beginn der Therapie hatte der Beklagte der Klägerin mitgeteilt, sie müsse sich während des Injektionsvorganges ruhig verhalten, weil dieser sonst gefährlich werden könnte. Sonst hat der Beklagte mit der Klägerin Risiken der Therapie nicht näher erörtert. Er hielt dies deshalb nicht für angezeigt, weil die Klägerin seiner Auffassung nach wegen ihres Privatlebens psychisch belastet war und deshalb eine vegetative Dystonie ausgebildet hatte. Hätte die Klägerin auf nähere Aufklärung bestanden, hätte er sie über das mit der Ozontherapie verbundene Risiko aufgeklärt. Dies bestand darin, daß ein Gefäß angestochen und hiedurch eine Embolie herbeigeführt oder die Lunge angestochen werden konnte.
Am 12. September 1984 führte der Beklagte an der Klägerin wieder eine Ozoninfiltration durch. Er nahm die Injektion einige Zentimeter neben der Rückenmitte vor, stach dabei jedoch infolge eines Mißgeschickes die Brusthöhle an. Infolge oberflächlichen Einstiches in die linke Lungenspitze strömte aus der Lunge Luft in die linke Brusthöhle, wodurch sich ein (mantelartiger) Pneumothorax bildete. Die Klägerin bekam einen mit stechenden Schmerzen verbundenen starken Hustenanfall. Der Beklagte brach die Infiltration ab und begann, den Brustkorb der Klägerin abzuhorchen und abzuklopfen, erkannte den Pneumothorax jedoch nicht.
Im Rahmen des ausgedehnten Pneumothorax kollabierte der linke Unterlappen, der Oberlappen war davon weniger betroffen. Da der Beklagte nichts feststellen konnte, forderte er die Klägerin auf sitzenzubleiben. Schließlich brachte sie ein Arbeitskollege nach Hause. Am folgenden Tag suchte sie zwar noch den Arbeitsplatz auf, begab sich jedoch in der Folge in die Ordination eines Internisten, zu dem sie an sich hinbestellt war. Dieser veranlaßte eine Röntgenaufnahme des Brustraumes, die den Pneumothorax eindeutig erkennen ließ. Darauf wurde die Beklagte in die Universitätsklinik für Arbeitsmedizin (AKH) aufgenommen, wo sie bis 18. September 1984 in stationärer Pflege verblieb. Während des Krankenhausaufenthaltes bildete sich der Pneumothorax sponton zurück. Die Lunge entfaltete sich von selbst wieder, so daß ein zusätzlicher ärztlicher Eingriff - etwa ein Punktion - nicht erforderlich war. Angesichts der konservativen Behandlung kann auf die Fehleinschätzung des Pneumothorax durch den Beklagten und den damit verzögerten Behandlungsbeginn keine Verlängerung des Beschwerdebildes zurückgeführt werden. Bei Infiltrationen, wie sie der Beklagte vornimmt, kann trotz Aufwendung ärztlicher Sorgfalt das Anstechen der Brusthöhle nicht immer vermieden werden. Die Ozontherapie des Beklagten ist zwar keine klassische Behandlungsmethode im Sinne der Schulmedizin, die unmittelbare Infiltration in den Bereich der Nervenwurzeln ist im Gegenteil recht ungewöhnlich, doch liegt in dieser Behandlung noch keine Abweichung von einer medizinisch möglichen und vertretbaren Methode.
Nach dem Auftreten des Pneumothorax litt die Klägerin zunächst zwei Tage hindurch an starken Schmerzen. Nachdem die Lunge kollabiert war, nahmen die Schmerzzustände erheblich ab, doch bestanden etwa vier bis fünf Tage hindurch noch leichte Schmerzen. Im Zuge des natürlichen Heilvorganges traten etwa eine Woche hindurch mittelgradige Schmerzen auf, weil die langsame Entfaltung der Lunge mit entsprechenden Reibungen der Oberfläche an der Rippenfellauskleidung der Brusthöhle verbunden war. Bis zum vollständigen Abklingen des Beschwerdebildes traten bei der Klägerin dann noch - gerafft - etwa zehn Tage hindurch leichte Schmerzen auf. Die Klägerin begehrte zuletzt die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung eines Schmerzengeldes von S 27.000,-- s.A. Der Beklagte hafte ihr für die schuldhaft zugefügte Verletzung. Sie sei von ihm über die mit der Infiltrationsbehandlung verbundenen Gefahren nicht aufgeklärt worden. Wären ihr die Risiken bekannt gewesen, hätte sie sich der Therapie nicht unterzogen. Da der Beklagte seine Aufklärungspflicht verletzt habe, hafte er selbst bei kunstgerechtem Eingriff.
Der Beklagte wendete vor allem ein, das Anstechen der Lungenspitze sei kein Kunstfehler. Auch ein Verstoß gegen die ärztliche Aufklärungspflicht falle ihm nicht zur Last. Das Erstgericht sprach der Klägerin ein Schmerzengeld von S 25.800,-- s.A. zu (ohne das Mehrbegehren abzuweisen). Den Beklagten treffe am Zustandekommen der Verletzung selbst kein Verschulden. Das Anstechen der Lungenspitze sei kein Kunstfehler gewesen. Auch die Wahl der Behandlungsmethode könne dem Beklagten nicht vorgeworfen werden. Selbst wenn sie als eher ungewöhnliche Behandlungsmethode anzusehen sei, fehle es am Risikozusammenhang zwischen dem in der Wahl dieser Methode möglicherweise anzunehmenden Fehlverhalten und dem durch den Einstich bewirkten Verletzungserfolg. Durch die verspätete Einweisung ins Krankenhaus habe sich der Behandlungsverlauf nicht verzögert. Der Beklagte habe aber seine Aufklärungspflicht verletzt. Die Ozonbehandlung sei von der Schulmedizin nicht approbiert und keineswegs unmittelbar erforderlich gewesen, um etwa ein akutes Krankheitsgeschehen oder gar ein lebensgefährliches Beschwerdebild zu lindern oder abzuwenden. Es sei vielmehr nur um die Behandlung einer nach Einschätzung durch den Beklagten offenbar psychisch belasteten Frau gegangen. Unter diesen Umständen wäre der Beklagte umso mehr verpflichtet gewesen, die Klägerin über alle möglichen Risiken der Behandlung umfassend aufzuklären, so auch über die Gefahr der Verletzung der Lunge. Der Verstoß gegen die Aufklärungspflicht mache den Beklagten auch für die Folgen eines kunstgerechten Eingriffes schadenersatzpflichtig, weil die Klägerin bei entsprechender Aufklärung in die Behandlung nicht eingewilligt hätte. Auf die Belehrung habe sie weder ausdrücklich noch konkludent verzichtet. Im Hinblick auf die Schmerzperioden sei ein Schmerzengeld von S 25.800,-- gerechtfertigt.
Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab, sprach aus, daß die Revision zulässig sei, und stellte nach teilweiser Beweiswiederholung ergänzend fest: Der Pneumothorax sei im allgemeinen keine wirklich schwerwiegende und gefährliche, geschweige denn eine lebensgefährliche Komplikation. In der Regel bilde er sich von selbst zurück. Bei Infiltrationsbehandlungen im Bereich des Rückens sei das Anstechen der Brusthöhle eine zwar seltene, aber doch immer wieder einmal vorkommende Komplikation. In rechtlicher Hinsicht führte das Gericht zweiter Instanz aus, der mit dem Arzt abgeschlossene Behandlungsvertrag umfasse auch dessen Aufklärungspflicht, also die Verpflichtung, den Patienten über mögliche Gefahren und schädliche Folgen einer Behandlung bzw. deren Unterlassung zu unterrichten. Diese Belehrung sei Teil der Heilbehandlung. Die Grenzen der Aufklärungspflicht könnten nur im Einzelfall abgesteckt werden. Der Arzt sei aber im allgemeinen nicht verpflichtet, den Patienten auf alle nur denkbaren Nachteile der Behandlung hinzuweisen, mit welchen bei Würdigung des konkreten Falles nach dem Stand der ärztlichen Erfahrung nicht zu rechnen sei; in solchen Fällen sei die Annahme gerechtfertigt, daß ein verständiger Patient seinen Entschluß zur Behandlung nicht ändern werde. Nach herrschender Rechtsprechung sei die ärztliche Aufklärungspflicht in erster Linie nach dem Wohl des Patienten und erst in zweiter Linie auch unter Bedachtnahme auf sein Selbstbestimmungsrecht einzugrenzen. Die Aufklärung könne umso geringer ausfallen, je notwendiger der Eingriff für die Gesundheit des Patienten sei. Dem Arzt sei so ein gewisser Beurteilungsspielraum einzuräumen. Er dürfe jedoch nicht schon aus der Unterlassung von Fragestellungen stets auf den Wunsch des Patienten schließen, nicht weiter aufgeklärt zu werden. Es komme dabei immer auf die Umstände des Einzelfalles an. Auch die Frage, ab welchem Häufigkeitsgrad der Patient über ein Behandlungsrisiko aufgeklärt werden müsse, lasse sich nicht generell beantworten. Dabei komme es vor allem darauf an, ob das nicht geradezu ganz seltene Risiko lebensbedrohend sei oder wichtige Körperfunktionen betreffe und ob es von solchem Gewicht sei, daß es auch ein vernünftiger Patient ernsthaft in seine Überlegungen einbeziehen müsse, ob er lieber mit den bisherigen Beschwerden weiterleben möchte oder die gute Chance einer Heilung mit den demgegenüber viel geringeren Gefahren erkaufe. Demnach habe der Beklagte die Klägerin auf die Gefahr einer Embolie oder eines Pneumothorax nicht aufmerksam machen müssen. Das Anstechen der Brusthöhle sei ein seltenes Risiko. Der Pneumothorax stelle keine schwerwiegende Folge dar, weil er sich in der Regel von selbst zurückbilde. Die Klägerin habe an Rückenschmerzen und Verspannungen des Rückens gelitten, weshalb sie im September 1984 die Ozontherapie begonnen habe. Derartige Beschwerden müßten jedenfalls als ins Gewicht fallende Gesundheitsstörungen angesehen werden. Stelle man diesen Beschwerden das geringe Risiko eines Pneumothorax gegenüber, so stelle sich gar nicht die Frage, ob ein vernünftiger Patient überhaupt ernsthaft überlege, mit den bisherigen Beschwerden lieber weiterzuleben als die gute Chance einer Heilung oder zumindest einer Linderung wahrzunehmen. Der Patient werde vielmehr von vornherein die Behandlung wünschen. Unter diesen Umständen habe den Beklagten keine Aufklärungspflicht getroffen. Daß ihn an der Zufügung der Verletzung an und für sich kein Verschulden treffe, habe schon das Erstgericht zutreffend dargelegt, so daß seine Verpflichtung zur Zahlung eines angemessenen Schmerzengeldes zu verneinen sei.
Die von der Klägerin dagegen erhobene Revision ist berechtigt. Die Klägerin beschränkt die Ausführungen in ihrem Rechtsmittel ausschließlich auf die behauptete Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht durch den Beklagten; sie nimmt es somit hin, daß die Vorinstanzen einen vom Beklagten zu vertretenden Kunstfehler verneint haben.
Rechtliche Beurteilung
Grundsätzlich ist jede medizinische Behandlung rechtswidrig, wenn sie der Einwilligung durch den Patienten entbehrt. Hat die eigenmächtige Behandlung nachteilige Folgen, haftet der Arzt selbst dann, wenn ihm dabei kein Kunstfehler unterlaufen ist (vgl. Mertens in Münch-Komm.2 § 823 BGB Rz 421; Soergel-Zeuner, BGB11 § 823 Rz 200; Schäfer in Staudinger, BGB12 § 823 Rz 469). Die den Eingriff rechtfertigende Einwilligung durch den Patienten setzt voraus, daß ihm der Arzt vorher über Art und Schwere sowie über mögliche Gefahren und schädliche Folgen der Behandlung oder ihrer Unterlassung sowie darüber aufgeklärt hat, daß daneben auch noch andere, weniger gefährliche, wenngleich vielleicht längerdauernde Behandlungsmethoden Erfolgsaussichten haben (vgl. KRSlg. 685;
JBl 1982, 491; Koziol, Haftpflichtrecht2 II 120 f vgl. Mertens aaO Rz 423 a 426; Schäfer aaO in Rz 472; Soergel-Zeuner aaO, 203, 206). Diese Belehrung ist ein Teil der Heilbehandlung (RZ 1973/167;
Ehrenzweig, System2 II/1, 627, vgl. Mertens aaO Rz 421). Die ärztliche Aufklärung soll den Patienten in die Lage versetzen, die Tragweite seiner Erklärung zu überblicken (KRSlg. 685; Zipf in ÖJZ 1977, 385). Erteilte der Kranke seine Einwilligung auf Grund unrichtiger oder unvollständiger Belehrung durch den Arzt, ist sie unwirksam (KRSlg. 685 ua; Koziol aaO; Bertel, Wiener Kommentar zum StGB, § 110 Anm. 8; Steiner in JBl 1982, 169; Loebenstein, Die strafrechtliche Haftung des Arztes bei operativen Eingriffen, ÖJZ 1978, 309 f vgl. Mertens aaO Rz 423, 423 a; Schäfer aaO Rz 470; Zeuner aaO Rz 203). In diesem Fall verantwortet der Arzt eigenmächtige Heilbehandlung (§ 110 Abs 1 StGB) und haftet - wie schon dargelegt - selbst bei kunstgerechtem Eingriff für die hiedurch bewirkten Schäden wegen Verletzung dieses Schutzgesetzes (§ 1311 ABGB).
Wie weit die Aufklärungspflicht des Arztes im Einzelfall reicht, kann nicht einheitlich beantwortet werden; sie liegt im Spannungsfeld des vom Arzt vor allem zu wahrenden Wohles des Patienten (vgl. § 7 ÄrzteG) und dessen Selbstbestimmungsrechtes. Da dem Kranken in aller Regel die Kenntnisse fehlen, um die Mitteilungen des Arztes richtig einzuschätzen, muß der Umfang der Aufklärung den Gesichtspunkten gewissenhafter ärztlicher Übung und Erfahrung den Umständen des Einzelfalls und den Besonderheiten des Krankenbildes Rechnung tragend beurteilt werden. Demnach ist der Arzt im allgemeinen nicht verpflichtet, den Kranken auf alle nur erdenklichen nachteiligen Folgen der Behandlung oder ihrer Unterlassung hinzuweisen, sofern mit solchen Folgen bei Würdigung des Anlaßfalles nach dem Stand der ärztlichen Erfahrung nicht gerechnet werden muß (SZ 55/114; JBl 1982, 491; RZ 1973/167 ua; vgl. Zeuner aaO Rz 210; Schäfer aaO Rz 472 vgl. auch Steiner aaO 173).
Die ärztliche Aufklärungspflicht reicht umso weiter, je weniger der Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder gar geboten ist (SZ 55/114 ua; vgl. Speiser in ÖJZ 1988, 744 ff, insbesondere 747 f). Dann ist die ärztliche Aufklärungspflicht im Einzelfall selbst dann zu bejahen, wenn erhebliche nachteilige Folgen wenig wahrscheinlich sind (vgl. BGH in VersR 1972, 153 vgl. Mertens aaO Rz 426; Zeuner aaO Rz 205; Schäfer aaO Rz 478). Selbst auf die Möglichkeit äußerst seltener Zwischenfälle ist dann hinzuweisen, wenn für den Eingriff aus medizinischer Sicht keine Dringlichkeit oder überhaupt keine zwingende Indikation besteht (vgl. BGH NJW 1984, 1395 f; Mertens aaO Rz 428). Hinzuweisen ist auch auf das allgemeine mit dem Eingriff verbunden Risiko (Thrombose, Embolie oder dgl.; vgl. Speiser aaO). Die Ozonbehandlung durch den Beklagten war mit dem Risiko verbunden, daß versehentlich ein Gefäß oder die Lunge angestochen werden und hiedurch eine Embolie bzw. ein Pneumothorax (wie bei der Klägerin tatsächlich eingetreten) herbeigeführt werden konnte. Diese Risiken konnten - selbst im Fall des Pneumothorax - mit erheblichen nachteiligen Folgen verbunden sein. Dazu kommt, daß die vom Beklagten angewendete Ozonbehandlung keineswegs eine klassische Behandlungsmethode im Sinne der Schulmedizin, sondern im Gegenteil sogar "recht ungewöhnlich" (ON 18, S. 6) ist. Die Behandlung war auch keineswegs notwendig, um die Klägerin vor drohender Lebensgefahr oder doch einer erheblichen Gefahr für ihre Gesundheit zu bewahren; sie setzte es sich vielmehr zum Ziel, die Patientin von - allerdings beträchtlichen - Schmerzen zu befreien oder diese doch zu lindern. In einem solchen Fall ist eine ausführliche Aufklärung des Patienten geboten, um ihn in die Lage zu versetzen, zwischen der Aussicht auf Heilung bzw. Besserung und den möglichen Wagnissen des Eingriffs abzuwägen. Der medizinische Laie, der dem Arzt, in dessen Behandlung er sich begeben hat, wohl zumeist volles Vertrauen entgegenbringt, wird in Fällen, in welchen er auf mögliche Risiken vom Arzt überhaupt nicht aufmerksam gemacht wird, einen für ihn gefahrlosen Eingriff geradezu als selbstverständlich voraussetzen.
Der Beklagte hat die Klägerin über die möglichen Gefahren des Eingriffes nicht aufgeklärt. Er rechtfertigte die Unterlassung ausschließlich damit, daß die Beklagte seiner Auffassung nach hauptsächlich psychosomatisch bedingte Beschwerden, also Symptome ohne faßbaren Organbefund (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 981), habe. Zutreffend führt die Klägerin in ihrer Revision aus, daß der Beklagte bei dieser Diagnose ohnedies nur die körperlichen Symptome eines seelischen Leidens erreichen konnte, so daß eine nachhaltige Besserung ohne gleichzeitige Psychotherapie nicht möglich gewesen sein dürfte. Die vom Beklagten ins Treffen geführte Diagnose konnte die Unterlassung notwendiger ärztlicher Aufklärung der Klägerin somit nicht rechtfertigen. Daß die Aufklärung der Beklagten über die Folgen mißglückter Einstiche aus besonderen Gründen - etwa wegen ihrer psychischen
Verfassung - kontraindiziert gewesen wäre, hat der Beklagte nicht behauptet. In einem solchen Fall hat der Arzt im übrigen auch zu prüfen, ob der Eingriff, der keineswegs dringend geboten war, dann nicht überhaupt zu unterlassen ist.
Das Erstgericht hat festgestellt, daß die Klägerin in die Ozoninfiltration bei ausreichender Aufklärung über die möglichen Risiken nicht eingewilligt hätte. Ist dem Beklagten ein Verstoß gegen die ihn treffende Pflicht zur ausreichenden Aufklärung der Klägerin vorzuwerfen, so haftet er unter diesen Umständen auch für die Folgen eines kunstgerechten Eingriffes. Der Beklagte hat somit der Klägerin auch für die zufälligen Folgen seines Eingriffes einzustehen und ihr daher ein angemessenes Schmerzengeld zu bezahlen. Gegen die Bemessung des Schmerzengeldes durch das Erstgericht, gegen die der Beklagte in seiner Berufung keine stichhältigen Argumente vortrug, bestehen keine Bedenken. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß der Beklagte bereits ein Schmerzengeld von S 3.000,-- bezahlt und die Klägerin ihr Begehren auch um diesen Betrag eingeschränkt hat, ohne daß das Erstgericht dies beim Schmerzengeldzuspruch berücksichtigt hätte.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 43 Abs 2 und 50 ZPO. Die Klägerin ist nur mit einem verhältnismäßig kleinen Teil ihrer Forderung unterlegen, deren Feststellung der Höhe nach vom richterlichen Ermessen abhängig war. Der Kostenbemessung ist allerdings der ersiegte Betrag zugrundezulegen. Der Schriftsatz ON 7 war zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig, weil der behauptete Irrtum nicht als entschuldbar erkannt werden kann.
Anmerkung
E16762European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0010OB00713.88.0207.000Dokumentnummer
JJT_19890207_OGH0002_0010OB00713_8800000_000