Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel, Dr.Melber, Dr.Kropfitsch und Dr.Graf als Richter, in der Rechtssache der klagenden Partei Josef P***, Hilfsarbeiter, Engern 4, 4873 Frankenburg, vertreten durch Dr.Erich Aichinger und Dr.Harald Fahrner, Rechtsanwälte in Vöcklabruck, wider die beklagte Partei August F***, Hilfsarbeiter, Reittern 18, 4890 Frankenmarkt, vertreten durch Dr.Hubert Stüger, Rechtsanwalt in Frankenmarkt, wegen S 17.460,20 sA (Revisionsstreitwert S 16.960,-), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Berufungsgerichtes vom 22. September 1988, GZ R 392/88-28, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Frankenmarkt vom 11. Februar 1988, GZ 1 C 100/87-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung insgesamt wie folgt zu lauten hat:
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 8.480,- samt 4 % Zinsen seit 14. August 1987 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Das Mehrbegehren der klagenden Partei auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 8.980,20 samt 4 % Zinsen seit 14. August 1987 wird abgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei an Kosten des Verfahrens in erster Instanz den Betrag von S 3.875,-
(Barauslagen) und an Kosten des Revisionsverfahrens den Betrag von S 750,- (Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegenseitig aufgehoben.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 14. Oktober 1986 ereignete sich gegen 16,20 Uhr auf dem Betriebsgelände der Theresia H*** OHG in Vöcklamarkt ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Halter und Lenker des PKW mit dem Kennzeichen O-457.755 und der Beklagte als Lenker eines Gabelstaplers der Theresia H*** OHG beteiligt waren. Diese beiden Fahrzeuge kollidierten im Kreuzungsverkehr. Dabei wurde der PKW des Klägers beschädigt; Personenschaden trat nicht ein. Ein gerichtliches Strafverfahren fand gegen keinen der beiden beteiligten Lenker statt.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von S 17.460,20 sA (Reparaturkosten, Wertminderung und Wechselspesen). Die Höhe des dem Kläger entstandenen Schadens ist mit S 16.960,- nicht mehr strittig. Dem Grunde nach stützte der Kläger sein Begehren im wesentlichen auf die Behauptung, daß das Alleinverschulden an diesem Unfall den Beklagten treffe, weil er infolge Unaufmerksamkeit die Hupzeichen des Klägers nicht beachtet habe und daher gegen den bereits im Stillstand befindlichen PKW des Klägers gefahren sei. Der Beklagte wendete dem Grunde nach im wesentlichen ein, daß den Kläger das Alleinverschulden an diesem Unfall treffe, weil er den vom Beklagten gelenkten Stapler übersehen habe. Für den Beklagten habe keine Möglichkeit bestanden, den Unfall zu verhindern. Der Kläger sei nicht berechtigt gewesen, mit seinem privaten PKW das Werksgelände der Theresia H*** OHG zu befahren, sodaß schon aus diesem Grund das Klagebegehren abzuweisen sei. Das Erstgericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung von S 16.960,- sA und wies das Mehrbegehren des Klägers auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 500,20 sA ab.
Die Wiedergabe der Feststellungen des Erstgerichtes kann unterbleiben, weil das Berufungsgericht nach Beweiswiederholung zu teilweise abweichenden Sachverhaltsfeststellungen gelangte. Rechtlich führte das Erstgericht im wesentlichen aus, daß es dem Erhalter einer Verkehrsfläche ohne öffentlichen Verkehr freistehe, den Verkehr auf dieser Fläche anders als in der StVO vorgesehen zu regeln. Zur Unfallszeit habe für das Werksgelände der Theresia H*** OHG noch keine Sonderregelung betreffend den Vorrang bestanden, weil nur angeordnet gewesen sei, daß das Befahren auf eigene Gefahr erfolge und für Beschädigungen an Fahrzeugen sowie für Unfälle von Personen jede Haftung abgelehnt werde. Diese Regelung habe auf den vorliegenden Fall keinen Einfluß, weil ein solcher umfangreicher und gänzlicher Haftungsausschluß den zwingenden gesetzlichen Schadenersatzregelungen widerspreche und als sittenwidrig bezeichnet werden müsse. Ein Verbot, mit privaten Personenkraftwagen das Firmengelände zu befahren, habe nicht bestanden und sei insbesondere gegenüber dem Kläger nicht ausgesprochen worden. Mangels einer von den gesetzlichen Bestimmungen abweichenden Vorrangregelung zum Unfallszeitpunkt sei von der Vorschrift des § 19 Abs 1 StVO auszugehen. Auf Grund des ihm zustehenden Rechtsvorrangs habe sich der Kläger ungeachtet der für den Beklagten bestehenden Sichtbehinderung darauf verlassen dürfen, daß dieser Vorkehrungen treffen werde, um den Stapler vor dem PKW des Klägers zum Stillstand zu bringen. Unter diesem Gesichtspunkt könne dem Kläger ein Verschulden am Zustandekommen des Unfalls nicht nachgewiesen werden. Hingegen habe der Beklagte den entstandenen Schaden dadurch verschuldet, daß er, ohne sich hinreichend über den bevorrangten von rechts kommenden Verkehr zu vergewissern, in den Kreuzungsbereich eingefahren und ungebremst gegen den PKW des Klägers, den er vor der Kollision nicht wahrgenommen habe, obwohl ihm dies trotz der ladungsbedingten Sichtbehinderung möglich gewesen wäre, gestoßen sei.
Der Beklagte habe daher dem Kläger den entstandenen Schaden zu ersetzen.
Diese Entscheidung des Erstgerichtes blieb in ihrem klagsabweisenden Teil unangefochten; in ihrem klagsstattgebenden Teil wurde sie vom Beklagten mit Berufung bekämpft. Das Berufungsgericht verwarf die Berufung des Beklagten, soweit sie Nichtigkeit geltend machte. Im übrigen gab es mit dem angefochtenen Urteil diesem Rechtsmittel Folge und änderte die Entscheidung des Erstgerichtes im Sinne der vollinhaltlichen Abweisung des Klagebegehrens ab. Das Berufungsgericht sprach aus, daß die Revision an den Obersten Gerichtshof nicht zulässig sei. Es stellte nach Beweiswiederholung im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Zur Unfallszeit befand sich auf der linken Seite der Zufahrtstraße zum Betriebsgelände der Theresia H*** OHG zumindest ein Verkehrszeichen "Allgemeines Fahrverbot" mit einer rechteckigen weißen Zusatztafel folgenden Inhalts: "Zufahrt erfolgt auf eigene Gefahr. Für Beschädigungen von Fahrzeugen sowie für Unfälle von Personen wird jede Haftung abgelehnt. Theresia H*** OHG". Die Aufschrift der Zusatztafel war schlecht lesbar; zudem waren beide Tafeln teilweise durch Äste eines dort befindlichen Baumes verdeckt. Weiters war noch ein Vorschriftszeichen "Geschwindigkeitsbeschränkung 20 km/h" angebracht. Nach dem hier zu beurteilenden Verkehrsunfall wurde unmittelbar bei der Einfahrt noch ein weiteres Schild mit der Aufschrift "Arbeitsfahrzeuge haben Vorrang" angebracht.
Auf der rechten Seite der Einfahrt zum Betriebsgelände der Theresia H*** OHG stehen ausreichend Parkplätze für Firmenangehörige zur Verfügung. Die bei diesem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer wurden wiederholt vom Betriebsleiter durch Rundschreiben (Flugzettel, die auf den Windschutzscheiben der Fahrzeuge angebracht wurden) und auch mündlich darauf aufmerksam gemacht, daß sie mit ihrem Privatkraftfahrzeug das Betriebsgelände nicht befahren dürfen. Entgegen dieser betrieblichen Anweisung, die dem Kläger, einem Arbeitnehmer der Theresia H*** OHG, bekannt war, fuhr dieser wiederholt mit seinem PKW auf das Werksgelände. Ob er deswegen beanstandet wurde, kann nicht festgestellt werden. Die vom Kläger benützte werksinterne Straße führt von einem Bahngleis kommend in östliche Richtung. Im Bereich zwischen der Lagerhalle und der Werkshalle (Schlosserei) ist sie etwa 10 m breit. In ihrem weiteren Verlauf führt diese Straße zu einem Holzlagerplatz und zu weiteren Werkshallen.
Die vom Beklagten befahrene als Vorplatz bezeichnete Verkehrsfläche stellt die Fortsetzung der Zufahrtstraße vom Ortszentrum Vöcklamarkt in das Betriebsgelände der Theresia H*** OHG dar und kreuzt beim südöstlichen Eck der Lagerhalle in einem rechten Winkel die vom Kläger befahrene Verkehrsfläche. Dieser Vorplatz ist teils asphaltiert und teils mit Betonplatten befestigt. Er hat eine Breite von 35 bis 40 m und wird linksseitig - in Fahrtrichtung des Beklagten gesehen - zum Stapeln von Holz verwendet. Die westlich des Vorplatzes befindliche Lagerhalle ist 50 bis 60 m lang. Im Bereich ihrer südöstlichen Ecke befindet sich ein etwa 1,5 m hoher Steuerkasten, der für zwischen der Schlosserei und der Lagerhalle fahrende PKW-Lenker eine Sichtbehinderung darstellt. In diesem Bereich befindet sich ein Verkehrszeichen "Geschwindigkeitsbeschränkung 10 km/h".
Der vom Beklagten gelenkte Gabelstapler hat eine größte Länge von 2 m und eine größte Breite von 4,7 m. Rechtsseitig ist in einer Höhe von etwa 1,3 m ein Plateau befestigt und in der Mitte der Längsseite des Staplers befindet sich eine Seitenhubgabel, mit der sowohl ein Seitenhub als auch ein Vertikalhub ausgeführt werden kann. Links der Hubeinrichtung befindet sich ein geschlossenes rundum verglastes Führerhaus, das, was die Sitzposition des Fahrers betrifft, etwa einen Meter hinter der Front des Staplers liegt. Mit einem derartigen Gabelstapler kann eine Maximalgeschwindigkeit von 24 km/h erreicht werden; die erzielbare Bremsverzögerung beträgt 3 m/sec2.
Der Beklagte hatte zur Unfallszeit das seitlich angebrachte Hubgerät mit einem etwa 1,2 m hohen Holzstapel beladen, der ca 0,5 m über die Front des Staplers hinausragte. Der Beklagte hatte die Ladung etwa 10 m vor dem Ende der Lagerhalle aufgenommen und fuhr auf einen etwa 10 bis 15 m nach dem südlichen Eck der Lagerhalle stehenden LKW zu. Bedingt durch die Art der Beladung hatte der Beklagte freie Sicht nur nach vorne und nach links, während die Sichtmöglichkeit nach rechts auf etwa 18 bis maximal 30 Grad eingeschränkt war. Beim Fahren mit hochgehobener Ladung bestünde keine Sichtbehinderung nach rechts, sondern Sicht nach allen Seiten. Das Fahren mit hochgehobener Ladung ist aber - auch firmenintern - verboten, weil damit eine Instabilität des Fahrzeugs verbunden wäre. Der Beklagte lenkte den Gabelstapler mit einer Geschwindigkeit von etwa 10 km/h entlang der Ostseite der Lagerhalle in südlicher Richtung. Zur gleichen Zeit näherte sich der Kläger mit seinem PKW auf der etwa 10 m breiten werksinternen Straße der Kreuzung. Seine Annäherungsgeschwindigkeit betrug etwa 6 bis 8 km/h, sein Abstand zu der rechts befindlichen Werkstätte rund 3,5 m. Der Beklagte bemerkte infolge der Beladung des Staplers das Herannahen des PKW des Klägers nicht und fuhr mit unverminderter Geschwindigkeit weiter. Auch der Kläger reagierte zunächst nicht, sodaß es im Kreuzungsbereich zur Kollision der beiden Fahrzeuge kam, wobei der vom Beklagten gelenkte Stapler gegen den linken vorderen Kotflügel des PKW stieß. Die Kollisionsstelle lag - in Fahrtrichtung des Klägers gesehen - etwa 3 m nach der östlichen Begrenzung der Lagerhalle und - in Fahrtrichtung des Beklagten gesehen - ca 5 m nach dem südöstlichen Halleneck. Ob der Kläger vor der Kollision noch gehupt hat, kann nicht festgestellt werden. Im Anstoßzeitpunkt waren beide Fahrzeuge noch in Bewegung. Der Kollisionswinkel betrug etwa 90 Grad. Die Kollision erfolgte mit einer Überdeckung von etwa 40 bis 50 cm.
Der Kläger hätte das Herannahen des Gabelstaplers bereits erkennen können, als dieser rund 3,5 Sekunden vor der Kollision noch etwa 10 m von der Unfallstelle entfernt war. Bei der von ihm eingehaltenen Annäherungsgeschwindigkeit von 6 bis 8 km/h wäre ihm ein Anhalten vor dem Fahrzeug des Beklagten leicht möglich gewesen, zumal der Anhalteweg aus 8 km/h bei trockener Fahrbahn ca 2,6 m beträgt. Es wäre dem Kläger auch möglich gewesen, bei raschem Beschleunigen die Kreuzung noch vor dem Beklagten zu überqueren. Der Anhalteweg des vom Erstbeklagten gelenkten Gabelstaplers hätte 4 bis 4,5 m betragen, die Anhaltezeit etwa 1,9 bis 2,2 Sekunden. Infolge der Beladung konnte der Beklagte den PKW des Klägers aber erst unmittelbar vor der Kollision wahrnehmen; es war ihm daher eine unfallverhindernde Reaktion nicht möglich. Zu dem Zeitpunkt, als er etwa 2 bis 3 m in die vom Kläger benützte Verkehrsfläche hineinsehen konnte, war der PKW des Klägers noch außerhalb seines Sichtbereichs.
Rechtlich beurteilte das Berufungsgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, die StVO gelte für Straßen mit öffentlichem Verkehr und für Straßen ohne öffentlichen Verkehr insoweit, als andere Rechtsvorschriften oder die Straßenerhalter nichts anderes bestimmten. Sei die Benützung einer Straße nur bestimmten Personen oder einem bestimmten Personenkreis gestattet, handle es sich um eine Straße ohne öffentlichen Verkehr. Dies gelte insbesondere für Straßen im Gelände von Fabriken oder ähnlichen Unternehmen, die nur von Werksfahrzeugen oder von Fahrzeugen anderer Unternehmungen zu einem bestimmten Zweck, etwa zur Lieferung von Material oder zur Abholung von Erzeugnissen, befahren werden dürften. Der Straßenerhalter einer Straße ohne öffentlichen Verkehr dürfe Straßenverkehrszeichen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs verwenden. Primär seien für solche Verkehrsflächen die Anordnungen des Straßenerhalters maßgebend.
Im vorliegenden Fall habe die Theresia H*** OHG als Straßenerhalter durch Anbringung mindestens einer Fahrverbotstafel vor der Firmeneinfahrt und entsprechende dienstliche Anweisungen an ihrer Beschäftigten das Werksgelände vor dem Befahren durch Fremde und durch bei ihr beschäftigte Dienstnehmer abgesichert. Über dieses auch ihn betreffende Fahrverbot habe sich der Kläger hinweggesetzt, obwohl ihm die Unrechtmäßigkeit seines Verhaltens durchaus bewußt gewesen sei.
Der Lenker eines Kraftfahrzeuges, der eine Einbahnstraße entgegen der zulässigen Richtung befahre, der aus einer Straße mit allgemeinem Fahrverbot komme oder der unzulässigerweise auf einem Radfahrstreifen bzw einem Radweg fahre, könnne für sich keinen Vorrang in Anspruch nehmen, weil er damit rechnen müsse, daß die Lenker anderer Fahrzeuge darauf vertrauten, daß auf dieser Straße bzw aus dieser Richtung kein Fahrzeug komme bzw ein Radfahrstreifen oder Radweg nicht entgegen der Vorschrift des § 8 Abs 4 StVO von Kraftfahrzeugen befahren werde. Nichts anderes könne aber auch im Fall des unzulässigen Befahrens eines Betriebsgeländes für die betreffende Person gelten, da ansonsten die allein maßgebliche Anordnung des Straßenerhalters, deren Zweck eindeutig darauf gerichtet sei, den Verkehr in seinem Betriebsgelände auf Werksfahrzeuge und Fahrzeuge anderer Unternehmungen, die Zulieferungen oder Ablieferungen durchzuführen hätten, zu beschränken, jedwede Bedeutung verlieren würde, was eine völlig unzumutbare Beeinträchtigung des innerbetrieblichen Verkehrs zur Folge hätte. Unter diesen Voraussetzungen habe auch der Beklagte, der mit einem Hubstapler seines Dienstgebers unterwegs gewesen sei, nicht mit der Anwesenheit von betriebsfremden Personen und auch von Betriebsangehörigen mit ihren Privatfahrzeugen im Werksgelände rechnen müssen. Er habe vielmehr annehmen dürfen, daß sich Personen, die sich des öfteren im Betrieb aufgehalten hätten, mit den dortigen Vorgängen, insbesondere mit dem häufigen Befahren des Unfallsbereichs durch Hubstapler der Theresia H*** OHG, vertraut seien und diesen Vorgängen auch entsprechend Beachtung schenkten. Der Kläger könne sich somit nicht darauf berufen, daß ihm der "Rechtsvorrang" gegenüber dem Beklagten zugekommen wäre, da letzterer zum Zeitpunkt des Unfalls eine betriebliche Arbeit verrichtet habe und damit berechtigterweise das werksinterne Straßennetz der Theresia H*** OHG beützt habe. Der Kläger wäre daher jedenfalls verpflichtet gewesen, die Vorbeifahrt des vom Beklagten gelenkten Hubstaplers abzuwarten. Dieser Wartepflicht habe er nicht entsprochen. Im übrigen hätte er sogar bei einem raschen Beschleunigen noch vor dem Beklagten gefahrlos die Kreuzung überqueren können. Darin sei sein Verschulden zu erblicken. Hingegen könne dem Beklagten kein haftungsbegründendes Mitverschulden angelastet werden, weil ihm ab Erkennbarkeit der Gefahr eine unfallsverhindernde Reaktion nicht mehr möglich gewesen sei, zumal er infolge der Beladung des Staplers nach rechts nur eine eingeschränkte Sichtmöglichkeit gehabt habe und er den PKW des Klägers erst unmittelbar vor der Kollision wahrnehmen habe können. Auch aus der Art der Beladung, die zu der Sichtbehinderung geführt habe, könne dem Beklagten kein Schuldvorwurf gemacht werden, weil ein Staplerfahrer in der Regel auf Art, Menge und Ausmaß des zu ladenden Materials keinen Einfluß nehmen könne und sich seine Tätigkeit darauf beschränke, das vorgesehene Ladegut aufzunehmen und an seinen Bestimmungsort zu bringen. Den Kläger treffe somit das alleinige Verschulden an dem hier zu beurteilenden Unfall, sodaß das Klagebegehren abzuweisen sei.
Seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision nach § 502 Abs 2 Z 1 ZPO begründete das Berufungsgericht damit, daß es von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht abgewichen sei und der Lösung der entscheidungswesentlichen Rechtsfrage des Rechtsvorranges eines Privat-PKW in einem Betriebsgelände keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers. Er bekämpft sie aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes abzuändern.
Der Beklagte, dem gemäß § 508a Abs 2 ZPO die Beantwortung der Revision freigestellt wurde, hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, die Revision des Klägers als unzulässig zurückzuweisen, allenfalls ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen der in der Revisionsbeantwortung des Beklagten vertretenen Ansicht gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig, weil, wie sich aus den folgenden Rechtsausführungen ergibt, die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit erhebliche Bedeutung im Sinne dieser Gesetzesstelle zukommt. Sie ist auch sachlich teilweise berechtigt.
Vorwegzunehmen ist, daß zur Frage der sachlichen Zuständigkeit des Erstgerichtes infolge der rechtskräftigen Verwerfung der Berufung des Beklagten, soweit sie Nichtigkeit geltend machte, nicht mehr Stellung genommen werden kann.
Das Berufungsgericht ist zutreffend und vom Revisionswerber unwidersprochen davon ausgegangen, daß es sich bei den Verkehrsflächen im Betriebsgelände der Theresia H*** OHG um Straßen ohne öffentlichen Verkehr im Sinne des § 1 Abs 2 StVO handelt, für die nach dieser Bestimmung die Vorschriften der StVO insoweit zu gelten haben, als andere Rechtsvorschriften oder der Straßenerhalter nichts anderes bestimmen (siehe dazu Dittrich-Stolzlechner, StVO3 § 1 Anm 11 und die dort zitierte Judikatur).
Aus den Feststellungen des Berufungsgerichtes ergibt sich, daß dem Kläger durch ausdrückliche Anordnung der Betriebsleitung der Theresia H*** OHG das Befahren des Betriebsgeländes mit seinem PKW verboten war. Die Übertretung dieses Verbotes, ohne die es nicht zu dem hier zu beurteilenden Verkehrsunfall gekommen wäre, ist dem Kläger als Verschulden anzulasten.
Der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichtes, daß der Beklagte bei seiner Fahrt mit dem Hubstapler im Betriebsgelände der Theresia H*** OHG nicht der im § 19 Abs 1 StVO normierten Rechtsregel unterworfen gewesen sei, kann allerdings nicht beigetreten werden.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes waren von der Theresia H*** OHG zur Unfallszeit den Vorrang von Fahrzeugen im Betriebsgelände betreffende Anordnungen nicht erlassen worden. Der Oberste Gerichtshof hat, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte, wiederholt entschieden, daß der Lenker eines Fahrzeuges, der aus einer Straße kommt, für die ein allgemeines Fahrverbot gilt, nicht den Rechtsvorrang für sich in Anspruch nehmen kann (ZVR 1975/24 ua). Der dafür maßgebliche Gesichtspunkt war, daß ein solcher Fahrzeuglenker damit rechnen muß, daß die Lenker anderer Fahrzeuge darauf vertrauen, daß aus einer solchen Straße kein Fahrzeug kommt. Allein ein derartiges allgemeines Fahrverbot, das die Anwendung dieses in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zum Ausdruck gebrachten Grundsatzes auf den vorliegenden Fall rechtfertigen könnte, bestand nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes für das Betriebsgelände der Theresia H*** OHG nicht. Nach diesen Feststellungen befand sich unter dem auf der Zufahrtstraße zum Betriebsgelände angebrachten Verkehrszeichen nach § 52 lit a Z 1 StVO eine Zusatztafel, nach deren Inhalt die Zufahrt auf eigene Gefahr erfolgte, was bedeutet, daß die Zufahrt jedenfalls nicht generell untersagt war. Unter diesen Umständen mußte aber auch innerhalb des Werksgeländes mit dem Verkehr von werksfremden Fahrzeugen sehr wohl gerechnet werden, sodaß dort mangels anderer Anordnung des Straßenerhalters die Rechtsregel des § 19 Abs 1 StVO zu gelten hatte.
Dies bedeutet entgegen der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichtes, daß der Beklagte verpflichtet war, dem Kläger den ihm zukommenden Rechtsvorrang einzuräumen. Soweit sich der Beklagte durch die Art der Beladung des von ihm gelenkten Hubstaplers außerstande setzte, ein von rechts kommendes Fahrzeug rechtzeitig wahrzunehmen, geht dies ausschließlich zu seinen Lasten. Es ist Sache des Wartepflichtigen, sich so zu verhalten, daß er den bevorrangten Verkehr in seiner tatsächlichen Gestaltung rechtzeitig wahrnehmen und seiner Wartepflicht nachkommen kann. Unter diesen Umständen erscheint dem erkennenden Senat eine Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 1 gerechtfertigt, weil sowohl dem Kläger als auch dem Beklagten ein schuldhaftes Fehlverhalten von annähernd gleichem Gewicht anzulasten ist. Der Beklagte hat daher dem Kläger die Hälfte des ihm entstandenen Schadens zu ersetzen; das Mehrbegehren des Klägers ist abzuweisen.
Der Vollständigkeit halber ist noch auszuführen, daß der Beklagte daraus, daß die Theresia H*** OHG auf der erwähnten Zusatztafel jede Haftung für die Beschädigung von Fahrzeugen ablehnte, schon deswegen nichts zu seinen Gunsten ableiten kann, weil es sich hier nicht um die Beurteilung der Frage handelt, ob die Theresia H*** OHG für den dem Kläger entstandenen Schaden einzustehen hat, sondern ausschließlich um eine den Beklagten treffende Verschuldenshaftung.
Es war daher in teilweiser Stattgebung der außerordentlichen Revision des Klägers wie im Spruch zu entscheiden.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens in erster Instanz beruht auf § 43 Abs 1 ZPO, die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens auf den §§ 43 Abs 1, 50 ZPO.
Anmerkung
E16997European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0020OB00033.89.0314.000Dokumentnummer
JJT_19890314_OGH0002_0020OB00033_8900000_000