Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Dietmar Strimitzer und Helga Kaindl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Gebrüder H*** Gesellschaft mbH & Co KG, Tiefbauunternehmung, Großraming 170, vertreten durch Dr. Walter Lanner, Rechtsanwalt in Steyr, wider die beklagte Partei Georg S***, Arbeiter, Ardning, Frauenberg 59, vertreten durch Dr. Gustav Teicht und Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 66.006,70 sA (Revisionsstreitwert S 34.805,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Oktober 1988, GZ 8 Ra 75/88-58, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 9. Februar 1988, GZ 22 Cga 53/87-52, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie unter Einbeziehung des unangefochtenen Teiles insgesamt zu lauten haben:
"Das Klagebegehren, die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 66.006,70 samt 4 % Zinsen seit 11. September 1985 zu zahlen, wird abgewiesen."
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 6.547,20 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit S 2.120,-- bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz sowie die mit S 5.329,75 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 2.500,-- Barauslagen und 857,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte war als Kraftfahrer im Unternehmen der Klägerin beschäftigt. Am 23. April 1985 hatte er mit einem dreiachsigen LKW Materialtransporte durchzuführen. Gegen 19.00 Uhr fuhr der Beklagte auf der Bundesstraße 336 bei Zeltweg trotz Einhaltung eines entsprechenden Tiefenabstandes auf einen vor ihm fahrenden, gleichfalls der Klägerin gehörenden LKW auf, als dieser abgebremst wurde. Dadurch erwuchs der Klägerin ein Schaden von insgesamt S 234.020,10.
Die Klägerin begehrt einen Betrag von S 66.006,70 sA und macht damit ein Drittel ihres Schadens abzüglich eines einbehaltenen Lohnbetrages von S 12.000,-- geltend. Dem Beklagten sei grobe Fahrlässigkeit anzulasten.
Der Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Zu dem Unfall sei es gekommen, weil das Fahrzeug, auf das der Beklagte aufgefahren sei, abrupt abgebremst worden sei und die Bremsen des vom Beklagten gelenkten LKW nicht funktioniert hätten. Der Beklagte habe am Unfallstag um 6.00 Uhr zu arbeiten begonnen und sei zur Unfallszeit bereits 13 Stunden eingesetzt gewesen; dadurch sei es zu einer für den Beklagten nicht merkbaren Verringerung der Konzentrationsfähigkeit gekommen. Das Verhalten des Beklagten sei daher als entschuldbare Fehlleistung zu qualifizieren. Der Klägerin sei hingegen ein Mitverschulden von sieben Achtel am Zustandekommen des Unfalles anzulasten.
Das Erstgericht gab der Klage mit S 34.805,-- sA statt und wies das Mehrbegehren von S 31.201,70 sA ab. Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:
Der am 24. November 1963 geborene Beklagte ist gelernter Tischler. Er war seit 13. Februar 1985 bei der Klägerin beschäftigt. Anfangs war er als Hilfsarbeiter tätig. Den Führerschein für die Gruppen A, B und C erwarb der Beklagte am 22. Juni 1982, den für die Gruppe E (LKW mit Anhänger) am 10. Jänner 1985. Vor dem März 1985 fuhr der Beklagte mit kleineren LKW, ab diesem Zeitpunkt mit großen LKW samt Anhänger.
Der Beklagte erhielt einen Monatslohn von S 11.000,--. Pro Woche waren rund 20 Überstunden zu leisten. Überdies erhielt der Beklagte ein Trennungsgeld von S 3.500,-- bis S 4.000,--. Der Beklagte wohnt mit seiner Lebensgefährtin bei deren Eltern, wo er S 1.000,-- Kostgeld zu leisten hat. Die Lebensgefährtin des Beklagten bezieht kein Einkommen. Der Beklagte hat für ein außereheliches Kind von zwei Jahren zu sorgen und besitzt kein Vermögen. Nunmehr ist er als Tischler beschäftigt und verdient rund S 7.600,-- monatlich. Am 23. April 1985 nahm der Beklagte gegen 6.00 Uhr früh seine Arbeit auf der Baustelle Aichdorf-Flatschach auf. Er führte ständig mit dem dreiachsigen LKW Schotterfuhren durch. Die Stehzeiten waren kurz. Lediglich zu Mittag legte der Beklagte eine Arbeitspause von einer Stunde ein. Bis gegen 18.00 Uhr führte der Beklagte Schotter, sodann Humus. Mit seinem letzten Einsatz an diesem Tag sollte der Beklagte eine Fuhr Humus von der Baustelle Aichdorf-Flatschach zum Baubüro beim Österreichring in Zeltweg bringen. Der ebenfalls bei der Klägerin beschäftigte Kraftfahrer Ferdinand B*** fuhr mit einem gleichfalls mit Humus beladenen LKW vor dem Beklagten. Der Beklagte hielt einen ausreichenden Tiefenabstand von etwa 30 Metern ein. Vor dem von Ferdinand B*** gelenkten LKW fuhr ein PKW, dessen Lenker nach links abbiegen wollte, sich zur Mitte einordnete und den linken Blinker betätigte. Als er wegen Gegenverkehrs anhalten mußte, verminderte Ferdinand B*** die Geschwindigkeit des LKW durch Gaswegnehmen in knapp zwei Sekunden von 72,1 km/h auf 70,7 km/h, nahm dann eine leichte und anschließend eine starke Bremsung vor, die auf einer Strecke von 82 Metern in 6,2 Sekunden zu einer Verminderung der Geschwindigkeit auf 18,3 km/h führte. Der Beklagte betätigte erst mindestens 3,42 Sekunden nach Aufleuchten der Bremslichter des vor ihm fahrenden LKW die Bremsen seines Fahrzeuges, wodurch die Antriebsräder kurzzeitig blockierten. Der vom Beklagten gelenkte LKW stieß sodann mit der rechten Seite des Fahrerhauses gegen die linke hintere Ecke des vor ihm fahrenden LKW. Die Anstoßgeschwindigkeit betrug 45 km/h. Zum Zeitpunkt des Anstoßes war der PKW bereits abgebogen. Die Bremse des vom Beklagten gelenkten LKW hat nicht versagt.
Im Rahmen der Ausführungen zur Rechtsrüge traf das Erstgericht die weitere Feststellung, daß der Beklagte übermüdet war und nicht mehr jene Aufmerksamkeit aufbrachte, die erforderlich gewesen wäre, um rechtzeitig auf die Bremsung des vor ihm fahrenden Fahrzeuges zu reagieren; es hätte dem Kläger bewußt sein müssen, daß er infolge seiner Übermüdung nicht mehr fahrtüchtig war.
Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß dem Beklagten im Hinblick auf die sehr erhebliche Reaktionsverzögerung grobe Fahrlässigkeit anzulasten sei. Berücksichtige man, daß das Lenken eines Schwerlastkraftwagens zu den schadensgeneigten Tätigkeiten zähle, daß das Wagnis mit einem Monatsentgelt von S 11.000,-- zuzüglich Diäten nur unzureichend abgegolten worden sei, daß der Beklagte nahezu keine Erfahrung mit dem Lenken von schweren LKW hatte und daß der Beklagte im Hinblick auf seinen längeren Einsatz übermüdet gewesen sei, sei eine Mäßigung des von ihm zu leistenden Ersatzes auf ein Fünftel des entstandenen Schadens gerechtfertigt. Das Berufungsgericht bestätigte das von beiden Parteien bekämpfte Ersturteil. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und vertrat die Rechtsauffassung, daß der Klägerin ein 50 %iges Mitverschulden anzulasten sei, weil sie durch den nach § 14 AZG unzulässigen Einsatz des Beklagten dessen Übermüdung herbeigeführt habe. Andererseits habe die Übermüdung auch dem Beklagten bewußt sein müssen. Werde die Übermüdung des Beklagten bereits im Rahmen der Verschuldensteilung berücksichtigt, könne sie nicht nochmals bei der Mäßigung in Anschlag gebracht werden. Die auf den Kläger entfallende Hälfte des Schadens sei daher nur auf zwei Fünftel (und damit ein Fünftel des Gesamtschadens) zu mäßigen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Die behauptete Mangelhaftigkeit liegt nicht vor
(§ 510 Abs 3 ZPO). Daß dem Kläger seine Übermüdung bewußt sein mußte, hat das Erstgericht aus dem festgestellten Tagesablauf gefolgert; diese als Feststellung anzusehende Schlußfolgerung hat das Berufungsgericht übernommen. Mit seinen Einwänden gegen diese Feststellung bekämpft der Revisionswerber daher in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Vorinstanzen.
Zu Recht wendet sich der Revisionswerber hingegen mit seiner Rechtsrüge gegen die Ausmessung des vom Kläger zu leistenden Ersatzbetrages durch die Vorinstanzen. Der Kläger war auf Anordnung seines Arbeitgebers im Unfallszeitpunkt - nach Abzug der einstündigen Mittagspause - bereits rund 12 Stunden als Lenker eines schweren LKW eingesetzt. Durch diesen gegen §§ 14 Abs 2 und 15 AZG verstoßenden und nicht nur das eingesetzte Fahrzeug, sondern auch den Lenker und andere Verkehrsteilnehmer gefährdenden Einsatz wurde die zum Auffahrunfall führende Übermüdung des Klägers verursacht. Dem Kläger ist dagegen lediglich anzulasten, daß er sich diesen gesetzwidrigen Anordnungen seines Arbeitgebers nicht widersetzte. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes ist bei dieser Sachlage dem Arbeitgeber das weit überwiegende Verschulden am Unfall anzulasten und tritt das Mitverschulden des Klägers demgegenüber fast völlig in den Hintergrund. Mäßigt man diesen geringen gemäß § 1304 ABGB vom Kläger zu tragenden - von diesem mit einem Achtel nicht zu niedrig angesetzten - Anteil (vgl. Csebrenyak, Geppert, Maßl, Rabofsky, ABGB und Arbeitsrecht, 345 f; Dirschmied, Dienstnehmerhaftpflichtgesetz 71 und 82) sodann unter Beachtung der für den Kläger zutreffenden persönlichen Mäßigungskriterien nach § 2 Abs 1 Satz 2 erster Halbsatz DHG (vgl. Dirschmied aaO, 70) - insbesondere der Schadensgeneigtheit der Tätigkeit des Klägers und der das übernommene Wagnis nur sehr unzureichend abgeltenden Entlohnung - dann ist ein höherer Ersatz als der ohnehin vom Arbeitgeber vorgenommene Lohnabzug von S 12.000,-- jedenfalls nicht gerechtfertigt.
Der Revision war daher Folge zu geben und Urteile der Vorinstanzen im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung abzuändern. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E16907European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:009OBA00038.89.0315.000Dokumentnummer
JJT_19890315_OGH0002_009OBA00038_8900000_000