Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 18.Mai 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardni als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Lässig als Schriftführer, in der Strafsache gegen Alois W*** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden der Staatsanwaltschaft Klagenfurt und des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Schöffengericht vom 12.Dezember 1988, GZ 12 Vr 1.004/88-36, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Darauf wird der Betroffene mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde verwiesen.
Text
Gründe:
Dem Alois W*** wurden laut der in der Hauptverhandlung vom 27.Juni 1988 ausgedehnten Anklageschrift vom 10.Juni 1988, das Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 erster Fall StGB und die Vergehen der sittlichen Gefährdung Unmündiger nach § 208 StGB sowie der öffentlichen unzüchtigen Handlung nach § 218 StGB zur Last gelegt. Nachdem die Gutachten zweier psychiatrischer Sachverständiger eingeholt worden waren, beantragte der Staatsanwalt in der Hauptverhandlung vom 24.Oktober 1988
zusätzlich die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs. 2 StGB. Nach Einholung eines weiteren Gutachtens eines dritten psychiatrischen Sachverständigen und nach dem Vortrag der Gutachten der drei Sachverständigen in der Hauptverhandlung vom 12.Dezember 1988 stellte der Staatsanwalt nach Schluß des Beweisverfahrens den Antrag auf Unterbringung des Angeklagten in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB.
Das Schöffengericht sprach - inhaltlich des Urteilssatzes - Alois W*** von der wider ihn erhobenen Anklage, die oben genannten strafbaren Handlungen (unter den im Urteilstenor bezeichneten näheren Tatumständen) begangen zu haben "wegen des Vorliegens von Schuldausschließungsgründen im Sinne des § 11 StGB gemäß § 259 Z 3 StPO" frei und verfügte (in unmittelbarem Anschluß an diesen Freispruch) die Einweisung des Genannten in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB.
Dieses Urteil wird von der Anklagebehörde - teils zum Vorteil des Betroffenen - mit Nichtigkeitsbeschwerde aus den Gründen der Z 3 und 9 lit b des § 281 Abs. 1 StPO sowie vom Betroffenen mit einer auf die Z 4, 5, 5 a, "9" und 11 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft.
Rechtliche Beurteilung
Bereits der Nichtigkeitsbeschwerde der Anklagebehörde, die der Sache nach allerdings nicht den materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z 9 lit b, sondern insgesamt jenen der Z 3 dieser Gesetzesstelle geltend macht, kommt Berechtigung zu. Aus § 434 StPO geht hervor, daß Anklageschrift und Unterbringungsantrag im Fall eines Überganges von einem Strafverfahren zu einem Unterbringungsverfahren oder umgekehrt einander gleichstehen (Foregger-Serini StPO4 Erl II zu § 434). Die (ausgedehnte) Anklageschrift war daher vorliegend als Unterbringungsantrag nach § 429 Abs. 2 StPO zu behandeln, über den nach öffentlicher mündlicher Hauptverhandlung, die in sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen des XVIII. und XIX. Hauptstückes der StPO durchzuführen ist, durch Urteil zu entscheiden ist (§ 430 Abs. 2 StPO).
Aus der Bezugnahme auf das XVIII. Hauptstück ergibt sich, daß auch die darin enthaltene Bestimmung des § 260 StPO, namentlich die unter Nichtigkeitssanktion stehenden Erfordernisse des § 260 Abs. 1 Z 1 bis 3 StPO, sinngemäß heranzuziehen sind.
Demgemäß hat ein Einweisungserkenntnis im Urteilsspruch die Anlaßtat zu enthalten, welche der Betroffene (unter Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes) begangen hat (§ 260 Abs. 1 Z 1 StPO) und weiters auszusprechen, als welche strafbare Handlung ihm die Tat außerhalb dieses Zustandes zuzurechnen gewesen wäre (§ 260 Abs. 1 Z 2 StPO); daran hat sich anschließend der Einweisungsausspruch (§ 260 Abs. 1 Z 3 StPO) zu knüpfen (Mayerhofer/Rieder, StPO2 Anm 2 zu § 430; EvBl 1980/203; EvBl 1978/209).
Der Urteilsspruch des Erstgerichtes wird in der vorliegenden Gestalt nur dem letztbezeichneten Erfordernis gerecht.
Für einen Freispruch "zur formalen Erledigung der Anklage" (US 6), an dessen Stelle richtigerweise in sinngemäßer Anwendung des § 260 Abs. 1 Z 1 und 2 StPO die relevierten Aussprüche mit Bezug auf die Einweisung zu treten gehabt hätten, bestand angesichts des Überganges der Anklage in die Funktion eines Unterbringungsantrages kein Raum.
Schon diese Erwägungen nötigen den Obersten Gerichtshof, sogleich bei der nichtöffentlichen Beratung über die von der Anklagebehörde auch zum Vorteil des Betroffenen ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde das angefochtene Urteil zu kassieren und die Verfahrenserneuerung anzuordnen (§§ 285 e, 288 Abs. 2 Z 1 StPO).
Der Betroffene war mit seiner - allerdings weitgehend Berufungsgründe ausführenden - Nichtigkeitsbeschwerde auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
Anmerkung
E17551European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0150OS00047.89.0518.000Dokumentnummer
JJT_19890518_OGH0002_0150OS00047_8900000_000