Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Brigitte H***, Angestellte, Graben 5, 4870 Vöcklamarkt, vertreten durch Dr. Hubert Stüger, Rechtsanwalt in Frankenmarkt, wider die beklagten Parteien
1.) Johann H***, Schlosser, Holzpoint 2, 4870 Vöcklabruck, 2.) D*** Versicherungs-AG, Schottenring 15, 1010 Wien, beide vertreten durch Dr. Alois Nußbaumer, Dr. Stefan Hoffmann, Rechtsanwälte in Vöcklabruck, wegen S 823.656 s.A., infolge Revision aller Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 13.Jänner 1989, GZ 5 R 110/88-46, womit infolge Berufung aller Parteien das Endurteil des Kreisgerichtes Wels vom 29.April 1988, GZ 5 Cg 201/87-38, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat den beklagten Parteien die mit S 10.876,14 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.812,69 Umsatzsteuer), die beklagten Parteien haben der klagenden Partei die mit S 7.470,54 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.245,09 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die damals 16 Jahre alte Klägerin erlitt am 15.6.1984 bei einem Verkehrsunfall schwere Verletzungen. Die Haftung der beklagten Parteien dem Grunde nach ist unbestritten. Die Klägerin machte unter anderem ein Schmerzengeld von 900.000 S und eine Verunstaltungsentschädigung von S 150.000 geltend. Nur mehr diese Ansprüche sind Gegenstand des Revisionsverfahrens.
Das Erstgericht erachtete ein Schmerzengeld von S 850.000 und eine Verunstaltungsentschädigung von S 100.000 für gerechtfertigt. Es traf folgende - durch das Berufungsgericht teilweise ergänzte - Feststellungen:
Die Klägerin erlitt einen offenen Trümmerbruch des linken Oberschenkels, sowohl oberhalb der Oberschenkelknorren als auch durch diese durch und einen gesonderten Bruch im Bereich des linken äußeren Oberschenkelknorrens mit entsprechenden Verschiebungen und mehrfach verworfenen Bruchzonen. Sie wurde sofort in das Krankenhaus Vöcklabruck eingeliefert. Nach einer Schockbehandlung wurden die Brüche offen eingerichtet, verdrahtet und verschraubt, die Wunden versorgt und ein Spaltgipsverband angelegt. Die ersten drei Tage mußte sie auf der Intensivstation verbringen. Anschließend wurde sie auf die Unfallsabteilung verlegt. Am 13.8.1984 konnte man feststellen, daß der Bruch infektiös geworden war, weshalb man am 30.8.1984 das Osteosynthesematerial entfernte und eine Spül- und Saugdrainage zusammen mit einem Brust-Becken-Bein-Gipsverband anlegte. In der Folge behandelte man die Infektion durch lokale und allgemeine antibiotische Therapie und durch Anlegen eines Streckverbandes. Zwischendurch wurden auch neuerlich wieder Spül- und Saugdrainagen angelegt und auch der Extensionsnagel gewechselt. Erst nach mehr als einem halben Jahr konnte der Brust-Beckenbeingips entfernt werden. Zur Ruhigstellung wurden Ober- und Unterschenkel mit einem äußeren Spanner zur Überbrückung des Kniegelenkes verbunden, einem sogenannten Fixateur externe. Kurz darauf wurde mit der Mobilisierung begonnen und am 15.3.1985 - also neun Monate nach dem Unfall - wurde die Klägerin in häusliche Pflege entlassen. Sie trug dabei noch diesen äußeren Spanner. An der Oberschenkelaußenseite war ein Geschwür, dessen Absonderung mit einem Saugdrain aufgefangen wurde. Der Gang war mit zwei Stützkrücken möglich.
Die Klägerin stand anschließend unter laufender ambulanter Kontrolle, mußte aber immer wieder wegen Fistelbildungen zur antibiotischen Behandlung stationär aufgenommen werden, so etwa vom
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bis 26.3.1985 (4 Tage), vom 14.4. bis 3.5.1985 (19 Tage), vom
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bis 28.5.1985 (4 Tage). Im zweiten Halbjahr 1985 wurde sie laufend ambulant kontrolliert. Nach einem Sturz im September 1985 traten vermehrt Schmerzen auf, auch bildeten sich wieder Fisteln aus. Vom 4.2.1986 bis 3.3.1986 (27 Tage) wurde die Klägerin wiederum stationär aufgenommen und eine Knochenauffrischung mit Spangiosamaterial aus beiden Beckenkämmen vorgenommen. Vor der Entlassung wurde der äußere Spanner versetzt. Auch damals bestand noch eine Fistel oberhalb des linken Patellarrandes. Im Zuge der ambulanten Kontrollen wurden wieder stärkere Infektionszeichen festgestellt, was zu einem neuerlichen stationären Aufenthalt vom 17.3. bis 28.3.1986 führte. Eine weitere Fistelrevision wurde stationär im Juni 1986 vorgenommen. Die Klägerin hatte während des gesamten zweiten Halbjahres 1986 immer wieder Fisteln und begab sich schließlich am 19.1.1987 zu einer Untersuchung an die Universitätsklinik Innsbruck, wo ihr neuerlich eine Operation vorgeschlagen wurde.
Die Klägerin war darauf vom 4.2. bis 17.2.1987 (13 Tage) in stationärer Behandlung in der Universitätsklinik Innsbruck. Hier wurde ihr der äußere Spanner, den sie praktisch ohne wesentliche Unterbrechung nahezu zwei Jahre, vom März 1985 bis Februar 1987, tragen mußte, entfernt und Knochentransplantat, das wiederum den Beckenkämmen entnommen wurde, neuerlich angelagert und der Wundbereich entsprechend antibiotisch behandelt. Das Transplantat baute sich nach diesem Eingriff gut ein. Seit dieser Zeit kommen Fistelungen nicht mehr vor. Nach der Operation war jedoch das Kniegelenk nahezu steif und es waren nur Wackelbewegungen möglich. Diese durch Verwachsungen und Knochenbrüche entstandenen Einschränkungen wurden anläßlich eines weiteren stationären Aufenthaltes vom 5. bis 21.8.1987 (16 Tage) in einer äußerst komplizierten Operation beseitigt, die Klägerin anschließend zunehmend mobilisiert und der Physikotherapie überstellt. Die Gesamtdauer der stationären Aufenthalte betrug etwa ein Jahr. Zum Zeitpunkt der zweiten Untersuchung der Klägerin durch den gerichtsmedizinischen Sachverständigen am 8.9.1987 bestand immer noch eine starke Gangbehinderung links, die Klägerin mußte noch Krücken benützen. Diese hinkende Gehbehinderung ist der derzeit absehbare Dauerzustand, der dazu führt, daß die Klägerin kurze Strecken ohne Hilfsmittel zurücklegen kann, über längere Strecken jedoch eine Krücke benützen muß. Der linke Oberschenkel ist hochgradig verschmächtigt, das Kniegelenk, der Unterschenkel und die linke Sprunggelenksgegend hochgradig verdickt, der Vorfuß dagegen wieder verschmächtigt. Im Bereich des gesamten linken Beins sind kosmetisch auffällige und teilweise auch entstellende Hautnarben vorhanden; Narben finden sich auch im Bereich der hinteren Beckenkammgegend. Im Narbenbereich ist das Hautgefühl gestört. Durchblutungsstörungen bewirken auch ein stärkeres Kältegefühl am linken Vorfuß. Die ungleiche Belastung führte zu einer stärkeren Beckenfehlhaltung. Eine gewisse Besserung der Beweglichkeitseinschränkungen im Bereich des Kniegelenks und des oberen Sprunggelenks kann bei günstiger Entwicklung erwartet werden, darüber hinaus ist jedoch eine wesentliche Besserung des derzeitigen Zustandes nicht zu erwarten. Allerdings sind neuerliche Korrekturoperationen ebenso nicht auszuschließen so wie das neuerliche Auftreten von Fisteln und Infektionszeichen. Inwieweit die Klägerin ihren Wunschberuf einer Goldschmiedin ausüben wird können, kann noch nicht endgültig beurteilt werden. Ein Arbeiten kommt überhaupt nur im Sitzen in Frage, auch ergeben sich Einschränkungen in bezug auf den täglichen Anmarschweg zur Arbeit. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt etwa 50 %. Die bisher erduldeten und aufgrund des oben beschriebenen Zustandsbildes zukünftig überschaubaren Schmerzen können wie folgt zusammengefaßt werden: 2 Monate starke, 7 Monate mittelstarke und 1 1/2 Jahre leichte Schmerzen.
Das Normalausmaß an psychischen Beeinträchtigungen, das eine solche Verletzung mit sich bringt, wurde nicht überschritten. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge, jener der beklagten Parteien aber teilweise und änderte das Ersturteil dahin ab, daß das Schmerzengeld auf S 700.000 herabgesetzt wurde. Das Gericht zweiter Instanz führte im wesentlichen aus, die Unfallsfolgen seien zwar sehr schwerwiegend, doch sei ein höheres Schmerzengeld nur in noch schwereren Fällen zuerkannt worden. Im Vergleich mit anderen Fällen seien ein Schmerzengeld von S 700.000 und eine Verunstaltungsentschädigung von S 100.000 angemessen.
Beide Parteien bekämpfen das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revisionen, die auf den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützt werden. Die Klägerin strebt eine vollinhaltliche Stattgebung des Klagebegehrens an, die beklagten Parteien hingegen eine Herabsetzung des Schmerzengeldes auf S 600.000 und der Verunstaltungsentschädigung auf S 50.000. Die Parteien beantragen jeweils, der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Beide Revisionen sind nicht berechtigt.
1.) Zum Schmerzengeld:
Nach ständiger Rechtsprechung ist das Schmerzengeld die Genugtuung für alles Ungemach, das der Geschädigte infolge seiner Verletzung und ihrer Folgen zu erdulden hat. Es soll den Gesamtkomplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf die Dauer und Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzung und auf das Maß der physischen und psychischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes abgelten, die durch die Schmerzen entstandenen Unlustgefühle ausgleichen und den Verletzten in die Lage versetzen, sich als Ersatz für die Leiden und anstelle der ihm entgangenen Lebensfreude auf andere Weise gewisse Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen. Hieraus folgt einerseits, daß bei der Bemessung des Schmerzengeldes auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, andererseits aber zur Vermeidung einer Ungleichmäßigkeit in der Rechtsprechung ein objektiver Maßstab anzulegen ist (2 Ob 132/88 ua).
Den beklagten Parteien ist zuzugeben, daß Schmerzengeldbeträge in der Höhe von S 700.000 im allgemeinen nur bei noch schwereren Verletzungen, als sie die Klägerin erlitten hat, so etwa bei schweren Schädelverletzungen, Wirbelverletzungen mit Lähmungen u. dgl., zuerkannt wurden. Wie oben ausgeführt, kommt aber bei der Bemessung des Schmerzengeldes einer Vielzahl von Faktoren Bedeutung zu, die Art und Schwere der Körperverletzung ist keinesfalls allein entscheidend. Die Klägerin hat zwar nur Verletzungen am linken Bein erlitten, der Heilungsverlauf war aber äußerst langwierig und immer wieder von Komplikationen begleitet, es waren mehrere Operationen erforderlich, die Gesamtdauer der stationären Aufenthalte betrug ein Jahr. Bisher hatte die Klägerin wegen der Unfallsfolgen Schmerzen in der Gesamtdauer von zwei Jahren und drei Monaten zu erdulden. Wesentlich ins Gewicht fallen auch die Dauerfolgen, die eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von etwa 50 % zur Folge haben. Der starken Gangbehinderung, die bei Zurücklegung größerer Strecken die Verwendung einer Krücke erforderlich macht, kommt insbesondere bei einem jungen Menschen im Rahmen seelischer Schmerzen großes Gewicht zu. Die von den beklagten Parteien angestrebte Herabsetzung des Schmerzengeldes kommt daher nicht in Betracht. Aber auch eine Erhöhung des vom Berufungsgericht zuerkannten Betrages konnte nicht erfolgen, weil eine solche mit der bisherigen Judikatur nicht in Einklang stünde.
2.) Zur Verunstaltungsentschädigung:
Die Verhinderung des besseren Fortkommens stellt einen besonderen Vermögensschaden dar, der neben dem Schmerzengeld bei Körperverletzungen zu ersetzen ist. Der Schaden besteht im Entfall einer Verbesserung der Lebenslage; dazu gehören vor allem verschlechterte Berufsaussichten, aber auch der Entgang von Heiratschancen (2 Ob 149/88 ua). Maßgebend sind der Grad der Verunstaltung und die Wahrscheinlichkeit der Behinderung des besseren Fortkommens (2 Ob 117/88 uva). Berücksichtigt man, daß bei der im Zeitpunkt des Unfalles erst 16 Jahre alten Klägerin eine starke Gangstörung besteht, die bei Zurücklegung größerer Strecken die Verwendung einer Krücke notwendig macht, dann ist eine Verschlechterung der Berufschancen keinesfalls unwahrscheinlich, überdies ist aufgrund dieser Behinderung sowie wegen der entstellenden Narben am linken Bein mit einer beträchtlichen Verminderung der Heiratsaussichten zu rechnen. Unter Bedachtnahme auf diese Umstände entspricht der zuerkannte Betrag von S 100.000 der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes.
Beiden Revisionen war daher ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E17248European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0020OB00058.89.0510.000Dokumentnummer
JJT_19890510_OGH0002_0020OB00058_8900000_000