Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 16. März 1989 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hörburger, Dr. Brustbauer, Dr. Kuch und Dr. Markel als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Telfser als Schriftführers in der Strafsache gegen Siegfried P*** wegen des Verbrechens des versuchten Totschlags nach §§ 15, 76 StGB. über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengerichts vom 9. Jänner 1989, GZ. 12 Vr 1297/88-49, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil sprach das Landesgericht Klagenfurt als Schöffengericht seine Unzuständigkeit zur Verhandlung und Entscheidung über die gegen Siegfried P*** erhobene Anklage wegen Verbrechens des versuchten Totschlags nach §§ 15, 76 StGB. aus. In dieser Anklage wird Siegfried P*** zur Last gelegt, am 6. Juli 1988 in Villach versucht zu haben, Kamilla G*** durch Versetzen mehrerer Messerstiche in die Brust und in den Rücken sowie mittels Durchtrennung der Kehle zu töten, wobei er sich zur Tat in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung hinreißen ließ. Entgegen der Annahme der Anklagebehörde ist das Schöffengericht davon ausgegangen, daß Umstände für die Annahme einer allgemeinen Begreiflichkeit der Gemütsbewegung nicht vorlägen, weshalb vom hiefür zuständigen Geschwornengericht zu prüfen sei, ob der Angeklagte das Verbrechen des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB. zu verantworten habe.
Rechtliche Beurteilung
Die aus dem Grund des § 281 Abs. 1 Z. 6 StPO. erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht berechtigt. Gemäß § 261 Abs. 1 StPO. spricht das Schöffengericht seine Nichtzuständigkeit aus, wenn es erachtet, daß die der Anklage zugrundeliegenden Tatsachen an sich oder in Verbindung mit den in der Hauptverhandlung hervorgetretenen Umständen eine zur Zuständigkeit des Geschwornengerichts gehörige strafbare Handlung begründen. Demnach trifft die Verpflichtung zum Ausspruch der Unzuständigkeit das Schöffengericht bereits dann, wenn es zumindest den Verdacht eines in die Zuständigkeit des Geschwornengerichts fallenden Delikts als gegeben ansieht (LSK. 1979/335; 12 Os 181/82). Daß das Schöffengericht eine solche strafbare Handlung für erwiesen hält, ist nicht erforderlich; doch muß es sich beim bezüglichen Verdacht um eine nach Maßgabe der Beweiswürdigung des erkennenden Gerichts echte - mit den Denkgesetzen und der allgemeinen Lebenserfahrung zu vereinbarende - Alternative handeln. Zu dieser Annahme bedarf es zwar nicht eines eindeutigen Schuldnachweises: ein sogenannter "Anschuldigungsbeweis", also der über bloße Zweifel daran, daß es sich bei der inkriminierten Tat wirklich nur um ein in die Kompetenz des Schöffengerichts fallendes Delikt handle, hinausgehende Nachweis von Verdachtsgründen für eine von der Anklageschrift abweichende Sachverhaltsvariante, nach der die betreffende Tat eine zur Zuständigkeit des Geschwornengerichts gehörige strafbare Handlung begründen würde und die sich demnach als eine - unbeschadet ihres Wahrscheinlichkeitsgrads jedenfalls denkbare und mit der allgemeinen Lebenserfahrung zu vereinbarende - echte Alternative zu dem in der Anklage angenommenen Geschehensablauf darstellt, reicht vielmehr aus (13 Os 167/76 = LSK. 1977/86, SSt. 56/9 u.a.).
Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht einerseits darauf verwiesen, daß eine "Möglichkeit" für eine in die Zuständigkeit des Geschwornengerichts fallende, als Mordversuch zu qualifizierende Tat bestehe (vgl. S. 368); andererseits hat es aber - obwohl ein Unzuständigkeitsurteil besser keine über die Begründung der Verdachtsmomente hinausgehenden Feststellungen enthalten sollte, um insoweit jede Möglichkeit einer psychologischen Beeinflussung der Geschwornen auszuschalten (10 Os 167/82) - aus den Ausführungen der Anklage und dem Akteninhalt auch den Schluß gezogen, daß (überhaupt) keine Umstände vorlägen, die einen zur Tat führenden eventuellen Affekt des Angeklagten allgemein begreiflich erscheinen ließen (S. 367). Was den "Akteninhalt" betrifft, so besteht dieser ersichtlich nur in dem vom Erstgericht verlesenen (S. 359) Gutachten des Sachverständigen Dr. S***, der beweiswürdigend auch zur Rechtsfrage der allgemeinen Begreiflichkeit der Gemütsbewegung Überlegungen angestellt hat. Zwar hat ein Sachverständiger nur auf der Grundlage seiner Persönlichkeitsdiagnose durch die Exploration der Gefühle und der Reaktionsabläufe die Tatsachengrundlage für die Wertung durch den Richter zu klären. Doch trifft es zu, daß der Anklageschrift auch eine Sachverhaltsvariante zu entnehmen ist, nach der die Tat als Verbrechen des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB. beurteilt werden könnte.
Die allgemein begreifliche heftige Gemütsbewegung des § 76 StGB. ist in zwei Richtungen abzugrenzen: einerseits dahin, daß dieser Gemütszustand im Verhältnis zu seinem Anlaß jedermann verständlich ist, d.h. daß der Durchschnittsmensch sich vorstellen kann, auch er wäre in der Lage des Täters, genauer: in der psychischen Spannung, welcher der Täter ausgesetzt war, in eine solche Gemütsverfassung geraten; andererseits dahin, daß es danach jedermann verständlich ist, daß diese Gemütsbewegung, ein dynamischer Vorgang, schließlich (sei dies auch innerhalb kürzester Zeit) in eine Endphase mündete, in der sich der Täter zu einer vorsätzlichen Tötung hinreißen ließ. Damit ist nicht die vorsätzliche Tötung als solche, noch weniger deren im Einzelfall abstoßende oder grausame Ausführung, in die allgemeine Begreiflichkeit (in die Verständlichkeit für den Durchschnittsmenschen) einbezogen (EvBl. 1982/80).
Wie in der Nichtigkeitsbeschwerde zwar zutreffend angeführt wird, liegen Umstände vor, die für die Annahme einer allgemeinen Begreiflichkeit der Gemütsbewegung sprechen. Die in der Anklageschrift geschilderten Tatsachen, insbesondere Art und Hergang der Aussprachen zwischen dem Angeklagten und Kamilla G***, der Zeitraum zwischen diesen Gesprächen und der Tat sowie deren Verlauf (der Angeklagte hatte auch versucht, mit dem Messer die Kehle der G*** zu durchtrennen), reichen aber für die Beurteilung nicht aus, daß der Angeklagte ausschließlich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung gehandelt habe. Diese Verfahrensergebnisse lassen bei Anlegung eines realitätsbezogenen Maßstabes vielmehr auch die Annahme als naheliegend erscheinen, daß mangels einer solchen, die Tat als Mordversuch zu beurteilen ist. Damit war aber die offenbar unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 285 d Abs. 1 Z. 2 StPO.).
Anmerkung
E16726European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0130OS00018.89.0316.000Dokumentnummer
JJT_19890316_OGH0002_0130OS00018_8900000_000