Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith und Dr.Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Walter Zeiler und Wilhelm Hackl als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hadwig S***, Angestellte, Wels, Billrothstraße 97, vertreten durch Mag.Herbert Schnetzinger, Sekretär des ÖGB-Insolvenzreferates, Linz, Volksgartenstraße 40, dieser vertreten durch Dr.Harry Zamponi ua, wider die beklagte Partei A*** W***, Wels, Dragonerstraße 31, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen S 18.049 sA (Streitwert im Revisionsverfahren S 12.966 sA), infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9.November 1988, GZ 12 Rs 135/88-8, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 18.Mai 1988, GZ 26 Cgs 74/88-5, zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben. Hingegen wird der Revision der klagenden Partei Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 1.812,80 (darin S 164,80 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war seit 2.Jänner 1964 bei der E*** B*** W*** AG als Angestellter beschäftigt. Am 26.Juni 1987 wurde über das Vermögen der Arbeitgeberin der Konkurs eröffnet. Die Klägerin erklärte am 10.Juli 1987 im Hinblick auf die Konkurseröffnung und wegen Vorenthaltens ihres Entgelts von zuletzt monatlich S 17.510 brutto ihren vorzeitigen Austritt. Sie meldete im Konkurs ihrer Arbeitgeberin an Kündigungsentschädigung und anteiligen Sonderzahlungen Forderungen von S 41.313 und S 13.771 an. Beide Ansprüche wurden im Konkursverfahren festgestellt.
Die beklagte Partei erkannte der Klägerin S 37.034 an Insolvenzausfallgeld zu und lehnte ein Mehrbegehren von S 18.049 betreffend den Zeitraum vom 17.September bis 10.November 1987 mit der Begründung ab, daß zum Zeitpunkt des Austritts der Klägerin nur Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach den §§ 8 und 9 AngG bestanden habe und somit für diesen Zeitraum kein gesicherter Anspruch vorhanden sei.
Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die restliche Kündigungsentschädigung von S 18.049.
Die beklagte Partei beantragte, die Klage abzuweisen. Die Klägerin sei zum Zeitpunkt ihres vorzeitigen Austritts im Krankenstand gewesen. Sie habe daher gemäß § 8 Abs. 1 AngG nur einen Anspruch auf volle Entgeltfortzahlung bis 17.September 1987 und darüber hinaus auf Fortzahlung des halben Entgelts bis 15.Oktober 1987 gehabt. Gemäß § 9 Abs. 1 AngG habe sie im Rahmen der Entgeltfortzahlung lediglich diese Ansprüche behalten. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren hinsichtlich eines Teilbetrages von S 12.966 statt und wies das Mehrbegehren von S 5.083 (rechtskräftig) ab. Es stellte fest, daß die Klägerin vom 29. Juni bis 30.Juni 1987, vom 10.Juli bis 21.September 1987, vom 13. Oktober bis 26.Oktober 1987 und ab 17.November 1987 im Krankenstand war und vom 13.Oktober 1987 bis 26.Oktober 1987 sowie vom 17.November 1987 bis 29.November 1987 ein tägliches Krankengeld von S 193,20 bezogen hat.
Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß der Klägerin durch ihren Austritt ein Schadenersatzanspruch in Höhe der Kündigungsentschädigung entstanden sei, der, soweit die fiktive Kündigungsfrist drei Monate nicht übersteige, gemäß § 29 Abs. 2 AngG sofort fällig geworden sei. Für diesen Zeitraum müsse der Klägerin der volle Betrag ihres Entgelts ohne irgendeine Einrechnung zukommen; erst nach ihrem Ausscheiden eintretende Umstände seien nicht in der Lage, ihren Anspruch auf Fortzahlung des vollen Entgelts im Sinne des § 8 AngG in Höhe von unbestritten S 41.313 für den Zeitraum vom 11.Juli bis 10.Oktober 1987 zu schmälern. Für die Zeit ab 11.Oktober 1987 sei beachtlich, daß die Klägerin wirtschaftlich nur so gestellt werden dürfe, wie es bei einem regelmäßigen Ablauf des Arbeitsverhältnisses der Fall gewesen wäre. Vom 11.Oktober 1987 bis 15.Oktober 1987 hätte sie gemäß § 8 AngG nur Anspruch auf Fortzahlung des halben Entgelts gehabt, ab 16.Oktober 1987 bis 26.Oktober 1987 habe kein Entgeltfortzahlungsanspruch mehr bestanden und ab 27.Oktober 1987 sei die Klägerin wieder arbeitsfähig gewesen, so daß ihr vom 27.Oktober bis 10.November 1987 wieder das volle Entgelt zustehe. Einschließlich der Sonderzahlungen errechne sich ein Gesamtanspruch von rund S 50.000 (§ 273 ZPO), von welchem der bereits zuerkannte Betrag von S 37.034 abzuziehen sei. Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es der Klägerin lediglich S 7.500 zusprach und ihr Mehrbegehren von S 10.549 abwies. Es sprach aus, daß die Revision zulässig sei und vertrat die Rechtsauffassung, daß durch die Sonderregelung des § 9 AngG der Bestimmung des § 29 AngG bezüglich des Zeitraums der Entgeltfortzahlung derogiert worden sei. Auf Grund der anzuwendenden Spezialnorm des § 9 AngG sei zunächst der Entgeltanspruch gemäß § 8 AngG zu konsumieren. Demnach stehe der Klägerin eine Entgeltfortzahlung für den Zeitraum vom 11.Juli bis 16.September 1987 im Ausmaß von 100 % und vom 17.September bis 15.Oktober 1987 im Ausmaß von 50 % zu. Aus § 9 AngG folge aber nicht, daß der Kündigungsentschädigungsanspruch mit dem Entgeltfortzahlungsanspruch gemäß § 8 AngG begrenzt sei. Es sei daher von Bedeutung, daß die Klägerin später wieder arbeitsfähig geworden sei. Die Klägerin habe daher für die Zeit vom 27.Oktober bis 10.November 1987 Anspruch auf das volle Entgelt, wozu noch die anteiligen Sonderzahlungen für den Zeitraum vom 16.Oktober bis 26.Oktober 1987 kämen. Unter Anwendung des § 273 ZPO ergebe sich sohin für die Klägerin ein restlicher Gesamtanspruch von rund S 7.500.
Gegen diese Entscheidung richten sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobenen Revisionen beider Teile. Die Klägerin ficht den abweislichen Teil an und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß ihrem Klagebegehren mit einem weiteren Betrag von S 5.466 stattgegeben werde; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag. Die beklagte Partei bekämpft den Zuspruch und begehrt die Abänderung der Entscheidung im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung. Sie beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision der Klägerin zurückzuweisen bzw. ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Lediglich die Revision der Klägerin ist berechtigt. Richtig ist, daß die in diesem Verfahren für erheblich angesehene Rechtsfrage, welche Rechtslage - insbesondere im Hinblick auf die sofortige Fälligkeit der Kündigungsentschädigung für die ersten drei Monate - gegeben ist, wenn die Klägerin im Zeitpunkt ihres vorzeitigen Austritts noch Entgeltfortzahlungsansprüche hatte, diese aber in der Folge durch Fristablauf nach § 8 Abs. 1 AngG noch während der Frist des § 29 Abs. 1 AngG geringer wurden und weggefallen sind (vgl. Arb. 10.041) vom Obersten Gerichtshof noch nicht entschieden wurde. Insoferne handelt es sich, da dieser Frage zur Wahrung der Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, um eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (§ 46 Abs. 2 Z 1 ASGG). Dazu ist aber entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes und der Revisionswerber nicht Stellung zu nehmen.
Unbestritten ist, daß die Klägerin ihre Ansprüche auf Kündigungsentschädigung im Konkursverfahren angemeldet hat und diese Ansprüche im Konkurs festgestellt wurden (§ 109 Abs. 1 KO). Gemäß § 7 Abs. 1 IESG ist das Arbeitsamt bei der Beurteilung des Vorliegens eines gesicherten Anspruches an die hierüber ergangenen gerichtlichen Entscheidungen gebunden. Eine solche Entscheidung liegt zwar hier nicht vor, doch besteht eine Bindung an die insolvenzrechtliche Feststellung der Forderung. Das Arbeitsamt hat nämlich, soweit der dritte Satz des § 6 Abs. 5 IESG anzuwenden ist, dem Antrag ohne weitere Prüfung insoweit stattzugeben, als nach dem übersendeten Auszug des Anmeldungsverzeichnisses der gerichtliche Anspruch im Konkurs oder im Ausgleichsverfahren festgestellt ist. Ist ein Konkursverfahren anhängig und die Forderung Gegenstand der Anmeldung, tritt gemäß § 6 Abs. 5 IESG an die Stelle der befristeten Erklärung (die der Arbeitgeber gemäß § 6 Abs. 4 IESG über Aufforderung des Arbeitsamtes zur Richtigkeit jeder Forderung auf Zuerkennung von Insolvenzausfallgeld abzugeben hat) die unverzügliche Übersendung eines Auszuges aus dem Anmeldungsverzeichnis (§ 108 KO) durch den Masseverwalter. Mit der Bindung an gerichtliche Entscheidungen geht somit eine Bindung an die insolvenzrechtliche Feststellung des gesicherten Anspruches Hand in Hand (Schwarz-Holzer-Holler, Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz2 170). Diese Gleichstellung mit gerichtlichen Entscheidungen in bezug auf die Bindungswirkung entspricht der durch das Insolvenzrechtsänderungsgesetz neu gefaßten Bestimmung des § 60 Abs. 2 Satz 2 KO, die anordnet: "Wenn der Gemeinschuldner eine Forderung nicht ausdrücklich bestritten hat, bindet ihre Feststellung die Gerichte und, soferne besondere Gesetze nichts anderes bestimmen, auch die Verwaltungsbehörden (siehe dazu auch Fasching, Zivilprozeßrecht, Lehr- und Handbuch, Rz 1508, 697). Für die Feststellung im Konkurs kommt es darüber hinaus nur darauf an, daß die Forderung vom Masseverwalter anerkannt und von keinem hiezu berechtigten Gläubiger bestritten worden ist, während eine vom Gemeinschuldner ausgehende Bestreitung für den (Teilnahmeanspruch im) Konkurs keine rechtliche Wirkung hat (§ 109 Abs. 1 und 2 KO). Der gegenteiligen Ansicht von Rechberger (ZAS 1981, 31 ff), der die Neufassung des § 60 Abs. 2 Satz 2 KO noch nicht berücksichtigen konnte, ist nicht zu folgen, weil die gesetzliche Anordnung "hat das Arbeitsamt dem Antrag ohne weitere Prüfung stattzugeben" nicht berücksichtigt wurde.
Soweit diese Feststellungswirkung reicht, ist eine eigene Beurteilung durch das Arbeitsamt nicht zulässig; dieses ist vielmehr verpflichtet, die so entschiedene Frage "bzw. die insolvenzrechtliche Feststellung des gesicherten Anspruches" seiner Entscheidung zugrundezulegen (Schwarz-Holzer-Holler aaO 169; VwGH 16. März 1982, Arb. 10.098). Der gegenteiligen - vor dem Inkrafttreten des IRÄG ergangenen - Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 14.Dezember 1979 (Arb. 9.876), wonach für den Bereich des IESG davon auszugehen sei, daß einerseits gerichtliche Entscheidungen, deren prozessuale Grundlage allein die Parteiendisposition ist (zB also Versäumungs- und Anerkenntnisurteile) hinsichtlich der Qualifizierung eines Anspruchs als gesicherten ebenso wenig bindend seien (in diesem Sinn auch ZfVB 1986/1/194 mwH - aM Rechberger aaO 33) als Parteierklärungen im Konkursverfahren, selbst wenn sie kraft positiver Bestimmung der Konkursordnung teils im Konkurs (§ 109 Abs. 1 KO), teils außerhalb des Konkurses (§ 61 KO) bestimmte rechtskraftähnliche Wirkung haben, und daher die Verwaltungsbehörde aus eigenem zu prüfen habe, ob ein gesicherter Anspruch vorliege, vermag der Oberste Gerichtshof nicht zu folgen, weil der Gesetzgeber im § 7 IESG im Einklang mit der (späteren) allgemeinen Regel des § 60 Abs. 2 Satz 1 KO ausdrücklich das Gegenteil angeordnet und insbesondere bei der Normierung der Bindung an Urteile keinen Unterschied zwischen Entscheidungen gemacht hat, deren prozessuale Grundlage die Parteiendisposition ist, und solchen, die auf der amtswegigen Prüfung des Sachverhalts beruhen (9 Ob S 15/88).
Für die Frage, ob und welcher Anspruch gegen den Arbeitgeber vorliegt, ist daher die Entscheidung des Gerichtes bindend, bzw. die Feststellung im Konkurs (§ 109 Abs. 1 KO) der Entscheidung des Arbeitsamtes ohne weitere Prüfung zugrundezulegen. Ob dieser arbeitsrechtliche Anspruch auch gesichert ist, hat hingegen die Verwaltungsbehörde zu entscheiden, hiebei aber wiederum zugrundezulegen, ob nach den anspruchsbegründenden Feststellungen des Urteils bzw. der anerkannten Anmeldung ein Anspruch vorliegt, der seiner Art nach (§ 1 Abs. 2 IESG) zu den gesicherten gehört. In der Beurteilung von Anspruchsbegrenzungen und Anspruchsausschlüssen bleibt das Arbeitsamt in allen Fragen, die in gerichtlichen Verfahren von vornherein nicht zu prüfen waren oder (mangels Einwendung) nicht geprüft wurden, frei. Das gilt insbesondere auch für die Anspruchsbegrenzung des § 1 Abs. 3 Z 3 IESG, also für die Frage, ob sich der Arbeitnehmer auf eine Kündigungsentschädigung anrechnen lassen muß, was er infolge des Unterbleibens der Arbeitsleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hat. Diesbezüglich sind aber den Verfahrensergebnissen keine Beschränkungen zu entnehmen. Der Klägerin stehen daher ihre auf § 1 Abs. 2 Z 1 IESG gegründeten Entgeltansprüche in der im Konkurs festgestellten Höhe zu, wobei jedoch zu beachten ist, daß sie die erstgerichtliche Teilabweisung ihres Begehrens unbekämpft gelassen hat.
Die Kostenentscheidung ist in § 77 Abs. 1 Z 2 lit. a ASGG begründet.
Anmerkung
E17451European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:009OBS00003.89.0510.000Dokumentnummer
JJT_19890510_OGH0002_009OBS00003_8900000_000