TE OGH 1989/3/21 10ObS90/89

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Veröffentlicht am 21.03.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Rudolf Dezelt (Arbeitgeber) und Mag.Michael Zawodsky (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gustav B***, Pensionist, 1100 Wien, Dieselgasse 11/12/1, vertreten durch Dr.Aleksa Paunovic, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei

P*** DER A*** (Landesstelle Wien), 1092

Wien, Roßauer Lände 3, vertreten durch Dr.Anton Rosicky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Hilflosenzuschusses infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. November 1988, GZ 32 Rs 227/88-20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 3. Mai 1988, GZ 11 Cgs 1255/87-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die erstgerichtliche Entscheidung wiederhergestellt wird. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 19. November 1987 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 5. Oktober 1987 auf Hilflosenzuschuß (zur Invaliditätspension) mangels Hilflosigkeit ab.

In der dagegen rechtzeitig erhobenen Klage behauptete der Kläger im wesentlichen, er könne sich nichts allein machen und brauche für alles fremde Hilfe. Wegen der Folgen mehrerer Bein- und Magenoperationen und eines Hinterwandinfarktes müsse er sein Leben im Rollstuhl verbringen, viele Medikamente nehmen und Diät halten, was viel Geld koste. Er begehrte erkennbar den abgelehnten Zuschuß. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Das Erstgericht wies das erschlossene Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger den Hilflosenzuschuß ab 15. (gemeint wohl 5.) Oktober 1987 im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, ab.

Es traf folgende wesentliche Feststellungen:

Der (am 27. April 1929 geborene) Kläger bewohnt eine etwa 48 m2 große, aus Zimmer, Küche, Bad, WC und Abstellraum bestehende Wohnung. Diese wird mit einem Kohlenofen beheizt, der an kalten Tagen 10 bis 12 kg Brennmaterial braucht. Dieses wird einmal jährlich geliefert, im Keller gelagert, der nicht mit einem Lift erreichbar ist, und während der Heizsaison in der erwähnten Tagesmenge in die Wohnung gebracht. Die Bettwäsche wird einmal wöchentlich gewechselt, die Küchenvorhänge werden jeden Monat, die Zimmervorhänge etwa alle drei Monate gewaschen.

Beim Kläger bestehen eine kompensierte koronare Herzkrankheit, ein Zustand nach Übernähung und Magenteilresektion mit kleinem Narbenbruch und zeitweisen Magenschmerzen, kompensierte arteriosklerotische Durchblutungsstörungen beider unterer Extremitäten mit Durchströmungshindernissen im linken Leistenbereich und im rechten Oberschenkel nach mehreren Gefäßoperationen im linken Bein und Amputation im Oberschenkelbereich mit prothesenfähigem Stumpf, Phantomgefühl und gelegentlichen Phantomschmerzen sowie ängstlicher Verstimmung.

Der Kläger legt die neuwertige und gute Prothese nicht an, obwohl der Stumpf gut prothesenfähig wäre, sondern benützt zum Gehen zwei Unterarmstützkrücken.

Er kann sich allein an- und auskleiden, seinen Körper reinigen und pflegen, kochen, essen, die Notdurft verrichten, die kleine Leibwäsche waschen, die Wohnung oberflächlich sauber halten, das Bett richten, den Ofen warten, stiegensteigen, die Straße betreten und Lebensmittel in ausreichender Menge einkaufen. Das Herbeischaffen des Brennmaterials aus dem Keller, das Gründlichmachen der Wohnung einschließlich des Fensterputzens und das Waschen der großen Wäsche ist ihm nicht möglich. Für das Hintragen und Abholen der großen Wäsche zur bzw. von der Reinigungsanstalt, die gründliche Wohnungsreinigung und das Bereitstellen des Brennmaterials während der Heizperiode erachtete das Erstgericht überschlagsmäßig einen durchschnittlichen monatlichen Mehraufwand von rund 2.340 S als erforderlich. Weil dieser Betrag unter dem durchschnittlichen monatlichen Mindesthilflosenzuschuß von rund 2.840 S liege, (- der Kläger würde jedoch im Hinblick auf die Höhe seiner Pension den Höchsthilflosenzuschuß erhalten -) sei der Kläger unter Bedachtnahme auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht hilflos iS des § 105a ASVG.

Dagegen erhob der Kläger inhaltlich wegen mangelhafter und unrichtiger Tatsachenfeststellung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung Berufung mit den Anträgen, das angefochtene Urteil durch Zuerkennung des Hilflosenzuschusses im gesetzlichen Umfang abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Das Berufungsgericht gab der Berufung Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, daß es die beklagte Partei schuldig erkannte, dem Kläger den Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß ab 15. Oktober 1987 zu gewähren und ab dem Ersten des auf die Zustellung des Berufungsurteils folgenden Monates eine vorläufige monatliche Leistung von 2.700 S zu erbringen.

Das Berufungsgericht übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens, erachtete aber die Rechtsrüge als berechtigt, weil es sich der von Kuderna,

Der Anspruch auf Hilflosenzuschuß im Wandel der Judikatur DRdA 1988, 293, vertretenen, teilweise von der seit SSV-NF 1/46 ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates abweichenden Meinung anschloß, daß die für die Zuerkennung des Hilflosenzuschusses maßgebliche "Geringfügigkeitsgrenze" des durch die Hilflosigkeit bedingten Mehraufwandes etwa 1.000 S betrage und daher im vorliegenden Fall überschritten werde.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, das Berufungsurteil im klageabweisenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist berechtigt. Der erkennende Senat hat es schon in der zit.

Grundsatzentscheidung als Zweck des Hilflosenzuschusses bezeichnet, dem Pensionisten, der infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen nicht in der Lage ist, die lebensnotwendigen Verrichtungen selbst zu besorgen, den durch die Inanspruchnahme anderer Personen entstehenden Mehraufwand wenigstens teilweise zu ersetzen. Aus den beiden Wörtern "derart hilflos", aber auch aus der beträchlichen Höhe dieses Zuschusses wurde abgeleitet, daß nicht jede Hilflosigkeit, sondern nur ein besonderes Maß derselben, das im Gesetz mit dem Bedarf nach ständiger Wartung und Hilfe umschrieben wird, Anspruch auf Hilflosenzuschuß gibt. Wegen dieses Zweckes und der Höhe dieses Pensionszuschusses hat der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung ein Bedürfnis nach ständiger Wartung und Hilfe nur angenommen, wenn die für die notwendigen Dienstleistungen nach dem Lebenskreis des Pensionisten üblicherweise aufzuwendenden und daher nur überschlagsmäßig festzustellenden Kosten im Monatsdurchschnitt mindestens so hoch sind wie der begehrte Hilflosenzuschuß. Es könne nämlich dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, daß er einem Pensionisten durch die Gewährung eines solchen Zuschusses mehr geben wolle, als für die notwendigen Dienstleistungen erforderlich sei. Der Hilflosenzuschuß soll ja nicht zu einer Erhöhung der Pension führen, sondern nur den erwähnten Mehraufwand wenigstens teilweise abdecken. Da dieser Zuschuß nach § 70 BSVG, aber auch nach § 105a ASVG und § 74 GSVG - anders als etwa die Hilflosenzulage nach § 27 Pensionsgesetz - keine Abstufungen nach dem Grad der Hilflosigkeit kennt, sondern, falls nicht bestimmte Mindest- und Höchstbeträge unter- bzw. überschritten werden, das halbe Pensionsausmaß beträgt, werden die Kosten einer nicht ständigen Wartung und Hilfe ebensowenig abgegolten wie die den Hilflosenzuschuß übersteigenden Kosten einer außergewöhnlichen Wartung und Hilfe.

Kuderna, Der Anspruch auf Hilflosenzuschuß im Wandel der Judikatur DRdA 1988, 293, meint, der Hilflosenzuschuß wäre ein Pauschalbetrag, auf den der Grad der Hilflosigkeit - im Gegensatz zur Höhe der Pension - keinen Einfluß habe. "Gerade der Umstand, daß dieser Zuschuß in unveränderbarer Höhe auch dann gebühre, wenn der Betreuungsaufwand diese Höhe weit übersteige, spreche dafür, daß er grundsätzlich auch dann zustehe, wenn der Betreuungsaufwand - von einer geringfügigen Höhe einmal abgesehen - hinter der Höhe des Hilflosenzuschusses zurückbleibe. Darin liege ja gerade der Sinn und das Wesen einer Pauschalierung als einer abgerundeten Gesamtabfindung" (298).

Der erkennende Senat verweist diesbezüglich auf seine bereits begründete Rechtsansicht, daß nicht jede Hilflosigkeit, sondern nur ein besonderes Ausmaß derselben Anspruch auf Hilflosenzuschuß gibt, das mit dem Bedarf nach ständiger Wartung und Hilfe umschrieben und dann erreicht wird, wenn die für die notwendigen Dienstleistungen üblicherweise aufzuwendenden Kosten mindestens so hoch sind wie der begehrte Zuschuß. Nur dann, wenn die Hilflosigkeit dieses besondere Ausmaß erreicht hat, steht der Anspruch zu, auf den dann allerdings der allenfalls höhere Grad der Hilflosigkeit keinen Einfluß hat. Das bedeutet, daß einem Pensionisten, der etwa wegen ständiger Bettlägerigkeit in einem außergewöhnlich hohen Maß der Wartung und Hilfe bedarf, deren Kosten mit demselben Pensionszuschuß abgegolten werden wie einem Pensionisten, der den durch die Hilflosigkeit bedingten Mehraufwand mit dem Hilflosenzuschuß gänzlich abdecken kann.

Daß ein Hilfloser ungeachtet den Hilflosenzuschuß weit übersteigender Mehrkosten keinen höheren Pensionszuschuß erhält, erscheint nicht mehr gerecht, als daß ein Pensionist, solange sein leidensbedingter Mehraufwand noch unter dem Maß des Hilfosenzuschusses bleibt, auf diesen Pensionszuschuß verzichten muß. Da der Gesetzgeber die erstgenannte Folge offensichtlich gewollt hat, kann ihm das auch hinsichtlich der zweitgenannten Konsequenz zugemutet werden (anders Kuderna aaO 300). Denn es kann nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Gruppen von Hilfsbedürftigen in der Weise vornehmen wollte, daß er zwar den besonders Hilfsbedürftigen die entstehenden Kosten nur teilweise ersetzt, dafür aber den weniger Hilfsbedürftigen einen ihren Aufwand übersteigenden Betrag zubilligt. Daß in manchen Fällen wegen der Zunahme des Leidenszustandes ein Ausgleich eintreten kann (vgl. Kuderna aaO 298), ändert daran nichts.

Daß mit derartigen Unterdeckungen allenfalls, insbesondere für Pensionisten mit geringen Pensionen, große Probleme verbunden sein können, ist bedauerlich. Dieses soziale Problem kann jedoch - jedenfalls nach der derzeitigen Rechtslage - mit dem von den Sozialversicherungsträgern zu gewährenden Hilflosenzuschüssen allein nicht gelöst werden. Das bedeutet aber nicht, daß solche Pensionisten deshalb schon dem "Verkommen" ausgesetzt wären, weil dies zB durch karitative Maßnahmen und nötigenfalls auch durch solche der Sozialhilfe verhindert werden kann.

Aus den genannten Gründen kann sich der erkennende Senat der Meinung Kudernas, der die Höhe des Betreuungsaufwandes übrigens ebenfalls als geeignetes Indiz für das Vorliegen des Begriffsmerkmals "ständig" ansieht, insoweit nicht anschließen, als er diesbezüglich nicht auf die durch die den Hilflosenzuschuß regelnden gesetzlichen Bestimmungen vorgezeichnete Höhe desselben, sondern auf eine angenommene "Geringfügigkeitsgrenze" von etwa 1.000 S abstellen möchte (aaO 301 f). Dies würde auch zu einem Widerspruch zur Hilflosenzulage nach dem PensionsG führen. Der Hilfsbedürftige würde nämlich nach den Sozialversicherungsgesetzen die Zulage in voller Höhe bereits zu einem Zeitpunkt erhalten, in dem er nach dem PensionsG noch nicht einmal die Stufe 1 (Wartung und Hilfe zwar ständig, aber nicht täglich erforderlich) im Betrag von 1.704,30 S (ab 1. Jänner 1986) erhalten könnte.

Aus diesen schon wiederholt (so auch 22. November 1988 10 Ob S 297/88 u 318/88) dargelegten Gründen sieht sich der erkennende Senat auch durch die dem wiederholt zitierten Artikel folgenden Ausführungen des Berufungsgerichtes nicht veranlaßt, seine ständige Rechtsprechung zu ändern.

Die vom Erstgericht ohnehin großzügig bemessenen Kosten der erforderlichen Dienstleistungen bleiben auch im vorliegenden Fall erheblich unter dem Maß, das auf eine Hilflosigkeit iS des § 105a ASVG hinweisen würde. Allfällige Mehrkosten für Medikamente und Diät sind in diesem Zusammenhang nicht mitzuberücksichtigen. Der Revision war daher Folge zu geben und das auf einer vom Revisionsgericht nicht geteilten rechtlichen Beurteilung der Sache beruhende Urteil des Berufungsgerichtes durch Wiederherstellung der klageabweisenden erstgerichtlichen Entscheidung abzuändern. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Anmerkung

E17110

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00090.89.0321.000

Dokumentnummer

JJT_19890321_OGH0002_010OBS00090_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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