Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 16.März 1989 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hörburger, Dr. Brustbauer (Berichterstatter), Dr. Kuch und Dr. Markel als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Telfser als Schriftführers in der Strafsache gegen Günter G*** und eine andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 StGB. über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Günter G*** gegen das Urteil des Geschwornengerichts beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 14. November 1988, GZ 20 d Vr 6260/88-36, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Bassler, des Angeklagten Günter G*** und des Verteidigers Dr. Kojer zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Der am 29.Mai 1960 geborene, beschäftigungslose Autospengler Günter G*** wurde des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143, zweiter Fall, StGB. schuldig erkannt. Seine der Mittäterschaft angeklagte Begleiterin, die 24-jährige Aushilfskellnerin Andrea T***, wurde unangefochten wegen des Verbrechens des räuberischen (schweren) Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z. 1, 131, erster Fall, StGB. verurteilt. Nach dem Wahrspruch der Geschwornen hat Günter G*** am 23.Juni 1988 in Wien mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben unter Verwendung einer Waffe dadurch, daß er ein Messer gegen Mladen M*** richtete, ihm die linke Brusttasche seines Hemdes abriß und ihm einen Schlag gegen den Kopf versetzte, während die Begleiterin des Angeklagten mit Mladen M*** raufte und einen Teil seines Bargelds an sich brachte, Mladen M*** eine fremde bewegliche Sache mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.
Rechtliche Beurteilung
Der Angeklagte hat Nichtigkeitsbeschwerde aus § 345 Abs 1 Z. 6, 8, 9, 10, 10 a und 12 StPO. ergriffen.
Eine Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung (Z. 6) erblickt der Beschwerdeführer in dem Umstand, daß in der Hauptfrage
(1) alle gegen M*** gesetzten Gewalttaten zusammengefaßt sind, während nach den "Beweisergebnissen" ein Teil derselben erst später und gesondert gesetzt worden sei. Wegen der letztgenannten Handlungen hätte eine "besondere Hauptfrage" gestellt werden müssen. Abgesehen davon, daß die Hauptfrage zutreffend mit der Anklage übereinstimmt (§ 312 StPO.) und die Geschwornen - wie auch hier geschehen - einzelne in der Frage enthaltenen Umstände herausnehmen konnten (§ 330 Abs 2 StPO.), schlägt das Begehren, einzelne Begehungshandlungen einer gesonderten Frage zu unterwerfen, zum Nachteil des Angeklagten aus (siehe §§ 282, 344 StPO.). Bei einer möglichen Bejahung beider Hauptfragen würde nämlich dem Beschwerdeführer neben dem angelasteten Delikt ein weiteres, realkonkurrierend, zur Last fallen. Ebenso zum Nachteil des Angeklagten und damit unzulässig wird weiters in der Beschwerde geltend gemacht, daß in die Hauptfrage nicht zusätzlich der bloß in der Anklagebegründung (§ 207 Abs 3 StPO.) enthaltene drohende Zuruf: "Geld her" aufgenommen wurde.
Für die begehrte Eventualfrage nach bloß versuchtem Raub fehlt jegliches Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung (§ 314 Abs 1 StPO.): Beide Angeklagten haben den Raubvorsatz geleugnet, das Raubopfer hingegen hat die Wegnahme eines bestimmten Geldbetrags behauptet. Ein Vorbringen, welches der vollendeten Sachwegnahme entgegenstünde, wurde nicht erstattet.
Daß die Hauptfrage den Raubvorsatz des Angeklagten schon bei Beginn der Tathandlungen unterstellt, entspricht dem angeklagten Delikt des § 142 StGB. Aus dieser Frage durfte der Vorsatz des Täters auf Beute nicht eliminiert werden. Einem allenfalls fehlenden Bereicherungsvorsatz haben die (unbeantwortet gebliebenen) Eventualfragen 5 und 10 zutreffend Rechnung getragen. Wieso hiedurch § 317 StPO. verletzt worden sein soll, ist nicht erfindlich. Ob eine Rechtsbelehrung richtig ist, ist ausschließlich an ihrem Wortlaut und an dessen Übereinstimmung mit den Fragen, mit der herrschenden Auslegung der in den Fragen vorkommenden gesetzlichen Ausdrücke (EvBl 1972/217, 1973/309) sowie an der Erklärung des Verhältnisses der Fragen zueinander und der Folgen der Beantwortung zu messen (§ 321 Abs 2 StPO.). Indem sich der Beschwerdeführer dieser Prüfung entschlägt, führt er die Rüge der Z. 8 nicht gesetzmäßig aus. Mit dem Moniturverfahren (§ 332 Abs 4 StPO.), worauf sich die Beschwerde bezieht, wird den Geschwornen die Verbesserung des Wahrspruchs aufgetragen, nicht aber dem Schwurgerichtshof die Verbesserung der Rechtsbelehrung (§ 321 Abs 1 StPO.); dies sei nur der Vollständigkeit halber hinzugefügt. Die Antwort der Geschwornen auf die gestellten Fragen hält der Beschwerdeführer für widersprechend (Z. 9), weil darnach er des Verbrechens des qualifizierten Raubes, seine derselben Tat Mitangeklagte jedoch nur des räuberischen Diebstahls schuldig zu erkennen war. Die Beschwerdeausführungen beruhen auf der Überlegung, daß für beide am Geschehen beteiligten Täter der Wahrspruch einheitlich zu sein hätte; damit irrt jedoch der Angeklagte: Für beide Angeklagten sind gesonderte Hauptfragen gestellt worden. Sie wurden nicht nur getrennt, sondern auch inhaltlich verschieden beantwortet und damit die vom Beschwerdeführer postulierte Einheit aufgehoben. Dies geschah keineswegs denkunmöglich, sondern in Konsequenz dessen, daß die Geschwornen auf der inneren Tatseite bei den beiden Angeklagten differenzierten. Während sie beim Nichtigkeitswerber bejahten, daß er Gewalt und Drohung angewendet hat, um sich den Besitz des Geldes zu verschaffen, stellten sie bei seiner Begleiterin unter Verneinung des Raubvorsatzes fest, daß nach deren Willen lediglich Gewalt eingesetzt wurde, um sich im Besitz des Geldes zu erhalten, das dem durch die Attacken des Angeklagten in Bedrängnis geratenen M*** abgenommen worden war. T*** war demzufolge (siehe beschränkte Bejahung der den Erstangeklagten betreffenden Hauptfrage) nicht Mittäterin des Raubes. Diese aus verschiedenen Annahmen der subjektiven Tatseiten resultierende Differenzierung ist immerhin denkmöglich. Sie stößt entgegen den weitwendigen Ausführungen der Beschwerde zur Z. 10 a auch nicht auf erhebliche Bedenken, weil eine "aus den Akten" begründbare Verletzung der Pflicht zur amtswegigen Erforschung der materiellen Wahrheit nicht unterstellt werden kann (vgl. 11 Os 44/88, 12 Os 53/88, 13 Os 68/88 u.a.).
Die Behauptung des Beschwerdeführers (Z. 10), der Schwurgerichtshof habe den Geschwornen ohne Anhörung des Verteidigers die Verbesserung des Wahrspruchs betreffend die Hauptfragen 1 und 2 aufgetragen, ist protokollwidrig (S. 164, 165 und ON. 47). Im übrigen hat sich der Verteidiger dem Auftrag zur Verbesserung des Wahrspruchs zu diesen Fragen (1 und 2) ohnehin widersetzt (S. 165) und damit die prozessuale Voraussetzung für die Rüge der Z. 10, allein nicht die für deren Erfolg geschaffen. Der Schwurgerichtshof hat nämlich den Geschwornen die Verbesserung des Wahrspruchs bezüglich der Hauptfragen 1 und 2 zu Recht aufgetragen. Hatten doch die Laienrichter diese Fragen nach dem Verbrechen des schweren Raubes hinsichtlich des Beschwerdeführers in einem Stimmenverhältnis von 6 : 2 (Haupfrage 1) und hinsichtlich der Mitangeklagten Andrea T***
stimmeneinhellig mit der sich aus der Niederschrift (§ 331 Abs 3 StPO.) ergebenden Begründung verneint, daß "keine vorsätzliche Tat" gegeben sei. Die den Beschwerdeführer betreffende Eventualfrage 3 nach dem Verbrechen des räuberischen Diebstahls "in Gesellschaft der Andrea T*** als Beteiligter (§ 12 StGB.)" hatten die Geschwornen mit dem Hinweis auf die Glaubwürdigkeit der Aussage des Mladen M*** (§ 331 Abs 3 StPO.) im Stimmenverhältnis von 5 : 3 bejaht und die Andrea T*** betreffende Eventualfrage 4 nach dem Verbrechen des schweren räuberischen Diebstahls mit Beziehung - abermals - auf die Aussage des Zeugen M*** und zusätzlich auf die eigene Verantwortung der Zweitangeklagten im Stimmenverhältnis von 6 : 2 verneint. Gemäß § 332 Abs 4 StPO. nahm der Schwurgerichtshof dieses in der Beantwortung der Eventualfragen 3 und 4 sich widersprechende Verdikt und dessen unlösbaren Gegensatz zum Inhalt der Niederschrift zum Anlaß, den Geschwornen die Verbesserung des Wahrspruchs bezüglich dieser Eventualfragen und die Ergänzung der "Begründung" (Niederschrift) zu den Hauptfragen 1 und 2 aufzutragen (S. 162). Dagegen erhoben die Verteidiger keinen Einwand (S. 162, 164 f., 165). Nach neuerlicher Rechtsbelehrung (§ 323 Abs 1 StPO.) teilte der Obmann der Geschwornen dem Schwurgerichtshof mit, daß die Geschwornen unter "Vorsatztat" (vgl. die Niederschrift zur Hauptfrage 1) eine länger vorbedachte strafbare Handlung verstanden haben (S. 163, 219) und daß nach ihrer Ansicht der spontane Entschluß eines Täters, einem anderen unter Drohung mit einem Messer Geld wegzunehmen, keine "Vorsatztat" sei (S. 163, 164). Nach wiederholter Rechtsbelehrung ließen die Geschwornen erkennen, daß sie neuerlich abstimmen möchten (Äußerung des Beisitzers S. 219). Dieses Mißverständnis der Laienrichter, das sich offenkundig bei der ersten Abstimmung ereignet hatte (siehe auch die erste Niederschrift im Beilagenkuvert zu ON. 35), veranlaßte den Schwurgerichtshof erneut zur Anwendung des § 332 Abs 4 StPO. (siehe dessen ersten und zweiten Halbsatz: "daß bei der Abstimmung ein Mißverständnis unterlaufen sei"). Nunmehr wurde der Geschwornenbank - insoweit gegen den Widerspruch der Verteidiger - die "Neubeantwortung" der Hauptfragen 1 und 2 aufgetragen (S. 165). Sonach ist die Gegebenheit der Voraussetzungen des § 332 Abs 4 StPO., für das gesamte durchgeführte Moniturverfahren dargetan.
Mit seiner Rechtsrüge (Z. 12) strebt der Beschwerdeführer seine Verurteilung wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 StGB. und der Körperverletzung hach § 83 StGB. an. Solcherart hebt er nicht auf das Verdikt der Geschwornen ab, sondern setzt sich über den im Wahrspruch festgestellten Nötigungs- und Bereicherungsvorsatz hinweg, unterstellt die Bejahung der tatsächlich unbeantwortet gebliebenen Eventualfragen 5 und 10 und bringt demgemäß den angerufenen materiellen Nichtigkeitsgrund nicht zur gesetzmäßigen Darstellung.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Geschwornengericht verurteilte Günter G*** nach dem ersten Strafsatz des § 143 StGB. zu der Mindeststrafe von fünf Jahren. Es wertete als erschwerend die mehreren einschlägigen Vorverurteilungen des Angeklagten, mildernd hingegen, daß er die Tat aus Unbesonnenheit begangen hat, dabei selbst verletzt wurde und die teilweise Sicherstellung der Beute.
Mit seiner Berufung begehrt der Angeklagte eine Strafreduktion. Er habe die Tat weniger mit vorgefaßter Absicht als vielmehr auf Grund besonders verlockender Gelegenheit begangen und seine letzte Verurteilung liege schon längere Zeit zurück.
Weder der Inhalt des Wahrspruchs noch das Tatopfer, ein ahnungsloser, unauffälliger Straßenpassant, bieten Anlaß für die Annahme einer verlockenden Gelegenheit zur Begehung eines schweren Gewaltverbrechens. Erschwerend war vielmehr noch zu berücksichtigen, daß das Raubopfer zwar nicht schwer, wohl aber nicht unbeträchtlich verletzt wurde (siehe Gutachten S. 157 f.). Die Vorverurteilungen des Beschwerdeführers kennzeichnen diesen als Rückfallstäter im Sinn des § 39 StGB. Damit verbietet sich die Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung.
Bedenkt man die Rückfallseignung des § 39 StGB., so erscheint der Berufungswerber mit der Mindeststrafe von 5 Jahren bei einem diesfalls bis zu 20 Jahren reichenden Strafrahmen (§ 39 Abs 1 Ende StGB.) noch mild beurteilt.
Anmerkung
E17526European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0130OS00170.88.0316.000Dokumentnummer
JJT_19890316_OGH0002_0130OS00170_8800000_000