TE OGH 1989/4/13 6Ob568/89

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Veröffentlicht am 13.04.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser sowie Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Roswitha Barbara F***, geboren am 8. Mai 1958 in Mödling, angestellte Friseurmeisterin, wohnhaft in Groß-St. Florian, Vochera 21, vertreten durch Dr. Karl Rümmele, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei Anton F***, geboren am 2. August 1948 in Mödling, Staplerfahrer, wohnhaft in Dornbirn, Beckenmahd 10, vertreten durch Dr. Kurt Martschitz, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen Ehescheidung (Revisionsgegenstand: Ausspruch nach § 60 Abs 3 letzter Satz EheG) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 8. November 1988, GZ 1 R 276/88-41, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 28. April 1988, (richtig: 7. März 1988) im Ausspruch nach § 60 Abs 3 letzter Satz EheG GZ 5 Cg 78/87-35, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht stattgegeben.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 3.706,20 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten an Umsatzsteuer 617,70 S) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Ehefrau hatte am 4. Juni 1986 eine auf § 49 EheG gestützte Scheidungsklage zu Protokoll erklärt. Als Eheverfehlungen hatte sie dabei ehewidrigen Umgang des Mannes mit einer ihrer Schwestern, Eigensinn in Fragen der gemeinsamen Lebensgestaltung und Erziehung des ehelichen Sohnes, Nötigung zum ehelichen Verkehr, Grobheiten, Gewalttätigkeiten und Morddrohungen geltend gemacht. Der Ehemann beantragte ausdrücklich die Abweisung des Scheidungsbegehrens. Er bestritt die von der Klägerin behauptete Ehezerrüttung ebenso wie die ihm angelasteten Eheverfehlungen und brachte vor, die Klägerin habe sich im Jahr zuvor einmal nach einem ehelichen Verkehr zu ihm geäußert, wenn sie schwanger werde, brächte sie alle um. Etwa ein Monat vor Erhebung der Klage habe die Klägerin nach einem Streit ohne Nachricht über ihr Ziel mit dem gemeinsamen Kind die Ehewohnung verlassen und sei erst vier Tage später, während der sie sich bei ihrer Mutter aufgehalten habe, wieder zurückgekehrt. Im Anschluß an dieses Vorbringen stellte der Beklagte für den Fall der Ehescheidung den "Eventualantrag auf Feststellung des gleichteiligen Mitverschuldens der Klägerin an der Zerrüttung der Ehe". Als weitere Eheverfehlung lastete der Beklagte der Klägerin an, daß diese ihm den Tagespflegeplatz des gemeinsamen Kindes verschweige. Nachdem der Beklagte, der im ersten Rechtsgang im Verfahren erster Instanz ebenso wie die Klägerin anwaltlich nicht vertreten war, der zur Vernehmung beider Parteien anberaumten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung unentschuldigt ferngeblieben war, schloß das Prozeßgericht erster Instanz nach Vernehmung der Klägerin seine Verhandlung und fällte aufgrund der in Übereinstimmung mit den Aussagen der Klägerin getroffenen Feststellungen ein klagsstattgebendes Urteil ohne Mitverschuldensausspruch. Der Beklagte führte in seiner Berufung die Anfechtungsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtigen Tatsachenfeststellung und unrichtigen Beweiswürdigung sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache aus, wendete sich ausdrücklich gegen die Annahme einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe, stellte demgemäß einen auf Abweisung des Scheidungsbegehrens zielenden Abänderungsantrag, hilfsweise aber auch einen Aufhebungsantrag. Wörtlich führte der Beklagte in seiner Berufung aus: "Falls aber auch das Berufungsgericht eine Zerrüttung der Ehe feststellt, wolle dem Beklagten nicht das überwiegende Verschulden daran überbunden werden, sondern wolle ein gleichteiliges Verschulden der Streitteile festgestellt werden."

Das Berufungsgericht nahm einen Verfahrensmangel an und faßte einen Aufhebungsbeschluß. In dem daran anschließenden zweiten Rechtsgang blieben die Streitteile anwaltlich vertreten. In dem wegen Richterwechsels neu durchgeführten Verfahren hielten die Streitteile ihr bisheriges Vorbringen und ihre bisher gestellten Anträge ausdrücklich aufrecht. Der Beklagte machte aber ergänzend geltend, daß ihn die Klägerin im Mai 1986 böswillig verlassen habe und ehebrecherische Beziehungen zu einem anderen Mann unterhalte. Eine neue Prozeßerklärung zu dem bereits gestellten Mitschuldantrag unterblieb.

Mit dem im zweiten Rechtsgang gefällten Urteil gab das Prozeßgericht erster Instanz neuerlich dem Scheidungsbegehren statt, nunmehr aber auch dem Mitschuldantrag und sprach aus, daß das Verschulden der Klägerin jenes des Beklagten überwiege. Der Beklagte ließ dieses Urteil unangefochten.

Die Klägerin erhob ausschließlich wegen des Ausspruches über das Überwiegen ihres Verschuldens Berufung mit dem Ziel einer Ausschaltung dieses Ausspruches. Dabei machte sie vor allem eine unzulässige Überschreitung der Sachanträge des Beklagten geltend, weil dieser ausdrücklich (nur) die Feststellung ihres gleichteiligen Mitverschuldens beantragt habe.

Der Beklagte bestritt in seiner Berufungsbeantwortung eine verfahrensrechtliche Bindung des Gerichtes an einen inhaltlich beschränkten Mitschuldantrag der beklagten Partei, erklärte aber hilfsweise, die Feststellung des überwiegenden Verschuldens der Klägerin an der Zerrüttung der Ehe zu beantragen.

Das Berufungsgericht änderte in Stattgebung der Berufung das erstinstanzliche Urteil im Ausspruch über das Verschulden derart ab, daß das gleichteilige Verschulden beider Ehegatten an der Zerrüttung der Ehe festgestellt werde und die Prozeßkosten gegeneinander aufgehoben werden.

Dazu gelangte das Berufungsgericht allein aus verfahrensrechtlichen Erwägungen. Es folgerte nämlich, daß zwar der Beklagte im Falle eines Mitschuldantrages nach § 60 Abs 3 EheG nicht verhalten wäre, einen Sachantrag zum Ausspruch über ein Überwiegen des Verschuldens aufzunehmen, ihm aber andererseits ein solcher Antrag nicht zu verwehren sei und ein solcher, etwa auf dem Ausspruch gleichteiligen Verschuldens beschränkter Antrag dann auch den Entscheidungsspielraum des Gerichtes begrenze. Eine solche das Gericht bindende Beschränkung des Mitschuldantrages könne im erstinstanzlichen Verfahren auch wieder fallen gelassen und der Mitschuldantrag auf solche Weise ausgedehnt werden, im Rechtsmittelverfahren sei eine derartige Erweiterung des Prozeßgegenstandes allerdings seit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 11. November 1983 über Änderungen des Personen-, Ehe- und Kindschaftsrechtes, BGBl Nr. 566, nicht mehr zulässig. Die Einschränkung des vom Beklagten gestellten Mitschuldantrages auf Feststellung eines gleichteiligen Verschuldens beider Ehegatten sei für das Gericht bindend, die Erweiterung dieses Antrages im Berufungsverfahren unbeachtlich. Der Ausspruch des Prozeßgerichtes erster Instanz über ein Überwiegen des Verschuldens der Klägerin sei daher eine unzulässige und deshalb aus dem Urteilsspruch auszuscheidende Überschreitung der durch den (eingeschränkten) Mitschuldantrag gezogenen Grenzen der möglichen Sachentscheidung. Der Beklagte ficht das abändernde Berufungsurteil wegen unzutreffender Anwendung des Neuerungsverbotes und unrichtiger Annahme einer Bindung der Gerichte an einen inhaltlich eingeschränkten Mitschuldantrag mit einem auf Wiederherstellung des Urteiles erster Instanz zielenden Abänderungsantrag an. Die Klägerin strebt die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Ist eine inhaltliche Beschränkung des Mitschuldantrages nach § 60 Abs 3 EheG auf eine Feststellung der Mitschuld des anderen Ehegatten ohne Ausspruch über ein etwaiges Überwiegen dessen Verschuldens beachtlich und für die Entscheidung des Gerichtes bindend, dann läge in der Beseitigung dieser Einschränkung eine Antragserweiterung, der das nunmehr auch im Eheverfahren geltende Neuerungsverbot nach § 482 Abs 1 ZPO entgegenstünde. Der vom Beklagten im Scheidungsverfahren gestellte Antrag auf Feststellung der Mitschuld des anderen Ehegatten ist verfahrensrechtlich mehr als ein bloßes Einwendungsvorbringen gegen den Klagsanspruch, das auch noch im Rechtsmittelverfahren ohne Verletzung des Neuerungsverbotes einer geänderten rechtlichen Beurteilung zugänglich sein könnte.

Mit einem Mitschuldantrag gemäß § 60 Abs 3 EheG erhebt der Beklagte einen - für das Scheidungsfolgenrecht

erheblichen - Rechtsschutzanspruch. Der Mitschuldantrag hat verfahrensrechtlich Ähnlichkeiten mit einer Prozeßaufrechnungseinwendung. Er kann im Rechtsmittelverfahren weder erstmals erhoben noch aber auch inhaltlich erweitert werden. Ob die Beurteilung des (durch Rücknahme der inhaltlichen Beschränkung auf Feststellung eines bloß gleichteiligen Verschuldens) erweiterten Rechtsschutzbegehrens schon aufgrund der getroffenen Feststellungen möglich wäre oder eine Verfahrensergänzung notwendig machte, ist entgegen den Revisionsausführungen unerheblich.

Entscheidend ist daher die Lösung der Verfahrensfrage nach der Beachtlichkeit einer inhaltlichen Beschränkung des gemäß § 60 Abs 3 EheG gestellten Mitschuldantrages (auf Feststellung eines bloß gleichteiligen Verschuldens) und damit nach der Bindung des Gerichtes an ein solches eingeschränktes Begehren.

Dazu ist zu erwägen:

Ein in ein Scheidungsurteil aufgenommener Verschuldensausspruch hat bestimmenden Einfluß für das materielle Scheidungsfolgenrecht, in erster Linie für die wechselseitigen Unterhaltsansprüche der geschiedenen Ehegatten. In diesem Sinne besteht ein Rechtsschutzanspruch auf eine entsprechende urteilsmäßige Feststellung. Die Stellung des Mitschuldantrages ist aber in das Belieben der beklagten Partei gestellt. Durch Unterlassung der Antragstellung und Geltendmachung eines Rechtsschutzanspruches kann die beklagte Partei ihr materiell nachteilige Tatbestandsvoraussetzungen für das Scheidungsfolgenrecht schaffen. Mangels besonderer Prozeßerklärung hat das Gericht ein Begehren der klagenden Partei auf Scheidung der Ehe wegen eines Verschuldenstatbestandes notwendigerweise als Antrag auf Feststellung des alleinigen Verschuldens der beklagten Partei und deren Begehren auf Feststellung eines Mitverschuldens des anderen Ehegatten als einen Antrag auf Feststellung des überwiegenden Verschuldens der klagenden Partei aufzufassen, weil § 60 Abs 2 zweiter Satz EheG für den Fall, daß das Verschulden des einen Ehegatten erheblich schwerer als das des anderen ist, den Ausspruch des Überwiegens der Schuld zwingend anordnet. Das schließt aber keineswegs aus, daß der beklagte Ehegatte, in dessen verfahrensrechtlich ungebundene Disposition die Geltendmachung einer Mitschuld der klagenden Partei überhaupt gestellt ist, innerhalb der materiellrechtlich und verfahrensrechtlich vorgesehenen Abstufungen nur teilweise und nicht im vollen möglichen Ausmaß tatsächlich von seinem Anspruch Gebrauch macht, das heißt mit anderen Worten sein Rechtsschutzbegehren dadurch selbst beschränkt, daß er nur einen eingeschränkten, nämlich einen auf Feststellung des überwiegenden Verschuldens des anderen Ehegatten ausschließenden, Mitschuldantrag stellt.

Weder materiellrechtliche noch verfahrensrechtliche Gründe sprechen gegen eine solche Beschränkung.

Von praktischer und verfahrenstaktischer Bedeutung wird eine inhaltliche Beschränkung des Mitschuldantrages für das prozessuale Verhalten der klagenden Partei, die sich im Falle eines uneingeschränkten Mitschuldantrages genötigt sehen könnte, Tatumstände als Eheverfehlungen des Beklagten geltend zu machen, die sie sonst (weil schon andere Verfehlungen für die Stattgebung des Scheidungsbegehrens als hinreichend angesehen werden könnten) aus welchen Gründen immer nicht vorgetragen hätte und was das Scheidungsverfahren selbst und vor allem die nacheheliche Auseinandersetzung unnötig erschweren könnte.

Wäre der Mitschuldantrag aus Gründen materieller Indisponibilität inhaltlich nicht beschränkbar, dürfte wohl auch eine Bindung an einen beschränkten Rechtsmittelantrag und damit eine Teilrechtskraft, wie sie jahrzehntelanger Praxis entspricht, nicht anerkannt werden. Die ausschließliche Alternative, entweder eine Mitschuld des Scheidungsklägers geltend zu machen, dann aber ohne Möglichkeit einer inhaltlichen Beschränkung und damit auch einer Beeinflussung der Scheidungsfolgen zum eigenen Nachteil des Antragsstellers, oder auf einen solchen Rechtsschutzanspruch überhaupt zu verzichten, ist aus keiner Norm ableitbar. Auch eine rein verfahrensrechtliche Beschränkung in dieser Richtung ist nicht zu erkennen, weil § 60 Abs 3 EheG in Verbindung mit § 60 Abs 2 zweiter Satz EheG im oben dargelegten Sinne nur dahin zu verstehen ist, daß Mitschuldanträge mangels inhaltlicher Beschränkung jeweils als Maximalbegehren aufzufassen seien, eine ausdrückliche Einschränkung des Rechtsschutzbegehrens aber damit nicht ausgeschlossen werden sollte.

Der vom Revisionswerber bekämpften berufungsgerichtlichen Beurteilung des § 60 Abs 3 EheG ist daher beizutreten. Eine inhaltliche Beschränkung des gemäß § 60 Abs 3 EheG gestellten Mitschuldantrages auf Ausschluß des Ausspruches über ein überwiegendes Verschulden des anderen Ehegatten durch das Begehren auf Feststellung eines (bloß) gleichteiligen Verschuldens ist beachtlich und bindet das Gericht. Ein antragswidrig ergehender Ausspruch über das Überwiegen des Verschuldens des anderen Ehegatten verstößt gegen § 405 ZPO.

Der Revision war aus diesen Erwägungen ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E17353

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0060OB00568.89.0413.000

Dokumentnummer

JJT_19890413_OGH0002_0060OB00568_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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