Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith und Dr.Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Walter Zeiler und Wilhelm Hackl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Angela S***, Diplomkrankenschwester, Graz, Feldgasse 8, vertreten durch Dr.Harold Schmid, Dr.Kurt Klein und Dr.Paul Wuntschek, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei L*** S***, vertreten durch den Landeshauptmann Dr.Josef KRAINER, dieser vertreten durch Dr.Alfred Lind und Dr.Klaus Rainer, Rechtsanwälte in Graz, wegen Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung (Streitwert 60.000 S), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20.Jänner 1989, GZ 8 Ra 93/88-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 25.August 1988, GZ 36 Cga 103/88-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Ersturteil wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.829,75 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten 257,25 S USt) sowie die mit 3.706,20 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 617,70 S USt) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war seit dem 21.1.1974 bei der beklagten Partei zuletzt als Diplomkrankenschwester beschäftigt und hatte ihren Dienst im Landessonderkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie Graz (im folgenden kurz Landessonderkrankenhaus) zu versehen. Auf das Dienstverhältnis war das Vertragsbedienstetengesetz 1948 in Fassung des Steiermärkischen Landesvertragsbedienstetengesetzes (LGBl 1974/125 in der geltenden Fassung) anzuwenden. Am 11.1.1987 wurden von Bediensteten des Landessonderkrankenhauses bei der Patientin Theresia L*** ein großes Hämatom unter dem rechten Auge und eine Schwellung des Zeige- und Mittelfingers der linken Hand sowie der Oberlippe festgestellt. Die Patientin gab nach längerem Befragen an, sie sei von der Klägerin mit einem Löffel ins Gesicht geschlagen worden. Die Klägerin wurde daraufhin vom ärztlichen Leiter des Landessonderkrankenhauses Prim. Dr.F*** im Beisein des Pflegedienstleiters und des Stellvertreters des Vorsitzenden des Betriebsrates befragt. Sie gab zu, die Patientin mit einem Löffel "aufs Hirn" geschlagen zu haben, fügte jedoch hinzu, daß dies bereits ein Jahr zuvor gewesen sei; mit dem gegenständlichen Vorfall habe sie nichts zu tun. Ein gegen die Klägerin wegen dieses Vorfalls eingeleitetes Strafverfahren wurde gemäß § 90 StPO eingestellt. Aus diesem Grund wurde von einer Entlassung Abstand genommen, von der beklagten Partei jedoch eine Ermahnung ausgesprochen und verfügt, daß die Klägerin nur mehr zu Tagdiensten eingeteilt werde, weil sie dabei nicht wie beim Nachtdienst allein Dienst zu verrichten hat. Anläßlich dieses Vorfalles führte der zuständige Pflegedienstleiter mit etwa 5 bis 10 Patienten der Station, an der die Klägerin beschäftigt war, Gespräche. Die Patienten teilten ihm mit, daß sie vor der Klägerin Angst hätten, die Klägerin sei derb und grob, sie hätten sich jedoch nichts zu sagen getraut, weil sie befürchteten, noch mehr Repressalien der Klägerin ausgesetzt zu sein. Anfangs April 1988 besuchte Renate M*** ihre im Landessonderkrankenhaus stationär aufgenommene Mutter. Als sie mit der Klägerin über den Gesundheitszustand ihrer Mutter sprach, teilte ihr die Klägerin mit, die Patientin wolle nur im Bett liegen; Renate M*** solle ihrer Mutter begreiflich machen, daß sie nicht immer ins Bett mache, das sei nur Bosheit, sie müsse das ja spüren. Wenn ihre Mutter damit nicht aufhöre, dann sitze sie einmal den ganzen Tag auf dem Leibstuhl. Etwa eine Woche später ersuchte Renate M*** anläßlich eines Besuches bei ihrer Mutter die Klägerin, der neben ihrer Mutter liegenden Patientin etwas zu trinken zu geben. Daraufhin schrie die Klägerin, sie solle sich um ihre Mutter kümmern und nicht um andere Patienten, die gingen sie nichts an. Renate M*** richtete wegen dieser Vorfälle am 29.4.1988 eine schriftliche Beschwerde an den Primarius des Landessonderkrankenhauses Dr.Y***. Dieser informierte die Klägerin am 2.5.1988 über das Einlangen der schriftlichen Beschwerde sowie daß er diese dem Pflegedirektor weitergeleitet habe. Nachdem der Primararzt die Station verlassen hatte, erklärte die Klägerin der Stationsschwester, sie gehe jetzt nach Hause. Durch eine Sekretärin ließ sie der zu diesem Zeitpunkt nicht in ihrem Zimmer anwesenden Oberschwester bestellen, daß sie zum Arzt gehe. Tatsächlich suchte sie den Klagevertreter auf, um sich in dieser Angelegenheit beraten zu lassen, und begab sich erst danach in ärztliche Behandlung. Nach Befassung des Angestelltenbetriebsrates, der innerhalb einer Frist von 5 Arbeitstagen zur beabsichtigten Kündigung keine Stellungnahme abgegeben hatte, kündigte die beklagte Partei das Dienstverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 24.5.1988 zum 30.9.1988 auf. Das Schreiben hat nachstehenden relevanten Inhalt:
"Die Gründe, die das Krankenanstaltenpersonalamt zu diesem Schritt veranlaßten, liegen in einer Reihe von Dienstverletzungen und Vorfällen, wobei die unten beschriebene Beschwerde den letzten Ausschlag gab:
1.) Am 2.Oktober 1986 haben Sie nach Dienst am Asphaltschießplatz der Sportanlage des Landessonderkrankenhauses Graz den ehemaligen Bediensteten Matthias L*** bedroht, mit Fäusten attackiert und schließlich versucht, ihm einen Eisstock auf den Kopf zu schlagen. Gegenüber dem ärztlichen Leiter haben Sie das bedauert und Besserung versprochen.
2.) Am 10.1.1987 haben Sie eine von Ihnen zu betreuende Patientin geschlagen. Dafür wurde Ihnen eine "strenge Ermahnung" erteilt.
3.) Im Zug des Schwesterneinsatzes 1987 wurden Sie über Ihren Wunsch und dessen Unterstützung durch den Angestelltenbetriebsrat mit 1.10. vom Landessonderkrankenhaus Graz an die Universitätsnervenklinik versetzt. Schon nach wenigen Tagen hat die Pflegeleitung des Landeskrankenhauses Ihren Abzug beantragt, weil Ihnen grundlegende Kenntnisse fehlten. Sie selbst haben gegenüber den Herren W*** und N*** in unserer Personalabteilung telefonisch beteuert, eine Gefahr für die Patienten dort zu sein und um Rückversetzung gebeten.
4.) Am Freitag, den 29.4.1988, hat die Tochter einer Patientin bei Herrn Prim.Dr.Y*** eine schriftliche Beschwerde eingebracht. Sie haben deren Mutter gedroht, sie einmal den ganzen Tag auf den Leibstuhl zu setzen, wenn sie weiter ins Bett machen würde. Weiters haben Sie sie bei der Bitte der Bettnachbarin ihrer Mutter ihr etwas zu trinken zu geben, angeschrien, sie solle sich um die eigene Mutter kümmern und nicht um die anderen Patienten.
Am 2.5. machte Herr Prim.Y*** Sie darauf aufmerksam, daß die Beschwerde eingelangt ist. Sie sind daraufhin zur Stationsschwester und haben sich mit den Worten "ich geh jetzt nach Hause" ohne weiteren Kommentar entfernt. Im Büro der Oberschwester ließen Sie dann durch eine Sekretärin ausrichten, Sie gingen zum Arzt. Tatsächlich führte Sie Ihr Weg als erstes zu Ihrem Rechtsanwalt, der daraufhin mit der Pflegedienstleitung des Landessonderkrankenhauses telefonierte. Erst anschließend gingen Sie zum Arzt. Bis 30.5. sind Sie nun voraussichtlich krank....."
Die Klägerin begehrt die Feststellung, daß die mit Schreiben vom 24.5.1988 schriftlich festgestellte Kündigung unwirksam sei und ihr Dienstverhältnis über den 30.9.1988 hinaus aufrecht fortbestehe. Sie habe keine Dienstpflichtverletzung begangen.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Die geltend gemachten Kündigungsgründe lägen vor. Im Hinblick auf das den Gegenstand der Beschwerde Renate M*** bildende Verhalten der Klägerin sei die beklagte Partei in Beachtung ihrer Verantwortung gegenüber den Patienten gezwungen gewesen, das Dienstverhältnis mit der Klägerin aufzulösen, zumal bereits in der Vergangenheit Beschwerden vorgelegen seien, daß die Klägerin gegen Patienten tätlich vorgegangen sei. In früheren Vorfällen sei bereits ein Hang der Klägerin zu tätlichen Angriffen offenbar geworden. Das Erstgericht wies das Begehren der Klägerin ab. Der der Beschwerde vom 29.4.1988 zugrunde liegende Vorfall beruhe auf der gleichen schädlichen Neigung wie das Verhalten der Klägerin gegenüber der Patientin L***, dessentwegen ihr eine Ermahnung erteilt worden sei. Das Verhalten der Klägerin sei dem Ansehen und Interesse des Dienstes abträglich, sodaß der Kündigungsgrund des § 32 Abs 2 lit f VGB erfüllt sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und stellte fest, daß das Dienstverhältnis zwischen den Streitteilen über den 30.9.1988 hinaus fortbestehe. Es erachtete die Mängelrüge sowie die in Bekämpfung der Beweiswürdigung des Erstgerichtes erstatteten Ausführungen nicht für berechtigt und legte seiner Entscheidung die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zugrunde. Die beklagte Partei habe den Vorfall vom Jänner 1987 zum Anlaß genommen, eine Ermahnung auszusprechen und habe daher auf die Geltendmachung des bis dahin an den Tag gelegten Verhaltens der Klägerin als Kündigungsgrund verzichtet. Die Äußerungen der Klägerin gegenüber der Tochter einer Patientin im April 1988 seien zwar nicht zu billigen, stellten aber eigentlich nur rüde Bemerkungen dar, wie sie im täglichen Leben wohl öfters vorkommen, ohne daß ernstlich daran gedacht wäre, eine als Erziehungsmaßnahme gedachte Androhung auch tatsächlich zu vollziehen; es spreche nichts dafür, daß die Klägerin die angedrohte Sanktion gegenüber der Patientin tatsächlich habe wahrmachen wollen. Diese Vorfälle seien daher auch unter Bedachtnahme auf ein früheres Verhalten der Klägerin nicht so schwerwiegend, daß ein Kündigungsgrund nach § 32 Abs 2 lit a oder f VBG gegeben sei. Auch die weiteren von der beklagten Partei geltend gemachten Umstände könnten die Kündigung nicht rechtfertigen. Das Klagebegehren sei daher, soweit die Feststellung des aufrechten Bestandes des Dienstverhältnisses begehrt werde, berechtigt. Da Gegenstand einer Feststellungsklage nur die Feststellung eines Rechtes oder Rechtsverhältnisses, nicht aber die Wirksamkeit einer Parteienhandlung sein könne, sei die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung nicht auszusprechen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Gemäß § 32 Abs 2 lit f des auf das vorliegende Dienstverhältnis anzuwendenden VBG 1948 liegt ein Grund, der den Dienstgeber nach Ablauf der in Abs 1 genannten Frist zur Kündigung berechtigt, unter anderem dann vor, wenn sich erweist, daß das gegenwärtige oder frühere Verhalten des Vertragsbediensteten dem Ansehen oder den Interessen des Dienstes abträglich ist, sofern nicht eine Entlassung in Frage kommt. Feststeht, daß die beklagte Partei im Jänner 1987 Kenntnis erlangte, daß die Klägerin eine Patientin - wenn auch allenfalls bereits einige Zeit davor - durch einen Schlag in das Gesicht verletzte, worauf die beklagte Partei eine Ermahnung aussprach. Das kann nur dahin verstanden werden, daß sie als Dienstgeberin auf das Recht, die Klägerin wegen dieses Verhaltens zu kündigen, verzichtet hat; nur ein danach eingenommenes oder allenfalls ein dem vorgesetzten Dienstgeber erst später zur Kenntnis gelangendes Verhalten könnte in einem solchen Fall die Kündigung rechtfertigen (Arb 8161). Der im Kündigungsschreiben dargestellte Vorfall betreffend die Patientin L***, der den Ausspruch einer Ermahnung zur Folge hatte, kann daher als Kündigungsgrund nicht mehr geltend gemacht werden. In diesem Umfang ist der Begründung des Berufungsgerichtes zuzustimmen.
Dieser Vorfall kann allerdings bei Beurteilung des weiteren Verhaltens der Klägerin nicht unbeachtet bleiben. Der Klägerin waren in ihrer Eigenschaft als Krankenschwester im Landessonderkrankenhaus, wie der Fall F*** zeigt, Patienten anvertraut, die außerstanden waren, sich selbst zu helfen und in allen Lebensbereichen auf das Krankenpflegepersonal angewiesen waren. Daß sie Beschwerden wegen eines unkorrekten Verhaltens scheuten, scheint im Hinblick auf das Abhängigkeitsverhältnis verständlich, mußten sie doch Repressalien befürchten. Dies zeigt auch das Ergebnis der anläßlich des Vorfalles vom 10.1.1987 durchgeführten Befragung von mehreren Patienten. Das Verhalten der Klägerin, die eine ihr zur Betreuung anvertraute Person schlug, war daher in höchstem Maß verwerflich. Wenn auch diese Verfehlung als Kündigungsgrund nicht mehr geltend gemacht werden kann, so muß doch ihre Äußerung im April 1988 im Licht dieses Vorfalls gesehen werden. Abgesehen davon, daß im Hinblick darauf, daß die Klägerin bereits gegen wehrlose Patienten tätlich wurde, sodaß die Verwirklichung der Drohung keineswegs auszuschließen war, war doch die Drohung - die Klägerin mußte im Hinblick auf ihre Aufforderung, auf ihre Mutter entsprechend einzuwirken, damit rechnen, daß ihre Äußerung Frau F*** zur Kenntnis kommen werde - geeignet, die Patientin in Angst zu versetzen. In dieser Äußerung wie auch in dem einige Tage späteren Verhalten der Klägerin gegenüber Renate M***, als diese die Klägerin um ein Getränk für eine Patientin ersuchte, kommt eine Einstellung der Klägerin zum Ausdruck, die mit einer Verwendung als Krankenschwester im Landessonderkrankenhaus unvereinbar und den Interessen des Dienstes sogar in erheblichem Maße abträglich ist. Der Kündigungstatbestand des § 32 Abs 2 lit f VBG ist daher erfüllt. Da die Kündigung schon aus diesem Grund gerechtfertigt ist, ist es entbehrlich zu prüfen, ob die übrigen von der beklagten Partei vorgetragenen Gründe für diese Maßnahme gegeben sind. Daß die Kündigung wegen dieses Grundes verspätet erfolgt wäre, wurde erstmalig im Rechtsmittelverfahren vorgebracht; auf diese unzulässigen Ausführungen ist daher nicht einzugehen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E17459European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:009OBA00074.89.0510.000Dokumentnummer
JJT_19890510_OGH0002_009OBA00074_8900000_000