Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert, Dr.Hofmann, Dr.Schlosser und Dr.Graf als weitere Richter in der Vormundschaftssache der mj.Kinder Manfred O***, geboren am 4.April 1982, Christian O***, geboren am 1.Feber 1984 und Michael O***, geboren am 21.Jänner 1985, infolge Revisionsrekurses der Mutter Rosalinda O***, Krankenschwester, Wien 13., Riedelgasse 7-9/440, vertreten durch Dr.Johannes Blume und Dr.Reinhard Schäfer, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien als Rekursgericht vom 14.Feber 1989, GZ 22 R 52/88-86, womit der Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 15.Juli 1988, GZ 19 a P 77/82-77, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Manfred O***, geboren am 4.April 1982, Christian O***, geboren am 1.Feber 1984, und Michael O***, geboren am 21.Jänner 1985, sind die (unehelichen) Kinder Rosalinda O*** und des Manfred H***. Die Mutter und die Kinder sind philippinische Staatsangehörige. Die Mutter lebt seit dem Jahre 1980 in Wien; sie ist im Neurologischen Krankenhaus der Stadt Wien, Rosenhügel, als Krankenschwester beschäftigt und bewohnt im Schwesternheim ein 20 m2 großes Zimmer. Sie verfügt über ein monatliches Einkommen von ca S 12.000. Manfred H*** ist verheiratet und Vater von sechs ehelichen Kindern.
Am 15.6.1982 brachten die Eltern den mj.Manfred wegen eines Krampfanfalles ins Mautner Markhof'sche Kinderspital der Stadt Wien, wo ein suborales Hämatom bei wachsender Schädelfraktur diagnostiziert wurde. Eine am 18.6.1982 vorgenommene Röntgenaufnahme zeigte eine breitklaffende Fraktur des linken Scheitelbereiches, die sich nach dorsal aufzweigt; rechts und seitlich zeigte sich eine weitere Fraktur im Parietalbereich. Über die Ursache des Hämatoms befragt, gaben die Eltern an, es könne sich um einen Bienenstich handeln. Der Vater versuchte die Aufnahme des Kindes in das Spital zu verhindern. Das Kind befand sich vom 15.6.1982 bis 1.7.1982 im Krankenhaus. Bei der Entlassung wurde der Mutter aufgetragen, Manfred in 14 Tagen neuerlich in das Krankenhaus zu bringen, da eine Computertomographie durchgeführt werden sollte. In der Folge wurde während des Aufenthaltes des Kindes im Krankenhaus vom 14.7. bis 16.7.1982 an Hand eines weiteren Röntgenbildes eine weitere Fraktur im Occipitalbereich festgestellt. Am 29.7.1982 brachte die Mutter das Kind in Spitalsbehandlung, weil es im Schwall erbrochen hatte.
Ein am 30.7.1982 angefertigtes Röntgenbild zeigte neben der klaffenden Fraktur links weitere Bruchlinien; dabei handelte es sich um zusätzliche Frakturlinien. Im Krankenhaus Rudolfstiftung wurde darauf eine neurochirurgische Operation vorgenommen. Am 25.11.1982 erschien die Mutter mit Manfred zu einer routinemäßigen Untersuchung in der Mutterberatungsstelle Speising, bei der die Ärztin, die auch im Mautner Markhof'schen Kinderspital arbeitet, eine Beule am Hinterkopf und drei Kratzer feststellte, deren Ursache die Mutter nicht erklären konnte. Einer Einladung, mit dem Kind am nächsten Tag in die Ambulanz des Mautner Markhof'schen Kinderspitals zu kommen, leistete die Mutter nicht Folge, weshalb das Jugendamt beim Polizeikommisseriat Hietzing Anzeige wegen Verdachts der Kindesmißhandlung erstattete. Das Kind wurde am 30.11.1982 wegen multipler Hämatome in das Mautner Markhof'sche Kinderspital aufgenommen. Bei einer Röntgenuntersuchung wurde festgestellt, daß die klaffende Fraktur etwas schmäler geworden war; es waren aber Oberarmfrakturen mit deutlicher Kallusbildung zu sehen. Eine Röntgenaufnahme am 3.12.1982 offenbarte eine Fraktur der 11.Rippe nahe der Wirbelsäule mit Kallusbildung. Die Brüche dürften zu diesem Zeitpunkt 4 bis 6 Wochen alt gewesen sei. Das Kind befand sich vom 30.11.1982 bis 18.1.1983 in Spitalspflege. Eine Untersuchung durch das Pathologische Institut der Universität Erlangen ergab, daß eine krankhafte Brüchigkeit der Knochen nicht vorlag. Darauf erstattete das Jugendamt Strafanzeige gegen die Mutter. Das Verfahren wurde gemäß § 90 StPO eingestellt; nach Wiederaufnahme des Verfahrens wurde Rosalinda O*** vom Landesgericht für Strafsachen Wien von der Anklage wegen § 92 StGB gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen (vgl ON 52, 53 dA). Die Eltern blieben auch im Strafverfahren dabei, nicht zu wissen, woher die Verletzungen des Kindes stammen. Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 14.12.1983 (ON 11 dA) wurde in Ansehung des Kindes Manfred die gerichtliche Erziehungshilfe angeordnet und seine Unterbringung im Krankenhaus und seine anschließende Unterbringung bei Pflegeeltern genehmigt. Das Kind befindet sich seit 18.1.1983 in einer Pflegefamilie, wo es sich altersgemäß entwickelt. Seit der Unterbringung bei den Pflegeeltern konnten bei ihm keine weiteren Verletzungen festgestellt werden. Die Kinder Christian und Michael wurden der Mutter nach der Geburt wegen der ungeklärten Verletzungen Manfreds abgenommen. Beide Kinder wurden in Pflegefamilien untergebracht.
Der Jugendgerichtshof Wien als Vormundschaftsgericht ordnete auf Antrag des Bezirksjugendamtes für den 13. und 14.Bezirk gemäß § 26 Abs 2 JWG die gerichtliche Erziehungshilfe in Ansehung der Kinder Christian und Michael O*** durch Unterbringung bei Pflegeeltern an. Die pflegschaftsbehördlichen Maßnahmen seien primär wegen der bei Manfred O*** festgestellten Verletzungen erforderlich. Diese Verletzungen ließen den Schluß zu, daß die Mutter nicht imstande gewesen sei, ihrer Aufsichtspflicht hinreichend nachzukommen. Theoretisch könne es sich bei den festgestellten Verletzungen auch um eine Erbkrankheit handeln, doch spreche gegen diese Annahme die Tatsache, daß die Verletzungen seit der Unterbringung des Kindes bei Pflegeeltern schlagartig aufgehört hätten. Die Anwendung gelinderer Mittel wie etwa der Erziehungsberatung bedeutete ein nicht zu verantwortendes Risiko für das Leben und die Gesundheit der Kinder. Der Jugendgerichtshof Wien als Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter nicht Folge. Die Mutter habe der vom Erstgericht verfügten Maßnahme am 18.12.1985 ausdrücklich zugestimmt und diese Zustimmungserklärung bis zur Fassung des angefochtenen Beschlusses nicht zurückgenommen. Schon diese Erklärung stehe dem Erfolg des Rechtsmittels entgegen. Darüber hinaus sei die Anordnung der gerichtlichen Erziehungshilfe gerechtfertigt, weil bei einer Rückkehr der Kinder zur Mutter die Gefahr schwerer körperlicher Schäden und einer erheblichen Beeinträchtigung der weiteren Entwicklung der Kinder bestünde. Bei Besserung der Lebensverhältnisse der Mutter könne eine Rückführung der Kinder in ihre Pflege und Erziehung ins Auge gefaßt werden, wenn die Gefährdung der Kinder mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei.
Der gegen den Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs ist unzulässig.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 34 Abs 4 JWG sind jene Personen, denen die Entscheidung des Vormundschaftsgerichtes gemäß § 34 Abs 3 JWG zuzustellen ist, somit insbesondere die Erziehungsberechtigten, zum Rekurs gegen die verfügte vormundschaftsgerichtliche Maßnahme legtimiert. Unter den Erziehungsberechtigten sind gemäß § 39 JWG die Eltern zu verstehen, wenn ihnen im Einzelfall nach bürgerlichem Recht ein Erziehungsrecht zusteht. Um dies beurteilen zu können, ist zunächst die Frage des hiebei anzuwendenden Rechtes zu klären. Für die Unehelichkeit von Kindern hat das IPR-Gesetz kein eigenes Statut vorgesehen; liegt zur Zeit der oder entsprechend vor der Kindesgeburt nicht einmal der Schein einer Ehe der Mutter vor, so darf in der Sache sogleich von der Unehelichkeit des Kindes ausgegangen werden, sofern sein Personalstatut zwischen ehelichen und unehelichen Kindern unterscheidet (Schwimann in Rummel, ABGB, Rz 1 zu § 25 IPRG). Das Personalstatut der Kinder richtet sich nach dem Recht des Staates, dem sie angehören (§ 9 Abs 1 IPRG). Auch die Wirkungen der Unehelichkeit sind nach dem Personalstatut zu beurteilen (§ 25 Abs 2 IPRG). Hiezu gehört das Erziehungsrecht. Da die beiden Kinder philippinische Staatsangehörige sind, ist auch das Recht der Philippinen deren Personalstatut. Dieses Recht kennt den Unterschied zwischen ehelichen und unehelichen Kindern (vgl Art 255 ff, 276 ff des philippinischen bürgerlichen Gesetzbuches, Nr 386 vom 18.6.1949, in Übersetzung abgedruckt bei Bergmann, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Bd VII, Philippinen). Da die Mutter der Kinder nicht verheiratet ist, gelten die Kinder demnach auch nach philippinischem Recht als unehelich. Das philippinische Recht unterscheidet im übrigen bei diesen Kindern zwischen anerkannten natürlichen Kindern (Art 276 ff BGB) und anderen unehelichen Kindern (Art 287 ff BGB). Welcher Gruppe die beiden Kinder zuzuordnen sind, ist nicht zu prüfen, da anerkannte natürliche Kinder, die noch nicht volljährig sind (Art 311 Abs 3 BGB) und auch die anderen unehelichen Kinder allein unter der elterlichen Gewalt der Mutter stehen (Art 288 BGB). In beiden Fällen ist die Rekurslegitimation der Mutter zu bejahen.
In der Sache ist zu prüfen, ob auch die vom Erstgericht getroffene Maßnahme nach dem Recht des Personalstatus der Kinder (§ 25 IPRG) oder aber nach österreichischem Recht zu beurteilen ist. Auf die Bestimmungen des Haager Minderjährigenschutzabkommens, BGBl.1975/446, ist nicht Bedacht zu nehmen, weil das Abkommen auf Grund des von Österreich gemäß dem Art 13 Abs 3 erklärten Vorbehalts nur auf Angehörige von Vertragsstaaten anzuwenden ist, zu denen die Philippinen nicht gehören. Die Bestimmungen des Jugendwohlfahrtsgesetzes, die eine Einschränkung oder Aufhebung auf dem Familienrecht beruhender Erziehungsrechte gegen den Willen des Erziehungsberechtigten zulassen (§ 26 ff JWG), erachtete der Oberste Gerichtshof als überwiegend öffentlich-rechtlicher Natur (ZfRV 1985, 289; EvBl 1978/159), so daß die Voraussetzungen, unter denen solche Maßnahmen angeordnet werden können, und die Maßnahmen selbst nicht nach dem Personalstatut des unehelichen Kindes, sonder stets nach den Bestimmungen des (österreichischen) Jugendwohlfahrtsgesetzes zu beurteilen seien. Hojer sprach sich in der Anm zu ZfRV 1985, 289 gegen diese Rechtsansicht aus und befürwortete eine Prüfung der im Einzelfall getroffenen Maßnahme darauf hin, ob sie dem privaten Recht oder dem öffentlichen Recht zugehört; sowohl der Inhalt der nach den Bestimmungen des Jugendwohlfahrtsgesetzes zu treffenden Maßnahmen als auch die Zuständigkeitsverteilung (für die Anordnung bzw Durchführung der Maßnahmen) wiesen eher in die Richtung der privatrechtlichen als der öffentlich-rechtlichen Qualifiaktion. Diese Rechtsauffassung erfährt durch die Erläuterungen zum Kindschaftsrecht-Änderungsgesetz, BGBl.1989/162, 172 BlgNR XVII GP 13, ihre Bestätigung, wonach die zivilrechtlichen Bestimmungen des künftigen Jugendwohlfahrtsgesetzes in die großen zivilrechtlichen Stammgesetze zurückgeführt und
dort - systemgerecht - eingegliedert werden. Daß es sich dabei um zivilrechtliche Regelungen handelt, ändert aber nichts daran, daß Maßnahmen der Jugendwohlfahrtspflege im Inland getroffen werden müssen und nur mit den Mitteln, die die österreichische öffentliche Jugendwohlfahrtspflege bietet, vollzogen werden können. Die Regelungen der Jugendwohlfahrt dienen auch dem Kindeswohl, das mit zu den geschützten Grundwertungen des österreichischen Rechtes gehört (vgl Schwimann in Rummel, ABGB, Rz 2 und 4 zu § 6 IPRG), aber auch dem Wohl der gesamten inländischen Bevölkerung; sie gehören mit zu den Eingriffsnormen, die infolge der Nahebeziehung der Zwangswirkung einer Sonderanknüpfung an das österreichische Recht bedürfen (vgl Schwimann aaO Rz 20 vor § 1 IPRG). Die Voraussetzungen, unter welchen Maßnahmen die Jugendwohlfahrtspflege angeordnet werden könne und die Maßnahmen selbst sind daher nach den Bestimmungen des österreichischen Jugendwohlfahrtsgesesetzes zu beurteilen.
Das Rekursgericht nahm an, daß die Rechtsmittelwerberin ihre am 18.12.1985 (ON 55 dA) erklärte Zustimmung zur Anordnung der gerichtlichen Erziehungshilfe in Ansehung der Kinder Christian und Michael und deren Unterbringung bei den Pflegeeltern bis zur Entscheidung des Erstgerichtes am 15.7.1988 (ON 77 dA) nicht widerrufen habe. Dabei übersah es, daß die Anordnung gerichtlicher Erziehungshilfe nur dann zulässig ist, wenn eine Maßnahme der Erziehungshilfe (§ 9 JWG) gegen den Willen des Erziehungsberechtigten (§ 39 JWG) getroffen werden soll (4 Ob 575/88). Die Mutter der Kinder brachte aber jedenfalls in ihrem Rechtsmittel an das Rekursgericht unmißverständlich zum Ausdruck, daß die Kinder wieder in ihre Pflege und Erziehung übergeben werden sollen, so daß im Zeitpunkt der Entscheidung des Rekursgerichtes das angenommene Einverständnis der Mutter zur Unterbringung der Kinder in fremder Pflege nicht mehr vorlag. Es war dann aber auch die vom Erstgericht getroffene Maßnahme nicht schon wegen des Einverständnisses des Erziehungsberechtigten aufzuheben. Im Revisionsrekurs macht die Mutter geltend, die Anordnung der gerichtlichen Erziehungshilfe setze einen Erziehungsnotstand voraus, der dann gegeben sei, wenn die Eltern für das Kind überhaupt nicht sorgen oder aber die Fürsorge so unzulänglich sei, daß das Wohl des Kindes gefährdet sei. Die Verletzungen des mj.Manfred könnten nach Ansicht des im Strafverfahren beigezogenen Sachverständigen auch entwicklungsbedingt sein, so daß die "Verdächtigung" der Mutter jeder Grundlage entbehre. Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, daß nach den vom Rekursgericht gebilligten Feststellungen des Erstgerichtes, eine krankhafte Brüchigkeit der Knochen bei Manfred nicht vorliegt und dessen Knochenstruktur und Knochendichte normal ist. Seit der Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie traten auch keine weiteren Verletzungen mehr auf. Beide Vorinstanzen lehnten die Annahme, es handle sich dabei um bloß entwicklungsbedingte Verletzungen, ab. Die Vorinstanzen folgerten aus den bei Manfred festgestellten Verletzungen, daß die Mutter nicht imstande gewesen sei, ihrer Aufsichtspflicht in hinreichendem Maße nachzukommen, so daß auch das Wohl der Kinder Christian und Michael bei ihr gefährdet wäre. Welche tatsächlichen Umstände im konkreten Fall die Anordnung einer Maßnahme nach § 26 JWG rechtfertigen, ist im Gesetz nicht näher bestimmt. Es vermag daher die Behauptung, daß diese Umstände im konkreten Fall für die Rechtfertigung einer derartigen Maßnahme nicht ausreichen, sofern nicht offensichtlich das Wohl des Kindes völlig außer Acht gelassen wurde, was hier nicht zutrifft, den Anfechtungsgrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit iS des § 16 Abs 1 AußStrG nicht herzustellen (EFSlg.52.792, 52.790, 49.971, 49.970 ua).
Demzufolge ist der Revisionsrekurs zurückzuweisen.
Anmerkung
E17668European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0010OB00560.89.0426.000Dokumentnummer
JJT_19890426_OGH0002_0010OB00560_8900000_000