TE OGH 1989/3/7 10ObS35/89

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Veröffentlicht am 07.03.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Franz Köck (Arbeitgeber) und Karl Amsz (Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hermann W***, Schlosser, 1170 Wien, Neuwaldeggerstraße 54/7/8, vertreten durch Dr. Herbert Sallficky, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei

P*** DER A***, 1092 Wien, Roßauer

Lände 3, diese vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6. Mai 1988, GZ 34 Rs 65/88-67, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 5. November 1987, GZ 16 Cgs 517/86-82, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht wies das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger ab 1. Februar 1986 die Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, ab. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Der am 7. Juni 1934 geborene Kläger kann auf Grund seines - im einzelnen näher beschriebenen - körperlichen und geistigen Zustandes leichte und mittelschwere Arbeiten in der normalen Arbeitszeit und mit den üblichen Pausen verrichten. Auszuschließen sind Arbeiten in Nässe, Kälte und feuchtkaltem Milieu sowie Arbeiten unter dauerndem Zeitdruck. Bei den Arbeiten muß für die Umgangssprache ein Gehör für eine Entfernung von 6 m ausreichen. Der Kläger kann mit Gegenständen bis zu 8 kg hantieren und zeitweise Gegenstände bis zu 20 kg heben. Er ist für einfache Arbeiten unterweisbar, soferne es sich nicht um gewohnte Tätigkeiten handelt.

Der Kläger erlernte den Beruf eines Betriebsschlossers und übte ihn im "Beobachtungszeitraum" überwiegend aus. Der Schlosser kann mit allen Werkzeugen in der Metallverarbeitung umgehen und Maschinen der gröberen Metallbearbeitung bedienen. Seine Aufgabe ist es, das Material nach Zeichnungen oder Modellen auf die gewünschte Form zu bringen. Der Kläger kann auf Grund seines Leistungkalküls zwar nicht mehr die Tätigkeit eines Baumaschinen- und Stahlbauschlossers, wohl aber jene eines Schlossers im Schloß- und Apparatebau ausüben. Dabei werden an Werkbänken Schlösser zum Einbau hergerichtet. Hiefür werden gelernte Schlosser verwendet. Er ist ferner imstande, in der Armaturenherstellung, im Aufsperrdienst und bei Reparaturen von Wohnungs-, Auto- und Safeschlössern zu arbeiten. Arbeitsplätze hiefür sind "allein" im Raum Wien bei Firmen vorhanden. Arbeitsplätze - ob frei oder unbesetzt, bleibt

unberücksichtigt - kommen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in ausreichender Anzahl vor.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß die Arbeitsfähigkeit des Klägers infolge seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichartigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken sei, weshalb das Klagebegehren abgewiesen werden müsse.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Der Berufsschutz nach § 255 Abs 1 ASVG beziehe sich auf den gesamten Lehrberuf. Es sei daher auf den Einwand des Versicherten, er habe Kenntnisse und Fähigkeiten nur in einem Teilbereich dieses Berufes erworben, nicht Bedacht zu nehmen. Der Kläger müsse sich somit auf die Tätigkeit im Schloß- und Apparatebau verweisen lassen, die er auf Grund seines Leistungkalküls noch ausüben könne, und sei deshalb nicht invalid.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers wegen "Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften" und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinn der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern oder es allenfalls aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht oder das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Ausführungen zur "Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften" sind dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 2 Abs 1 ASGG iVm § 503 Abs 1 Z 2 ZPO) zu unterstellen. Dieser Revisionsgrund wird hiedurch jedoch nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt, weil nur Feststellungsmängel geltend gemacht werden, die mit der rechtlichen Beurteilung der Sache im Zusammenhang stehen. Die entsprechenden Ausführungen gehören daher zur Rechtsrüge (SZ 23/175; JBl 1982, 311; 10 Ob S 107/87 ua) und werden im folgenden behandelt, zumal die unrichtige Benennung des Revisionsgrundes gemäß § 2 Abs 1 ASGG iVm § 84 Abs 2 ZPO unerheblich ist.

Mit den Ausführungen in der Rechtsrüge versucht der Kläger darzutun, daß er nicht auf eine Teiltätigkeit seines Lehrberufes verwiesen werden dürfe, die er bisher nicht ausgeübt habe. Diese Ansicht ist jedoch mit § 255 Abs 1 ASVG unvereinbar, weil sich daraus ergibt, daß der Vergleich mit einem Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in dem in Betracht kommenden Lehrberuf zu ziehen ist. Es kommt daher bei einem erlernten Beruf, von dem hier nicht anzuwendenden § 255 Abs 4 ASVG abgesehen (vgl. hiezu SSV-NF 2/53), nicht auf die bisher ausgeübte Tätigkeit, sondern grundsätzlich auf die Ausbildung und die hiedurch erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten an. Der Oberste Gerichtshof hat daher schon mehrfach (SSV-NF 2/46; 10 Ob S 208/88) ebenso wie auch das Oberlandesgericht Wien als damaliges Höchstgericht in der schon vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung SSV 25/59 = SVSlg 29.606 die Verweisung auf Teiltätigkeiten eines Lehrberufes für gerechtfertigt erachtet. Diese Auffassung entspricht entgegen der in der Revision vertretenen Meinungen dem Schrifttum. Gerade Kaufmann (Der Berufsschutz des gelernten und angelernten Arbeiters in der Pensionsversicherung, SozSi 1970, 82) betont (aaO 86), daß sich ein Versicherter, der überwiegend einen erlernten Beruf ausgeübt hat, auf Teiltätigkeiten dieses Berufes verweisen lassen muß. Auch Würth (Beurteilung der verbleibenden Arbeitsfähigkeit im Rahmen der Invalidität, DRdA 1973, 115), Schmidt (Entscheidungsbesprechung in ZAS 1983, 113) und Schrammel (Zur Problematik der Verweisung in der Pensionsversicherung und Unfallsversicherung, ZAS 1984, 83) halten die Verweisung auf Teiltätigkeiten grundsätzlich für zulässig, machen allerdings die Einschränkung, daß der Verweisungsberuf noch als Ausübung einer erlernten (angelernten) Tätigkeit im Sinn des § 255 Abs 1 und 2 ASVG anzusehen sein müsse (Würth aaO 117), daß die Tätigkeiten im Verweisungsberuf noch der Qualifikation gemäß § 255 Abs 1 und 2 ASVG entsprechen müßten (Schmidt aaO 117) oder daß auch eine Verweisung nur auf solche Teiltätigkeiten erfolgen dürfe, die bei isolierter Betrachtung, dh außerhalb eines Invalidisierungsverfahrens, dem Versicherten den Berufsschutz erhalten (Schrammel aaO 88). Nach Ansicht des erkennenden Senates ist diesen Einschränkungen beizupflichten, weshalb ein Versicherter, dessen Invalidität nach § 255 Abs 1 ASVG zu beurteilen ist, nicht auf Teiltätigkeiten seines Berufes verwiesen werden darf, durch die er den ihm nach der angeführten Bestimmung zukommenden Berufsschutz verlieren würde. Die Tätigkeit, auf die der Versicherte verwiesen wird, muß daher eine Tätigkeit, in einem erlernten (angelernten) Beruf im Sinn des § 255 Abs 1 und 2 ASVG sein. Daraus ist hier für den Kläger aber nichts zu gewinnen, weil eindeutig ist, daß die angeführte Voraussetzung auf jene Berufstätigkeiten zutrifft, auf die er von den Vorinstanzen verwiesen wurde und die der Ausbildung sowie den Kenntnissen und Fähigkeiten in dem von ihm erlernten Beruf entsprechen.

Eine weitere Voraussetzung für die Verweisung des Versicherten auf eine bestimmte Berufstätigkeit ist allerdings, daß er sich auf Grund seines Leistungskalküls der - allenfalls

notwendigen - Einschulung unterziehen kann und daß für die Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Arbeitsplätze in ausreichender Anzahl vorhanden sind.

Daß es dem Kläger möglich und zuzumuten ist, sich einer Einschulung zu unterziehen, ergibt sich aus den Feststellungen des Erstgerichtes. Entgegen seiner - unrichtig zum Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens vertretenen - Ansicht waren Feststellungen über die Anzahl der Arbeitsplätze, die für die ihm noch zumutbaren Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorhanden sind, nicht erforderlich. Die Feststellung des Erstgerichtes, adäquate Arbeitsplätze gebe es "allein" im Raum Wien, wurde von ihm mißverstanden, weil damit offensichtlich zum Ausdruck gebracht werden sollte, daß schon im Raum Wien genügend Arbeitsplätze vorhanden seien. Es ist gerichtsbekannt, daß sich Arbeitsplätze für den Schloß- und Apparatebau nicht nur in Wien, sondern auch in anderen Bundesländern finden und es ergibt sich dies im übrigen auch aus dem Gutachten des Sachverständigen für Berufskunde, auf die die angeführte Feststellung des Erstgerichtes offensichtlich zurückgeht, von ihm jedoch unvollständig wiedergegeben wurde. Bei den Tätigkeiten, deren Ausübung dem Kläger noch zugemutet werden kann, sind die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt allgemein bekannt. Es sind daher entgegen seiner Ansicht Erhebungen über die Anzahl der vorhandenen Arbeitsplätze nicht erforderlich (SSV-NF 2/20).

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit d ASGG (vgl. SSV-NF 1/19).

Anmerkung

E17466

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00035.89.0307.000

Dokumentnummer

JJT_19890307_OGH0002_010OBS00035_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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