Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 1.März 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Lachner, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Telfser als Schriftführer, in der Strafsache gegen Werner G*** wegen des Verbrechens nach § 12 Abs. 1 SGG und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 21.April 1988, AZ 24 Ns 425/88 (= ON 50 des Vr-Aktes), nach Anhörung des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tschulik, in öffentlicher Verhandlung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 21.April 1988, AZ 24 Ns 425/88, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 23 a Abs. 2 SGG.
Dieser Beschluß wird aufgehoben und es wird gemäß § 292 StPO in der Sache selbst erkannt:
Die über Werner G*** mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 14.April 1987, GZ 6 d Vr 2998/87-26, verhängte Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten wird gemäß § 410 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 23 a Abs. 2 SGG unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen (§ 43 StGB).
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 14. April 1987, GZ 6 d Vr 2998/87-26, wurde der am 2.Jänner 1962 geborene Redakteur Werner G*** des Verbrechens nach § 12 Abs. 1 SGG und des Vergehens nach § 16 Abs. 1 SGG schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten, sowie zu einer gemäß § 43 Abs. 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Wertersatzstrafe verurteilt. Unmittelbar nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils (zufolge Rechtsmittelverzichts beider Parteien) stellte der Verurteilte in der Hauptverhandlung den Antrag auf Einleitung des Verfahrens gemäß § 23 a SGG, über welchen sich das Gericht die Beschlußfassung vorbehielt (vgl. S 299). Am 16.April 1987 bestellte der Vorsitzende des Schöffengerichtes einen gerichtspsychiatrischen Sachverständigen (vgl. S 309), der ein am 22.April 1987 beim bezeichneten Gerichtshof eingelangtes Gutachten über die Drogenabhängigkeit des Verurteilten und über die für diesen bestehenden Behandlungs- und Rehabilitationsmöglichkeiten erstattete (ON 27). Hierauf wurde dem Verurteilten mit Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 23.April 1987 (ON 28) gemäß § 23 a Abs. 1 SGG ein vorläufiger Strafaufschub bis 1.Oktober 1987 gewährt, um ihm eine notwendige (stationäre) ärztliche Behandlung seiner Suchtgiftergebenheit zu ermöglichen. Der Verurteilte wurde am 14.April 1987 (11.30 Uhr) in Strafhaft übernommen (ON 31) und über (Enthaftungs-)Auftrag des Gerichtes am 24.April 1987, 10.00 Uhr, nach teilweiser Verbüßung der Strafe aus der Haft entlassen (ON 29, 33, 37). Die Strafvollzugsanordnung wurde vom Vorsitzenden des Schöffengerichtes zunächst offenbar nur mündlich verfügt und auf Grund der Endverfügung vom 7.Mai 1987 auch schriftlich erlassen (ON 31). In der Folge absolvierte Werner G*** vom 24.April 1987 bis 1. April 1988 in einer Einrichtung des Vereins "G*** K***" in Krumbach eine stationäre psycho- und sozialtherapeutische Langzeitbehandlung, nach deren Beendigung das Erstgericht am 11. April 1988 gemäß § 23 a Abs. 2 SGG den Antrag an das Oberlandesgericht Wien stellte, die Freiheitsstrafe gemäß § 410 StPO bedingt nachzusehen, weil sich der Verurteilte mit Erfolg einer ärztlichen Behandlung seiner Suchtgiftergebenheit unterzogen habe (ON 49). Dieser Antrag auf nachträgliche Strafmilderung wurde vom Oberlandesgericht Wien mit Beschluß vom 21.April 1988, AZ 24 Ns 425/88 (= ON 50 des Vr-Aktes), mit der Begründung abgelehnt, daß - wenngleich die Einleitung des Strafvollzugs nicht hätte erfolgen dürfen - bereits ein teilweiser Strafvollzug stattgefunden habe und nach der ständigen Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes in einem solchen Fall eine nachträgliche Strafmilderung durch Gewährung bedingter Strafnachsicht nicht mehr möglich sei. Im übrigen könne dem Bericht des Vereins für Rehabilitation und Integration ehemaliger Drogenabhängiger "G*** K***" nicht entnommen werden, daß sich der Verurteilte mit Erfolg einer ärztlichen Behandlung unterzogen habe, weil darin eine längerfristige, wöchentlich vorzunehmende Harnkontrolle empfohlen werde, damit er sich soweit stabilisiere, daß er auf illegale Drogen verzichten könne und nur bei der legalen Droge Alkohol bleibe.
Rechtliche Beurteilung
Der Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien steht mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Zunächst ist der Ansicht dieses Gerichtshofes entgegenzutreten, daß im vorliegenden Fall zu Unrecht eine Einleitung des Strafvollzuges erfolgt sei. Die Vorschrift, wonach in den Fällen der §§ 4 bis 6 StVG das Strafurteil zunächst nicht zu vollziehen (vgl. Kunst, MKK, StVG, Anm. 2 zu § 3) und die Anordnung des Strafvollzuges bis zur Entscheidung erster oder zweiter Instanz vorläufig zu hemmen ist, wenn über einen Antrag auf eine der Entscheidungen nach §§ 4 bis 6 StVG - wie hier - nicht sofort entschieden werden kann oder gegen eine dieser Entscheidungen Beschwerde erhoben wird (§ 7 Abs. 3 StVG), bezieht sich auf die mit StPO-Form StV 4 vorzunehmende Anordnung des Strafvollzugs, dh auf die Aufforderung, an den auf freiem Fuß befindlichen Verurteilten, die Strafe in einer Vollzugsanstalt anzutreten, nicht jedoch auf die Strafvollzugsanordnung im engeren Sinn (StPO-Form StV 1), die in einer Verständigung der zuständigen Anstalt über die ergangenen Entscheidungen, über die für die Berechnung der Strafzeit relevanten Daten und über andere für die Durchführung des Strafvollzuges maßgeblichen Tatsachen (vgl. insbesondere auch § 3 Abs. 1 StVG idF Art. III Z 1 StRÄG 1987) besteht und demnach als keine materiellrechtliche Wirkung entfaltende richterliche Entscheidung anzusehen ist (vgl. SSt. 53/70). Dies trifft auch zu, wenn der zu einer Freiheitsstrafe Verurteilte nach Rechtskraft des Urteils weiter in Haft verbleibt. In diesem Fall dient die Vollzugsanordnung gemäß dem zweiten Halbsatz des § 3 Abs. 1 (erster Satz) StVG dazu, der Vollzugsanstalt, in der sich der Angeklagte zur Zeit befindet, die richterlichen Entscheidungen, darunter ua auch eine gemäß § 7 Abs. 3 StVG verfügte vorläufige Hemmung der formellen Übernahme in den Strafvollzug, amtlich zur Kenntnis zu bringen. Unabhängig davon, ob der Strafvollzug im Hinblick auf ein noch nicht erledigtes Strafaufschubsgesuch eingeleitet werden kann und die erforderlichen richterlichen Anordnungen zur Übernahme in die Strafhaft getroffen und durchgeführt werden, gilt jede nach rechtskräftiger Beendigung des Strafverfahrens vollzogene Haft als Strafhaft und ist daher in die Strafzeit einzurechnen (§ 1 Z 5 StVG), weil eine U-Haft begrifflich nicht länger als bis zur Rechtskraft des Urteils dauern kann (vgl. Kunst, aaO, Anm. 4 und 5 zu § 1 StVG). So gesehen konnte eine Gesetzesverletzung, welche allenfalls im Unterbleiben einer Verständigung des gerichtlichen Gefangenenhauses, in dem Werner G*** nach Urteilsrechtskraft belassen worden war, über dessen noch offenen Strafaufschubsantrag und über die darauf gegründete vorläufige Hemmung der Anordnung des Strafvollzuges erblickt werden könnte, dem Verurteilten keinesfalls zum Nachteil gereichen. Rechtlich verfehlt war es aber, die vom Landesgericht für Strafsachen Wien beantragte Strafmilderung mit der Begründung abzulehnen, der Angeklagte sei erst am 24.April 1987, mithin nach einer zehntägigen Haftzeit, die nach dem Gesagten jedenfalls als Strafzeit anzusehen war, entlassen und auf freien Fuß gesetzt worden. Eine nachträgliche Milderung der Freiheitsstrafe gemäß § 410 StPO durch Gewährung bedingter Strafnachsicht im Sinne des § 23 a Abs. 2 SGG ist davon abhängig, daß dem Verurteilten zuvor der Aufschub des Vollzugs der Freiheitsstrafe (von höchstens zwei Jahren für die Dauer von höchstens zwei Jahren) unter den allgemeinen Voraussetzungen und Bedingungen des § 6 StVG bewilligt wurde. Dies impliziert in der Regel, daß der Verurteilte noch nicht in den Strafvollzug übernommen worden ist. Denn anderenfalls müßte die bereits in Vollzug gesetzte Freiheitsstrafe gemäß § 99 StVG unterbrochen werden. Bei Unterbrechung einer Freiheitsstrafe sieht aber § 23 a Abs. 1 SGG keinen Aufschub des Vollzuges vor. Anders verhält es sich dann, wenn der Verurteilte noch vor Einleitung des Vollzuges der Freiheitsstrafe deren Aufschub beantragt, über diesen Antrag aber nicht sofort entschieden werden kann, weil es zur Feststellung, ob die geltend gemachten Aufschubsgründe vorliegen, noch weiterer Erhebungen bedarf und deshalb die Anordnung des Strafvollzuges gemäß § 7 Abs. 3 StVG vorläufig gehemmt wird. In diesem Fall befindet sich der weiterhin in Haft zu belassende Verurteilte zwar nicht mehr in U-Haft; obwohl die bis zur gerichtlichen Entscheidung über den Strafaufschub dauernde Haft in die Strafzeit einzurechnen und als Strafhaft zu werten ist, kommt es hier aber andererseits auch zu keinem auf die Zwecke des § 20 StVG ausgerichteten Strafvollzug im engeren Sinn und es wird der Vollzug der Freiheitsstrafe nicht unterbrochen, sondern aufgeschoben. Es besteht keine sachliche Rechtfertigung, in einem solchen Fall anders vorzugehen als bei einem Strafaufschub, der einem bei Rechtskraft des Urteils auf freiem Fuß befindlichen Verurteilten oder einem in Haft befindlichen Verurteilten unmittelbar nach rechtskräftiger Beendigung des Strafverfahrens gewährt wird. Eine differenzierte Beurteilung würde die Zulässigkeit einer nachträglichen Gewährung der bedingten Nachsicht der Freiheitsstrafe von mehr oder minder zufälligen Umständen abhängig machen und damit dem Zweck der durch die SGG-Nov. 1985 geschaffenen Bestimmung des § 23 a Abs. 2 SGG zuwiderlaufen, bei Suchtgifttätern der Behandlung, soweit eine solche nach der Person des Täters möglich und sinnvoll erscheint, vor der Strafe den Vorrang zu geben und an einem drogenabhängigen Verurteilten, der sich nach Rechtskraft des gegen ihn gefällten Strafurteils mit Erfolg einer ärztlichen Behandlung unterzieht, die urteilsmäßig ausgesprochene Freiheitsstrafe nicht zu vollziehen und seine damit bekundete Resozialisierungsbereitschaft zu honorieren. Zudem ist der "ständigen Rechtsprechung" des Oberlandesgerichtes Wien, auf die in der bezüglichen Entscheidung verwiesen wird, durch das Inkrafttreten des StRÄG 1987 mit 1.März 1988 der Boden entzogen, weil nunmehr nach § 43 a Abs. 3 und Abs. 4 StGB auch ein Teil der Freiheitsstrafe bedingt nachgesehen werden kann.
Die Ablehnung der nachträglichen Gewährung einer bedingten Nachsicht der Freiheitsstrafe kann aber auch nicht damit begründet werden, Werner G*** habe sich nicht mit Erfolg der ärztlichen Behandlung unterzogen, weil bei Abschluß der Therapie eine langfristige, wöchentlich vorzunehmende Harnkontrolle empfohlen wurde, damit sich der Verurteilte soweit stabilisiert, daß er auf illegale Drogen verzichten kann. Das Erfolgsmoment, das nach § 23 a Abs. 2 SGG gegeben sein muß, bedeutet nur, daß das spezielle Ziel der Behandlung, der sich der Verurteilte freiwillig unterzogen hat, aus der Sicht des Behandelnden erreicht ist. Ein in diesem Sinn erzielter "Erfolg" schließt nicht aus, daß noch weitere Maßnahmen erforderlich sein können, um sicherzustellen, daß es bei dem des Suchtgifts Entwöhnten nicht zu einem Rückfall kommt. Daß der Behandlungserfolg so nachhaltig sein müßte, daß es zu dessen Erhaltung keiner ergänzenden ärztlichen Vorkehrungen mehr bedarf und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit besteht, daß der Verurteilte in Hinkunft niemals mehr illegale Rauschmittel konsumieren und sich nicht dem Genuß von Suchtgift ergeben werde, ist aus dem Gesetz nicht ableitbar. Die der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien zugrundeliegende Auslegung des Begriffes "Erfolg" im § 23 a Abs. 2 SGG steht sohin mit dem Zweck dieser Bestimmung und der dahinterstehenden Intention des Gesetzgebers, nach dem Suchtgiftgesetz straffällig gewordene Täter zu der notwendigen fachärztlichen Behandlung ihrer Sucht zu motivieren, nicht im Einklang (Leukauf-Steininger Strafrechtliche Nebengesetze 2. ErgH 1985 Anm. A und C zu § 23 a SGG). Geht man aber von den hier entwickelten Grundsätzen aus, so kann nicht gesagt werden, daß sich Werner G*** nicht mit Erfolg der stationären psycho- und sozialtherapeutischen Behandlung in der Rehabilitationseinrichtung des Vereins "G*** K***" unterzogen hat. Gegenteilige Verfahrensergebnisse, aufgrund deren der Eintritt eines adäquaten Behandlungserfolges hätte verneint werden können, sind dem Akteninhalt nicht zu entnehmen.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine nachträgliche Milderung der Freiheitsstrafe gemäß § 410 StPO durch Gewährung der bedingten Strafnachsicht sind demnach erfüllt.
In Stattgebung der von der Generalprokuratur gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher die aufgezeigte Gesetzesverletzung festzustellen und gemäß § 292 StPO spruchgemäß zu beheben.
Anmerkung
E17171European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0140OS00015.89.0301.000Dokumentnummer
JJT_19890301_OGH0002_0140OS00015_8900000_000