TE OGH 1989/5/18 6Ob586/89

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Veröffentlicht am 18.05.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter über den Devolutionsantrag der beklagten Partei in dem beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien zum AZ 13 Cg 70/88 anhängigen Rechtsstreit der klagenden Partei DIE E*** Ö*** S***-C***,

Graben 21, 1010 Wien, vertreten durch Dr. Peter Karl Wolf, Dr. Felix Weigert, Dr. Andreas Theiss, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Dr. Friedrich Wilhelm K***, ehemals Richter, derzeit Strafhäftling in der Justizanstalt Mittersteig, Mittersteig 25, 1050 Wien, vertreten durch Dr. Gustav Neufeldt-Schoeller, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 231.113,-- s.A., das Oberlandesgericht Wien habe über den Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeit des Versäumungsurteiles vom 31. Oktober 1979, GZ 13 Cg 330/79-2, zu entscheiden, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 9. März 1989, AZ 14 Nc 8/89, womit der Devolutionsantrag zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Mit Versäumungsurteil des Erstgerichtes vom 31.10.1979, 13 Cg 330/79-2, wurde der Beklagte schuldig erkannt, der klagenden Partei S 231.113,-- samt Zinsen und Kosten zu bezahlen. Die Zustellung dieses Versäumungsurteiles an den Beklagten erfolgte am 9.11.1979 durch Hinterlegung. Am 26.11.1979 bestätigte das Erstgericht die Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des Versäumungsurteiles.

Am 17.6.1985 langten beim Erstgericht mehrere Schriftsätze des Beklagten ein, und zwar ein Widerspruch gegen das Versäumungsurteil, ein Antrag, gemäß § 7 Abs 3 EO die Bestätigung der Vollstreckbarkeit des Versäumungsurteiles aufzuheben, und eine Berufung gegen das Versäumungsurteil, die unter anderem auf den Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 5 ZPO gestützt war. Der Beklagte brachte vor, er sei im Zeitpunkt der Hinterlegung des Versäumungsurteiles ortsabwesend gewesen. Zur Zeit der Zustellung der Klage und des Versäumungsurteiles habe er an einer höhergradigen geistigen Störung gelitten.

Das Erstgericht führte Erhebungen über die Frage der Ortsabwesenheit des Beklagten zur Zeit der Zustellung des Versäumungsurteiles durch und legte den Akt sodann dem Oberlandesgericht Wien zur Entscheidung über die Berufung vor. Das Oberlandesgericht Wien leitete den Akt, der bei ihm am 18.3.1986 eingelangt war, mit Note vom 30.3.1987 an das Erstgericht mit dem Ersuchen zurück, die behauptete Prozeßunfähigkeit des Beklagten zu überprüfen. Das Erstgericht schaffte ein Gutachten bei, welches im Verfahren über die Versetzung des Beklagten in den zeitlichen Ruhestand erstattet worden war, bewilligte dem Beklagten die Verfahrenshilfe, bestellte zu seiner Vertretung einen Rechtsanwalt und bestellte schließlich einen Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Neurologie und Psychiatrie. Diesen Beschluß bekämpfte der Beklagte mit Rekurs. Das Verfahren war in der Folge wegen des Todes des Vertreters der klagenden Partei eine Zeit lang unterbrochen. Sodann wies das Rekursgericht den Rekurs gegen die Sachverständigenbestellung zurück. Anträge des Beklagten, die Erhebungen über den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund selbst durchzuführen, wies das Rekursgericht ab. Nachdem der Oberste Gerichtshof einen Rekurs des Beklagten gegen den Beschluß des Rekursgerichtes, mit welchem der Rekurs gegen den Sachverständigenbestellungsbeschluß zurückgewiesen worden war, zurückgewiesen hatte, richtete der Beklagte an das Oberlandesgericht Wien einen Devolutionsantrag, der dort am 2.1.1989 einlangte. Der Beklagte beantragte, 1.) beim Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung der Bestimmung des § 4 JN wegen Verfassungswidrigkeit zu stellen, 2.) unter Berufung auf Art.13 MRK in Verbindung mit Art.6 Abs 1 MRK den Übergang der Zuständigkeit zur spruchmäßigen Erledigung des Antrages auf Aufhebung der Vollstreckbarkeit auf das Oberlandesgericht Wien festzustellen, und

3.) über diesen Antrag nach Einholung einer Äußerung der klagenden Partei Beschluß zu fassen.

Das Oberlandesgericht Wien wies diesen Antrag wegen Fehlens einer funktionellen Zuständigkeit zurück.

Der Beklagte bekämpft diese Entscheidung mit Rekurs, beantragt beim Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung des § 4 JN wegen Verstoßes gegen die Bestimmung des Art.13 MRK zu stellen und den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß dem Devolutionsantrag stattgegeben werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Der erkennende Senat hat schon in seiner Entscheidung vom 19.5.1988, 6 Ob 574/88 (EvBl 1989/31), die ebenfalls einen vom nunmehrigen Rekurswerber eingebrachten Devolutionsantrag betraf, folgendes ausgeführt:

"Dem österreichischen Verfahrensrecht ist ein Übergang der funktionellen Zuständigkeit zur Entscheidung über ein in einer bürgerlichen Rechtssache bei Gericht gestelltes Rechtsschutzbegehren von dem nach der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung berufenen Gericht auf ein übergeordnetes Gericht - außerhalb eines Rechtsmittelverfahrens - fremd. Das hat nicht nur das Oberlandesgericht zutreffend erkannt, sondern davon geht auch der Rechtsmittelwerber selbst aus.

Der Rechtsmittelwerber erblickt aber im Fehlen eines solchen Rechtsbehelfes eine Säumnis des Verfahrensgesetzgebers, die die gesamte Zivilverfahrensordnung in dieser Hinsicht verfassungswidrig erscheinen lasse, weil nach der innerstaatlich im Verfassungsrang stehenen Bestimmung des Art.13 MRK zur Geltendmachung der Verletzung von Konventionsrechten eine wirksame Beschwerdemöglichkeit vor einer innerstaatlichen Instanz offenstehen müsse, der Anspruch auf Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen vor einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht innerhalb einer angemessenen Frist nach Art.6 Abs 1 MRK aber als Konventionsanspruch normiert sei.

Jede Partei eines zivilgerichtlichen Verfahrens hat im Sinne des Art.6 Abs 1 MRK Anspruch auf Entscheidung in angemessener Frist. Die Einhaltung der sich daraus ergebenden Erledigungspflicht obliegt der jeweils in der Sache befaßten Gerichtsbehörde. Damit ist die Einhaltung der Erledigungspflicht nach der österreichischen Gerichtsverfassung und Zivilverfahrensrechtsordnung in die Verantwortung der richterlichen Organträger des im Instanzenzug jeweils befaßten Gerichtes gelegt. Gegen eine allfällige Verletzung der Erledigungspflicht steht der Prozeßpartei nach der österreichischen Zivilverfahrensrechtsordnung kein unmittelbarer Rechtsbehelf offen. Darin vermag der Oberste Gerichtshof entgegen den Ausführungen des Rechtsmittelwerbers auch keinen Verdacht der Verfassungswidrigkeit im Hinblick auf Art.13 MRK zu erkennen. Die Rechtsschutzmöglichkeit durch Zugang zu einem der Konvention Genüge leistenden Gericht im Sinne des Art.6 Abs 1 MRK ist grundsätzlich auch dann gewahrt, wenn allgemein oder im Einzelfall die Überprüfung des Verfahrens und der Entscheidung des Gerichtes im Rechtsmittelweg ausgeschlossen bleibt. Soweit nach einer nicht diskriminierenden Verfahrensvorschrift gegen einen Vorgang oder eine Entscheidung eines der Konvention entsprechenden Gerichtes keine Rechtsmittelmöglichkeit vorgesehen ist, verantwortet das Gericht, bei dem die Rechtssache anhängig ist, als Grenzorgan die Wahrung der Konventionsansprüche aller Verfahrensbeteiligten, also etwa auch den Anspruch auf Erledigung in angemessener Frist. Aus Art.13 MRK kann nicht abgeleitet werden, daß zur Prüfung behaupteter Amtspflichtverletzungen einer der Konvention entsprechenden Gerichtsbehörde, und handelte es sich auch um angebliche Verstöße gegen Konventionsansprüche, eine innerstaatliche Beschwerdemöglichkeit vorgesehen werden müsse.

Jede Rechtsordnung steht bei der Gestaltung ihrer Rechtsschutzeinrichtungen vor dem Problem, das sich aus der nicht auszuschließenden Möglichkeit von Fehlern im Verfahren oder bei der Entscheidung der im Instanzenzug letzten, obersten Behörde ergibt. Der anzustrebende Rechtsfriede erfordert grundsätzlich ein Ende des Rechtszuges. Zur tunlichsten Hintanhaltung von Fehlern des Grenzorganes können zwar disziplinäre und haftungsrechtliche Verantwortlichkeit der Organe indirekt beitragen, ein unmittelbarer Eingriff in das Gerichtsverfahren zur Behebung einer allgemein rechtswidrigen oder auch im besonderen konventionswidrigen Verfahrensverzögerung durch das nach der Verfahrensordnung oberste Gerichtsorgan wäre denkgesetzwidrig.

Im Falle der österreichischen Zivilverfahrensordnung ist das jeweils instanzenmäßig mit der Sache berufene Gericht zur Wahrung des Anspruches der Beteiligten auf Verfahrenserledigung in angemessener Frist im erwähnten Zusammenhang oberste und letzte Instanz.

Eine solche Verfahrensgestaltung steht nicht im Verdacht der Konventions- und damit der Verfassungswidrigkeit."

Die vom Rekurswerber angeführten "neuen Argumente zur Widerlegung der in der Vorentscheidung vertretenen Rechtsanschauung" bieten keinen Anlaß, von der angeführten Entscheidung abzugehen. Richtig ist, daß sich Fasching in seinem für den

10. Österreichischen Juristentag, Wien 1988, erstatteten Gutachten (Verfassungskonforme Gerichtsorganisation) auf den S. 54 ff mit der Frage der Abhilfe gegen Verzögerungen unter Hinweis auf Art.6 MRK befaßte. Die Einführung eines Devolutionsantrages befürwortete er jedoch nicht. Er wies vielmehr unter anderem darauf hin, daß hiedurch die Überprüfbarkeit der Entscheidung im Instanzenzug eingeschränkt würde und der Prozeß in der Praxis durch Devolution an die höhere Instanz kaum rascher erledigt würde und jedenfalls teurer wäre.

Die Rekursausführungen, die Europäische Kommission für Menschenrechte habe in der Entscheidung 7987/1977 ausdrücklich anerkannt, daß das Fehlen einer Devolutionsmöglichkeit eine Konventionsverletzung unter dem Blickpunkt des Art.13 MRK darstelle, sind nicht richtig. Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat in dieser Entscheidung lediglich ausgeführt, eine Beschwerde, mit der das Fehlen einer wirksamen innerstaatlichen Beschwerde, mit der das Recht auf Fällung einer Gerichtsentscheidung innerhalb angemessener Frist geltend gemacht werden kann, gerügt werde, sei nicht offenbar unbegründet und daher für zulässig zu erklären. Daß das Fehlen einer Devolutionsmöglichkeit gegen Art.13 MRK verstößt, hat die Europäische Kommission für Menschenrechte in dieser Entscheidung nicht ausgesprochen.

Auch der Hinweis des Beschwerdeführers auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, in welcher in einem bestimmten Verfahren eine Verletzung des Art.6 Abs 1 MRK wegen überlanger Dauer des Verfahrens festgestellt wurde, ist nicht zielführend, weil damit über die Notwendigkeit einer Devolutionsmöglichkeit nichts gesagt wurde.

Der erkennende Senat sieht daher keinen Anlaß, von seiner in der Entscheidung 6 Ob 574/88 vertretenen Meinung abzugehen.

§ 4 JN regelt den Instanzenzug in Zivilsachen. An der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung bestehen keinerlei Bedenken. Es sei noch darauf hingewiesen, daß auch dann, wenn die im Gesetz zur Abhilfe gegen Verfahrensverzögerungen allein vorgesehene Aufsichtsbeschwerde im Hinblick auf Art.13 MRK nicht ausreichend wäre, für den Rekurswerber in diesem Verfahren nichts gewonnen wäre. Es würde sich um ein Unterlassen des Gesetzgebers handeln, welches nicht zum Gegenstand einer Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 140 B-VG gemacht werden kann (Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts6 Rz 1154; MGA B-VG3, E 11 zu Art. 140 B-VG). Dem Rekurs war aus diesen Erwägungen ein Erfolg zu versagen.

Anmerkung

E17341

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0060OB00586.89.0518.000

Dokumentnummer

JJT_19890518_OGH0002_0060OB00586_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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