TE OGH 1989/5/10 9ObA75/89

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.05.1989
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith und Dr.Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Walter Zeiler und Wilhelm Hackl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Erich O***, Angestellter, Graz, Maria Grüner Hang 10, vertreten durch Dr.Josef Peissl, Rechtsanwalt in Köflach, wider die beklagte Partei R***-K*** Gesellschaft mbH, Wien 11., Gartnergasse 6, vertreten durch Dr.Hella Ranner, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 53.654,54 brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21.Juli 1988, GZ 7 Ra 32/88-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 24.Juni 1987, GZ 33 Cga 1093/87-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird zum Teil Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 1.571,35 (darin S 142,85 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 8.122,80 (darin S 559,60 Umsatzsteuer und S 4.765 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit 1.Jänner 1965 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten und seit dem Jahr 1977 bei der Beklagten als Angestellter beschäftigt und zuletzt als Leiter der Filiale in Graz tätig. Es oblag ihm unter anderem der Einkauf, Verkauf, die Vereinbarung von Konditionen mit Vertretern, Personalangelegenheiten udgl. Am 27. November 1986 vereinbarte er mit dem Geschäftsführer der Beklagten, Dkfm.Adolf B***, bei einer Besprechung in Wien die einvernehmliche Auflösung seines Arbeitsverhältnisses zum 31.März 1987. Die Beklagte verzichtete ab sofort auf eine weitere Arbeitsleistung und der Kläger hatte alle Firmenunterlagen und Firmenschlüssel abzuliefern. Er begab sich in der Folge in der gleichen Branche auf Arbeitssuche. Mit Schreiben vom 26.Jänner 1987 wurde er wegen Vertrauensunwürdigkeit entlassen. Ab 1.April 1987 ist der Kläger bei einem Unternehmen beschäftigt, das zur Beklagten zumindest teilweise in einem Konkurrenzverhältnis steht. Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger eine Kündigungsentschädigung von brutto S 43.654,54 und eine Urlaubsentschädigung von brutto S 10.000. Seine Entlassung sei nicht gerechtfertigt. Er habe in den Räumen der Beklagten zwecks Erleichterung der Arbeitsplatzsuche lediglich einige Lieferantenrechnungen kopiert, um sich die Erhebung der genauen Anschriften der Lieferfirmen zu ersparen. Da die Beklagte von diesem Vorfall spätestens am 19.Jänner 1987 Kenntnis erlangt habe, sei die Entlassung überdies verspätet ausgesprochen worden. Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Die Entlassung des Klägers sei zu Recht erfolgt, da er am 16.Jänner 1987 nach Dienstschluß ohne Erlaubnis in die Geschäftsräume der Beklagten gekommen sei und dort geheimgehaltene Geschäftsaufzeichnungen kopiert habe. Da für eine Adressensuche kein Anlaß bestanden habe - der Kläger habe die Anschriften der Kunden ohnehin gekannt -, sei anzunehmen, daß er diese Unterlagen über innerbetriebliche Verhältnisse an jenes Konkurrenzunternehmen weitergegeben habe, bei dem er nunmehr beschäftigt sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren lediglich mit S 2.523,86 sA an Urlaubsabfindung statt und wies das Mehrbegehren ab. Es traf im wesentlichen noch folgende Feststellungen:

Nachdem der Kläger am 28.November 1986 die Firmenschlüssel übergeben hatte, kam er in der ersten Dezemberwoche noch einige Male in die Filialräume. Er verabschiedete sich schriftlich und telefonisch von verschiedenen Kunden, wobei er gelegentlich erteilte Bestellungen entgegennahm und an seinen Nachfolger weiterleitete. Er gab diesem auch Auskunft in einer Provisionsangelegenheit und verfaßte Ende Dezember 1986 über sein Ersuchen ein Fernschreiben nach Italien. Ansonsten befand sich der Kläger während dieser Zeit auf Arbeitssuche.

Am 16.Jänner 1987 wartete der Kläger nach Dienstschluß bei der verschlossenen Geschäftstür der Filiale in Graz auf das Eintreffen der Aufräumefrau Maria S***. Er ging mit ihr in die Geschäftsräumlichkeiten und hielt sich darin rund 1 bis 1 1/4 Stunden lang auf. Während dieser Zeit fertigte er auf dem Firmenkopierer mindestens 21 bis höchstens 80 Kopien von Lieferantenrechnungen und Rabattlisten an, die sich unversperrt in Ordnern befanden. Um welche Unterlagen es sich dabei handelte, ist im einzelnen, abgesehen von den 21 Lieferantenrechnungen, nicht feststellbar.

Maria S*** teilte am 21.Jänner 1987 dem Filialleiter S*** mit, daß der Kläger in den Geschäftsräumen kopiert habe. S*** berichtete dies am 23.Jänner 1987 dem in der Wiener Zentrale der Beklagten tätigen Prokuristen K***, der gerade die Grazer Filiale besuchte. Maria S*** zeigte ihnen, aus welchen Ordnern der Kläger Kopien angefertigt hatte. K*** setzte den für die Entlassung des Klägers zuständigen Geschäftsführer Dkfm.B*** am darauffolgenden Montag, dem 26.Jänner 1987, von den Vorgängen in Kenntnis. Dieser diktierte sofort das Entlassungsschreiben und ließ es noch am selben Tag eingeschrieben und expreß an den Kläger übermitteln.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die Entlassung des Klägers begründet erfolgt sei. Er habe sich außerhalb der Dienstzeit widerrechtlich Zugang zu den Geschäftsräumlichkeiten der Beklagten verschafft und habe eine erkleckliche Anzahl von Kopien von Lieferantenrechnungen und Rabattlisten angefertigt. In Anbetracht der Art und des Zeitpunktes seines Eintritts in die Räume der Beklagten habe er sich durch dieses Verhalten - objektiv gesehen - des Vertrauens seines Arbeitgebers unwürdig gemacht. Die Entlassung sei rechtzeitig erfolgt, da sie von dem dafür allein zuständigen Geschäftsführer der Beklagten unverzüglich nach Kenntnis des Sachverhalts ausgesprochen worden sei. Die Berechtigung der Entlassung habe zur Folge, daß dem Kläger nur mehr die offene Urlaubsabfindung gebühre.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es dem Klagebegehren zur Gänze stattgab. Es übernahm die Feststellungen, des Erstgerichts und vertrat im wesentlichen die Rechtsauffassung, daß das Verhalten des Klägers zwar unkorrekt gewesen und ein Vertrauensmißbrauch sei, es aber Gründe gebe, die der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar erscheinen ließen. Der Kläger habe seinen Dienst über 20 Jahre zur Zufriedenheit versehen, eine Wiederholungsgefahr sei ausgeschlossen und der Kläger sei ohnehin vom Dienst freigestellt gewesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zum Teil berechtigt.

Unter dem Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit im Sinne des § 27 Z 1 dritter Fall AngG fällt jede Handlung oder Unterlassung eines Angestellten, die mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit und auf ihre Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis den Angestellten des dienstlichen Vertrauens seines Arbeitgebers unwürdig erscheinen läßt, weil dieser befürchten muß, daß der Angestellte seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen werde, so daß dadurch die dienstlichen Interessen des Arbeitgebers gefährdet sind. Entscheidend ist, ob das Fehlverhalten des Angestellten nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise als so schwerwiegend angesehen werden muß, daß das Vertrauen des Arbeitgebers derart heftig erschüttert wird, daß ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann. Hiefür genügt Fahrlässigkeit; Schädigungsabsicht oder ein Schadenseintritt sind nicht erforderlich. Entscheidend ist das Vorliegen einer Vertrauensverwirkung (vgl Kuderna, Das Entlassungsrecht 37 ff und 88 ff; SZ 58/94 uva), wobei es weder auf die Länge der Kündigungsfrist im Einzelfall ankommt noch darauf, ob der Angestellte in der Zeit, in der er sich des Vertrauensbruches schuldig macht, dienstfrei gestellt ist oder ob eine Gelegenheit besteht, die dienstlichen Interessen in Zukunft wieder zu verletzen (vgl Arb.9.431, 10.614 ua).

Wie das Erstgericht zutreffend ausführte, hätte der Kläger ohne weiteres die Möglichkeit gehabt, seinen Nachfolger in der Filialleitung um Adressen einschlägiger Unternehmen zu ersuchen oder sie selbst aus Adress- oder Telefonbüchern zu ermitteln. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes verstärkt gerade der Umstand, daß sich der dienstfrei gestellte Kläger außerhalb der Dienstzeit widerrechtlich Zutritt zu den Geschäftsräumen der Beklagten verschaffte und sich dort über eine Stunde lang an Geschäftsunterlagen zu schaffen machte und Rechnungen kopierte, den Eindruck einer schweren Interessenverletzung. Da der Kläger nicht mehr für die Beklagte tätig werden durfte, konnte er nicht mehr für die Interessen der Beklagten, sondern ausschließlich nur mehr für seine eigenen Zwecke handeln. Soweit sich der Kläger dadurch eine dauernde und sichernde Kenntnis von geschäftlichen Daten verschaffte, kann er sich nicht mehr auf sein vor der Dienstfreistellung erworbenes Wissen berufen (vgl ÖBl 1988, 13). Sein Verhalten war vielmehr, ohne daß auf die konkrete Schädigung der Beklagten durch die Herstellung der Kopien mit den Mitteln der Beklagten eingegangen zu werden braucht, nach Inhalt und Ausführung so schwerwiegend, daß die Beklagte ihre dienstlichen Interessen zu Recht als gefährdet ansehen durfte. Hinsichtlich der Rechtzeitigkeit der Entlassung ist auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichtes zu verweisen (§ 48 ASGG).

Dem Kläger gebührt jedoch entgegen der Ansicht der Revisionswerberin eine Urlaubsabfindung, da gemäß § 10 Abs 2 UrlG allein die unberechtigte vorzeitige Lösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer durch Austritt ohne wichtigen Grund zum Verlust der Urlaubsabfindung führt. In allen anderen Fällen, sohin auch bei einer Entlassung des Arbeitnehmers aus wichtigem Grund, bleibt der Anspruch auf Urlaubsabfindung gewahrt (vgl Klein-Martinek, Urlaubsrecht 125 f; Cerny, Urlaubsrecht4 127). Auf Grund dieser klaren gesetzlichen Regelung erübrigt sich ein Eingehen darauf, ob diese unterschiedliche Rechtsfolge (vgl Tomandl, Die Vergütung nicht verbrauchten Urlaubs, ZAS 1987, 4) anderen Wertungen entspricht. Es mag sein, daß eine Reihe von Entlassungsgründen Arbeitgeberinteressen nicht weniger schwer verletzen als ein unbegründeter Austritt. Dem Arbeitgeber steht aber die auch auf betriebliche Notwendigkeiten gegründete Disposition über den Ausspruch der Entlassung zu (vgl Kuderna aaO 25 ff), während ihn ein unbegründeter Austritt des Arbeitnehmers vor vollendete Tatsachen stellt und ihn in betriebliche Schwierigkeiten bringen kann. Die Kostenentscheidung ist in den §§ 43 Abs 1 und 50 ZPO begründet.

Anmerkung

E17616

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:009OBA00075.89.0510.000

Dokumentnummer

JJT_19890510_OGH0002_009OBA00075_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten