TE OGH 1989/3/7 15Os21/89

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Veröffentlicht am 07.03.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 7.März 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Rechtspraktikanten Dr. Lässig als Schriftführer in der Strafsache gegen Hubert F*** wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Feldkirch vom 12. Jänner 1989, GZ 16 Vr 994/88-30, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben: der Wahrspruch der Geschwornen sowie das darauf beruhende angefochtene Urteil - welches im Ausspruch, daß die Privatbeteiligte mit ihrem Mehrbegehren auf den Zivilrechtsweg verwiesen wird, unberührt bleibt - im Schuldspruch, im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruchs nach § 38 StGB) und im Zuspruch eines Schmerzengeldteilbetrages an die Privatbeteiligte Renate F*** werden aufgehoben; die Sache wird zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung in diesem Umfang an das Erstgericht zurückverwiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte darauf verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Hubert F*** des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt; darnach hat er am 1.September 1988 in Röthis Renate F*** durch einen Stich mit einem Metzgermesser in den Hals vorsätzlich zu töten versucht. Das Urteil beruht auf dem (bejahenden) Wahrspruch der Geschwornen, denen lediglich eine anklagekonforme Hauptfrage zur Beantwortung vorgelegt worden war.

Rechtliche Beurteilung

Zu Recht remonstriert der Angeklagte mit seiner auf § 345 Abs. 1 Z 6 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde dagegen, daß den Geschwornen keine Eventualfrage (§ 314 Abs. 1 StPO) nach versuchtem (bloßem) Totschlag (§§ 15, 76 StGB) vorgelegt wurde. Soweit der Schwurgerichtshof den darauf gerichteten Antrag des Verteidigers mit der Begründung abwies, die Geltendmachung von finanziellen Ansprüchen (gemeint: gegen den Beschwerdeführer durch den Rechtsvertreter seiner Gattin aus Anlaß der von ihr beabsichtigten Ehescheidung) "in schriftlicher Form ohne jegliche Auseinandersetzung mit dem Opfer, welches im Schlaf überfallen wurde", könne (beim Täter) keinesfalls eine heftige Gemütsbewegung und ein Sich-hinreißen-Lassen zur Tat annehmen lassen (S 401), hat er völlig verkannt, daß gerade die damit vorgenommene Beurteilung der Beweiskraft der in der Hauptverhandlung vorgebrachten, in jene Richtung hin weisenden Tatsachen nach der Prozeßordnung nicht in seine Kompetenz fiel, sondern den Laienrichtern oblag; zu eben diesem Zweck ist letzteren ja in solchen Fällen - die Rechtserheblichkeit der betreffenden Tatsachen im Sinn des § 314 Abs. 1 StPO vorausgesetzt - eine entsprechende Eventualfrage vorzulegen. Nur ein offensichtlich denkgesetzwidriges Tatsachenvorbringen vermag eine derartige Fragestellung nicht zu indizieren (vgl EvBl 1987/13 ua); davon aber kann im vorliegenden Fall keine Rede sein.

Denn insoweit hat sich nicht nur der Angeklagte - dem in der Hauptverhandlung seine gesamte bisherige Verantwortung vorgehalten wurde (S 394) - darauf berufen, daß ihn der Vertragsentwurf über die vermögensrechtliche Auseinandersetzung zum Zweck der von seiner Gattin angestrebten Ehescheidung und über die von ihr gewünschte Regelung seines Besuchsrechts bei den ehelichen Kindern, den sie ihm am Abend vor der Tat zur Stellungnahme vorgelegt hatte, sowie insbesondere ihre handschriftlichen Zusätze auf jenem Schriftstück "tief getroffen" und "derart aufgeregt" hätten, daß er keinen Schlaf habe finden können; daß ihn das alles "sehr beelendet" habe und daß er nach einer nahezu schlaflosen Nacht "nervlich einfach fertig" gewesen sowie immer mehr in den Zustand einer durch Zorn und Wut geprägten "Verrückte" geraten sei (S 17 bis 21, 33 bis 35, 393 f.), wobei er dem Sachverständigen Dr. H*** gegenüber zudem erklärte, er sei durch die plötzliche Konfrontation mit dem Verlust der Kinder und der Frau sowie mit deren finanziellen Forderungen, derentwegen er befürchtet habe, den Hof verkaufen zu müssen, "zutiefst verzweifelt" und "völlig fertig" gewesen, er habe "wohl durchgedreht" und könne sich nicht erklären, wie er sich zur Tat habe "hinreißen lassen" (S 119, 121, 335, 337 iVm S 398). Auch der genannte Sachverständige hat vielmehr, auf die Darstellung des Beschwerdeführers bezogen, die Auffassung vertreten, daß es sich bei dessen Tat um ein "affektiv hoch besetztes Delikt im Rahmen einer gravierenden Partnerschaftsproblematik" gehandelt hat, bei dem sich der intellektuell einfach strukturierte Angeklagte in einer "schwersten, von Angst und Depression geprägten existenziellen Krise" sah, in der seine "aktuelle nervliche Zerrüttung" dazu führte, daß sich seine erhöhte innere Aggression, die vorerst durch suizidale Todeswünsche in Erscheinung getreten war, schließlich gegen die von ihm als übermächtig erlebte Gattin richtete und daß der bei ihm vorgelegene "erhebliche Affektstau" in einer ihm als aussichtslos erschienenen Situation einen "eruptiv-aggressiven Ausbruch" in Form einer Primitivreaktion nach sich zog (S 123, 125, 355, 361, 363, 367 iVm S 398).

Daß dieses bei der Antragsabweisung im wesentlichen übergangene Tatsachenvorbringen, dessen Würdigung in Ansehung seiner Beweiskraft nach dem zuvor Gesagten den Geschwornen vorbehalten war, an sich eine logisch ausreichende Grundlage für die Annahme abzugeben vermochte, daß sich der Beschwerdeführer in einer heftigen Gemütsbewegung zur Tat habe hinreißen lassen, liegt auf der Hand. Der Auffassung des Schwurgerichtshofs (S 401) zuwider kann aber auch nicht gesagt werden, daß ein derartiger Affekt, wie er vom Angeklagten behauptet und vom Sachverständigen - vorbehaltlich der graduell-faktischen Einstufung jener Gemütsbewegung durch die Laienrichter im Weg der Beweiswürdigung (S 125, 365) - analysiert wurde, deswegen nicht "allgemein begreiflich" im Sinn des § 76 StGB wäre, "weil das Begehren auf Scheidung und Erhebung finanzieller Forderungen bei einem Durchschnittsmenschen, selbst nicht einmal bei einem Minderbegabten, eine solche Verfassung hervorrufen könnte". Die zur Privilegierung der vorsätzlichen Tötung eines Menschen (bloß) als Totschlag vorauszusetzende allgemeine Begreiflichkeit der konkreten Gemütsverfassung des Täters zur Tatzeit (in ihrer gesamten Dimension und Dynamik einschließlich ihrer tatkausalen Heftigkeit) in Relation zu dem sie herbeiführenden Anlaß ist nach einem objektiven Maßstab zu beurteilen: ein rechtstreuer Durchschnittsmensch muß sich vorstellen können, auch er wäre durch jene psychische Spannung, in der sich der Täter zur Tat hinreißen ließ, in eine so tiefgreifende Gemütsbewegung geraten, daß sie (als dynamischer Vorgang) in ihrer Endphase selbst schwerste sittliche Hemmungen, wie sie gegen die vorsätzliche Tötung eines Menschen bestehen, zu überwinden geeignet gewesen wäre (vgl SSt 46/49, ÖJZ-LSK 1977/379, EvBl 1982/80, 167, JUS 1988/39/25 ua); als (fiktive) Maßfigur ist dabei ein durchschnittlich rechtstreuer Mensch von der persönlichen und geistigen Beschaffenheit des Täters in dessen spezieller Tatsituation ins Auge zu fassen (vgl JBl 1986, 261; 1988, 330 ua).

Aus dieser Sicht kann aber im vorliegenden Fall nicht, wie der Schwurgerichtshof vermeinte, bloß auf ein "Begehren nach Scheidung" und auf die "Erhebung finanzieller Forderungen" gegen einen "Minderbegabten" als Ursachen für eine (nach den zuvor aufgezeigten Verfahrensergebnissen als tatkausal in Betracht kommende) heftige Gemütsbewegung des Beschwerdeführers abgestellt werden; wäre doch nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. H*** der hier zu beurteilende tiefgreifende Affekt des intellektuell auf dem Niveau eines Schwachsinnigen stehenden, ausschließlich auf seine Familie und auf die (im Familienverband betriebene) Landwirtschaft fixiert gewesenen Angeklagten, der zudem unter dem ständigen Druck eines ganztägigen Nebenerwerbs stand, als Schlußpunkt einer seit geraumer Zeit kontinuierlich verschärften familiären Krisensituation unmittelbar dadurch ausgelöst worden, daß sich der Beschwerdeführer nach dem Erhalt des vom Rechtsvertreter seiner Gattin verfaßten und mit ihren handschriftlichen Zusätzen versehenen Vertragsentwurfs am Ende einer durchgrübelten Nacht in einem depressiven Erschöpfungszustand befand, in dem er nicht nur den Verlust von Frau und Kindern, sondern auch des Hofes, also seiner gesamten privaten und beruflichen Identität befürchtete, aus seiner Existenzkrise keinen Ausweg sah und auf Grund seiner eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten sowie seiner schwach ausgebildeten Bewältigungsmechanismen damit kaum fertig werden konnte (S 123, 125, 355 bis 365 iVm S 398).

Unter solchen Umständen könnte, rechtsrichtig gesehen, in der Tat nicht ausgeschlossen werden, daß auch ein durchschnittlich rechtstreuer, mit der geistigen Kapazität des Angeklagten ausgestatteter Mensch in eine - auf Verzweiflung beruhende, gleichwohl in Zorn und Wut umschlagende (vgl ÖJZ-LSK 1977/95, 1982/153 ua), jedoch keineswegs in einer psychischen Abnormität oder in verwerflichen Charaktereigenschaften wurzelnde (vgl RZ 1975/97, ÖJZ-LSK 1978/199 ua) - derart heftige Gemütsbewegung geriete wie jene, in der sich der unbescholtene, sonst eher gutmütige Angeklagte (S 43, 399) zu der ihm als Mordversuch angelasteten lebensgefährlichen Messerattacke gegen seine schlafende Gattin hinreißen ließ, die er für seine ihm als ausweglose erschienene Lage verantwortlich machte. Die in der Anklageschrift zitierte Entscheidung (15 Os 82/88) betrifft demgegenüber, wie zur Klarstellung vermerkt sei, einen in vielfacher Hinsicht anders gelagerten Fall und steht mit der hier vertretenen Rechtsansicht durchaus nicht im Widerspruch.

Das Unterbleiben einer Fragestellung nach versuchtem Totschlag verstieß demnach gegen § 314 Abs. 1 StPO, führte zur Nichtigkeit des Wahrspruchs sowie des angefochtenen Schuldspruchs und erfordert die Anordnung einer Verfahrenserneuerung in erster Instanz, sodaß nach Anhörung der Generalprokuratur schon bei einer nichtöffentlichen Beratung in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde sofort wie im Spruch zu erkennen war (§§ 285 e, 344, 349 Abs. 1 StPO), ohne daß es einer Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens bedarf. Mit Blickrichtung auf den zweiten Rechtsgang sei dem nur noch hinzugefügt, daß die Verantwortung des Beschwerdeführers, der schon dem Sachverständigen Dr. H*** gegenüber behauptet hatte, er habe nicht wirklich seine Frau töten, sondern "es" ihr bloß "ordentlich zeigen" wollen (S 335), und der in der Hauptverhandlung gleichermaßen einen Tötungsvorsatz bestritt (S 393 f.), jedenfalls auch eine darauf Bedacht nehmende Fragestellung (§ 314 Abs. 1 StPO) erfordert hätte und daß, falls in der neuen Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht werden sollten, die - wenn sie als erwiesen angenommen werden - in rechtlicher Hinsicht zur Annahme seiner Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) führen würden, entsprechende Zusatzfragen (§ 313 StPO) zu stellen sein werden.

Anmerkung

E16740

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0150OS00021.89.0307.000

Dokumentnummer

JJT_19890307_OGH0002_0150OS00021_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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