Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Johannes J***, Rechtsanwalt, Wien 1., Reischachstraße 3, als Sachwalter im Ausgleich über das Vermögen der prot. Firma Techn.Rat Bruno B***, Baumeister, Kommanditgesellschaft, Wien 6.,
Mittelgasse 19, wider die beklagte Partei B***-U***- UND A*** (vormals B***-U***), Wien 5.,
Kliebergasse 1 A, vertreten durch Dr. Gustav Teicht und Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung (Streitwert S 61.000,-- samt Anhang), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 25. November 1988, GZ 3 R 121/88-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 18. März 1988, GZ 20 Cg 424/87-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 3.706,20 (darin S 617,70 an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Über das Vermögen der prot. Firma Techn.Rat Bruno B***, Baumeister KG, wurde am 11.August 1986 das Ausgleichsverfahren eröffnet: Der Kläger wurde zum Ausgleichsverwalter bestellt. Mit Beschluß vom 15.September 1987 wurde das Ausgleichsverfahren aufgehoben und auf die Überwachung durch den Kläger als Sachwalter der Gläubiger, dem die Ausgleichsschuldnerin ihr gesamtes Vermögen unwiderruflich zur Verwaltung und Verwertung übertragen hat, gemäß § 59 AO hingewiesen.
Die beklagte Partei hat vor Ausgleichseröffnung an die Ausgleichsschuldnerin gemäß § 8 Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz (BUAG) Urlaubsentgelte für einzelne bei der Ausgleichsschuldnerin beschäftigte Bauarbeiter im Betrag von S 61.000 überwiesen, die die Ausgleichsschuldnerin vor tatsächlichem Urlaubsantritt an die Urlauber ausbezahlen hätte sollen. Zwischen dem Eingang der Überweisung der Urlaubsentgelte und der Verpflichtung zur Auszahlung durch die Ausgleichsschuldnerin an die in Urlaub gehenden Bauarbeiter erfolgte die Eröffnung des Ausgleichsverfahrens. Eine Auszahlung an die Arbeiter nach Ausgleichseröffnung erfolgte nicht. Die beklagte Partei mußte gemäß § 8 Abs 1 BUAG nochmals die Urlaubsentgelte direkt an die betroffenen Arbeiter auszahlen.
Die beklagte Partei hatte den Urlaubsentgeltbetrag von S 61.000 auf das Geschäftsgirokonto der Ausgleichsschuldnerin überwiesen. Für Urlaubsentgeltzahlungen war kein spezielles Sonderkonto eingerichtet, für die Abwicklung der Urlaubsentgelte kein Sparbuch angelegt, es bestand auch sonst keine Sondermasse. Die Urlaubsentgeltzahlungen wurden mit den übrigen Geldmitteln der Ausgleichsschuldnerin vor Ausgleichseröffnung vermengt, bzw. haben sich durch die Überweisung die Verbindlichkeiten der Ausgleichsschuldnerin bei ihrer Hausbank in gleichem Ausmaß verringert.
Die Dienstnehmer, auf die sich das von der beklagten Partei überwiesene Urlaubsentgelt bezog, wurden mit Zustimmung des Ausgleichsgerichtes gemäß § 20 b und c AO innerhalb der gesetzlichen Fristen ordnungsgemäß gekündigt.
Der Kläger begehrt die Feststellung, daß der Rückforderungsanspruch der beklagten Partei gegenüber der Ausgleichsschuldnerin wegen vor Ausgleichseröffnung erhaltener und nicht an die bezugsberechtigten Arbeiter ausbezahlter Urlaubsentgelte in Höhe von S 61.000 im Ausgleich der genannten Firma nicht bevorrechtet sei. § 12 Abs 3 des BUAG sei durch das Insolvenzrechtsänderungesetz materiell derogiert worden. Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. § 12 Abs 3 BUAG sei im Hinblick auf Art. XI § 7 Z 1 lit b IRÄG weiterhin anzuwenden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Die zweite Instanz bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 60.000, jedoch nicht S 300.000 übersteigt und daß die Revision zugelassen wird. Die Bestimmungen des Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetzes vom 25.Oktober 1972, BGBl. 1972/414, idF des Bundesgesetzes vom 25.November 1987, BGBl. 1987/618, sähen im Regelfall eine vorschußweise Überweisung der Urlaubsentgelte durch die Urlaubskasse an den Arbeitgeber und die Auszahlung dieser Beträge durch diesen an seine Arbeitnehmer erst bei tatsächlichem Urlaubsantritt vor. Komme es dazu nicht, stehe der Urlaubskasse ein Rückforderungsanspruch zu, der durch die Bestimmungen des § 12 Abs 2 und 3 BUAG gesichert werde. Nach Abs 3 der genannten Gesetzesstelle genössen die dem Arbeitgeber gemäß § 8 Abs 3 BUAG überwiesenen Urlaubsentgelte im Ausgleichsverfahren ein Vorrecht und bildeten im Konkurs eine Sondermasse, aus welcher der Rückzahlungsanspruch der Urlaubskasse zu berichtigen sei. An der Notwendigkeit der Besicherung dieses Anspruches der Urlaubskasse gegen allfällige Manipulationen des Arbeitgebers habe sich durch die von ganz anderen Erwägungen getragene Einschränkung von Gläubigervorrechten durch das IRÄG, zu deren Ausgleich weitgehend andere Rechtseinrichtungen, wie der Insolvenzentgeltsicherungsfonds, geschaffen worden seien, nichts geändert. Schon aus dieser Erwägung könne eine materielle Derogation des § 12 Abs 3 BUAG durch das IRÄG entgegen der Meinung des Klägers nicht angenommen werden. Darüber hinaus schlössen aber die detaillierten formellen Derogationsbestimmungen im IRÄG und die damit vom Gesetzgeber verfolgten, aus den Gesetzesmaterialien ersichtlichen Absichten die Annahme einer materiellen Derogation der fraglichen Bestimmung des BUAG geradezu aus. Gemäß Art.XI § 7 Z 1 lit b IRÄG blieben insbesondere Bestimmungen besonderer Bundesgesetze über die abgesonderte Befriedigung von Gläubigern aus Sondermassen unberührt. Daß unter diese Bestimmungen auch die Befriedigung von Rückzahlungsansprüchen der Urlaubskasse im Konkurs des Arbeitgebers nach § 12 Abs 3 BUAG falle, könne nach dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht zweifelhaft sein. Art.XI § 8 Abs 1 IRÄG enthalte für das gesamte Bundesrecht eine allgemeine Begriffsersetzungsbestimmung, welche ihrem Wortlaut nach auch den § 23 AO umfassen würde. Diese in der Regierungsvorlage des IRÄG enthaltene Bestimmung sei jedoch im Zuge der parlamentarischen Beratung durch einen Absatz 2 ergänzt worden, welcher bezüglich der §§ 51 und 52 KO und § 23 AO eine spezielle Verweisungsnorm enthalte und insoweit die allgemeine Norm des Abs 1 einschränke. Danach trete an die Stelle von Verweisungen (in anderen Rechtsvorschriften) auf den bisher geltenden § 23 AO (bevorrechtete Forderungen), soferne die betreffende Forderung im Konkurs gemäß den bisher geltenden §§ 51 und 52 KO bevorrechtet gewesen sei, der Begriff "Ausgleichsforderung". Der Rückforderungsanspruch der Urlaubskasse nach § 12 Abs 3 BUAG sei jedoch bis zum Inkrafttreten des IRÄG keine nach den §§ 51 und 52 bevorrechtete Forderung, sondern eine aus einer Sondermasse zu befriedigende Forderung gewesen. Diese Sondermasse des § 12 Abs 3 BUAG stelle eine gesetzliche Fiktion dar:
Sie werde ohne Rücksicht auf das tatsächliche Vorhandensein der von der Urlaubskasse vor Konkurseröffnung an den Arbeitgeber überwiesenen Urlaubsentgelte im Zeitpunkt der Konkurseröffnung vom Gesetz als bestehende Sondermasse angenommen und zur Befriedigung der Rückforderungsansprüche der Urlaubskasse gewidmet. Im Ausgleich sei der gleiche Zweck anstatt der Bildung einer fiktiven Sondermasse durch die Anordnung der Bevorrechtung des Rückforderungsanspruches der Urlaubskasse erreicht worden. Dieser Rechtszustand sollte durch das IRÄG nicht geändert werden. Dies folge daraus, daß § 12 Abs 3 BUAG durch die Einschränkung der Verweisungsersetzungsbestimmung des § 23 AO im Artikel XI § 8 Abs 2 IRÄG auf im Konkurs bevorrechtete Forderungen nicht berührt, sondern in seiner bisherigen Fassung einschließlich der Verweisung auf den bisherigen Wortlaut des § 23 AO aufrechterhalten worden sei. Eine andere Gesetzesinterpretation würde zu einer völligen, vom Gesetzgeber - wie sich aus den Gesetzesmateralien klar ergebe - nicht beabsichtigten Ungleichbehandlung des Rückzahlungsanspruches der Urlaubskasse nach § 12 Abs 3 BUAG im Konkurs einerseits und im Ausgleich andererseits führen. Der Kläger bekämpft die Entscheidung des Berufungsgerichtes mit Revision und beantragt, sie dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde.
Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Kläger macht einerseits geltend, eine Sondermasse sei im vorliegenden Fall nicht angelegt worden, die von der beklagten Partei überwiesenen Urlaubsentgeltzahlungen seien mit den übrigen Geldmitteln der Ausgleichsschuldnerin vor Ausgleichseröffnung vielmehr vermengt worden, bzw. hätten sich durch die Überweisung die Verbindlichkeiten der Ausgleichsschuldnerin bei ihrer Hausbank im gleichen Ausmaß verringert. § 12 Abs 3 BUAG sei durch die Bestimmungen des IRÄG materiell aufgehoben worden, wenngleich der Gesetzgeber offensichtlich vergessen habe, diese Bestimmung auch ausdrücklich außer Kraft zu setzen.
Den zutreffenden Rechtsausführungen des Berufungsgerichtes ist jedoch nichts hinzuzufügen. Fingiert § 12 Abs 3 BUAG hinsichtlich der dem Arbeitgeber überwiesenen Urlaubsentgelte die Bildung einer Sondermasse, aus der der Rückzahlungsanspruch der Urlaubs- und Abfertigungskasse auf diese Urlaubsentgelte zu berichtigen ist, vermag der Kläger dem nicht entgegenzuhalten, daß im vorliegenden Fall eine Sondermasse tatsächlich nicht gebildet worden sei. Fiktion ist die normative Annahme eines Sachverhaltes als wahr, der in Wirklichkeit nicht besteht. Im Unterschied zur gesetzlichen Vermutung kann die Fiktion nicht durch Gegenbeweis entkräftet werden. Verfehlt ist es auch, wenn der Kläger auf eine Bestimmung des Begriffes "Sondermassen" in Petschek-Reimer-Schiemer, "Das österreichische Insolvenzrecht",540 ("Die Haftung von Sondermassen zugunsten von Absonderungsrechten") hinweist, wonach "Sondermassen (§§ 48 Abs 1, 49 KO) diejenigen Teile der Konkursmasse sind, aus deren Nutzungen und Erlös zunächst nach Berichtigung der auf diese Sondermasse sich beziehenden Masseforderungen (§§ 47 Abs 1, 49 Abs 1 KO) gewisse bevorzugte Ansprüche......zur Befriedigung kommen sollen, sodaß erst der Rest in die gemeinschaftliche Konkursmasse fließt", und außerdem geltend macht, daß der Gegenwert der vor Ausgleichseröffnung auf das Girokonto der Ausgleichsschuldnerin einbezahlten Urlaubsentgelte zum Zeitpunkt der Ausgleichseröffnung nicht mehr vorhanden gewesen sei, sodaß es keine Teile der Ausgleichsmasse gebe, die abgesondert zugunsten der beklagten Partei liquidiert hätten werden können. Wenn auch der Begriff der Sondermasse im Sinne des § 12 Abs 3 BUAG dem oben beschriebenen Begriff nahesteht, unterscheidet er sich von jenem doch dadurch, daß die Existenz einer Sondermasse zugunsten des Rückzahlungsanspruches der beklagten Partei in der genannten Gesetzesstelle fingiert wird. Im übrigen ist insbesondere auf den Ausschußbericht zu Art.XI § 8 des Insolvenzrechtsänderungsgesetzes zu verweisen, wonach der Begriff der bevorrechteten Forderung (§ 23 AO) dann unverändert bleibt, wenn die Forderung im Konkurs nach einer Bestimmung im Sinne des § 7 Z 1 lit b des Art.XI IRÄG zu beurteilen ist, wie z.B. § 12 Abs 3 des Bauarbeiter-Urlaubsgesetzes. Danach aber bleiben Bestimmungen besonderer Bundesgesetze über die abgesonderte Befriedigung von Gläubigern aus Sondermassen (durch das Insolvenzrechtsänderungsgesetz) unberührt. Auch der Ausschußbericht zu § 7 des Art.XI IRÄG weist darauf hin, daß sich Bestimmungen im Sinne des § 7 Z 1 lit b (des Art.XI IRÄG) unter anderem in § 12 Abs 2 - gemeint wohl Abs 3 - Bauarbeiter-Urlaubsgesetz finden. Mit Recht haben daher die Vorinstanzen das Feststellungsbegehren abgewiesen.
Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E17365European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0070OB00560.89.0420.000Dokumentnummer
JJT_19890420_OGH0002_0070OB00560_8900000_000