Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Reinhard Drössler (AG) und Claus Bauer (AN) als Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Helga H***, Hertzstraße 5, 4020 Linz, vertreten durch Dr.Johannes Grund, Dr.Wolf D.Polte, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei P*** DER A***, Friedrich
Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5.Dezember 1988, GZ 13 Rs 117/88-20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 26.April 1988, GZ 14 Cgs 2125/87-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 2.September 1987 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 11.Juni 1987 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab.
Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Es stellte fest, daß die am 17.Mai 1947 geborene Klägerin noch in der Lage ist, alle leichten bis mittelschweren Arbeiten im Gehen, Stehen oder Sitzen ohne Arbeitspausen, die über das physiologische Ausmaß hinausgehen, zu verrichten. Arbeiten, die mit häufigem Bücken bis zum Boden verbunden sind, solche in einer Zwangshaltung oder in Nässe und Kälte scheiden aus. Zu vermeiden sind auch Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie solche die mit Heben und Tragen von Lasten über 10 kg einher gehen. Akkordarbeit und Arbeiten mit dauerndem intensivem Parteien- oder Kundenverkehr sowie Arbeiten unter Zeitdruck, an elektronischen und automatischen Büromaschinen, Nacht- und Schichtarbeit sowie häufige Überstundenleistungen sind nicht möglich. Arbeiten die besondere Anforderungen an die Orientierungsgeschwindigkeit stellen oder überdurchschnittliche psychische Belastungen mit sich bringen, sind zu vermeiden. Die Klägerin hat zuletzt als gelernte Verkäuferin in verschiedenen Branchen, vor allem in der Lebensmittelbranche und im Farbhandel gearbeitet. Bis auf eine Arbeitslosigkeit von 1975 bis 1976, eine dreimonatige Tätigkeit als Handelsarbeiterin im Jahr 1979 war die Klägerin seit ihrer mit Kaufmannsgehilfenprüfung 1964 abgeschlossenen kaufmännischen Lehre als Verkäuferin tätig. Die Klägerin ist noch in der Lage, einfache Verkaufsarbeiten (Verkauf in Bäckereien oder Konditoreien und Tabaktrafiken), einfache Bürohilfstätigkeiten wie Archiv- und Registraturarbeiten, Arbeiten in einer Posteinlauf oder -auslaufstelle zu verrichten. Weil die Klägerin innerhalb ihrer Berufsgruppe verweisbar sei, sei sie nicht berufsunfähig im Sinne des § 273 ASVG. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin keine Folge. In Erledigung der Mängelrüge ergänzte es das Beweisverfahren durch ergänzende Vernehmung des orthopädischen Sachverständigen und stellte fest, daß für die Klägerin auch Arbeiten ausscheiden, die während eines 8-stündigen Arbeitstages ausschließliches Gehen und Stehen erfordern und nicht die Möglichkeit bieten, sich vorübergehend niederzusetzen. Nach einer Stunde Arbeit im Gehen oder Stehen muß die Klägerin, selbst wenn sie Spezialschuhe trägt, 1/4 Stunde im Sitzen weiterarbeiten können. Damit sind ganztägige Verkaufsarbeiten im Stehen und Gehen auszuschließen, nicht jedoch einfache Bürohilfsarbeiten, bei denen sich die Klägerin entsprechend vorübergehend hinsetzen kann.
Ein Einzelhandelskaufmann könne auf die Tätigkeiten in der Buchhaltung, Materialverwaltung, Registratur udgl. verwiesen werden, insbesondere bei Registraturarbeiten sei ein entsprechender Haltungswechsel möglich. Weil der Klägerin innerhalb ihrer Berufsgruppe daher eine Beschäftigung weiterhin zumutbar sei die auch nach sozialer und wirtschaftlicher Geltung der bisherigen Tätigkeit annähernd gleichkomme, liege Berufsunfähigkeit im Sinne des § 273 Abs 1 ASVG nicht vor.
Rechtliche Beurteilung
Der wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision der Klägerin kommt keine Berechtigung zu.
Durch die Unterlassung der Einholung eines berufskundlichen Gutachtens zur detaillierten Darlegung der Anforderungen, die mit einfachen Bürohilfsarbeiten (Archiv- und Registraturarbeiten, Posteinlauf und -abfertigungsstelle) verbunden sind, ist das Berufungsverfahren nicht mangelhaft geblieben. Es ist dem Berufungsgericht darin beizupflichten, daß die mit einfachen Bürohilfstätigkeiten verbundenen Anforderungen und damit deren Zumutbarkeit nach dem medizinischen Leistungskalkül ohne berufskundliches Sachverständigengutachten beurteilt werden können. Sind die Anforderungen in einem Verweisungsberuf offenkundig - und dies muß auf Grund der besonderen Zusammensetzung der Sozialgerichte beim weit verbreiteten Tätigkeiten, die sich unter den Augen der Öffentlichkeit abspielen und deren Aufgabenbereich daher allgemein bekannt ist, angenommen werden - dann bedarf es hiezu des von der Klägerin geforderten berufungskundlichen Gutachtens nicht (10 Ob S 253/88 ua). Es entspricht der allgemeinen Erfahrung, daß die genannten Bürohilfsarbeiten nicht ständig im Gehen und Stehen zu verrichten sind, sondern wegen der dabei anfallenden Schreib-, Sortier- und Einheftarbeiten in größerem Umfang duchaus die Möglichkeiten bieten, nach einer Stunde Arbeit im Stehen oder Gehen eine Viertel Stunde (und wesentlich mehr) im Sitzen weiter zu arbeiten.
Ein Einzelhandelskaufmann, der wie die Klägerin im einfachen Verkauf von Lebensmitteln und im Farbhandel tätig war, ist in Beschäftigungsgruppe 2 des Kollektivvertrages der Handelsangestellten einzustufen. In dieselbe Beschäftigungsgruppe fallen aber auch Angestellte, die einfache Tätigkeiten im Büro und Rechnungswesen (ua in der Kartei, Registratur oder Statistik) ausführen. Zutreffend hat das Berufungsgericht daher dargelegt, daß mit den genannten Verweisungstätigkeiten für die Klägerin kein unzumutbarer wirtschaftlicher oder sozialer Abstieg verbunden ist. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Revisionskosten beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Da die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des § 46 Abs 2 Z 1 ASGG abhing, konnten Kosten nach Billigkeit nicht zugesprochen werden.
Anmerkung
E17104European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00087.89.0404.000Dokumentnummer
JJT_19890404_OGH0002_010OBS00087_8900000_000