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62 Arbeitsmarktverwaltung;Norm
AlVG 1977 §20;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der A in W, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Favoritenstraße 108/3, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 25. Mai 2005, Zl. LGSW/Abt. 3-AlV/1218/56/2004-4874, betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Notstandshilfe vom 25. Mai 2004 mangels Notlage gemäß § 33 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG) abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass eine der Voraussetzungen für den Bezug von Notstandshilfe gemäß § 33 AlVG das Vorliegen von Notlage sei. Diese sei dann gegeben, wenn das Einkommen des Arbeitslosen oder dessen Ehepartners/Lebensgefährten zur Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse nicht ausreiche. Zur Beurteilung, ob Notlage gegeben sei, sei nach den Bestimmungen der Notstandshilfeverordnung auch das Einkommen des Ehepartners/Lebensgefährten unter Berücksichtigung von Freigrenzen und möglichen Freigrenzenerhöhungsgründen heranzuziehen. Bei dieser Berechnung würden vom Nettoeinkommen des Partners die Werbekostenpauschale sowie die sogenannten Freigrenzen abgezogen. Bei der Freigrenze handle es sich um einen fixen Betrag, der dem Partner zur freien Verfügung verbleiben müsse; dieser betrage im Jahr 2004 EUR 441,--. Weitere Freigrenzen in der Höhe von jeweils EUR 220,50 würden für jedes Kind gewährt, für das Unterhaltspflicht bestehe. Unter Zugrundelegung der Arbeitsbescheinigung des Ehepartners der Beschwerdeführerin und Berücksichtigung des unterhaltsberechtigten Sohnes ergebe sich für den Zeitraum vom 25. Mai 2004 bis 31. Mai 2004 ein Anrechnungsbetrag von EUR 18,03 täglich. Der tägliche Notstandshilfeanspruch der Beschwerdeführerin ohne Anrechnung betrüge EUR 17,66. Das anrechenbare Einkommen des Partners der Beschwerdeführerin übersteige daher die ihr an sich gebührende Notstandshilfe. Für den Zeitraum ab 1. Juni 2004 ergebe sich ein Anrechnungsbetrag von EUR 18,18 täglich, welcher ebenfalls die der Beschwerdeführerin an sich gebührende Notstandshilfe übersteige. Zu den Berufungseinwendungen der Beschwerdeführerin, wonach die Eltern ihres Mannes in Bosnien arbeitslos und ohne jegliches Einkommen seien und sie vom Ehemann der Beschwerdeführerin mit EUR 200,-- monatlich unterstützt würden, führt die belangte Behörde aus, dass "eine eventuelle finanzielle Leistung" durch den Ehemann der Beschwerdeführerin an dessen Eltern in Bosnien "nicht berücksichtigt werden konnte".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Notstandshilfe ist im fraglichen Zeitraum (ab dem 25. Mai 2004) nach der Notstandshilfeverordnung in der Fassung BGBl. II Nr. 490/2001 zu bemessen. § 6 Abs. 1 und 2 der Notstandshilfeverordnung lautet:
"§ 6. (1) Bei Heranziehung des Einkommens des Ehepartners (Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) des (der) Arbeitslosen für die Beurteilung der Notlage ist wie folgt vorzugehen: Von dem Einkommen ist ein Betrag freizulassen, der zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhaltes des Ehepartners (Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) und der allenfalls von ihm zu versorgenden Familienmitglieder bestimmt ist (Freigrenze). Der die Freigrenze übersteigende Teil des Einkommens ist auf die Notstandshilfe anzurechnen.
(2) Die Freigrenze beträgt pro Monat 430 Euro für den das Einkommen beziehenden Ehepartner (Lebensgefährten bzw. die Lebensgefährtin) und die Hälfte dieses Betrages für jede Person, für deren Unterhalt der Ehepartner (Lebensgefährte bzw. die Lebensgefährtin) auf Grund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht tatsächlich wesentlich beiträgt."
2. Die Beschwerdeführerin hat in der Berufung vorgebracht, dass ihr Ehemann seine in Bosnien lebenden Eltern, die beide arbeitslos und ohne jegliches Einkommen seien, monatlich mit EUR 200,-- unterstütze. Dieser Betrag werde jeden Monat zur Verfügung gestellt, "um das normale Leben der Eltern zu gewährleisten". Zusätzlich werde vom Ehemann der Beschwerdeführerin "auch regelmäßig Geld an seine Eltern geschickt, um Zusatzkosten abzudecken".
Damit hat die Beschwerdeführerin ein Tatsachenvorbringen erstattet, auf Grund dessen die belangte Behörde im Rahmen ihrer Verpflichtung zur amtswegigen Sachverhaltsermittlung hätte feststellen müssen, ob die von der Beschwerdeführerin behaupteten Zahlungen ihres Ehemannes tatsächlich geleistet werden und ob er damit zum Unterhalt für seine Eltern auf Grund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht wesentlich beiträgt. Dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren sich auf das Vorliegen einer Unterhaltsverpflichtung - und nicht auf bloß freiwillig geleistete Unterstützungszahlungen - bezog, ergibt sich schon aus dem in der Berufung enthaltenen Ersuchen der Beschwerdeführerin, die belangte Behörde möge ihr mitteilen, welche Unterlagen sie benötigen würde, "um diese Unterhaltszahlung ... zu belegen".
3. Die belangte Behörde hat zur Frage, ob der Ehemann der Beschwerdeführerin auf Grund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht tatsächlich wesentlich zum Unterhalt seiner Eltern beiträgt, kein Ermittlungsverfahren durchgeführt und im angefochtenen Bescheid ohne nähere Konkretisierung, insbesondere ohne Angabe einer diesbezüglichen Rechtsvorschrift, festgehalten, dass "eine eventuelle finanzielle Leistung" durch den Ehemann der Beschwerdeführerin an dessen Eltern in Bosnien nicht habe berücksichtigt werden können.
In der Gegenschrift führt die belangte Behörde aus, dass bei der Bestimmung des unterhaltsberechtigten Personenkreises, für welchen gemäß § 6 Abs. 2 Notstandshilfeverordnung eine Freigrenze gewährt werden könne, "analog zu den Bestimmungen zum Familienzuschlag" nur jene Personen einzubeziehen wären, deren Hauptwohnsitz in Österreich sei bzw. wenn zwischenstaatliche Abkommen Anderes bestimmen würden.
Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass § 6 Abs. 2 Notstandshilfeverordnung ausschließlich darauf abstellt, ob der Ehepartner auf Grund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht tatsächlich wesentlich zum Unterhalt der jeweiligen Personen beiträgt. Eine Einschränkung, wonach derartige Unterhaltsleistungen nur dann eine Freigrenze begründen würden, wenn die unterhaltsberechtigte Person ihren Hauptwohnsitz in Österreich habe, lässt sich der Verordnung ebenso wenig entnehmen wie der ihr zu Grunde liegenden Verordnungsermächtigung des § 36 AlVG i.V.m. § 33 Abs. 3 AlVG. Für die analoge Heranziehung der Bestimmungen über die Familienzuschläge nach § 20 AlVG besteht damit vor dem Hintergrund des klaren Wortlauts der Notstandshilfeverordnung sowie der Verordnungsermächtigung in § 36 AlVG keine Grundlage.
4. Daran ändert es auch nichts, wenn die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift meint, dass ein Ermittlungsverfahren hinsichtlich der Unterhaltspflicht für Angehörige mit Wohnsitz im Ausland faktisch undurchführbar sei. Abgesehen davon, dass die Beschwerdeführerin im gegenständlichen Fall ausdrücklich die Vorlage entsprechender Belege angeboten hat, kann der Umstand, dass sich die Beweissituation bei der Beurteilung von Unterhaltszahlungen bzw. Unterhaltsverpflichtungen für Personen mit dem Wohnsitz im Ausland anders darstellt als hinsichtlich Personen mit inländischem Wohnsitz, gegebenenfalls bei der Würdigung von Beweisen sowie bei der die Antragsteller treffenden Mitwirkungspflicht berücksichtigt werden (vgl. zur Berücksichtigung von Unterhaltszahlungen an im Ausland lebende Personen auch das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 2001, Zl. 97/08/0610).
5. Da die belangte Behörde ausgehend von der unzutreffenden Rechtsansicht, auf Grund einer rechtlichen oder tatsächlichen Pflicht tatsächlich geleistete (wesentliche) Unterhaltszahlungen für im Ausland wohnende Personen könnten nicht mit einer Freigrenze gemäß § 6 Abs. 2 Notstandshilfeverordnung berücksichtigt werden, weitere Ermittlungen über das Vorliegen derartiger Leistungen im Beschwerdefall unterlassen hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Das den in dieser Verordnung vorgesehenen Pauschbetrag für Schriftsatzaufwand, in dem die Umsatzsteuer bereits enthalten ist, übersteigende Kostenbegehren der Beschwerdeführerin war abzuweisen.
Wien, am 19. Oktober 2005
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2005080118.X00Im RIS seit
24.11.2005