TE OGH 1989/4/12 14Os29/89

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Veröffentlicht am 12.04.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12.April 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Lachner, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Lässig als Schriftführer, in der Strafsache gegen Margaretha B*** wegen des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 21.Oktober 1988, GZ 2 U 686/88-8, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwalts Dr. Hauptmann, jedoch in Abwesenheit der Verurteilten, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluß des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 21. Oktober 1988, GZ 2 U 686/88-8, verletzt das Gesetz in den Bestimmungen des ersten und des dritten Satzes des § 494 a Abs. 2 StPO sowie in der Vorschrift des § 494 b StPO.

Dieser Beschluß wird aufgehoben und dem Bezirksgericht für Strafsachen Graz aufgetragen, die hierüber ergangenen Verständigungen - insbesondere des Landesgerichtes für Strafsachen Graz zum AZ 4 Vr 3166/87 und des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz zum AZ 2 U 55/87 - unter Hinweis auf den Eintritt der Sperrwirkung des § 494 b StPO zu berichtigen.

Text

Gründe:

Mit - dem am 25.Oktober 1988 in Rechtskraft erwachsenen - Urteil des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 21.Oktober 1988, GZ 2 U 686/88-7, wurde die am 24.August 1946 geborene Margaretha B*** des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer - gemäß § 43 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen - Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Wochen verurteilt (Protokolls- und Urteilsvermerk ON 7). Im Anschluß an das Urteil wurde der Beschluß gefaßt, die Entscheidung über den Widerruf der bedingten Nachsicht der über Margaretha B*** mit den Urteilen des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 1. Juli 1987, GZ 2 U 55/87-9, wegen des Vergehens nach § 271 Abs. 1 StGB verhängten 6-wöchigen Freiheitsstrafe sowie des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 21.März 1988, GZ 4 Vr 3166/87-17, wegen des Vergehens nach §§ 146, 147 Abs. 2 StGB verhängten 8-monatigen Freiheitsstrafe - welche Strafen jeweils unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden waren - dem Landesgericht für Strafsachen Graz vorzubehalten (ON 8). Der Vorbehalt wurde damit begründet, daß die vom Landesgericht für Strafsachen Graz am 21.März 1988 ausgesprochene Freiheitsstrafe als Zusatzstrafe unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf den Strafausspruch des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 1.Juli 1987 verhängt worden sei, weshalb "de iure ... im Sinne des § 494 a Abs. 1 und 2, dritter Satz, StPO aus den Gründen der §§ 31, 40 StGB nur ein Urteil" zu einer neun Monate übersteigenden Gesamtfreiheitsstrafe, deren bedingte Nachsicht gemäß § 494 a StPO nicht vom Bezirksgericht widerrufen werden könne, vorliege. Nach Eintritt der Rechtskraft dieses Beschlusses wurden Ausfertigungen dem Bezirksgericht für Strafsachen Graz zum Verfahren 2 U 55/87 sowie dem Landesgericht für Strafsachen Graz zu 4 Vr 3166/87 übermittelt (AS 26 in 2 U 686/88 des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz). In diesen Verfahren ist eine Beschlußfassung über den Widerruf der bedingten Strafnachsicht bisher nicht erfolgt. Eine weitere Beschlußausfertigung wurde dem Strafregisteramt übermittelt, obwohl die Aufnahme des Vorbehalts nach § 494 a Abs. 2 dritter Satz StPO in das Strafregister in § 2 Abs. 1 Z 4 StRegG (idFd StRÄG 1987) nicht vorgesehen ist.

Rechtliche Beurteilung

Der Vorbehaltsbeschluß des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz steht mit dem Gesetz nicht im Einklang, weil gemäß § 494 a Abs. 2 erster Satz StPO der Widerruf der bedingten Strafnachsicht oder bedingten Entlassung dem Bezirksgericht bei Strafen und Strafresten zusteht, die das Ausmaß von je neun Monaten nicht übersteigen. Soweit das erkennende Gericht demach eine solche Entscheidung nicht treffen darf, hat es gemäß dem letzten Satz des § 494 a Abs. 2 StPO auszusprechen, daß die Entscheidung über den Widerruf dem Gericht vorbehalten bleibt, dem sonst die Entscheidung zukäme. Der Widerruf der Nachsicht von Strafen steht also dem Bezirksgericht zu, wenn die einzelnen Strafen und Strafreste das Ausmaß nicht übersteigen, das für die Strafbefugnis dieses Gerichtstyps (§ 9 Abs. 1 Z 1 StPO iVm § 8 Abs. 3 StPO idF des Strafrechtsänderungsgesetzes 1987 BGBl 605) grundsätzlich maßgebend ist. Die einzelne Strafe (der einzelne Strafrest) darf daher, entscheidet das Bezirksgericht selbst über den Widerruf, neun Monate nicht übersteigen. Daß Strafen (oder Strafreste) aus mehreren Vorverurteilungen zusammen dieses Ausmaß übersteigen, hindert die sofortige Entscheidung durch das zuletzt erkennende (Bezirks-)Gericht hingegen nicht (Bericht des Justizausschusses zum StRÄG 1987, 359 BlgNR XVII. GP, 53; Bertel, Grundriß des österreichischen Strafprozeßrechtes2, Ergänzungsheft 1988, Rz 777 a).

Eine ausnahmsweise Zusammenrechnung von Strafen (oder Strafresten) aus mehreren Urteilen im Falle ihres Zusammenhangs im Sinne des § 31 StGB liefe nicht nur der Absicht des Gesetzgebers zuwider, in möglichst weitem Umfang die kriminalpolitisch wünschenswerte "Gesamtregelung" der Straffrage hinsichtlich aller in Betracht kommenden Urteile dem zuletzt entscheidenden Gericht zukommen zu lassen (AB aaO 53; vgl Foregger-Serini StPO MTA5, § 494 a Anm II und III). Sie wäre auch mit der herrschenden Lehre und Rechtsprechung unvereinbar, wonach gemäß § 31 StGB verbundene Urteile dennoch selbständige Strafaussprüche enthalten, mögen für sie auch in Ansehung der Strafhöhe (des Strafrahmens und der Strafbemessung) besondere Vorschriften gelten (EvBl 1986/183

= JBl 1986, 536; 9 Os 128/85, SSt 51/4; zuletzt 11 Os 123/88; Leukauf-Steininger, Komm2, RN 2 zu § 31 StGB; Foregger-Serini, StGB MKK4, § 31, Erl V; Pallin in WrK, § 31, Rz 1).

Vom Grundsatz der Selbständigkeit jedes einzelnen der im Verhältnis des § 31 StGB zueinander stehenden Strafaussprüche gerade bei Prüfung der Zuständigkeit nach § 494 a Abs. 2 StPO abzugehen, besteht umso weniger Anlaß, als das Gesamtausmaß derart verknüpfter Strafen auch für die Zuständigkeitsregelung anderer Vorschriften (§§ 8 ff, 495 Abs. 1 und 2 StPO) keine Wirksamkeit entfaltet. Daß für die Zuständigkeit der über den Widerruf der bedingten Strafnachsicht oder bedingten Entlassung aus Anlaß der Verurteilung wegen einer vor Ablauf der Probezeit begangenen strafbaren Handlung nur das im Einzelfall verhängte Strafmaß maßgebend ist, erhellt auch daraus, daß es weder auf den Gerichtstyp ankommt, der die Freiheitsstrafe bis zur Strafbefugnis des Bezirksgerichtes verhängt hat, noch im Falle des Widerrufs der bedingten Entlassung auf die gesamte Strafzeit sondern nur auf den Strafrest.

Das Erstgericht übersah bei seiner Entscheidung außerdem, daß die Bestimmung des letzten Satzes des § 494 a Abs. 2 StPO, wonach die Entscheidung über den Widerruf im Falle sachlicher Unzuständigkeit dem Gericht vorzubehalten ist, dem diese Entscheidung sonst zukäme, als Verweisung auf die Zuständigkeitsvorschriften der §§ 495 Abs. 1 und 2 StPO, 16 Abs. 1, Abs. 2 Z 12 und 179 Abs. 1 StVG (idFd StRÄG 1987) aufzufassen ist.

Diese Zuständigkeitsvorschrift enthält keine Sonderregelung für den Fall, daß über den Widerruf der bedingten Nachsicht von Strafen aus mehreren im Verhältnis des § 31 StGB zueinander stehenden Urteile wegen einer während der Probezeit begangenen strafbaren Handlung (§ 53 Abs. 1 StGB) zu entscheiden ist. § 495 Abs. 2 StPO betrifft lediglich den Widerrufsgrund der nachträglichen Verurteilung nach § 55 StGB. Bei einer Mehrzahl von Verurteilungen, in denen die bedingte Nachsicht einer Strafe oder eines Strafteiles ausgesprochen wurde, ist daher gemäß § 495 Abs. 1 StPO (außer in den Fällen des § 494 a StPO) auch im Falle eines Zusammenhanges nach § 31 StGB jedes Gericht, das in erster Instanz in einem jener Verfahren erkannt hat, in welchem die bedingte Nachsicht ausgesprochen wurde, für den Widerruf der im betreffenden Verfahren gewährten bedingten Strafnachsicht zuständig.

Im vorliegenden Fall hätte daher die - nach diesen Überlegungen verfehlte - Annahme, das Bezirksgericht für Strafsachen Graz sei im Verfahren AZ 2 U 686/88 für den Widerruf der bedingten Nachsicht der früher verhängten, im Verhältnis des § 31 StGB zueinander stehenden Strafen sachlich nicht zuständig, nur einen Vorbehaltsbeschluß nach sich ziehen können, durch welchen lediglich der Widerruf der bedingten Nachsicht der im Urteil vom 21.März 1988 verhängten 8- monatigen Freiheitsstrafe dem Landesgericht für Strafsachen Graz, hingegen der Widerruf der bedingten Nachsicht der mit Urteil vom 1. Juli 1987 verhängten 6-wöchigen Freiheitsstrafe dem Bezirksgericht für Strafsachen Graz zu AZ 2 U 55/87 vorzubehalten gewesen wäre. Diese weitere Gesetzesverletzung kann allerdings in Anbetracht der bereits in der Fassung des Vorbehaltsbeschlusses gelegenen Gesetzwidrigkeit auf sich beruhen.

Da das Bezirksgericht für Strafsachen Graz in der Hauptverhandlung am 21.Oktober 1988 die ihm nach dem ersten Satz des § 494 a Abs. 2 StPO zustehende Entscheidung über den Widerruf der aktenkundigen früheren Verurteilungen zu Unrecht unterlassen hat, ohne daß dies von der Anklagebehörde angefochten wurde, darf ein Widerrufsbeschluß aus Anlaß der neuen Verurteilung nicht mehr erfolgen (§ 494 b StPO). Das Gesetz unterscheidet dabei nicht, ob das Gericht - wie hier - aus unrichtiger Rechtsansicht oder aus bloßem Übersehen einer (aktenkundigen) offenen bedingten Nachsicht den Widerruf unterlassen hat. Der ausdrückliche Vorbehalt des Widerrufs schließt also die "Verschweigung" (AB aaO S. 54, 1. Sp. unten) nicht aus.

Der in Verkennung dieser Rechtslage erfolgte Ausspruch, dem Landesgericht für Strafsachen Graz die Entscheidung über den Widerruf (in zwei Fällen) vorzubehalten, gereicht dem Angeklagten insofern zum Nachteil, als er dem Gerichtshof eine (allerdings nur) formelle Grundlage für die Fassung eines Widerrufsbeschlusses aus Anlaß der den Gegenstand des Urteiles vom 21.Oktober 1988 bildenden Straftat bietet. In sinngemäßer Anwendung des § 292 letzter Satz StPO war daher seine Aufhebung geboten und spruchgemäß zu erkennen.

Anmerkung

E17540

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0140OS00029.89.0412.000

Dokumentnummer

JJT_19890412_OGH0002_0140OS00029_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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