Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*** G***, Wien 10.,
Wienerbergstraße 15-19, vertreten durch Dr. Robert Amhof und Dr. Heinz Damian, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Erich P***, Privater, Hinterbrühl, Parkstraße 11 a, vertreten durch Dr. Wolfgang Jeannee, Rechtsanwalt in Wien, wegen 627.774,46 S sA, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 30. Juni 1988, GZ 13 R 232/87-84, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 17. Juli 1987, GZ 53 Cg 3/87-79, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache dahin zu Recht erkannt, daß das Urteil des Erstgerichtes bestätigt wird. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 33.093,40 S bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten 3.400 S Barauslagen und 2.699,40 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte war Geschäftsführer der P*** & Co GesmbH (im folgenden nur GesmbH) mit dem Sitz in Wien 21., Vohburggasse 2. Gegenstand des Unternehmens war der Fahrzeughandel. Die GesmbH war mit Ablauf des Jahres 1979 überschuldet. Zu diesem Zeitpunkt reichte das Aktivvermögen der GesmbH unter Berücksichtigung stiller Reserven nicht mehr aus, um die echten Geschäftsverbindlichkeiten (ohne Stammkapital und Rücklagen) zu decken. Die Überschuldung war für den Beklagten im Frühjahr 1980 (1. April 1980) erkennbar. Über das Vermögen der GesmbH wurde am 9. September 1980 auf Antrag des Beklagten der Konkurs eröffnet. Der Konkurs wurde am 9. Juli 1982 nach Verteilung der Masse, die nur zur teilweisen Befriedigung der Masseforderungen ausreichte, gemäß § 166 Abs. 2 KO aufgehoben. Unter Berücksichtigung einer der klagenden Partei aus der Konkursmasse am 25. Juni 1982 zugekommenen Zahlung von 278.725,18 S haften für die Zeit vom Juli 1980 bis Feber 1981 an Sozialversicherungsbeiträgen samt Nebengebühren 688.724,46 S unberichtigt aus. Gestützt auf die Haftungsgründe des § 114 ASVG, des § 159 StGB und des § 85 GmbHG begehrt die klagende Partei vom Beklagten den Ersatz der ihr entgangenen Sozialversicherungsbeiträge. Im ersten Rechtsgang wurden der klagenden Partei 60.950 S samt 4 % Zinsen seit 28. November 1982 rechtskräftig zugesprochen, weil der Beklagte im Juli 1980 Dienstnehmeranteile in dieser Höhe einbehalten und der klagenden Partei nicht abgeführt hat (ON 31).
Das Erstgericht erkannte auch im zweiten Rechtsgang über das restliche Klagebegehren von 627.774,46 S sA im Sinne der Klage. Nach seinen Feststellungen kündigte der Masseverwalter sofort nach Konkurseröffnung sämtliche Dienstnehmer der GesmbH. Die nach der Konkurseröffnung aufgelaufenen Beitragsverbindlichkeiten stammen nicht aus einer Betriebsfortführung. Hätte der Beklagte am 1. April 1980 den Antrag auf Eröffnung des Konkurses gestellt, hätten folgende Beitragsverbindlichkeiten bestanden: 140.923 S an Beitragsschulden per 1. April 1980 und 432.609 S aus der Auflösung der Dienstverhältnisse, zusammen 573.532 S. Diese Forderung der klagenden Partei hätte in der Masse volle Deckung gefunden. Der klagenden Partei wäre daher kein Ausfall entstanden. Schon im Herbst 1979 war es auf Drängen der Hausbank der GesmbH mit der allgemeinen Wirtschaftsberatungs- und Förderungsgesellschaft mbH zu Gesprächen gekommen, um eine Sanierung der GesmbH einzuleiten. Es wurde jedoch nie ein Sanierungskonzept ausgearbeitet und es wurden auch keine Sanierungsmaßnahmen gesetzt.
Nach der Rechtsansicht des Erstgerichtes habe der Beklagte den Tatbestand der Konkursverschleppung zu vertreten. Da die bei rechtzeitiger Antragstellung vorhanden gewesenen Beitragsverbindlichkeiten in der Masse volle Deckung gefunden hätten, sei die klagende Partei durch die Konkursverschleppung um jene Beträge vom Beklagten schuldhaft geschädigt worden, die während des Verschleppungszeitraumes entstanden seien.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Der Beklagte hafte nur dann für den gesamten Beitragsrückstand, wenn die fiktiven Beitragsschulden bei rechtzeitiger Konkurseröffnung hätten voll befriedigt werden können:
Andernfalls hafte der Beklagte nur für den Quotenschaden. Zur Beurteilung des Haftungsumfanges des Beklagten reichten aber die bisherigen Feststellungen nicht aus. Bei Berechnung der Deckung der fiktiven Beitragsschulden könnten jene Aktiven nicht herangezogen werden, an denen ein Absonderungsrecht bestanden habe. Ob an den Liegenschaften der GesmbH, die im Juni 1980 um rund 22 Mill. S verkauft worden seien, Absonderungsrechte bestanden hätten, sei ungeprüft geblieben. Sollten solche Absonderungsrechte ganz oder teilweise gefehlt haben, wäre auch ohne Berücksichtigung von Absonderungsrechten an dem zur Kreditbesicherung zedierten Forderungen bei einer Konkurseröffnung am 1. April 1980 der Masse beim Verkauf dieser Liegenschaften der Verkaufserlös ganz oder teilweise zur Verfügung gestanden. Gehe man mit dem Beklagten und dem Sachverständigengutachten davon aus, daß bei einer Konkurseröffnung am 1. April 1980 10,300.000 S bevorrechteter Forderungen zu befriedigen gewesen wären, hätten diese Forderungen und damit auch die fiktiven Beitragsschulden volle Deckung gefunden. Hätten aber Absonderungsrechte den Liegenschaftserlös so weit geschmälert, daß die Befriedigungsquote für Masseforderungen und Forderungen erster Klasse unter 100 % gesunken wäre, wären insbesondere die dem Bankhaus S*** & Co zedierten Forderungen darauf zu prüfen, ob neben der Zession auch die Absonderungsrechte ordnungsgemäß begründet worden seien und welche Kreditsumme sie sicherstellen sollten. Schließlich fehlten auch Feststellungen über die übrigen Forderungen, die neben den fiktiven Beitragsschulden im gleichen Rang zu befriedigen gewesen wären.
Der gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Rekurs der klagenden Partei ist im Ergebnis berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Wie schon das Berufungsgericht im ersten Rechtsgang zutreffend dargelegt hat, können nach ständiger Rechtsprechung Gläubiger einer GesmbH, die für ihre Forderungen im Vermögen der GesmbH keine ausreichende Deckung gefunden haben, den Geschäftsführer nach den allgemeinen Grundsätzen des ABGB über den Schadenersatz direkt für ihren Schaden in Anspruch nehmen, der ihnen vom Geschäftsführer durch schuldhafte Verletzung eines Gesetzes, das gerade den Schutz der Gesellschaftsgläubiger bezweckt, verursacht wurde (GesRZ 1981, 183; GesRZ 1979, 36; SZ 42/104). Ein solches Schutzgesetz stellte auch der im vorliegenden Fall noch anzuwendende § 85 Abs. 1 GmbHG dar, wonach der Geschäftsführer einer GesmbH in Verbindung mit § 25 Abs. 3 Z 2 GmbHG bereits im Zeitpunkt der Überschuldung verpflichtet war, die Einleitung des Insolvenzverfahrens zu beantragen (GesRZ 1981, 183 mwN). Im vorliegenden Fall steht fest, daß die GesmbH bereits Ende 1979 überschuldet und demnach bereits damals ein Konkursgrund gegeben war. Dem Standpunkt des Beklagten, daß die rein rechnerische Überschuldung durch eine Fortbestehensprognose zu ergänzen sei, hat das Berufungsgericht zutreffend entgegengehalten, daß konkrete Sanierungsbemühungen nicht festgestellt werden konnten. Da die Überschuldung nach dem ersten Quartal 1980 dem Beklagten erkennbar war, was vom Beklagten auch zugestanden wurde (AS 232), hat das Berufungsgericht zu Recht bereits im ersten Rechtsgang das Vorliegen des Haftungsgrundes der Konkursverschleppung nach § 85 Abs. 1 GmbHG und § 69 Abs. 1 KO aF bejaht und auch richtig erkannt, daß der Beklagte aber nur jenen Schaden zu ersetzen hat, der durch sein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten verursacht wurde und vom Schutzzweck der übertretenen Norm umfaßt ist. Der Beitragsrückstand der klagenden Partei muß mit diesem Schaden nicht ident sein (GesRZ 1981, 183). Zum Umfang des Schadenersatzanspruches eines Gläubigers bei Vorliegen des genannten Haftungsgrundes (nunmehr §§ 67 Abs. 1, 69 Abs. 2 und 3 KO) wurde vom Obersten Gerichtshof ausgesprochen, daß sowohl Altgläubigern als auch Neugläubigern nur der Ersatz des Quotenschadens (d.i. die Differenz zwischen der tatsächlich erzielten Konkursquote und demjenigen, was der Gläubiger bei pflichtgemäßer Antragstellung erhalten hätte) gebührt (RdW 1988, 14; GesRZ 1981, 183; vgl. auch Honsell in GesRZ 1984, 210 f). Dieser Ansicht liegt die Erwägung zugrunde, daß sich aus den Vorschriften des § 69 Abs. 2 in Verbindung mit § 67 Abs. 1 KO, anders als aus § 159 Abs. 1 Z 2 StGB, kein weitergehender Schutzzweck entnehmen läßt, als die Gleichbehandlung aller Gläubiger. Das Entstehen weiterer Beitragsschulden gegenüber dem Sozialversicherungsträger durch die Weiterbeschäftigung von Dienstnehmern nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ist als Eingehen neuer Schulden zu verstehen (5 Ob 153/73; SSt 39/34), sodaß insoweit auch dem Sozialversicherungsträger die Stellung eines Neugläubigers zukommt. Die Pflichtverletzung durch den Beklagten und deren Vorwerfbarkeit stehen im vorliegenden Fall ebenso fest, wie daß die klagende Partei einen Ausfall in Höhe des Klagsbetrages erlitten hat. Entscheidende Bedeutung kommt daher der Frage zu, wen die Beweislast dafür trifft, ob die klagende Partei bei pflichtgemäßer Antragstellung nicht auch den gleichen Schaden erlitten hätte. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes hat bei Verletzung eines Schutzgesetzes der Schädiger zu beweisen, daß der Schaden auch bei vorschriftsmäßigem Verhalten in gleicher Weise eingetreten wäre (ZVR 1979/199 ua), sodaß auch dem beklagten Geschäftsführer einer GesmbH der Beweis obliegt, daß der eingetretene Schaden auch ohne seinen Verstoß gegen § 159 StGB bzw. § 85 GmbHG eingetreten wäre (GesRZ 1982, 56, 58 aE). Der Rechtsprechung zur Beweislast bei Verletzung eines Schutzgesetzes wird von Koziol (Haftpflichtrecht2 I 339) insoweit beigepflichtet, als sie dem Schädiger die Beweislast dafür zuweist, daß der Schaden bei bloß gedachtem rechtmäßigem Verhalten ebenfalls eingetreten wäre. Bei Unterlassungen soll jedoch auch insoweit die Beweislast den Geschädigten treffen, weil sich die Frage der Kausalität von jener des rechtmäßigen Alternativverhaltens in der Regel nicht trennen lasse (Koziol aaO). Wie bereits Welser (Vertretung ohne Vollmacht 268) dargelegt hat, können die §§ 1296 bis 1298 ABGB als Aufteilung der Beweislast nach Gefahrenbereichen verstanden werden. Bei § 1298 ABGB liegt die ratio der Beweislastumkehr deutlich in der Undurchsichtigkeit der Schuldnersphäre. Dieser Grundgedanke ist verallgemeinerungsfähig. Der Nachweis dessen, was der Gläubiger bei pflichtgemäßer Stellung eines Konkursantrages erhalten hätte, setzt einen ungehinderten Zugang zu den schriftlichen Buchführungsunterlagen voraus. Diese Beweissituation verschärft sich für den Gläubiger, wenn die Buchführungsunterlagen unvollständig oder sonst mangelhaft sind. Steht fest, daß der Geschäftsführer einer GesmbH die Konkurseröffnung nicht pflichtgemäß beantragt und der Gläubiger einen Ausfall erlitten hat, rechtfertigt es daher die Undurchsichtigkeit der Schuldnersphäre für den Gläubiger dem Geschäftsführer die Beweislast dafür aufzuerlegen, daß der Schaden des Gläubigers zur Gänze oder zumindest teilweise auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre und der Gläubiger durch die Konkursverschleppung nur in seiner Quote verkürzt wurde. Der Beklagte hat in dieser Richtung lediglich vorgebracht, daß auch bei rechtzeitiger Antragstellung im Zusammenhang mit der Auflösung der Dienstverhältnisse weitere Sozialversicherungsbeiträge aufgelaufen wären und der Beitragsausfall nicht geringer gewesen wäre, weil sämtliche Forderungen der GesmbH an Banken zediert gewesen seien (AS 8 Bd. I und AS 19 Bd. II). Aus den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes ergibt sich, daß bei rechtzeitiger Antragstellung die Beitragsforderungen der klagenden Partei selbst unter Berücksichtigung der Zessionen voll gedeckt gewesen wären und die klagende Partei keinen Ausfall erlitten hätte. Ob allfällige Absonderungsrechte an den Liegenschaften der GesmbH eine Beeinträchtigung der Deckung der klagenden Partei zur Folge gehabt hätten, ist mangels eines entsprechenden Vorbringens in erster Instanz nicht zu untersuchen. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß der Beklagte den ihm obliegenden Beweis, die klagende Partei hätte auch bei pflichtgemäßem Verhalten einen Ausfall erlitten, nicht erbracht hat. Die Sache ist daher zur Entscheidung im Sinne einer Bestätigung des Ersturteils reif (§ 519 Abs. 2 ZPO).
Im Ergebnis erweist sich daher der Rekurs der klagenden Partei als berechtigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E17071European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0070OB00726.88.0223.000Dokumentnummer
JJT_19890223_OGH0002_0070OB00726_8800000_000