TE OGH 1989/2/28 2Ob138/88

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.02.1989
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*** V*** AG,

Börsegasse 14, 1020 Wien, vertreten durch Dr. Heinz Paradeiser, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei V*** DER V*** Ö***, Schwarzenbergplatz 7, 1030 Wien, vertreten durch Dr. Wolfgang R. Gassner, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen S 366.572,20 s.A. (Revisionsstreitwert hinsichtlich beider Parteien je S 183.286,10), infolge Revision der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 17. Juni 1988, GZ 6 R 138/88-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 3. März 1988, GZ 12 Cg 326/83-9, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Der Revision der klagenden Partei wird teilweise Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung insgesamt wie folgt zu lauten hat:

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 270.000.- samt 4 % Zinsen seit 10. Oktober 1980 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Das auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 96.572,20 samt 4 % Zinsen seit 10. Oktober 1980 gerichtete Mehrbegehren der klagenden Partei wird abgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei an Kosten des Verfahrens in erster Instanz den Betrag von S 40.158,21 (darin Barauslagen von S 4.547,25 und Umsatzsteuer von S 3.237,36), an Kosten des Berufungsverfahrens den Betrag von S 5.838,32 (darin Barauslagen von S 640.- und Umsatzsteuer von S 472,57) und an Kosten des Revisionsverfahrens den Betrag von S 9.280,65 (darin Barauslagen von S 1.920.- und Umsatzsteuer von S 669,15) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 10. Oktober 1977 ereignete sich gegen 4,45 Uhr auf der Katschberg-Bundesstraße bei Km 11,2 ein Verkehrsunfall, an dem Klaus S*** als Lenker eines Sattelkraftfahrzeuges der Firma Rupert S*** mit den Kennzeichen K 61.996 (Zugfahrzeug) und K 66.229 (Sattelanhänger), Stefano S*** als Lenker eines Sattelfahrzeuges der Firma V*** & Co mit den griechischen Kennzeichen MZ 8403 (Zugfahrzeug) und P 567 (Sattelanhänger) und Mohammad A*** als Lenker eines PKW mit dem britischen Kennzeichen MLS 660 P beteiligt waren. S*** fuhr mit dem Sattelkraftfahrzeug der Firma S*** in Richtung Eben. Das ihm entgegenkommende griechische Sattelkraftfahrzeug wurde von dem britischen PKW überholt, der sich unmittelbar vor dem griechischen Sattelkraftfahrzeug wieder nach rechts einordnete, wobei es zu einem Kontakt zwischen diesen beiden Kraftfahrzeugen kam. Dadurch geriet der PKW außer Kontrolle seines Lenkers und drehte sich unmittelbar vor dem griechischen Sattelkraftfahrzeug auf der Fahrbahn. Der Lenker dieses Sattelkraftfahrzeuges reagierte darauf durch Auslenken nach links und kollidierte dabei mit dem entgegenkommenden Sattelkraftfahrzeug der Firma S***, welches bei diesem Zusammenstoß beschädigt wurde. Die Klägerin bezahlte als Kaskoversicherer des Sattelkraftfahrzeuges der Firma S*** auf Grund dieses Unfalles ihrem Versicherungsnehmer zur (teilweisen) Schadensliquidierung einen Betrag von S 405.000.-. Mohammad A***, der Lenker des britischen PKW, wurde mit rechtskräftiger Strafverfügung des Bezirksgerichtes Radstadt vom 10. Oktober 1977 des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB schuldig erkannt. Es wurde ihm zur Last gelegt, in einem unübersichtlichen Straßenbereich einen griechischen Sattelschlepper überholt zu haben, wodurch es zu dem hier zu beurteilenden Verkehrsunfall gekommen sei.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte die Klägerin unter Berufung auf die auf sie gemäß § 67 VersVG übergegangene Schadenersatzforderung der Firma S*** die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von S 366.572,20 s.A. Die Höhe dieser Regreßforderung resultiere daraus, daß sich die auf die Klägerin übergegangene Schadenersatzforderung der Firma S*** von S 405.000.- auf Grund eines internationalen Schadensteilungsabkommens um S 38.427,80 auf den Klagsbetrag reduziert. Die Beklagte werde als "Haftpflichtversicherer" (gemeint wohl auf Grund ihrer Haftpflicht im Sinne des § 62 Abs 1 KFG) des griechischen Sattelkraftfahrzeuges in Anspruch genommen. Dessen Lenker Stefano S*** treffe zumindest ein Mitverschulden am Zustandekommen des Unfalls, weil er mit dem von ihm gelenkten Fahrzeug infolge Unachtsamkeit und falscher Reaktion auf die Gegenfahrbahn geraten sei. In jedem Fall sei aber eine Haftung nach dem EKHG gegeben. Dem Lenker des Sattelkraftfahrzeuges der Firma S*** sei am Zustandekommen des Unfalls kein wie immer geartetes Mitverschulden anzulasten.

Die Beklagte wendete im wesentlichen ein, daß den Lenker des griechischen Sattelkraftfahrzeuges kein Verschulden am Zustandekommen dieses Unfalls treffe. Auch eine Haftung nach den Bestimmungen des EKHG sei auszuschließen, weil der Unfall durch einen Dritten, nämlich durch Mohammad A***, verschuldet worden sei. Die Klagsforderung werde der Höhe nach bestritten, soweit sie die Haftungssumme nach dem EKHG übersteige.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Die Fahrbahn der Katschberg-Bundesstraße ist im Unfallsbereich - gemessen zwischen den Asphalträndern - 8,10 m breit. In Fahrtrichtung Bischofshofen gesehen (das ist in Fahrtrichtung des Sattelkraftfahrzeuges der Firma S***) beschreibt die Fahrbahn zunächst eine Linkskrümmung mit einem Kurvenradius von etwa 55 m, die ca 90 m vor der Unfallstelle beginnt. Bedingt durch diese Linkskurve beträgt die Sicht auf die Unfallstelle in Richtung Bischofshofen gesehen etwa 90 m und reicht etwa 70 m über die Unfallstelle hinaus. In Richtung Radstadt gesehen (das ist in Fahrtrichtung des griechischen Sattelkraftfahrzeuges und des britischen PKW) verläuft die Fahrbahn zunächst in einer Linkskurve mit einem Kurvenradius von etwa 60 m, geht dann in eine langgezogene Rechtskrümmung zur Unfallstelle über und schließlich in die oben beschriebene stärkere Rechtskurve. In Fahrtrichtung Radstadt gesehen besteht Sicht auf die Unfallstelle von etwa 70 m. An den Fahrbahnrändern waren gut sichtbare Begrenzungslinien angebracht, in der Mitte der Fahrbahn eine Leitlinie. In Fahrtrichtung Bischofshofen bestand im Bereich der Unfallstelle eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 km/h.

Zur Unfallszeit fuhr Mohammad A*** mit seinem PKW auf der Katschberg-Bundesstraße von Salzburg kommend in Richtung Radstadt. Unmittelbar nach der Ortschaft Niedernfritz fuhr vor ihm in gleicher Richtung der von S*** gelenkte griechische Sattelschlepper. Trotz geringer Sicht nach vorn setzte A*** zum Überholen des mit zumindest 60 km/h fahrenden Sattelschleppers an. Als der PKW bereits zur Gänze auf der linken Fahrbahnhälfte neben dem griechischen Sattelschlepper war, sah A*** den mit einer Geschwindigkeit von ca 50 km/h entgegenkommenden Sattelschlepper der Firma S***. Um noch vor diesem entgegenkommenden Fahrzeug den Überholvorgang abzuschließen, beschleunigte A*** noch einmal seinen PKW. Obwohl S*** das Sattelkraftfahrzeug der Firma S*** abbremste, schnitt A*** unmittelbar vor dem griechischen Sattelkraftfahrzeug nach rechts, wodurch es zu einer Berührung dieser beiden Fahrzeuge kam. Dadurch geriet der PKW dem Lenker A*** außer Kontrolle und drehte sich unmittelbar vor dem griechischen Sattelschlepper zumindest um 180 Grad. S*** reagierte auf das unmittelbar vor ihm schleudernde Fahrzeug in der Weise, daß er den Sattelschlepper nach links verlenkte, ohne ihn jedoch abzubremsen. Obwohl S*** den Sattelschlepper der Firma S*** ganz zum rechten Fahrbahnrand hin gelenkt hatte, stieß das griechische Sattelkraftfahrzeug mit der linken vorderen Ecke des Zugfahrzeuges gegen die Zugmaschine des Fahrzeuges der Firma S***. Die Kollision ereignete sich etwa in der Mitte des rechten Fahrstreifens, gesehen in Fahrtrichtung S***. Der PKW befand sich in der Endstellung hinter dem griechischen Sattelschlepper auf dem linken Fahrstreifen - wiederum in Richtung Hüttau gesehen -, wobei die Front dieses Fahrzeuges ebenfalls in diese Richtung zeigte. S*** leitete ca 30 m bzw 2,4 Sekunden vor der Kollision seine Bremsreaktion ein. Während der PKW durch den griechischen Sattelschlepper erheblich beschädigt wurde, fand zwischen dem PKW und dem Sattelschlepper der Firma S*** keine Berührung statt. Die Kollisionsgeschwindigkeit des letztgenannten Fahrzeuges betrug ca 30 km/h, jene des griechischen Sattelfahrzeuges ca 65 km/h. Dieses Fahrzeug war ca 55 bis 60 m von der späteren Unfallstelle entfernt, als sich S*** zur Ausführung des Seitenversatzes nach links entschloß. Diese Reaktion kann ausgelöst worden sein durch das Schleudern des PKW vor dem griechischen Sattelkraftfahrzeug oder frühestens durch den Kontakt des PKW mit dem griechischen Fahrzeug. Als sich S*** zum Seitenversatz nach links entschloß, befanden sich die beiden Sattelschlepper in einer Entfernung zueinander von ca 100 m, also deutlich innerhalb der objektiven Sichtweite. S*** hatte zum Zeitpunkt des Seitenversatzes bereits Sicht auf das entgegenkommende Sattelkraftfahrzeug der Firma S***. Fahrtechnisch wäre für ihn in dieser Situation die Einleitung eines Bremsmanövers dem Seitenversatz vorzuziehen gewesen. Hätte er sich statt des Seitenversatzes zu einer Vollbremsung entschlossen, dann wäre das von ihm gelenkte Fahrzeug ca 12,5 m vor der späteren Kollisionsstelle zum Stillstand gekommen. Das von S*** gelenkte Sattelfahrzeug hätte noch eine Strecke von ca 8,5 m bis zum Stillstand benötigt, sodaß die Kollision zwischen den Sattelschleppern vermieden worden wäre. Allerdings lenkte S*** sein Fahrzeug deshalb nach links, um dem vor ihm rotierenden PKW auszuweichen. Ob im Fall einer Vollbremsung des griechischen Sattelkraftfahrzeuges dieses auch kollisionsfrei vor dem am rechten Fahrbahnrand zum Stillstand kommenden PKW zum Stehen gekommen wäre, kann nicht gesagt werden.

Durch die Kollision wurde das Fahrzeug der Firma S*** erheblich beschädigt, wobei der Sachschaden den von der Klägerin als Kaskoversicherer geleisteten Betrag von S 405.000.- überschritt. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß der PKW-Lenker Mohammad A*** durch ein grob verkehrswidriges Verhalten den Unfall schuldhaft ausgelöst habe. Da die Klägerin ihren Regreß aber gegen die Beklagte wegen ihrer Haftpflicht für das griechische Fahrzeug ausübe, sei das Verhalten des PKW-Lenkers auszuklammern und nur zu prüfen, ob den Lenker des griechischen Fahrzeuges ein Verschulden treffe oder der Halter dieses Fahrzeuges nach den Bestimmungen des EKHG hafte. Bei nachträglicher Betrachtung des Verhaltens des S*** komme man zu dem Ergebnis, daß bei Erkennen der Gefahrensituation eine Vollbremsung zielführender gewesen wäre als das Linksauslenken. Hier sei allerdings insofern eine wesentliche Einschränkung zu machen, als nicht feststehe, wo der PKW im Verhältnis zum griechischen Sattelschlepper zum Stillstand gekommen sei, sodaß nicht ausgeschlossen werden könne, daß der griechische Sattelschlepper bei Durchführung einer Vollbremsung und Verbleiben auf dem rechten Fahrstreifen den PKW gerammt hätte, was unter Umständen schwerere Folgen gehabt hätte als die tatsächlich eingetretenen. Selbst wenn man S*** unterstelle, er hätte in der gegebenen Situation falsch reagiert, könne darin kein vorwerfbares Verhalten erblickt werden, zumal diese Reaktion durch ein grob verkehrswidriges Verhalten des PKW-Lenkers hervorgerufen worden sei. Ein Verschulden des S*** liege somit nicht vor.

Das durch eine dritte Person verursachte jähe Bremsen oder Verreißen eines Fahrzeuges aus der gewöhnlichen Bahn stelle allerdings eine außergewöhnliche Betriebsgefahr dar, die den Fahrzeughalter für dadurch eingetretene Beschädigungen haften lasse. Den Lenker des griechischen Sattelkraftfahrzeuges treffe daher zwar kein Verschulden, doch habe der Halter dieses Fahrzeuges (und mit ihm die Beklagte) für die Schäden am Sattelkraftfahrzeug der Firma S*** wegen der von seinem Fahrzeug ausgehenden

außergewöhnlichen Betriebsgefahr zu haften. Diese außergewöhnliche Betriebsgefahr verdränge die gewöhnliche Betriebsgefahr des österreichischen Sattelkraftfahrzeuges, sodaß im Verhältnis der beiden Sattelkraftfahrzeuge zueinander die uneingeschränkte Haftung des griechischen Fahrzeughalters bestehe. Die Haftungssumme nach dem EKHG werde durch die Klagsforderung nicht überschritten, sodaß dem Klagebegehren vollinhaltlich stattzugeben sei.

Der gegen diese Entscheidung des Erstgerichtes gerichteten Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil teilweise Folge. Es änderte die Entscheidung des Erstgerichtes dahin ab, daß es der Klägerin einen Betrag von S 183.286,10 s.A. zusprach und das Mehrbegehren der Klägerin in gleicher Höhe abwies.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte rechtlich im wesentlichen aus, daß durch ein Verschulden des PKW-Lenkers eine Haftung der Beklagten für einen beim Betrieb des griechischen Sattelkraftfahrzeuges der Firma S*** zugefügten Schaden nicht ausgeschlossen werde. Die Methode der Gesamtschau durch Verknüpfung einer Einzelabwägung mit einer Gesamtabwägung sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Der Prozeßerfolg der Klägerin hänge davon ab, ob nach den Bestimmungen des EKHG ein Anspruch der Firma S*** gegen die Beklagte aus deren Haftpflicht für das griechische Sattelkraftfahrzeug zu bejahen sei. Die Beklagte sei in Wahrheit nach § 62 KFG in Anspruch genommen worden. Es könne nicht gesagt werden, daß mit der Beklagten alle Haftungsbeteiligten im Sinne des § 11 EKHG in den Rechtsstreit einbezogen worden seien und aus diesem Grund die bereits erwähnte Gesamtschau angebracht sei, was dann eine Relation von 1 (PKW) : 0 (griechisches Sattelkraftfahrzeug) : 0 (österreichisches Sattelkraftfahrzeug) zur Folge haben müßte.

Daß den Lenker des griechischen Sattelkraftfahrzeuges kein Verschulden treffe, stehe im Berufungsverfahren unbekämpft fest. Aber auch eine Haftung der Beklagten wegen außergewöhnlicher Betriebsgefahr des griechischen Sattelkraftfahrzeuges müsse verneint werden.

Eine außergewöhnliche Betriebsgefahr sei immer dann anzunehmen, wenn durch die schon durch den Betrieb gegebene gewöhnliche Betriebsgefahr eine besondere Gefahrenquelle hervorgerufen werde bzw wenn die Gefahren, die regelmäßig und notwendig mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges verbunden seien, durch Hinzutreten besonderer nicht schon im normalen Betrieb gelegener Umstände vergrößert würden. Eine außergewöhnliche Betriebsgefahr liege dann vor, wenn mit hohen Geschwindigkeiten gefahren werde, große Massen und Gewichte in Bewegung gesetzt würden oder eine Schnell- oder Notbremsung vorgenommen werde. Ein plötzliches Linksverreißen des Fahrzeuges, das zum Frontalzusammenstoß mit einem anderen Fahrzeug führe und für das nachträglich keine Ursache gefunden werden könne, stelle eine außergewöhnliche Betriebsgefahr dar. Das Verreißen des Fahrzeuges, das zu einem nicht mehr unter Kontrolle zu bringenden Schleudern führe und ein Abkommen von der Fahrbahn bewirke, sei als außergewöhnliche Betriebsgefahr zu beurteilen. Die von einem ins Schleudern geratenen Kraftfahrzeug, das von seinem Lenker nicht mehr beherrscht werden könne, ausgehende Betriebsgefahr sei eine außergewöhnliche Betriebsgefahr.

Im vorliegenden Fall sei das von S*** gelenkte Sattelkraftfahrzeug nach den getroffenen Feststellungen weder ins Schleudern gekommen noch sonst irgenwie außer Kontrolle seines Lenkers geraten. S*** habe lediglich auf ein vor ihm schleuderndes Fahrzeug in der Form reagiert, daß er den Sattelschlepper nach links verlenkt habe, wobei von einer Geschwindigkeit des griechischen Sattelkraftfahrzeuges von 60 km/h ausgegangen werden müsse. Ob er einen Unfall hätte vermeiden können, wenn er, statt die Fahrtrichtung zu ändern, stark gebremst hätte, habe im nachhinein nicht mehr festgestellt werden können. In der tatsächlich gewählten Reaktion könne daher auch kein eindeutiger Fehler erblickt werden. Unter diesen Umständen könne aber auch von einer außergewöhnlichen Betriebsgefahr des griechischen Sattelkraftfahrzeuges nicht gesprochen werden.

Den getroffenen Feststellungen könne keinesfalls ein Verschulden des Lenkers des österreichischen Sattelkraftfahrzeuges entnommen werden. Auch eine außergewöhnliche Betriebsgefahr dieses Fahrzeuges erscheine nicht gegeben. Die Betriebsgefahr der beiden einander begegnenden Sattelkraftfahrzeuge müsse vielmehr als gleich hoch bewertet werden.

In diesem Fall sei gemäß § 11 Abs 1 EKHG mit einer gleichteiligen Schadensteilung vorzugehen. Dies bedeute, daß die Beklagte lediglich verpflichtet sei, der Klägerin die Hälfte des geltend gemachten Schadensbetrages zu bezahlen.

Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richten sich die Revisionen beider Streitteile. Die Klägerin bekämpft sie in ihrem klagsabweisenden Teil aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes abzuändern. Die Beklagte bekämpft die Entscheidung des Berufungsgerichtes in ihrem klagsstattgebenden Teil gleichfalls aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der vollinhaltlichen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Beide Streitteile haben Revisionsbeantwortungen mit dem Antrag erstattet, der Revision des Gegners keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionen sind im Hinblick auf die Höhe des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht entschieden hat, ohne die im § 503 Abs 2 ZPO normierte Einschränkung der Revisionsgründe zulässig. Sachlich ist die Revision der Beklagten nicht, die der Klägerin teilweise berechtigt.

Der Beklagten ist zunächst insoweit nicht zu folgen, als sie darzutun versucht, daß im Hinblick auf das (infolge der strafgerichtlichen Verurteilung feststehende) Verschulden des PKW-Lenkers und ein behauptetes Verschulden des Sattelkraftfahrzeuges der Firma S*** eine Schadenersatzpflicht des Halters des griechischen Sattelkraftfahrzeuges (und mit ihm der Beklagten) für den der Firma S*** zugefügten Schaden nicht in Betracht komme. Die Klägerin macht inhaltlich einen im Sinne des § 67 VersVG auf sie übergegangenen Schadenersatzanspruch der Firma S*** gegen die Beklagte, die im Sinne des § 62 KFG für die beim Betrieb des griechischen Sattelkraftfahrzeuges verursachten Schäden einzustehen hat, geltend. Ein derartiger Schadenersatzanspruch wird weder dadurch ausgeschlossen, daß der entstandene Schaden noch einem weiteren Schädiger zuzurechnen ist, noch dadurch, daß die Beklagte als Repräsentant dieses anderen Schädigers in Anspruch genommen wurde und in dieser Eigenschaft Schadenersatzleistungen an den Geschädigten erbrachte. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß bei Inanspruchnahme mehrerer Haftpflichtiger, die unabhängig voneinander eine Bedingung für den eingetretenen Erfolg gesetzt haben, nach der Methode der Gesamtschau durch Verknüpfung einer Einzelabwägung der Verschuldensanteile mit einer Gesamtabwägung vorzugehen ist, wenn der Geschädigte gegen mehrere Schädiger gleichzeitig vorgeht oder wenn sich nach Inanspruchnahme eines Schädigers die Frage stellt, was die übrigen Schädiger noch aufzubringen haben; bei Inanspruchnahme nur eines von mehreren Schädigern kann aber nicht über die Beteiligung der übrigen mitbefunden und daran eine Gesamtschau angeschlossen werden (ZVR 1985/156 mwN uva). Diese Fragen stellen sich in Wahrheit im vorliegenden Fall nicht. Hier macht die Klägerin auf sie übergegangene Schadenersatzansprüche eines Geschädigten gegen einen von mehreren nach § 1302 ABGB zur ungeteilten Hand haftenden Schädiger bzw die mit diesem im Sinne des § 22 Abs 1 KHVG 1987 als Gesamtschuldner haftende Beklagte geltend. Es ist daher materiell nur zu prüfen, ob und in welchem Umfang der Firma S*** ein Schadenersatzanspruch gegen den Lenker oder den Halter des griechischen Sattelkraftfahrzeuges zusteht, für den die Beklagte einzustehen hat.

Gemäß § 11 Abs 1 EKHG hängt die gegenseitige Ersatzpflicht der Beteiligten von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Beteiligten verschuldet oder durch außergewöhnliche Betriebsgefahr (§ 9 Abs 2 EKHG) oder überwiegende gewöhnliche Betriebsgefahr verursacht wurde.

Die Klägerin führt dazu in ihrer Rechtsrüge im wesentlichen aus, daß dem Lenker des griechischen Sattelkraftfahrzeuges ein Verschulden anzulasten sei, daß aber zumindest die von diesem Kraftfahrzeug ausgehende Betriebsgefahr als außergewöhnlich zu beurteilen sei. Dem gegenüber stellt sich die Beklagte in ihrer Rechtsrüge auf den Standpunkt, daß vom griechischen Sattelkraftfahrzeug nur die gewöhnliche Betriebsgefahr ausgegangen sei und daß überdies dessen Lenker im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet habe; hingegen sei dem Lenker des Sattelkraftfahrzeuges der Firma S*** ein Verschulden an dem eingetretenen Verkehrsunfall anzulasten.

Dazu ist folgendes zu erwägen:

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen kann weder dem Lenker des griechischen Sattelkraftfahrzeuges ein Verschulden angelastet werden, weil er das von ihm gelenkte Fahrzeug nicht abbremste, sondern nach links auslenkte, noch dem Lenker des Sattelkraftfahrzeuges der Firma S*** deswegen, weil er das von ihm gelenkte Fahrzeug nicht früher abbremste. Denn nach den getroffenen Feststellungen kann in keiner Weise ausgeschlossen werden, daß S*** dann, wenn er das von ihm gelenkte Fahrzeug nach Berührung mit dem überholenden PKW nicht nach links ausgelenkt, sondern voll abgebremst hätte, den vor ihm befindlichen PKW gerammt und damit möglicherweise einen noch wesentlich schwererwiegenden Schaden herbeigeführt hätte. Unter diesen Umständen ist in der festgestellten Fahrweise des Lenkers des griechischen Sattelkraftfahrzeuges ein schuldhaftes Fehlverhalten nicht zu erkennen. Das gleiche gilt von dem festgestellten Verhalten des Lenkers des Sattelkraftfahrzeuges der Firma S***. Denn für ihn stellte sich die Verkehrssituation erst als gefährlich dar, als der das griechische Sattelkraftfahrzeug überholende PKW dieses beim Abschluß seines Überholmanövers berührte und zu schleudern begann und das griechische Sattelfahrzeug nach links ausgelenkt wurde. Dies geschah, wie sich aus den von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen ergibt, nicht ganz drei Sekunden vor der späteren Kollision. Da S*** nach den getroffenen Feststellungen das von ihm gelenkte Fahrzeug 2,4 Sekunden vor der Kollision abbremste und ganz an den rechten Fahrbahnrand lenkte, kann ihm in keiner Weise eine schuldhafte Reaktionsverspätung angelastet werden. Im Verhältnis zwischen den beiden am Unfall beteiligten Sattelkraftfahrzeugen scheidet daher ein Verschulden ihrer Lenker als Zurechnungskriterium im Sinne des § 11 Abs 1 EKHG aus. Der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß die vom griechischen Sattelkraftfahrzeug ausgehende Betriebsgefahr nur als gewöhnliche Betriebsgefahr zu qualifizieren sei, kann allerdings nicht gefolgt werden.

Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte, ist eine außergewöhnliche Betriebsgefahr im Sinne des § 11 Abs 1 (§ 9 Abs 2) EKHG dann anzunehmen, wenn die Gefahren, die regelmäßig und notwendig mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges verbunden sind, durch das Hinzutreten besonderer, nicht schon im normalen Betrieb gelegener Umstände vergrößert werden. Der Unterschied zwischen gewöhnlicher und außergewöhnlicher Betriebsgefahr ist funktionell darin zu erblicken, daß zur gewöhnlichen Betriebsgefahr besondere Gefahrenmomente hinzutreten, die nach dem normalen Ablauf der Dinge nicht schon dadurch gegeben waren, daß ein Kraftfahrzeug überhaupt in Betrieb gesetzt wurde (ZVR 1984/328; ZVR 1988/64 mwN uva). Unter diesen Gesichtspunkten wurde, wie das Berufungsgericht gleichfalls durchaus zutreffend ausführte, in der Rechtsprechung wiederholt außergewöhnliche Betriebsgefahr angenommen, wenn ein Kraftfahrzeug ins Schleudern oder sonst irgendwie außer Kontrolle seines Lenkers geriet. Allein die Unbeherrschbarkeit eines Kraftfahrzeuges durch seinen Lenker ist kein notwendiges Erfordernis für die Annahme einer außergewöhnlichen Betriebsgefahr. Das entscheidende Kriterium liegt vielmehr darin, ob das Kraftfahrzeug in einer Weise verwendet wird, daß dadurch eine Gefahrenlage eintritt, die mit dem normalen und ordnungsgemäßen Betrieb nicht verbunden ist. In den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage des EKHG (abgedruckt unter Anm 1 zu § 9 EKHG MGA4) wird als beispielhafte Erklärung des Begriffes der außergewöhnlichen Betriebsgefahr ausdrücklich der Fall angeführt, daß ein Kraftfahrer, weil ein Fußgänger knapp vor seinem Fahrzeug stürzt, um ihn nicht zu überfahren, sein Fahrzeug jäh zur Seite verreißt und dadurch einen anderen Menschen überfährt. Hier sei das erst durch die Eigentümlichkeit des gefährlichen Betriebes ermöglichte jähe Verreißen aus der gewöhnlichen Bahn die außergewöhnliche Betriebsgefahr, die unmittelbar den Schaden zugefügt habe. In einem derartigen Fall werde die bei allen Verkehrsunfällen stets mitwirkende allgemeine Betriebsgefahr in der rechtlichen Beurteilung übergewichtig und damit als Schadensursache verselbständigt (so auch Koziol, Haftpflichtrecht2 II 559 f mit weiteren Judikaturhinweisen). Unter diesen Gesichtspunkten wurde in der Rechtsprechung das (aus ungeklärter Ursache erfolgte) Verreißen eines Kraftfahrzeuges nach links und das anschließende Befahren der linken Fahrbahnhälfte als Verwirklichung außergewöhnlicher Betriebsgefahr beurteilt (ZVR 1979/25), ohne daß das betreffende Kraftfahrzeug außer Kontrolle seines Lenkers geraten wäre. Die gleichen Überlegungen sind auch für den vorliegenden Fall entscheidend. Wenn auch, wie bereits dargelegt, dem Lenker des griechischen Sattelkraftfahrzeuges nicht als Verschulden angelastet werden kann, daß er das von ihm gelenkte Fahrzeug, um eine Kollision mit dem PKW zu vermeiden, der ihn gerade überholt hatte, trotz Gegenverkehrs nach links auslenkte und unter Benützung der für den Gegenverkehr bestimmten Fahrbahnhälfte weiterfuhr, so wurde durch dieses Verhalten die Betriebsgefahr des griechischen Sattelkraftfahrzeuges im dargestellten Sinn zu einer außergewöhnlichen im Sinne des § 11 Abs 1 bzw 9 Abs 2 EKHG. Die durch dieses Verhalten des Lenkers des griechischen Sattelkraftfahrzeuges hervorgerufene besondere Gefahrensituation hebt sich von der sonst mit dem Kraftfahrzeugbetrieb verbundenen gewöhnlichen Betriebsgefahr deutlich ab und bildet hier ein so starkes Zurechnungsmoment, daß es durchaus gerechtfertigt erscheint, sie bei der Beurteilung der gegenseitigen Ersatzpflicht der Beteiligten im Sinne des § 11 Abs 1 EKHG gegenüber der mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges immer verbundenen gewöhnlichen Betriebsgefahr als deutlich übergewichtig anzusehen. Der erkennende Senat billigt unter diesen Umständen entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Rechtsmeinung die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes, daß die vom griechischen Sattelkraftfahrzeug ausgehende Betriebsgefahr als außergewöhnliche im Sinne der §§ 9 Abs 2, 11 Abs 1 EKHG zu beurteilen ist, während von dem Kraftfahrzeug der Firma S*** nur die gewöhnliche Betriebsgefahr ausging. Unter diesen Umständen ist die Erbringung eines Entlastungsbeweises im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG in Ansehung des Lenkers des griechischen Sattelkraftfahrzeuges ausgeschlossen und hat dessen Halter (und mit ihm die Beklagte) den der Firma S*** entstandenen Schaden im Sinne des § 11 Abs 1 EKHG nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zu ersetzen. Da gemäß § 16 Abs 1 Z 2 EKHG (in der zur Unfallszeit geltenden Fassung durch die Wertgrenzennovelle 1976, BGBl 1976/91) die in diesem Bundesgesetz festgesetzte Haftung für Schäden an Sachen, die beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges verursacht wurden, der Höhe nach mit S 270.000.- begrenzt ist, konnte der Klägerin allerdings nur ein Betrag in dieser Höhe zugesprochen werden und war ihr Mehrbegehren abzuweisen. Einen Einwand in der Richtung, daß im Sinne der Vorschrift des § 67 Abs 1 zweiter Satz VersVG der von der Klägerin behauptete Übergang der Schadenersatzforderung der Firma S*** nur zum Teil oder überhaupt nicht stattgefunden hätte, hat die hiefür behauptungs- und beweispflichtige Beklagte (7 Ob 62/77) nicht erhoben.

Es war daher der Revision der Beklagten keine Folge zu geben und in teilweiser Stattgebung der Revision der Klägerin wie im Spruch zu entscheiden.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens in erster Instanz beruht auf § 43 Abs 1 ZPO, die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens aus den §§ 43 Abs 1, 50 ZPO.

Anmerkung

E16541

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0020OB00138.88.0228.000

Dokumentnummer

JJT_19890228_OGH0002_0020OB00138_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten