TE OGH 1989/2/8 9ObA43/89

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Veröffentlicht am 08.02.1989
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Karl Hennrich und Werner Fendrich als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Franz M***, Dienstnehmer, Schwechat, Dr. Fritz Hess-Gasse 3, vertreten durch Dr. Josef Deitzer, Rechtsanwalt in Schwechat, wider die beklagte Partei Alfred K***, Kaufmann, Wien 11., Dreherstraße 32, vertreten durch Dr. Otto, Dr. Rolf und Dr. Walter Schuhmeister, Rechtsanwälte in Schwechat, wegen 11.380 S sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21.Oktober 1988, GZ 33 Ra 77/88-33, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 28.April 1988, GZ 6 Cga 1507/88-26, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Arbeitsrechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger half dem Beklagten in den Jahren 1983, 1984 und 1985 beim Christbaumverkauf in Schwechat. Er erhielt für seine gesamte Arbeitsleistung einschließlich des Fällens der Bäume und der Mithilfe beim Transport in den Jahren 1983 und 1984 - ohne ausdrückliche Vereinbarung - je 15.000 S. Auch für 1985 trafen die Streitteile keine Lohnvereinbarung. Am letzten Verkaufstag (24.Dezember 1985) hielt der Kläger die Tageslosung von 3.620 S zurück.

Der Kläger begehrt vom Beklagten Lohnzahlung wie in den Vorjahren in der (restlichen) Höhe von 11.380 S sA. Der Beklagte erhob die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit des zunächst angerufenen Bezirksgerichtes für Handelssachen, weil der Kläger zu ihm in einem dienstnehmerähnlichen Verhältnis gestanden sei. Er sei als Gelegenheitsarbeiter weisungsgebunden gewesen.

In der Sache selbst beantragte der Beklagte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger habe ihm im Jahr 1985 mitgeteilt, daß auch seine Schwiegertochter in Himberg einen Christbaumverkauf durchführen werde. Daraufhin hätten die Streitteile vereinbart, daß der Kläger für seine Tätigkeit im Jahre 1985 kein Entgelt erhalte, der Beklagte aber den Kläger bei der Anschaffung der Christbäume unterstütze, also die Bäume für ihn einkaufe und mit seinem LKW auf den Verkaufsplatz der Schwiegertochter des Klägers nach Himberg bringe. Diese Vereinbarung habe der Beklagte auch eingehalten und sich gegen die Zurückbehaltung der Tageslosung vom 24.Dezember 1985 durch den Kläger ausgesprochen; er habe es aber schließlich dabei bewenden lassen. Für den Fall, daß dem Kläger der begehrte Lohn zustehen sollte, wende er für den Transport der Bäume aus der Oststeiermark nach Himberg und seine Tätigkeit beim Ankauf der Bäume eine Gegenforderung von 20.000 S aufrechnungsweise ein. Im übrigen sei die Forderung des Klägers nach dem Kollektivvertrag für die Handelsarbeiter Österreichs (im folgenden nur: KV) verfallen. Der Kläger gab als richtig zu, zum Beklagten in einem dienstnehmerähnlichen Verhältnis gestanden zu sein, und beantragte die Überweisung der Rechtssache an das Arbeits- und Sozialgericht Wien.

Dieses stellte die Forderung des Klägers mit 11.380 S sA als zu Recht und die Gegenforderung des Beklagten mit 5.000 S als zu Recht bestehend fest, verurteilte den Beklagten daher zur Zahlung eines Betrages von 6.380 S sA und wies das Mehrbegehren ab.

Das Erstgericht traf folgende wesentliche Feststellungen:

Im Jahre 1985 wollte der Kläger seiner Schwiegertochter beim Christbaumverkauf in Himberg helfen. Als sie Lieferanten für Christbäume suchte, erbot sich der Beklagte, dem Kläger und seiner Schwiegertochter dabei behilflich zu sein. Die Streitteile suchten vor allem in Vorau und in Kirchberg am Wechsel Bäume für den Beklagten und für die Schwiegertochter des Klägers aus und markierten sie. Der Kläger arbeitete gemeinsam mit seinen Familienangehörigen beim Fällen und beim Transport der Bäume mit. Der Beklagte transportierte die (für ihn bestimmten) Christbäume nach Schwechat und (die für die Schwiegertochter des Klägers bestimmten) nach Himberg. Der Kläger bezahlte die für seine Schwiegertochter bestimmten Bäume.

Dann verkaufte der Kläger (beim Stand des Beklagten) Christbäume, worin seine Haupttätigkeit bestand. Er verkaufte teilweise allein, teilweise gemeinsam mit dem Beklagten. Die Richtlinien für die Preise bestimmte der Beklagte. Jeden Abend (mit Ausnahme des 24.Dezember 1985) übergab der Kläger dem Beklagten die Tageslosung ohne Abrechnung.

Das Erstgericht war der Ansicht, der KV komme nicht zur Anwendung, weil der Kläger überwiegend eine Verkaufstätigkeit geleistet habe. Die Streitteile hätten die Vertragsbedingungen der Vorjahre stillschweigend fortgesetzt, so daß dem Kläger für den Verkauf und die Hilfe bei der Beschaffung der Bäume eine Pauschalsumme von 15.000 S gebühre. Die Gegenforderung des Beklagten für die Schwiegertochter des Klägers sei gemäß § 273 ZPO mit 5.000 S zu bemessen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht, der Berufung des Beklagten aber Folge und wies das Klagebegehren ab. Der Kläger habe für den Beklagten zwar vorwiegend kaufmännische Dienste geleistet, die aber von untergeordneter Bedeutung gewesen seien, so daß sie die Voraussetzungen einer Angestelltentätigkeit nicht erfüllt hätten. Daraus folge aber, daß der Kläger dem KV für die Handelsarbeiter Österreichs unterliege. Nach Punkt XIII. KV habe der Arbeitnehmer die Ansprüche aus dem Dienstverhältnis bei sonstigem Verfall innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit (hier 24.Dezember 1985) schriftlich geltend zu machen. Der Kläger habe (diese) Behauptungen des Beklagten nie bestritten; es sei daher davon auszugehen, daß er seine Forderung nicht binnen drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht habe. Die Berufung des Beklagten sei auf diese Entscheidung zu verweisen.

Der Kläger erhebt gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes eine außerordentliche Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erheblicher Rechtsfragen iS des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß seiner Klage in vollem Umfang stattgegeben werde.

Der Beklagte erstattete schon vor der ersten Prüfung der außerordentlichen Revision iS des § 508 a Abs 2 ZPO eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die außerordentliche Revision nicht zuzulassen oder ihr keine Folge zu geben.

Der Kläger bringt zur Zulässigkeit der außerordentlichen Revision vor, das Berufungsgericht habe sich zwar mit den Begriffen "Handelsarbeiter" und "Handelsangestellter" auseinandergesetzt, habe aber nicht bedacht, da zwischen den Streitteilen (nach dem übereinstimmenden Vorbringen) nur ein sogenannter freier Arbeitsvertrag bestanden habe, auf den der KV nicht zur Anwendung komme. Der Kläger sei in der Gestaltung seiner Arbeit nicht weisungsgebunden, sondern vollkommen frei gewesen. Er habe seine Arbeitszeiten selbst wählen können; er habe die Christbäume selbst ausgesucht und mit dem Waldbesitzer die Preise ausgehandelt und sei auch in der Preisgestaltung der Christbäume frei gewesen. Er sei nicht zur Sozialversicherung angemeldet und mit einem Pauschalentgelt entlohnt worden. Alle Steuern und Beiträge für eine allfällige freiwillige Sozialversicherung wären zu seinen Lasten gegangen. Es wäre Sache des Beklagten gewesen, den Beweis zu erbringen, daß der KV anzuwenden sei. Im übrigen habe der Klagevertreter den Beklagten mit Schreiben vom 9.Jänner 1986 zur Zahlung der Forderung des Klägers aufgefordert.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Frage, inwieweit dienstnehmerähnliche oder in einem freien Arbeitsverhältnis stehende Personen Arbeitnehmer iS der §§ 1, 2 ArbVG sind, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iS des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO ist, die das Berufungsgericht bei der Entscheidung des Falls außer Betracht gelassen hat.

Die Revision ist auch berechtigt.

Die insbesondere auf die Vorentscheidung Arb 10.045 (Blumenverkäuferin) gestützte, eingehend begründete Rechtsansicht der zweiten Instanz, daß der Kläger nicht Angestellter iS des § 1 Abs 1 AngG war, sondern vorwiegend untergeordnete Verrichtungen leistete (§ 1 Abs 2 AngG) ist zutreffend, doch folgt daraus noch nicht zwingend, daß der Kläger unter den persönlichen Geltungsbereich des KV für Handelsarbeiter Österreichs fiel. Beide Parteien sind nämlich im Zuständigkeitsstreit übereinstimmend davon ausgegangen, daß der Kläger (nur) in einem "arbeitnehmerähnlichen Verhältnis" zum Beklagten gestanden ist. Damit haben die Parteien allerdings nur eine rechtliche Qualifikation ihres Vertragsverhältnisses ohne ausreichende Behauptung der zugrundeliegenden Fakten außer Streit gestellt. Auf Grund ihres Vorbringens wäre jedoch zu prüfen gewesen, ob die vom Beklagten eingewendete Verfallsbestimmung des KV auf den Kläger überhaupt anzuwenden ist. Personen, bei denen das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit nicht gegeben ist, die also bei ihrer Dienstleistung ihre persönliche Selbständigkeit nicht einbüßen (zB freie Mitarbeiter), fallen nicht unter den Schutzzweck des Arbeitsverfassungsgesetzes und damit auch nicht unter die Geltung der kollektiven Rechtsgestaltung (Strasser, Arbeitsrecht2 II 74; Floretta-Strasser, Komm z ArbVG 8 f).

Für die übereinstimmend behauptete "Arbeitnehmerähnlichkeit" ist allerdings die wirtschaftliche Unselbständigkeit trotz Fehlens eines Arbeitsverhältnisses maßgebend:

§ 51 Abs 3 Z 2 ASGG stellt den Arbeitnehmern (in verfahrensrechtlicher Hinsicht) Personen gleich, die, ohne in einem Arbeitsverhältnis zu stehen, im Auftrag und für Rechnung bestimmter Personen Arbeit leisten und wegen wirtschaftlicher Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnlich anzusehen sind. Entscheidend ist danach das Merkmal der wirtschaftlichen Unselbständigkeit und daher die Abhängigkeit von einem oder mehreren bestimmten, nicht aber von einer unbegrenzten, ständig wechselnden Anzahl von Unternehmern. Sie ist vor allem bei einer gewissen Regelmäßigkeit der Arbeitsleistung gegeben, sofern die betreffende Person zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes (jedenfalls auch) auf diese Entlohnung angewiesen ist und ihre Arbeit nicht in einem selbständigen eigenen Betrieb, sondern in wirtschaftlicher Unterordnung für die Zwecke eines anderen leistet. Wesentlich ist dabei auch die Fremdbestimmung ihrer Arbeit, welche dann anzunehmen ist, wenn der wirtschaftliche Erfolg der Tätigkeit dem Unternehmer zukommt und der Beschäftigte in bezug auf die von ihm ausgeübte Tätigkeit in seiner Entschlußfähigkeit auf ein Mindestmaß beschränkt ist. Die für und gegen die Annahme eines arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnisses sprechenden Umstände sind nicht einzeln, sondern in ihrer Gesamtheit zu beurteilen (Arb. 9.346; Arb. 9.747; 9.944; 10.019; 10.310 uva). Während der Begriff der wirtschaftlichen Unselbständigkeit die arbeitnehmerähnliche Person vom wirtschaftlich selbständigen Unternehmer abgrenzt, wird die Abgrenzung zwischen einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis und einem Arbeitsverhältnis durch die Kriterien der für den Arbeitnehmer kennzeichnenden persönlichen Abhängigkeit (Weisungsgebundenheit, Eingliederung in den Betrieb, Kontrollunterworfenheit, disziplinäre Verantwortung, persönliche Arbeitspflicht) bestimmt. Liegen diese Kriterien vor, ist der zur Arbeit Verpflichtete ein Arbeitnehmer und keine arbeitnehmerähnliche Person. Liegen sie nicht oder nur in einer so stark abgeschwächten Form vor, daß mangels persönlicher Abhängigkeit die Voraussetzungen eines Arbeitsverhältnisses nicht erfüllt sind, dann kann bei Zutreffen der übrigen Voraussetzungen der wirtschaftlichen Unselbständigkeit Arbeitnehmerähnlichkeit gegeben sein (Kuderna, ASGG 281).

Die bisherigen Feststellungen der Vorinstanzen über das Rechtsverhältnis der Streitteile erlauben eine Beurteilung der Frage, ob der Kläger nur in einem "freien" Arbeitsverhältnis oder in einer sonstigen nur arbeitnehmerähnlichen Vertragsbeziehung zum Beklagten stand, oder ob er Arbeitnehmer war, nicht. Zu den erwähnten Kriterien der persönlichen Abhängigkeit liegen Feststellungen nicht vor. Der Umstand, daß der Kläger aus der periodischen, wohl nur einige Wochen im Jahr dauernden Tätigkeit für den Beklagten seinen Lebensunterhalt nur zu einem verhältnismäßig geringen Teil decken konnte (für wen er sonst tätig wird, steht nicht fest), daß er während eines Teils seiner Arbeitszeit für den Beklagten im Jahre 1985 auch die selbständigen wirtschaftlichen Interessen seiner Schwiegertochter mitverfolgen durfte (die Bäume wurden sowohl für die Schwiegertochter des Klägers als auch für den Beklagten gemeinsam geschlägert), daß der Kläger bei dieser Arbeit auch andere Personen, nämlich Familienangehörige eingesetzt hat, daß er nicht zur Sozialversicherung angemeldet und mit

einem - anscheinend von der Dauer seiner Arbeitszeit weitgehend unabhängigen - Pauschalbetrag entlohnt wurde, spricht für das Fehlen einer persönlichen Abhängigkeit, doch läßt sich diese Frage, da nicht alle maßgeblichen Kriterien erforscht wurden, noch nicht abschließend beurteilen.

Es ist auch nicht richtig, daß der Kläger eine Behauptung des Beklagten, der Kläger habe seine Forderung nicht binnen 3 Monaten schriftlich geltend gemacht, unbestritten ließ. Der Beklagte hat sich ohne nähere Tatsachenbehauptungen auf den Verfall der Ansprüche des Klägers nach dem Kollektivvertrag berufen; der Kläger hat den Verfall mit der Behauptung bestritten, daß er Angestellter gewesen sei. Das Erstgericht hat den gemäß § 43 Abs 3 ASGG von Amts wegen zu ermittelnden Inhalt des Kollektivvertrages mit den Parteien nicht erörtert. Da die angefochtene Entscheidung wegen Feststellungsmängeln nach § 496 Abs 1 Z 3 ZPO aufzuheben ist, wird für den Fall der Kollektivvertragsunterworfenheit des Klägers auch auf die Frage der rechtzeitigen schriftlichen Geltendmachung seiner Ansprüche einzugehen sein, da bei diesem Aufhebungsgrund die Beschränkung des § 496 Abs 2 zweiter Fall ZPO nicht gilt. Da es offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, ist auch das Urteil der ersten Instanz aufzuheben und die Streitsache an diese zurückzuverweisen (§ 510 Abs 1 ZPO).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E16922

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:009OBA00043.89.0208.000

Dokumentnummer

JJT_19890208_OGH0002_009OBA00043_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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