TE OGH 1989/5/10 9ObS6/89

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Veröffentlicht am 10.05.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Walter Zeiler und Wilhelm Hackl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr.Otto E***, Buchhändler, Wels, Oberfeldstraße 6, vertreten durch Dr.Ernst Chalupsky, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagte Partei A*** W***, Wels, Dragonerstraße 31, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 324.347,80 S sA, infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20.Dezember 1988, GZ 13 Rs 132/88-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 30.Mai 1988, GZ 26 Cgs 104/88-6, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

1. den

B e s c h l u ß

gefaßt:

Spruch

Der Antrag der klagenden Partei, die Bestimmungen des § 1 Abs 3 Z 4 sowie des § 1 Abs 4 IESG beim Verfassungsgerichtshof anzufechten, wird zurückgewiesen.

Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden, soweit der Klage mit einem Betrag von 105.600 S stattgegeben wurde und im Kostenpunkt aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Die diesbezüglichen Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

2. zu Recht erkannt:

Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben und das Urteil des Berufungsgerichtes, soweit das Ersturteil im klageabweisenden Sinn abgeändert wurde, als Teilurteil bestätigt. Die Kostenentscheidung wird der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 1.Oktober 1964 bis 14.November 1967 als kaufmännischer Angestellter und ab 15.November 1967 als Vorstandsmitglied auf Grund von Angestelltendienstverträgen für die E*** B*** W*** AG tätig. Nach diesen Dienstverträgen war in allen Fällen, in denen die Dienstzeit von Bedeutung war, insbesondere auch für den Abfertigungsanspruch, die Zeit ab 1. Oktober 1964 zugrundezulegen. In allen in den Verträgen nicht ausdrücklich geregelten Punkten sollten die Bestimmungen des Angestelltengesetzes gelten. Mit dem Inkrafttreten der jeweiligen Dienstverträge erlosch die Gültigkeit der bisher zwischen der E*** B*** W*** AG und dem Kläger abgeschlossenen dienstlichen Vereinbarungen. Nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragspartner sollte das mit dem Kläger bestehende Angestelltendienstverhältnis auch während der Zeit seiner Tätigkeit als Vorstandsmitglied weiterhin bestehen. Mit 14.November 1967 erfolgte daher auch keine Abrechnung von Urlaubs- und Abfertigungsansprüchen, sondern wurde von einem ununterbrochenen Bestand des Angestelltendienstverhältnisses ausgegangen. Aus diesem Grund wurde auch im November 1967 nicht über die Zahlung einer Abfertigung an den Kläger gesprochen. Nach Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der E*** B*** W*** AG am 26.Juni 1987 erklärte der Kläger mit Schreiben vom 30.Juni 1987 seinen Austritt. Der Abfertigungsanspruch des Klägers für die Zeit vom 1.Oktober 1964 bis 14.November 1967 beträgt unter Zugrundelegung des zuletzt bezogenen Monatsentgeltes von 181.751 S brutto 359.866,98 S netto. Der Kläger begehrte 324.347,80 S an Abfertigung für die Zeit vom 1. Oktober 1964 bis 14.November 1967.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Das Arbeitsverhältnis des Klägers habe mit seiner Bestellung zum Vorstandsmitglied geendet; der Abfertigungsanspruch sei erst mit der Beendigung der Funktion als Vorstand entstanden und sei kein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis. Das Dienstverhältnis des Klägers sei im Jahr 1967 beendet worden und der nunmehr geltend gemachte Anspruch daher verjährt.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die Organmitgliedschaft Insolvenzentgeltansprüche nicht für Forderungen ausschließe, die aus vor oder nach der Organmitgliedschaft in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegten Zeiten resultierten. Da das Angestelltendienstverhältnis des Klägers mit seiner Bestellung zum Vorstandsmitglied nicht beendet worden sei, sei der Abfertigungsanspruch erst mit dem Austritt des Klägers am 30.Juni 1987 fällig geworden. Der Einwand der Verjährung sei daher nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge. Es bestätigte das Ersturteil hinsichtlich des Zuspruches von 105.600 S und änderte es im übrigen im Sinne einer Abweisung des Mehrbegehrens von 218.747,80 S ab. Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß durch die Bestellung als Vorstandsmitglied das Arbeitsverhältnis nicht beendet worden sei; die Abfertigung sei daher erst mit dem Austritt fällig geworden und nicht verjährt. Sie sei allerdings der Höhe nach gemäß § 1 Abs 3 Z 4 IESG mit der zweifachen Höchstbeitragsgrundlage gemäß § 45 Abs 1 lit b ASVG - entsprechend einem Betrag von monatlich 52.800 S netto - zu begrenzen.

Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen beider Parteien aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Der Kläger beantragt die Einleitung eines Gesetzprüfungsverfahrens hinsichtlich § 1 Abs 3 Z 4 und § 1 Abs 4 IESG und die Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinne des Klagebegehrens. Die beklagte Partei beantragt die Aufhebung des bisherigen Verfahrens als nichtig und die Zurückweisung der Klage, in eventu, die Abänderung im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung.

Beide Parteien beantragen, jeweils der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Nur die Revision der beklagten Partei ist berechtigt.

1. Zur Revision des Klägers:

Ein Recht, vom Oberste Gerichtshof die Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof auf Aufhebung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit zu begehren, steht dem Revisionswerber nicht zu (EvBl.1980/191; 7 Ob 53/81, zuletzt 9 Ob S 2/88 sowie 9 Ob S 7/88). Der Oberste Gerichtshof kann jedoch einen solchen Antrag stellen, wenn er Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes hat. Die Ausführungen des Revisionswerbers zur Verfassungswidrigkeit der mit BGBl.395/1986 neu gefaßten § 1 Abs 3 Z 4 und § 1 Abs 4 IESG wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes sind jedoch nicht geeignet, solche Bedenken zu erwecken, weil der Gleichheitsgrundsatz lediglich eine sachlich nicht begründete Differenzierung verbietet. Wie der Verfassungsgerichtshof schon im Erkenntnis VfGHSlg.9.935 ausgesprochen hat, ist der Ausschluß der vertretungsberechtigten Organe juristischer Personen aus dem Kreis der in der Insolvenz des Arbeitgebers gesicherten Personen gerechtfertigt, weil sie typischerweise verstärkt und unmittelbar Einfluß nehmen und sich auch rechtzeitig persönlich einen umfassenden Einblick in die maßgeblichen Verhältnisse verschaffen können. Wenn der Gesetzgeber die im Einzelfall sehr schwierig zu beantwortende Frage nach dem konkreten Ausmaß dieser Möglichkeiten nicht stellt, sondern diese Personengruppe pauschal aus dem Anwendungsbereich des IESG ausschließt, wird die Regelung dadurch nicht unsachlich. Ist aber der Ausschluß von Ansprüchen der Organe juristischer Personen sachlich gerechtfertigt, wird der Argumentation des Klägers, bei Festlegung der Ausnahmen von der betraglichen Begrenzung des Insolvenzausfallgeldes im § 1 Abs 3 Z 4 IESG sei ohne sachliche Rechtfertigung auf die besondere Situation der Vorstandsmitglieder nicht Bedacht genommen worden, der Boden entzogen. Im übrigen kommt, wie zur Revision der beklagten Partei auszuführen sein wird, die Anwendung der betraglichen Begrenzung auf die Vorstandsbezüge des Klägers nicht zum Tragen, weil die nicht gesicherten Bezüge als Vorstand auch als Bemessungsgrundlage für die aus Zeiten vor der Vorstandsmitgliedschaft resultierenden gesicherten Ansprüche nicht heranzuziehen sind.

Die Feststellung der angemeldeten Forderung im Konkurs auf Grund des Anerkenntnisses des Masseverwalters (§ 109 Abs 1 KO) ist lediglich für die Frage, ob und welcher Anspruch gegen den Arbeitgeber vorliegt, der Entscheidung des Arbeitsamtes ohne weitere Prüfung zugrundezulegen. Ob dieser Anspruch auch gesichert ist, hat hingegen die Verwaltungsbehörde zu entscheiden, diese Prüfung aber an Hand der anspruchsbegründenden Tatsachenbehauptungen in der anerkannten Anmeldung vorzunehmen. In der Beurteilung von Anspruchsbegrenzungen und Anspruchsausschlüssen bleibt das Arbeitsamt in allen Fragen, die im gerichtlichen Verfahren als dort nicht anspruchsbegründend oder mangels Einwendung nicht zu prüfen waren, frei (9 Ob S 15/88). Die Frage, ob und inwieweit der auf Grund des Anerkenntnisses des Masseverwalters im Konkurs festgestellte Anspruch des Klägers gemäß § 1 Abs 6 Z 2 IESG ausgeschlossen ist, ist daher vom Arbeitsamt selbständig zu prüfen. Der Revision des Klägers war daher ein Erfolg zu versagen.

2. Zur Revision der beklagten Partei:

Zunächst sei bemerkt, daß sich der Oberste Gerichtshof durch die Revisionsausführungen der beklagten Partei nicht veranlaßt sieht, von seiner ständigen Judikatur (9 Ob S 7/88; 9 Ob S 3-6/88; 9 Ob S 1001/88 und 9 Ob S 15/88) abzugehen. Danach entspricht es dem streitigen Zweiparteienverfahren des ASGG, mit welchem die Parteienrolle nicht dem Bund, sondern der beklagten Partei kraft Gesetzes zugewiesen wurde, einen exekutionsfähigen Titel zu verschaffen. Der gegen die beklagte Partei gerichtete verurteilende Leistungsbefehl im Spruch des Berufungsurteiles ist daher unbedenklich.

Im übrigen ist die Revision im Ergebnis teilweise berechtigt. Geht man davon aus, daß das Angestelltenverhältnis des Klägers zur beklagten Partei mit seiner Bestellung zum Vorstandsmitglied erlosch, dann war der Kläger berechtigt, die mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig gewordene Abfertigung zu fordern. Entgegen der von Marhold in RdW 1984, 281 vertretenen Ansicht hält die Vereinbarung, die Abfertigung nicht auszuzahlen, sondern insbesondere auf den Abfertigungsanspruch weiterhin das Angestelltengesetz anzuwenden und die als Angestellter zurückgelegten Zeiten einzubeziehen, einem Günstigkeitsvergleich im Sinne des § 3 ArbVG stand. Die nur vom gewillkürten Verhalten des Arbeitnehmers abhängigen Verfallstatbestände des § 23 Abs 7 AngG werden wohl dadurch mehr als aufgewogen, daß als Bemessungsgrundlage für die auch die im Angestelltenverhältnis zurückgelegten Zeiten einbeziehende Abfertigung der erheblich höhere Vorstandsbezug herangezogen wird. Überdies wird der sozialpolitischen Funktion der Abfertigung als Versorgung und Überbrückung nach dem Verlust des Arbeitsplatzes durch das Hinausschieben der Fälligkeit eher Rechnung getragen als durch die Ausbezahlung bei einem Aufstieg in eine besser dotierte Position. Dem Kläger ist daher ein unverjährter, erst nach dem im § 17 Abs 2 IESG angeführten Termin fällig gewordener Anspruch auf Abfertigung zuzubilligen, soweit sie nur auf seine Tätigkeit als Angestellter zurückzuführen ist. Da nach § 1 Abs 6 Z 2 IESG die Ansprüche der Mitglieder des Organes einer juristischen Person nicht gesichert sind und von den Bezügen dieser Personen gemäß § 12 Abs 1 Z 5 letzter Satz IESG auch kein Beitrag zu leisten ist, wäre es inkonsequent, die Vorstandsbezüge als Bemessungsgrundlage für den aus der Tätigkeit als Arbeitnehmer resultierenden gesicherten Anspruch heranzuziehen. Ausschließlich aus der Tätigkeit des Klägers als Angestellter resultiert nämlich nur jener Teil der Abfertigung, der schon bei Beendigung des Angestelltenverhältnisses fällig wurde und nach dessen Auszahlung keinerlei weitere Abfertigungsansprüche aus diesem Zeitraum zugestanden wären (vgl Martinek-Schwarz AngG6, 462). Da demnach als Bemessungsgrundlage für den nach dem IESG gesicherten Teil der Abfertigung nicht etwa der letzte Vorstandsbezug des Klägers, sondern dessen letztes Entgelt vor der Vorstandsmitgliedschaft heranzuziehen ist, Feststellungen über diese Bezüge aber bisher nicht getroffen wurden, ist eine Ergänzung des Verfahrens in erster Instanz erforderlich.

Der Revision der beklagten Partei war daher Folge zu geben und die Urteile der Vorinstanzen in ihrem dem Klagebegehren stattgebenden Teil aufzuheben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E17429

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:009OBS00006.89.0510.000

Dokumentnummer

JJT_19890510_OGH0002_009OBS00006_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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