Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Wolfgang Dorner (AG) und Robert Freitag (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Theresia A***, Hochkraml 22, 4162 Julbach, vertreten durch Dr.Johannes Grund, Dr.Wolf D.Polte, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei P*** DER A***, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vertreten durch Dr.Anton Rosicky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Hilflosenzuschusses, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8.Feber 1989, GZ 13 Rs 28/89-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 14. November 1988, GZ 12 Cgs 274/88-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß es lautet:
"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei ab 15.März 1988 einen Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, wird abgewiesen.
Die klagende Partei hat die Prozeßkosten erster und zweiter Instanz selbst zu tragen".
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig der Klägerin den Hilflosenzuschuß ab 15.März 1988 in der mit S 2.345 monatlich vorläufig festgesetzten Höhe zu bezahlen. Es stellte im wesentlichen fest, daß die Klägerin allein die Notdurft verrichten und sich anschließend säubern kann. Beim Waschen des Körpers erreicht sie in sitzender Stellung auch die unteren Körperpartien, sie kann jedoch nicht allein in die Badewanne ein- und aussteigen. Die Klägerin leidet an Harninkontinenzbeschwerden mit Harnverlust beim Pressen und Husten.
Auf Grund dieser Harninkontinenz ist ein Waschen des Unterleibes mindestens einmal täglich erforderlich. Dazu ist das Benützen der Badewanne jedoch nicht unbedingt nötig, die Klägerin könnte sich auch beim Waschbecken waschen. Durch das Inkontinenzleiden ist sicher ein vermehrter Wäscheverbrauch bedingt, mit Zellstoffeinlagen könnte man diesen vermehrten Wäscheverbrauch entgegenwirken. Die Klägerin kann sich selbst frisieren, sich eine warme Mahlzeit am Tag zubereiten und auch einen mit Wasser gefüllten Kochtopf vom Waschbecken zum Herd transportieren sowie in sitzender Position das Geschirr selbst abwaschen. Die Wohnungsreinigung mit Schaufel und Besen ist nur äußerst notdürftig möglich, einen auf den Boden gefallenen Gegenstand kann sie in sitzener Position noch aufheben und in dieser Stellung auch Schlüpfschuhe anziehen. Das Waschen der kleinen Wäsche ist der Klägerin in sitzender Position noch zuzumuten, das Aufhängen nur in körpergerechter Höhe nicht aber auf einer Wäscheleine. Die Großwäsche und grobe Hausarbeiten kann die Klägerin nicht mehr ohne fremde Hilfe bewältigen. Sie könnte einen Holz- oder Kohleofen noch selbst beheizen, nicht aber das notwendige Brennmaterial herbeischaffen.
Die Klägerin wohnt in einer mit gutem Wohnkomfort ausgestatteten sauberen Wohnküche im Haus ihres Sohnes. Der Eingang ist ebenerdig. Im Wohnraum befindet sich eine Kochnische, ein Zusatzherd, im Gang ein Bad mit Badewanne und WC, warmes Wasser ist vorhanden. Das Wohnhaus der Klägerin liegt etwa 3 bis 4 km außerhalb von Julbach auf einer Anhöhe, wobei ein beträchtlicher Höhenunterschied zu überwinden ist. Die Klägerin kann daher keinesfalls Einkaufsgänge unternehmen oder den Arzt besuchen.
Aus diesen Feststellungen schloß das Erstgericht, durch die erforderliche Hilfeleistung beim Einkaufen, bei der erforderlichen Körperreinigung, bei der Wohnungsreinigung, bei der Beheizung und beim Wäschewaschen sei ein Zeitaufwand in der Größenordnung von 10 bis 11 Stunden pro Woche erforderlich, die Voraussetzungen für die Gewährung des Hilflosenzuschusses im Sinne des § 105 a ASVG seien daher gegeben.
Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei keine Folge. Die Harninkontinenz, die das Waschen des Unterleibes mindestens einmal täglich erforderlich mache, bedinge nicht nur einen vermehrten Verbrauch an Leibwäsche, sondern auch an großer Wäsche. Berücksichtige man, daß ohne fremde Hilfe die Wohnung wegen der nur äußerst notdürftig möglichen Wohnungsreinigung auf die Dauer verschmutzen würde und die Klägerin wegen der Lage ihres Wohnhauses keine Einkaufsgänge unternehmen und den Arzt aufsuchen könne und schließlich auch zur Beheizung auf fremde Hilfe angewiesen sei, müsse dem Erstgericht, wenn es sich auch um einen Grenzfall handle, darin beigepflichtet werden, daß Hilflosigkeit gegeben sei.
Rechtliche Beurteilung
Die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei ist berechtigt.
Die Vorinstanzen weichen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung über das Ausmaß fremder Hilfe in wesentlichen Punkten von den Feststellungen ab. So trifft es keineswegs zu, daß die Klägerin nicht selbst heizen könnte, nur das Herbeischaffen des Brennmateriales ist ihr nicht möglich. Dieses aber wird, im allgemeinen ohne besondere Mehrkosten ins Haus geliefert. Daß die Klägerin zur erforderlichen Körperreinigung nicht in der Lage wäre, entspricht ebenfalls nicht den Feststellungen. Nur das Benützen einer Badewanne ist ihr nicht allein möglich. Weil die Unfähigkeit, lebensnotwendige Verrichtungen selbst auszuführen nur in dem Umfange Hilflosigkeit im Sinne des § 105 a ASVG begründen kann, als der Ausfall der erforderlichen Wartung und Hilfe dazu führen würde, daß der Rentner oder Pensionist in absehbarer Zeit sterben oder verkommen oder gesundheitliche Schäden erleiden würde, kann, wenn eine gründliche Körperreinigung auf andere Weise möglich ist, nicht davon ausgegangen werden, daß - abgesehen von einer allfälligen medizinischen Notwendigkeit die hier nicht vorliegt - der Rentner oder Pensionist täglich baden oder duschen muß (SSV-NF 2/12 ua). Ein vermehrter Wäscheverbrauch durch die nur leichte Harninkontinenz aber kann nach den Feststellungen durch bloßes Benützen von Zellstoffeinlagen, eine Vorgangsweise, die nicht nur zumutbar sondern aus hygienischen Gründen sogar geboten erscheint, leicht vermieden werden. Das Waschen der Leibwäsche, die auf einem überall preiswert erhältlichen handlichen Wäschetrockner aufgehängt werden kann, ist aber der Klägerin ohne fremde Hilfe möglich. Solche fremde Hilfe ist daher nur zu den zwei- bis dreimal wöchentlich erforderlichen Einkäufen und zu der nur in größeren Zeitabständen anfallenden gründlichen Wohnungs- und Wäschereinigung (sollte keine Waschmaschine vorhanden sein) nötig. Dabei kann aber ausgeschlossen werden, daß die dafür durchschnittlich erforderlichen Kosten die Höhe des Hilflosenzuschusses und die von den Vorinstanzen angenommen wöchentliche Stundenzahl auch nur annähernd erreichen. Der Revision der beklagten Partei war daher im Sinne einer Abweisung der Klage Folge zu geben.
Die Entscheidung über die der klagenden Partei im Verfahren aufgelaufenen Kosten beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
Anmerkung
E17834European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00151.89.0523.000Dokumentnummer
JJT_19890523_OGH0002_010OBS00151_8900000_000