Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch, Dr.Huber, Dr.Zehetner und Dr.Schwarz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Margit F***, Hausfrau, 8580 Köflach, Ringstraße 36, vertreten durch Dr.Heinz Dieter Flesch, Rechtsanwalt in Voitsberg, wider die beklagte Partei Manfred K***, Gastwirt, 8572 Bärnbach, Peter-Leitner-Siedlung 58, vertreten durch Dr.Helmut Destaller und Dr.Gerald Mader, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 120.426,90 s.A. und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 15. Dezember 1988, GZ 4 a R 227/88-31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 9. Mai 1988, GZ 13 Cg 329/87-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit S 6.172,20 (einschließlich 1.028,70 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte ist Pächter eines Gasthauses in Voitsberg, das über einen mit allgemeinem Fahrverbot - ausgenommen für
Anrainer - belegten Privatweg (Rosentalerstraße) erreicht werden kann. Unmittelbar an diese Zufahrt schließt im weiteren Gasthausbereich eine andere Fahrbahn an, die durch Erdaufschüttungen hergestellt wurde die Zufahrt zum Wirtschaftsgebäude des Anwesens Rosentalerstraße 8 bildet. Diese Zufahrt ist vom Beklagten nicht mitgepachtet.
Am 7. März 1987 suchte die Klägerin um die Mittagszeit in Begleitung ihres Mannes dieses Gasthaus auf. Trotz Fahrverbotes fuhr ihr Mann über die Rosentalerstraße bis auf etwa 70 m an den Gasthofbereich heran und parkte sein Fahrzeug vor der Abzweigung der Zufahrt zu dem erwähnten Wirtschaftsgebäude des Anwesens Rosentalerstraße 8. Es herrschte Schneeglätte, auf der befestigten Zufahrtsstraße zum Gasthaus gab es eisige Spurrillen und es war nicht gestreut. Die Klägerin, die sogenannte Moonboots mit einer Profilsohle trug, gelangte anstandslos von dieser Parkstelle über die etwas ansteigende Zufahrt zum Gasthaus.
Nach dem Verlassen dieses Gasthauses um etwa 14.00 Uhr begab sie sich gemeinsam mit ihrem Mann und einem weiteren Begleiter zum Fahrzeug zurück. Zunächst hielt sie sich an den Begleiter - Herrn K*** - an, indem sie sich in dessen Arm einhängte, dann tastete sie sich wegen der Rutschgefahr am Fahrzeug K*** weiter, das in einer Ausweiche der Rosentalerstraße gegenüber dem Parkplatz ihres Mannes abgestellt gewesen ist. Als sie dann schräg über die Fahrbahn zu ihrem Fahrzeug queren wollte, rutschte sie etwa im Bereiche der befestigten Fahrbahn in einer dort befindlich gewesenen Spurrille, die wie eine Bobbahn ausgebildet und glatt war, aus und stürzte. Sie zog sich bei diesem Sturz einen Oberschenkelhalsbruch mit einer Zertrümmerung des Ellbogenköpfchens links zu.
Die Klägerin beziffert ihre Ersatzansprüche mit S 120.426,90 und begehrt diesen Betrag samt gesetzlicher Zinsen vom Beklagten aus dem Titel der Verletzung einer vertraglichen Nebenleistung aus dem Gastaufnahmevertrag, weil er seiner Streupflicht nicht nachgekommen sei, und erhebt ein mit S 10.000,-- bewertetes Feststellungsbegehren wegen Vorliegens von Dauerfolgen. Sie bringt vor, daß weder die Parkfläche unterhalb des Gasthauses noch der einzige Zufahrtsweg zum Gasthaus trotz Schneeglätte und Eis gestreut gewesen seien; obwohl der Beklagte die Räumung des Weges veranlaßt gehabt hätte, sei er seiner Streupflicht als Ausfluß der Verpflichtung zur Erbringung der erwähnten vertraglichen Nebenleistungen nicht nachgekommen. Er sei Wegeerhalter und habe daher auch die entsprechende Verfügungsgewalt gehabt, um unfallsverhütende Maßnahmen zu ergreifen. Der Beklagte bestreitet den Haftungsgrund und wendet das Alleinverschulden der Klägerin ein, die den Unfall durch ungeeignetes Schuhwerk verursacht habe. Der Unfall habe sich nicht im Parkplatzbereich, sondern auf einem Zufahrtsweg ereignet, auf den die Klägerin nie gelangt wäre, wenn sie sich an das Fahrverbot gehalten hätte.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die vom Gasthausbereich 70 m entfernte Stelle, auf der die Klägerin stürzte, sei nicht mehr von der Streupflicht des Beklagten umfaßt. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil, sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes insgesamt S 300.000,-- nicht übersteige und daß die Revision wegen Fehlens einer eindeutigen Judikatur zum Problem der Grenze der Streupflicht eines Gastwirtes zulässig sei. Es vertrat folgende Rechtsansicht:
a) Die vom Gasthausbereich 70 m entfernte Unfallstelle befinde sich außerhalb jenes Bereiches, der noch von der Obsorge des Gastwirtes im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht als Nebenleistung aus dem Gastaufnahmevertrag umfaßt werde.
b) Eine Verpflichtung des Gastwirtes, für seine Gäste den Zugang zwischen seinem Betrieb und dem öffentlichen Wegenetz für eine gefahrlose Benützung instandzuhalten, also auch bei Glatteis zu bestreuen, würde das vertretbare Ausmaß seiner Verkehrssicherungspflicht überschreiten.
c) Gehe man von der Obsorge für das sichere Begehen zwischen Gasthaus und öffentlichem Wegenetz aus, so genüge es, nur jenen Teil des Weges zu bestreuen, der für die Benützung durch Fußgänger ausreichend sei, wenn auf der Straße ein allgemeines Fahrverbot oder auch nur eine auf Anrainer beschränkte Fahrerlaubnis bestehe. Daß die Gäste des Wirtes nicht als Anrainer gelten können und damit vom Fahrverbot umfaßt seien, bedürfe keiner weiteren Erörterung. Fußgänger hätten aber auf Straßen mit (selbst beschränktem) Fahrzeugverkehr den Gehsteig, bei Fehlen eines solchen, den Fahrbahnrand zu benützen. Somit wäre im günstigsten Fall für die Klägerin nur jener Bereich zu bestreuen gewesen, der von Fußgängern zu benützen ist.
Nach der Unfallsdarstellung habe sich der Unfall allerdings beim Queren der Fahrbahn auf offener Strecke im Bereiche von (von Fahrzeugen herrührenden) Spurrillen, somit in einem Bereich ereignet, der vom Fußgänger üblicherweise nicht benützt werden dürfe. Auf diesen Teil der Fahrbahn hätte sich demnach die Streupflicht des Gastwirtes selbst bei ihrer grundsätzlichen Bejahung bei bestehendem Fahrverbot für Kraftfahrzeuge nicht erstreckt. Die Klägerin wäre also in einem Bereich gestürzt, der von der vertraglichen Nebenleistungsverpflichtung des Beklagten nicht umfaßt gewesen wäre, weshalb auch aus diesem Grund seine Haftung abzulehnen wäre.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Hauptantrag, ihrem Klagebegehren stattzugeben, und dem Hilfsbegehren, die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. In der Revisionsschrift erklärt die Klägerin, das Leistungsbegehren aus Kostengründen ohne Verzicht auf den Anspruch auf S 89.000,-- einzuschränken.
Der Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, weil die Anfechtungserklärung fehle, keine Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO vorliege und die Klägerin auch die unrichtige Lösung einer solchen Rechtsfrage gar nicht geltend gemacht habe. Für den Fall der Zulässigkeit der Revision möge ihr nicht Folge gegeben werden.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1.) Zur Zulässigkeit:
Die uneingeschränkte Erklärung der Klägerin, gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Graz Revision zu erheben, stellt im Zusammenhang mit dem oben wiedergegebenen Revisionsantrag eine hinlänglich deutliche Anfechtungserklärung dar. Die Bestimmung des § 506 Abs 1 Z 2 ZPO fordert hiezu nicht den Gebrauch bestimmter formaler Ausdrücke oder Wendungen.
Entscheidungswesentlich ist die Beantwortung der Rechtsfrage, ob ein Gastwirt, dessen Betrieb nur über mit allgemeinem Fahrverbot belegte Straße erreicht werden kann, einem Gast für die Unfallsfolgen haftet, der diese Straße verbotswidrig mit seinem Kraftfahrzeug benützt und beim Überqueren der Fahrbahn auf unebener Eisfläche zum Sturz kommt, jedoch als Fußgänger die Unfallstelle gar nicht hätte betreten müssen, sondern den - allerdings auch nicht bestreuten - schneeglatten Fahrbahnrand zu benützen gehabt hätte. Dieser Rechtsfrage kommt erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zu, so daß das Berufungsgericht zutreffend die Zulässigkeit der Revision aussprach. Die Klägerin behandelt in der Revision unter anderem auch dieses Rechtsproblem (s Seite 8 der Revision = AS 160).
Die vom Beklagten gegen die Zulässigkeit der Revision vorgebrachten Argumente sind demnach nicht berechtigt.
2.) Zum Revisionsgegenstand:
Gemäß § 483 Abs 3 ZPO idF der Zivilverfahrensnovelle 1983 kann mit Zustimmung des Beklagten oder bei gleichzeitigem Verzicht auf den Anspruch die Klage auch noch im Berufungsverfahren und daher gemäß § 513 ZPO auch noch im Revisionsverfahren zurückgenommen werden. Ob eine im Rechtsmittelverfahren erklärte Einschränkung des Klagebegehrens als Teilzurücknahme zu behandeln ist, kann in dem hier zu beurteilenden Fall ungeprüft bleiben, weil die Klägerin auf ihren erhobenen Anspruch nicht verzichtete und der Beklagte der Einschränkung der Klage nicht zustimmte. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind daher das gesamte Leistungs- und das Feststellungsbegehren.
3.) Zur Rechtsrüge der Klägerin:
Nach Lehre und Rechtsprechung trifft jeden, der eine seiner Verfügung unterstehende Anlage dem Zutritt für einen Personenkreis eröffnet oder auf seinem Grund den Verkehr für Menschen ermöglicht, eine Verkehrssicherungspflicht (Reischauer in Rummel, ABGB, Rdz 5 zu § 1294 mwN). Dieser Haftungsgrund trifft den Beklagten nicht, weil sich die Unfallstelle und der Autoabstellplatz außerhalb des der Verfügungsmacht des Beklagten unterliegenden Gasthausbereiches befanden. Die Tatsache, daß Gäste des Beklagten solche außerhalb seines Bereiches gelegene Flächen - wenn auch
widerrechtlich - benützen, macht ihn nicht schon deswegen haftbar, wie die Klägerin in der Revision meint, weil er nichts gegen dieses Verhalten seiner Gäste unternahm.
Allerdings kann das vom Beklagten betriebene Gasthaus nur über die von ihm nicht gepachtete Privatstraße erreicht werden. Dennoch muß aber nicht geprüft werden, ob der Beklagte nicht deswegen zumindest - wegen des allgemeinen Fahrverbotes für andere Personen als Anrainer - einen für den Fußgängerverkehr geeigneten Streifen am Rand der Rosentalerstraße zwischen seinem Betrieb und dem öffentlichen Wegenetz durch Bestreuen bei Schneeglätte in verkehrssicherem Zustand hätte halten müssen, weil ja auf andere Weise sein Betrieb gar nicht erreicht werden konnte. Diesbezüglich ist auf die oben unter lit c) wiedergegebenen zutreffenden Rechtsausführungen des Berufungsgerichtes zu verweisen. Die Klägerin kam nämlich nicht bei Benützung des für einen solchen Fußgängerstreifen in Betracht kommenden Fahrbahnteiles zum Sturz, sondern nur deswegen, weil sie infolge unberechtigten Befahrens der Rosentalerstraße und der Benützung einer nicht zum Gasthausbereich gehörenden Zufahrtsstraße als Parkfläche die mit vereisten Spurrillen versehene Fahrbahnmitte benützen mußte. Die Klägerin selbst führt ihren Sturz auf den Straßenzustand an dieser Stelle zurück (s AS 78).
Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. Bemessungsgrundlage ist der von der Einschränkungserklärung der Klägerin unberührt gebliebene Gesamtstreitwert von S 130.426,90.
Anmerkung
E17393European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0080OB00539.89.0330.000Dokumentnummer
JJT_19890330_OGH0002_0080OB00539_8900000_000