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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §52;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Graf und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des P in G, vertreten durch Mag. Dr. Regina Schedlberger, Rechtsanwältin in 8045 Graz, Andritzer Reichsstraße 42, gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen vom 21. Oktober 2002, Zl. OB. 610-401516-009, betreffend Einstellung der Beschädigtenrente nach dem Heeresversorgungsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der im Jahr 1954 geborene Beschwerdeführer bezog auf Grund des Bescheides der Schiedskommission beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom 13. Juni 1995 mit Wirkung vom 1. Jänner 1992 eine Beschädigtenrente nach dem Heeresversorgungsgesetz (HVG) entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v. H. Als Dienstbeschädigung des Beschwerdeführers wurde folgender Leidenszustand anerkannt:
"1. Schädelprellung folgenlos abgeheilt, 2. Myogelose nach Zerrung der Halswirbelsäule, 3. Hautabschürfung an der linken Stirnseite, folgenlos abgeheilt, 4. Hautabschürfung am rechten Unterarm, abgeheilt mit kaum sichtbarer Narbe, 5. Prellung am rechten Unterarm, folgenlos abgeheilt 6. Deformierende Spondylose der Halswirbelsäule (Kausalanteil 2/3)".
Mit Bescheid des Bundessozialamtes Steiermark vom 27. August 2001 wurden die dem Beschwerdeführer mit Bescheid der Schiedskommission beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom 13. Juni 1995 gewährte Beschädigtenrente "gemäß §§ 21, 23, 56 Abs. 2, 3 Ziffer 1 HVG mit Ablauf des Monates, der auf die Zustellung dieses Bescheides folgt, unter Zugrundelegung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von zehn von Hundert (10 v. H.) eingestellt" und die anerkannten Dienstbeschädigungen von Amts wegen wie folgt neu bezeichnet: "1.) Deformierende Spondylose der Halswirbelsäule kausaler Anteil 2/3".
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 21. Oktober 2002 hat die belangte Behörde über die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundessozialamtes Steiermark vom 27. August 2001 wie folgt entschieden:
"Der Berufung wird keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG (Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991), in Verbindung mit § 82 Abs. 1 HVG, mit der Maßgabe bestätigt, dass die Beschädigtenrente mit Ablauf des Monates, der auf die Zustellung dieses Bescheides folgt, unter Zugrundelegung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 von Hundert (v. H.) eingestellt wird.
Die Dienstbeschädigung (§ 2 HVG) wird wie folgt bezeichnet:
1)
Schädelprellung folgenlos abgeheilt Kausalanteil 1/1
2)
Verkalkung im vorderen Längsband nach Zerrung der Halswirbelsäule Kausalanteil 1/1
3) Hautabschürfung an der linken Stirnseite, folgenlos abgeheilt Kausalanteil 1/1
4) Hautabschürfung am rechten Unterarm, abgeheilt mit kaum sichtbarer Narbe Kausalanteil 1/1
5) Prellung am rechten Unterarm, folgenlos abgeheilt Kausalanteil 1/1
6) Deformierende Spondylose der Halswirbelsäule Kausalanteil 2/3"
Zur Begründung ihrer Entscheidung führte die belangte Behörde aus, sie habe zur Prüfung der Berufungseinwendungen "ärztliche Sachverständigenbeweise durch den Chirurgen Dr. K und den Vertragsarzt Dr. W in Vertretung des leitenden Arztes" erstellen lassen. Das "Gutachten von Dr. W" werde als schlüssig erkannt und daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt. Daran anschließend wurde im angefochtenen Bescheid eine in den vorgelegten Verwaltungsakten (vgl. ABl 228/24 bis 50) befindliche Stellungnahme Dris. W vom 15. März 2002, die dieser als "Äußerung des Vertragsarztes Dr. W zum med. SVG Dr. K im Fall Hr. P" bezeichnete, wortwörtlich wiedergegeben. Auf Grund "dieser medizinischen Beurteilung" ergebe sich die nachfolgende (im angefochtenen Bescheid in Tabellenform wiedergegebene) Richtsatzeinschätzung. Die Gesamt-MdE gemäß § 21 HVG betrage 20 v. H. Der bevollmächtigten Vertreterin des Beschwerdeführers sei das "Ergebnis der Beweisaufnahme" gemäß § 45 Abs. 3 AVG zur Kenntnis gebracht worden. Zu den "vorgebrachten Einwendungen" sei zu bemerken, dass bereits sämtliche aufgeworfenen Fragen ausführlichst und schlüssig von Dr. W "in seinem Gutachten bzw. seiner Stellungnahme" behandelt worden seien.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde, zu der die Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten die Gegenschrift erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die Bestimmung des § 86 Heeresversorgungsgesetz (HVG; in der im Beschwerdefall maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 70/2001) lautet:
"Abschnitt IV
Ermittlungsverfahren
§ 86. (1) Soweit die Berechtigung von Versorgungsansprüchen von der Beantwortung von Vorfragen abhängt, die in das Gebiet ärztlichen Fachwissens fallen, sind die laut Verzeichnis der Bundesämter für Soziales und Behindertenwesen bestellten ärztlichen Sachverständigen zu befragen.
(2) Die Auswahl der Sachverständigen aus dem Verzeichnis (Abs. 1) obliegt im Verfahren vor dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen dem Leiter des Amtes auf Vorschlag des leitenden Arztes. Im Verfahren vor der Schiedskommission hat der Vorsitzende die Sachverständigen nach Anhörung des leitenden Arztes jenes Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auszuwählen, das den angefochtenen Bescheid in erster Instanz erlassen hat.
(3) Ist eine zur Abgabe eines Sachverständigengutachtens erforderliche Untersuchung eines Versorgungswerbers durch einen bestellten Sachverständigen nicht oder nur mit Erschwernissen möglich, so kann die Untersuchung auch einem anderen Arzt, bei Unterbringung des Versorgungswerbers in einer Kranken- oder Heilanstalt dem Anstaltsarzt übertragen werden. Die Abteilungsleiter der öffentlichen Krankenanstalten und die Amtsärzte der Bezirksverwaltungsbehörden sind verpflichtet, einem Ersuchen der Bundesämter für Soziales und Behindertenwesen um Durchführung einer Untersuchung eines Versorgungswerbers zu entsprechen. Die Inanspruchnahme eines Amtsarztes einer Bezirksverwaltungsbehörde ist gleichzeitig dem Leiter dieser Behörde anzuzeigen.
(4) Die vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen eingeholten Sachverständigengutachten sind zur Wahrung der Einheitlichkeit der ärztlichen Beurteilung vom leitenden Arzt des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen oder einem vom leitenden Arzt hiezu bevollmächtigten Arzt zu prüfen und mit einem Sichtvermerk zu versehen. Widerspricht der leitende Arzt oder der von ihm bevollmächtigte Arzt einem Gutachten, so ist der Sachverständigenbeweis durch Beiziehung eines anderen Sachverständigen zu wiederholen. Wenn hiedurch keine Klärung zu erzielen ist, kann der Leiter des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Vorschlag des leitenden Arztes die Stellungnahme des Bundesministeriums für soziale Verwaltung nachsuchen, das, gegebenenfalls nach Einholung einer gutachtlichen Äußerung von hiezu besonders berufenen Sachverständigen, über die strittige Frage gutachtlich befindet.
(5) Wenn ein von der Schiedskommission beigezogener Sachverständiger in seinem Gutachten zu einem Ergebnisse gelangt, das von der Stellungnahme des leitenden Arztes beziehungsweise des Bundesministeriums für soziale Verwaltung (Abs. 4) abweicht, hat er die Abweichung ausführlich zu begründen; dem leitenden Arzt ist Gelegenheit zu geben, sich hiezu zu äußern.
(6) Den Sachverständigen und den nach Abs. 3 herangezogenen Ärzten gebührt, sofern sie nicht Bedienstete des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen sind, eine Entlohnung für Zeitversäumnis und Mühewaltung nach Maßgabe des § 91 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957."
Der Beschwerdeführer macht (aus in der Beschwerde näher dargelegten Gründen) geltend, die Vorgangsweise Dris. W stelle eine Befangenheit dar, seine Stellungnahme sei nicht objektiv und diese hätte von der belangten Behörde nicht als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden dürfen. Der Röntgenbefund des Facharztes für Radiologie Dr. H (vom 13. Februar 2002) sei auf Initiative von Dr. W ausgetauscht worden; nunmehr befinde sich ein mit 13. Februar 2002 datierter Befund mit verändertem Inhalt im Akt, der ursprüngliche Befund sei jedoch entfernt worden. Die belangte Behörde habe es unterlassen, die Objektivität Dris. W zu überprüfen; in dieser Hinsicht liege ein Begründungsmangel vor. Der Entscheidung sei ohne weitere Erläuterungen (Begründung) allein die Stellungnahme Dris. W zu Grunde gelegt worden. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen sei das im Berufungsverfahren eingeholte Sachverständigengutachten Dris. K dem "Vertragsarzt Dr. W zur Äußerung vorgelegt worden". Dr. W habe versucht, das schlüssige Gutachten des Sachverständigen Dr. K "als fehlerhaft und vollkommen schleierhaft darzustellen"; er habe den Beschwerdeführer jedoch nie persönlich untersucht und kein objektives Gutachten erstattet. Dr. W sei nicht zum Sachverständigen im Berufungsverfahren bestellt worden. Seine Äußerung enthalte weder eine Befundaufnahme noch eine Begutachtung, sondern nur seine nicht begründete Meinung zu Ermittlungsergebnissen.
Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer eine zur Aufhebung führende Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Die belangte Behörde hat im Berufungsverfahren den Facharzt für Chirurgie Dr. K zum ärztlichen Sachverständigen bestellt und mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Dieser Sachverständige hat - nach einer Untersuchung des Beschwerdeführers am 5. Februar 2002 - das Gutachten vom 6. März 2002 erstattet. Auf diesem Gutachten findet sich unter der Überschrift "Sichtvermerk des leitenden Arztes" der mit 15. März 2002 datierte handschriftliche Vermerk: "Äußerung beabsichtigt !!! Dr. W Vertragsarzt". Zum Gutachten des ärztlichen Sachverständigen Dr. K vom 6. März 2002 hat "Dr. W - BSB Steiermark" die im angefochtenen Bescheid wortwörtlich wiedergegebene (insgesamt 27 Seiten umfassende) Äußerung vom 15. März 2002 abgegeben; allein auf diese Äußerung hat die belangte Behörde ihre Entscheidung gestützt.
In einer (nichtöffentlichen) Verhandlung vom 27. August 2002 ging die belangte Behörde - nach dem Inhalt des darüber errichteten Verhandlungsprotokolls - davon aus, zum Sachverständigengutachten des Chirurgen (Dr. K) habe sich Dr. W "in seiner Funktion als Chefarzt gemäß § 86 Abs. 5 HVG" geäußert.
In weiterer Folge erstattete der Beschwerdeführer (durch seine rechtsfreundliche Vertreterin) zu von der belangten Behörde übermittelten Ergebnissen der Beweisaufnahme eine Stellungnahme vom 20. Juni 2002. Danach ersuchte die belangte Behörde mit Schreiben vom 24. Juni 2002 den "leitenden Arzt Dr. G" um "weitere Veranlassung bzw. Stellungnahme, wie ein Röntgenologe zwei unterschiedliche Befunde gleichen Datums erstellen kann"; außerdem um Abgabe einer "ausführlichen Stellungnahme zu den vorgebrachten Einwendungen und dem nachgereichten Befund".
Daraufhin erstattete Dr. W eine schriftliche Stellungnahme vom 3. Juli 2002, auf der sich der Hinweis "für den leitenden Arzt HR. Dr. G (dzt. im Krankenstand)" findet. Zu dieser Stellungnahme erstattete der Beschwerdeführer durch seine rechtsfreundliche Vertreterin eine Stellungnahme vom 7. August 2002. Nach dieser Stellungnahme beendete die belangte Behörde das Verfahren und erließ den angefochtenen Bescheid.
Die belangte Behörde konnte ihre Entscheidung nicht - wie im angefochtenen Bescheid unrichtig ausgeführt wurde - auf das "ärztliche Sachverständigengutachten des Vertragsarztes Dr. W" stützen, wurde doch Dr. W im Berufungsverfahren weder zum Sachverständigen bestellt noch mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt.
Dr. W war bevollmächtigt, für den leitenden Arzt das eingeholte Sachverständigengutachten zu prüfen. Seine Äußerung war kein Sachverständigengutachten sondern (in Vertretung des leitenden Arztes) eine Stellungnahme zu dem im Berufungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten (des Facharztes für Chirurgie). Da Abweichungen zwischen dem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten und der Stellungnahme des leitenden Arztes aufgetreten sind, hätte die belangte Behörde dem Sachverständigen zunächst Gelegenheit geben müssen, sein Gutachten hinsichtlich der Abweichungen "ausführlich zu begründen" (vgl. § 86 Abs. 5 HVG); zu einer derartigen "ausführlichen" (also ergänzenden) Begründung wäre dem leitenden Arzt Gelegenheit zur Äußerung zu geben.
Sollten die Abweichungen zwischen dem Sachverständigengutachten und der Stellungnahme des leitenden Arztes aber letztlich bestehen bleiben, hätte die belangte Behörde entweder das Gutachten eines anderen Sachverständigen einholen oder nachvollziehbar und begründet darlegen müssen, warum einer der einander widersprechenden Auffassungen zu folgen ist. Im angefochtenen Bescheid wurde jedoch die Stellungnahme des leitenden Arztes begründungslos (und daher nicht nachvollziehbar) "als schlüssig anerkannt" und es wurde auch keine ergänzende Begründung des Sachverständigen eingeholt.
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm VwGH Aufwandersatzverordnung 2003. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft die verzeichnete Gebühr in Höhe von EUR 180,--, weil gemäß § 68 Abs. 2 HVG alle Eingaben - und auch die vorliegende Beschwerde - in Angelegenheiten der Durchführung der Heeresversorgung von Gerichtsgebühren befreit sind.
Wien, am 19. Oktober 2005
Schlagworte
Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Begründung hinsichtlich einander widersprechender Beweisergebnisse Besondere Rechtsgebiete Gutachten Beweiswürdigung der Behörde Gutachten ErgänzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2002090201.X00Im RIS seit
08.11.2005