TE OGH 1989/6/6 10ObS164/89

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Veröffentlicht am 06.06.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter

Mag. Dr. Tschochner (Arbeitgeber) und Dr. Simperl (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Petra O***, 9991 Dölsach, Gödnach 60, vertreten durch Dr. Peter Greil, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei A*** U***, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65,

vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Feber 1989, GZ 5 Rs 19/89-31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 21. November 1988, GZ 46 Cgs 1124/87-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin hat den Beruf einer Friseurin erlernt. In Ausübung ihres Berufes zog sie sich eine Allergie zu. Mit Bescheid vom 19.Mai 1987 anerkannte die beklagte Partei die Erkrankung, die die Klägerin sich als Friseurin zugezogen hat, als Berufskrankheit gemäß § 177 ASVG Anlage 1 Nr. 19. Als Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalles wurde gemäß § 174 Z 2 ASVG der 25. Mai 1986 bestimmt. Die Gewährung einer Rente wurde abgelehnt. Die Klägerin begehrt, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihr eine Versehrtenrente in Höhe der Vollrente als Dauerrente im gesetzlichen Ausmaß ab 25. Mai 1986 zu gewähren.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es stellte fest, daß das als Berufskrankheit anerkannte Hautekzem der Klägerin diese zur Aufgabe ihres Berufes als Friseurin gezwungen hätte, wenn sie nicht ihre Berufstätigkeit wegen des angetretenen Karenzurlaubes eingestellt hätte. Eine Wiederaufnahme der Berufstätigkeit als Friseurin ist für die Klägerin ohne ein Wiederauftreten des Hautekzems in vollem Ausmaß nicht möglich. Das Handekzem würde im wesentlichen bei Verrichtung von Naßarbeiten und Arbeiten, die eine erhöhte Kontaktsensibilisierung der Haut infolge chemischer oder mechanischer Irritationen bedingen, wiederum hervortreten. Es käme daher zum vollen Wiederaufleben der Erkrankung, wenn die Klägerin einen Beruf des persönlichen Dienstes wie Friseurin, Köchin, Kellnerin, Masseurin oder Kosmetikerin ergriffe, aber auch wenn sie in Hauswirtschaftsberufen und in gewissen Chemieberufen wie Chemielaborant, Chemieputzer, Textilveredler und Fotolaborant oder in einigen Bau-, Holz- und Metallberufen tätig wäre. Dagegen ist der Klägerin der Einsatz auf dem sonstigen Arbeitsmarkt, wie etwa in der gesamten Palette der Büro-, Verwaltungs-, Handels-, Lehr- und Sozialberufe ohne Beeinträchtigung ihrer Gesundheit möglich. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt im Zeitpunkt der Berufsaufgabe wie auch derzeit beträgt demnach 10 %.

Im Hinblick auf die Aufgabe der schädigenden Berufstätigkeit hat sich das Friseurekzem bei der Klägerin nunmehr wesentlich zurückgebildet und es liegt als Folge noch ein Empfindlichkeitsekzem vor. Dieses bedingt eine temporäre Empfindlichkeitsteigerung der Haut an den Händen, wobei aber eine Unverträglichkeit gegenüber allen Chemikalien nicht besteht. Derartige Empfindlichkeitsekzeme, welche durch Kontakt mit Wasch- und Putzmitteln im beruflichen und im privaten Bereich provoziert sind, lassen sich durch eine adäquate Vorgangsweise, die sich auf Hautreinigung, Hautpflege und Hautschutz zu erstrecken hat, in ihren Auswirkungen wesentlich eingrenzen. Bei der Klägerin treten gelegentlich, vor allem beim rechten Mittelfinger, aber auch an anderen Stellen der rechten Hand und am Unterarm juckende Hautveränderungen auf. An der linken Hand ist in der Zwischenzeit keine ekzematöse Veränderung mehr gegeben. Die Klägerin ist Rechtshänderin.

Bei der Klägerin besteht außerdem 1987 erstmals verifiziert, auch eine Nickelallergie. Es kann nicht festgestellt werden, ob diese berufsbedingt oder außerberuflich entstanden ist. Eine Nickelallergie kann bereits durch das Tragen unechten Metallschmuckes und durch andere Metallgegenstände, die auf der Haut aufliegen, zustande kommen.

Schon vor dem Auftreten des Handekzems hat sich die Klägerin außerberuflich eine Pollinose (Heufieber) zugezogen, welche in den letzten Jahren aber zurückgegangen ist.

Rechtlich folgerte das Erstgericht aus diesem Sachverhalt, daß die Klägerin durch die Berufskrankheit zwar von einer Anzahl von Berufen ausgeschlossen sei, die Naßarbeiten oder erhöhte Kontaktsensibilisierung der Haut infolge chemischer oder mechanischer Irritation bedingen, daß es ihr aber noch möglich sei, eine Vielzahl von Berufen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Sowohl aus hautärztlicher als auch aus berufskundlicher Sicht ergebe sich demnach die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 10 %, der beizutreten sei. Da die Minderung der Erwerbsfähigkeit das rentenbegründende Ausmaß gemäß § 203 Abs. 1 ASVG nicht erreiche, sei die Klage abzuweisen. Das Berufungsericht gab der wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Tatsachenfeststellung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der Klägerin keine Folge. Es verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängeln, billigte die Beweiswürdigung des Erstgerichtes und übernahm dessen Feststellungen, insbesondere daß eine berufsbedingte Herkunft der Nickelallergie nicht als erwiesen angenommen werden könne. Es führte rechtlich aus, das Erstgericht habe seine Feststellungen über die Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin ausdrücklich auch auf den Zeitpunkt der Berufsaufgabe bezogen. Bei der Beurteilung der Einsatzmöglichkeiten der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei auf die Möglichkeit Bedacht genommen worden, daß bei Wiederaufnahme einer entsprechend sensibilisierenden Tätigkeit das Ekzem wieder voll zum Ausbruch komme. Mit der tätigkeitsbezogenen Betrachtung solle erreicht werden, daß auch in Zukunft die Gefahr des Wiederauflebens oder eine Verschlimmerung der Berufskrankheit möglichst vermieden werde. Grundlage für eine Entschädigung aus der Unfallversicherung bilde die latent vorhandene Krankheit, mit deren Ausbruch bei Ausübung der früheren Erwerbstätigkeit zu rechnen sei. Die Auswirkungen einer Berufskrankheit auf die Einsatzmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien aber nicht berufsbezogen, sondern abstrakt zu prüfen. Die Klägerin sei erst 22 Jahre alt, es sei ihr daher durchaus zuzumuten, einen anderen gesundheitlich möglichen Beruf zu ergreifen, ein besonderer Härtefall liege daher nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

Die wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist nicht berechtigt. Ein Verfahrensmangel liegt nicht vor. Die Erhebung der Verdienstmöglichkeiten im einzelnen, die der Klägerin in den ihr noch zumutbaren Berufen offenstehen, war, wie zur Rechtsrüge auszuführen sein wird, entbehrlich.

Aus dem Umstand allein, daß die Klägerin zur Aufgabe der schädigenden Erwerbstätigkeit gezwungen war, kann noch nicht abgeleitet werden, daß der Versicherungsträger jedenfalls entschädigungspflichtig sei, ohne daß auch die Einschränkungen des § 203 Abs. 1 ASVG zu berücksichtigen wären. Hautkrankheiten sind Berufskrankheiten im Sinne des § 177 ASVG gemäß lfd. Nr. 19 der Anlage 1 zum ASVG, wenn und so lange sie zur Aufgabe schädigender Erwerbstätigkeit zwingen. Die Aufgabe der schädigenden Erwerbstätigkeit bildet, anders als bei anderen in Anlage 1 zu § 177 ASVG angeführten Berufskrankheiten, ein Tatbestandsmerkmal dieser speziellen Berufskrankheit (SSV-NF 2/25). Anders als in anderen Fällen der gesetzlichen Unfallversicherung hat hier eine Anknüpfung an die vom Versicherten zuvor ausgeübte Tätigkeit zu erfolgen. Dies aber nur insoweit, als die Aufgabe der beruflichen Tätigkeit überhaupt die Voraussetzung für die Anerkennung der Hautkrankheit als Berufskrankheit ist und, auch wenn ein akuter Leidenszustand nicht besteht, die Auswirkungen einer Wiederaufnahme der früheren Tätigkeit auf das, wenn auch derzeit nur latent vorhandene Leiden zu prüfen sind. Grundlage für die Prüfung, ob eine Entschädigung zu gewähren ist, bildet in diesem Fall die latent vorhandene Krankheit, mit deren Ausbruch bei Ausübung der früheren Erwerbstätigkeit zu rechnen ist. Der Grundsatz der abstrakten Schadensberechnung gilt aber für alle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Auch bei Hauterkrankungen als Berufskrankheit ist bei der Bemessung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht auf den konkreten Einkommensverlust abzustellen, sondern zu klären, ob und in welchem Ausmaß der Versicherte durch die drei Monate nach Eintritt des Versicherungsfalles (§ 203 Abs. 1 ASVG) allenfalls noch vorhandene akute Krankheit oder, falls bereits eine vollständige Abheilung erfolgt ist, auch durch die noch latent vorhandene Allergiebereitschaft auf dem allmeinen Arbeitsmarkt in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert ist (10 Ob S 107/88). Der Grad der durch die Unfallfolgen verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit ist grundsätzlich abstrakt nach dem Umfang aller verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, also nicht nur der von den Vorinstanzen nur beispielsweise angeführten Tätigkeiten, sondern aller unselbständigen und auch selbständigen Tätigkeiten zu beurteilen und in Beziehung zu allen Erwerbsmöglichkeiten - und nicht nur zu den tatsächlich genützten - zu setzen. Unter dem Begriff der Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 203 ASVG ist nämlich die Fähigkeit zu verstehen, sich im Wirtschaftsleben einen regelmäßigen Erwerb durch selbständige oder unselbständige Arbeit zu verschaffen. Die Ausbildung und der bisherige Beruf des Verletzten (also konkrete Verweisungsmöglichkeiten im Einzelfall) sind in Abweichung von der zunächst zugrundezulegenden medizinischen Einschätzung nur soweit angemessen zu berücksichtigen, als dies zur Vermeidung unbilliger Härten erforderlich ist (10 Ob S 14/89). Weil die Unfallversicherung keine Berufsversicherung darstellt, kann die Unmöglichkeit, den bisherigen Beruf weiterhin ausüben zu können, für sich allein noch keinen Härtefall darstellen. Nur wenn die besonderen Umstände des Einzelfalles, etwa eine spezialisierte Berufsausbildung, die eine anderweitige Verwendung, bezogen auf das gesamte Erwerbsleben praktisch gar nicht zuläßt oder in weit größerem Umfang einschränkt als in durchschnittlichen Fällen mit vergleichbaren Unfallfolgen, könnte von einem besonders zu berücksichtigenden Härtefall gesprochen werden (10 Ob S 342/88, 10 Ob S 14/89). Solche von einer durchschnittlichen Betrachtungsweise abweichenden besonderen Kriterien, die eine Korrektur der medizinischen Einschätzung erfordern würden, liegen aber bei der Klägerin nicht vor. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Revisionskosten beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG.

Anmerkung

E18193

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00164.89.0606.000

Dokumentnummer

JJT_19890606_OGH0002_010OBS00164_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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