Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 5.April 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Lachner, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Iby als Schriftführer, in der Strafsache gegen Roland Alexander R*** wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 und 15 StGB sowie anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung (auch wegen "Schuld") der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Schöffengericht in Jugendstrafsachen vom 22.November 1988, GZ 10 Vr 372/88-22, sowie über ihre Beschwerde gegen den zugleich gefaßten Beschluß gemäß § 494 a Abs. 1 Z 1 StPO nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Bassler, und des Verteidigers Dr. Lambert, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten und seines gesetzlichen Vertreters zu Recht erkannt:
Spruch
I. Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben und dem Erstgericht aufgetragen, sich der Verhandlung und Urteilsfällung über den unerledigt gebliebenen Anklagepunkt A/30 laut der in der Hauptverhandlung ausgedehnten Anklage (wonach Roland Alexander R*** am 23.Juni 1988 in Ried im Innkreis der Brigitte R*** eine fremde bewegliche Sache, nämlich 200 S Bargeld mit dem Vorsatz weggenommen habe, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern) zu unterziehen.
Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
II. Die (angemeldete) Berufung "wegen Schuld" wird zurückgewiesen.
III. Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluß und demgemäß (auch) der erstinstanzliche Strafausspruch aufgehoben und im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:
Roland Alexander R*** wird für die ihm nach dem unberührt gebliebenen Schuldspruch zur Last liegenden strafbaren Handlungen nach § 129 StGB unter Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB und des § 5 Z 4 JGG 1988 sowie unter Einbeziehung der Schuldsprüche vom 20. Oktober 1987, GZ 10 Vr 660/87-10, und vom 19.Jänner 1988, GZ 10 Vr 920/87-10, je des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Schöffengericht in Jugendstrafsachen, gemäß § 494 a Abs. 1 Z 3 StPO zu 10 (zehn) Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.
Gemäß § 43 Abs. 1 StGB wird diese Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von 3 (drei) Jahren bedingt nachgesehen.
In den bezeichneten Verfahren kommt ein nachträglicher Strafausspruch nicht mehr in Betracht.
IV. Mit ihrer (nicht ausgeführten) Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe wird die Staatsanwaltschaft auf diese Beschwerdeentscheidung verwiesen.
V. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 25.September 1971 geborene Jugendliche Roland Alexander R*** des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 und 15 StGB (A) sowie der Vergehen der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs. 1 StGB (B), der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB (C) und des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs. 1 StGB (D) schuldig erkannt. Als Verbrechen des Diebstahls durch Einbruch (A) liegen ihm darnach 27 (zum Teil nur versuchte) Gelegenheitsdiebstähle in der Zeit vom 11.Juli 1987 bis zum 20.Juni 1988 (davon nur einer - infolge Einsteigens in einen PKW durch die offene Heckklappe - nach § 129 Z 1 StGB qualifiziert) mit einem bezifferten Gesamtschaden von rund 15.000 S zur Last. Die mitunter dabei erbeuteten Geldbörsen und Dokumente warf er in der Folge weg (B und C). Außerdem nahm er in drei Fällen Mopeds unbefugt in Gebrauch (D).
Von der (zum Teil erst in der Hauptverhandlung ausgedehnten) Anklage, in 23 weiteren Fällen gleichartige Diebstähle versucht oder vollendet und auch im Zusammenhang damit durch Wegwerfen mehrfach Sachen dauernd entzogen oder Urkunden unterdrückt zu haben, wurde Roland Alexander R*** gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Der gegen dieses Urteil aus den Gründen der Z 5, 7 und 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft kommt nur teilweise Berechtigung zu. Nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt ist die - der Sache nach zum Vorteil des Angeklagten erhobene - Beschwerde in Ansehung des Schuldspruchs. Der Einwand (Z 9 lit. a), das Urteil enthielte hiezu "weder Tatsachenfeststellungen noch Feststellungen zu der rechtlichen Qualifikation der einzelnen Tathandlungen" läßt unberücksichtigt, daß Urteilsspruch und Entscheidungsgründe eine Einheit bilden und daher die - wenngleich (für jede Faktengruppe) zusammengefaßten - Konstatierungen (insbesondere zur subjektiven Tatseite) in den Gründen (US 10) im Zusammenhang mit den detaillierten Tatsachenfeststellungen im Urteilssatz zu lesen sind, solcherart aber ein ausreichendes Substrat für eine erschöpfende rechtliche Beurteilung bieten. Ein materieller Feststellungsmangel liegt daher nicht vor.
Rechtliche Beurteilung
Zur Begründung dieser Urteilsannahmen bezog sich das Jugendschöffengericht auf das Geständnis des Angeklagten in der Hauptverhandlung und die damit übereinstimmenden sicherheitsbehördlichen Erhebungen (US 10). Weitere Ausführungen waren - der Mängelrüge (Z 5) zuwider - im Sinne der Verpflichtung des Gerichtes zu gedrängter Darstellung seiner Erwägungen nicht erforderlich, zumal im Umfang des Schuldspruchs erörterungsbedürftige Einwendungen vom Angeklagten nicht vorgebracht worden sind (§ 270 Abs. 2 Z 5 StPO).
Die behauptete Aktenwidrigkeit (Z 5) in Ansehung der Tatzeiten zu den Schuldspruchfakten A 23 (richtig: 11.Juli 1987), A/25 (richtig: 14.Juli 1987), B/6,7 und 8 (richtig jeweils: 1987) liegt schon deshalb nicht vor, weil es sich hiebei um berichtigungsfähige bloße Schreibfehler handelt, die keine entscheidungswesentlichen Tatsachen betreffen (§ 270 Abs. 4 StPO).
Aber auch die gegen den Freispruch erhobene Mängelrüge (Z 5) ist verfehlt, hat doch das Erstgericht mit dem Hinweis auf die vom Sachverständigen Dr. J*** dargelegte psychische Beschaffenheit des Angeklagten sehr wohl eine Begründung dafür gegeben, warum es dessen (weitergehende) Einlassungen im Vorverfahren nicht für ausreichend beweiskräftig gehalten und dem Schuldspruch nur das (eingeschränkte) Geständnis in der Hauptverhandlung zugrunde gelegt hat (US 12/13). Demgegenüber war im gegebenen Zusammenhang eine Erörterung der Aussagen der vernehmenden Gendarmeriebeamten sowie der Diplomsozialarbeiterin Hedwig S*** über den Umfang und die Verläßlichkeit der ihnen gegenüber gemachten Angaben des Angeklagten nicht erforderlich. Das bezügliche Beschwerdevorbringen erschöpft sich vielmehr in einer unzulässigen Kritik an der den Tatrichtern allein zukommenden Beweiswürdigung.
Im bisher erörterten Umfang war daher die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft zu verwerfen.
Berechtigt ist hingegen ihr Vorwurf einer Nichterledigung der Anklage (Z 7), wurde doch über den in der Hauptverhandlung ausgedehnten Anklagepunkt A/30 (S 143 iVm S 3 b; S 146 und 207) betreffend den Diebstahl von 200 S zum Nachteil der Brigitte R*** am 23. Juni 1988 in Ried im Innkreis weder im Urteilsspruch noch in den Entscheidungsgründen abgesprochen. Von der summarischen Freispruchsbegründung ist dieses Anklagefaktum jedenfalls nicht erfaßt, weil der Angeklagte diesbezüglich auch in der Hauptverhandlung geständig war (S 146, 208).
Insoweit war dem Erstgericht gemäß § 288 Abs. 2 Z 2 StPO der Auftrag zu erteilen, sich der Verhandlung und Entscheidung über den unerledigt gebliebenen Anklagepunkt zu unterziehen, wobei es im Falle eines Schuldspruchs wegen desselben bei der Strafbemessung auf den vorliegenden Strafausspruch gemäß §§ 31, 40 StGB Bedacht zu nehmen haben wird.
Die (nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls) angemeldete und in der Folge nicht ausdrücklich zurückgezogene Berufung der Staatsanwaltschaft "wegen Schuld" war zurückzuweisen, weil ein derartiges Rechtsmittel gegen Urteile von Kollegialgerichten in der Prozeßordnung nicht vorgesehen ist. Das Jugendschöffengericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 28 (Abs. 1), 129 StGB und § 11 JGG 1961 zu sechs Monaten Freiheitsstrafe, die es gemäß § 43 Abs. 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachsah. Dabei wertete es die Begehung mehrerer strafbarer Handlungen derselben und verschiedener Art und deren Fortsetzung durch längere Zeit, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Vorverurteilungen und den raschen Rückfall innerhalb der Probezeit als erschwerend; hingegen die vernachlässigte Erziehung und die leichte Verstandesschwäche sowie eine nicht auszuschließende psychopathische Veranlagung (die allerdings keine Zurechnungsunfähigkeit bewirkte), daß es teilweise beim Versuch geblieben ist, die teilweise Schadensgutmachung, daß ein Teil der Taten vor der letzten Verurteilung begangen worden ist und das reumütige Geständnis als mildernd. Die bedingte Strafnachsicht hielt es für vertretbar, weil der Angeklagte bereits der freiwilligen Bewährungshilfe unterliegt, sich einer psychotherapeutischen Behandlung unterzieht sowie sich bei der "Rieder Initiative für Arbeitslose" betätigt. In diesem Zusammenhang war für den Jugendschöffensenat ersichtlich auch die unter einem ausgesprochene Bestellung eines Bewährungshelfers (§§ 17 JGG 1961, 50 Abs. 1 StGB) sowie die Weisung, sich weiterhin der erwähnten Behandlung zu unterziehen (§§ 17 JGG 1961, 51 Abs. 1 und Abs. 3 StGB), von maßgeblicher Bedeutung.
Außerdem sprach das Gericht gemäß § 494 a Abs. 1 Z 1 StPO mit Beschluß aus, daß die neue Verurteilung für den nachträglichen Ausspruch der Strafe (§ 13 JGG 1961) in Ansehung der bedingten Verurteilungen des Angeklagten durch das Kreisgericht Ried im Innkreis als Schöffengericht in Jugendstrafsachen vom 20. Oktober 1987, GZ 10 Vr 660/87-10, und vom 19.Jänner 1988, GZ 10 Vr 920/87-10, keinen Anlaß bildet.
Diesen Beschluß bekämpft die Staatsanwaltschaft mit Beschwerde (§ 494 a Abs. 4 und Abs. 5 StPO) und dem Begehren, die Strafe - ihrem in der Hauptverhandlung gestellten Antrag (vgl. nunmehr § 16 Abs. 1 JGG 1988) entsprechend - gemäß § 494 a Abs. 1 Z 3 StPO auch hinsichtlich der erwähnten beiden bedingten Verurteilungen festzusetzen. Eine "wegen Strafe" angemeldete Berufung blieb unausgeführt.
Die Beschwerde ist begründet.
Den beiden erwähnten Vorverurteilungen des Angeklagten lagen insgesamt 52, zum Teil versuchte, zum Teil nach § 129 Z 1 StGB qualifizierte diebische Angriffe mit einem bezifferten Gesamtschaden von rund 17.000 S sowie die unbefugte Ingebrauchnahme von Mopeds in drei Fällen zugrunde. In Anbetracht des - im neuen Urteil festgestellten - sofortigen und fortgesetzten Rückfalls erscheint ein nachträglicher Strafausspruch - der sich nunmehr gemäß Art. IX Abs. 2 JGG 1988 nach §§ 15 und 16 dieses (am 1.Jänner 1989 in Kraft getretenen) Bundesgesetzes richtet - zusätzlich zu der neuen Verurteilung geboten, um den jugendlichen Rechtsbrecher von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten (§ 15 Abs. 1 JGG 1988). Gemäß § 494 a Abs. 1 Z 3 StPO ist in diesem Falle die Strafe in einem Ausspruch so zu bemessen, wie wenn die Verurteilung wegen aller strafbaren Handlungen gemeinsam erfolgt wäre. Da diese Vorschrift auch vom Rechtsmittelgericht anzuwenden ist, wenn es über eine entsprechende Beschwerde meritorisch entscheidet, war nicht bloß eine Ergänzung des Strafausspruchs durch nachträglichen Strafausspruch zu den beiden bedingten Verurteilungen vorzunehmen, sondern der erstinstanzliche Strafausspruch aufzuheben und nunmehr unter Einbeziehung der früheren Schuldsprüche eine "Gesamtstrafe" (JAB zum StRÄG 359 Beil StProt NR XVII.GP S 53 2.Sp 2.Abs.) neu zu bemessen. Der Umstand, daß es im fortzusetzenden Verfahren noch zu einem weiteren Schuldspruch kommen könnte, hindert den sofortigen Strafausspruch durch den Obersten Gerichtshof nicht, weil im Falle einer Nichtigkeit nach § 281 Abs. 1 Z 7 StPO weder in § 288 Abs. 2 Z 2 StPO die Aufhebung des Strafausspruchs wegen der bereits abgeurteilten Taten und auch insoweit eine neue Verhandlung und Urteilsfällung in erster Instanz vorgesehen ist, noch dies sonst prozessual geboten oder - von Ausnahmsfällen abgesehen - auch nur zweckmäßig erscheint.
Bei der Strafbemessung ging der Oberste Gerichtshof von den schon vom Jugendschöffengericht im wesentlichen richtig und vollständig aufgezählten Strafbemessungsgründen aus, die größtenteils auch für die früheren Straftaten zutreffen und nur durch den höheren Schaden - der bei tatsächlicher gemeinsamer Aburteilung die Qualifikation nach § 128 Abs. 1 Z 4 StGB (nF) zur Folge gehabt hätte - zu ergänzen sind. Eine Freiheitsstrafe von (insgesamt) 10 Monaten erschien der unrechtsbezogenen Schuld (§ 32 Abs. 1 StGB) des jugendlichen Rechtsbrechers angemessen und notwendig, um den Strafzweck zu erreichen. Die vom Jugendschöffengericht angeführten Erwägungen in Verbindung mit den von ihm angeordneten (und von der vorliegenden Rechtsmittelentscheidung nicht berührten) Maßnahmen ließen zudem die - nach der neuen Rechtslage uneingeschränkt zulässige (Reissig, JGG 1988, Anm. II zu § 15) - Gewährung bedingter Strafnachsicht angezeigt erscheinen, wobei auch der eingeholte Bericht der Bewährungshilfe gebührend berücksichtigt worden ist. Die zwar angemeldete, aber unausgeführt gebliebene Berufung der Staatsanwaltschaft ist im Hinblick auf diese Beschwerdeentscheidung gegenstandslos.
Anmerkung
E17173European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0140OS00012.89.0405.000Dokumentnummer
JJT_19890405_OGH0002_0140OS00012_8900000_000