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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art144 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fritz, über die Beschwerde 1. der M W-Aktiengesellschaft und
2. des M D, beide in W N, beide vertreten durch Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid des Präsidenten des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 22. Oktober 2004, Zl. Jv 3583-33a/2004, betreffend einen Berichtigungsantrag gemäß § 7 Gerichtliches Einbringungsgesetz 1962 in Angelegenheit einer Zwangsstrafe nach § 283 HGB,
Spruch
1. den Beschluss gefasst:
Die Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.
2. zu Recht erkannt:
Die Beschwerde des Zweitbeschwerdeführers wird als unbegründet abgewiesen.
3. Der Zweitbeschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1. Der Zweitbeschwerdeführer ist Vorstandsmitglied der Erstbeschwerdeführerin.
Das Landesgericht Wiener Neustadt verhängte als Firmenbuchgericht mit Beschluss vom 5. August 2003 gegen den Zweitbeschwerdeführer gemäß § 283 HGB wegen Nichtvorlage des Jahresabschlusses zum 28. Februar 1997 die zuvor angedrohte Zwangsstrafe von EUR 730,--.
Dem dagegen von beiden Beschwerdeführern erhobenen Rekurs wurde (soweit für den Beschwerdefall von Bedeutung) mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 2. Oktober 2003 nicht Folge gegeben.
Dagegen erhoben die Beschwerdeführer einen außerordentlichen Revisionsrekurs. Mit Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 25. März 2004, 6 Ob 278/03f, wurde der außerordentliche Revisionsrekurs zurückgewiesen. Der Antrag auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim Europäischen Gerichtshof wurde zurückgewiesen, der an den Obersten Gerichtshof gerichtete Antrag auf Unterbrechung bzw. Aussetzung des Verfahrens wurde abgewiesen. In diesem Beschluss führte der Oberste Gerichtshof zu den von den Beschwerdeführern erhobenen gemeinschaftsrechtlichen Bedenken insbesondere aus, dass der Oberste Gerichtshof schon mehrfach die österreichischen handelsrechtlichen Offenlegungsvorschriften und ihre Durchsetzung mit Zwangsstrafen als verfassungskonform und dem Gemeinschaftsrecht entsprechend beurteilt habe und in der Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien (insbesondere der Publizitätsrichtlinie und der Bilanzrichtlinie) nach mehreren Entscheidungen des EuGH (vor allem der Entscheidung vom 4. Dezember 1997, Slg. 1997 I-6843-Daihatsu) keinen Eingriff in Grundrechte der MRK oder Grundwerte der EG erblicke. Die dagegen von den Beschwerdeführern vorgebrachten Argumente habe der Oberste Gerichtshof bereits in Vorentscheidungen behandelt und abgelehnt. Insoweit die Beschwerdeführer aus mehreren Erkenntnissen des EuGH und des EGMR "neue Grundrechtsbedenken" ableiteten, sei ihnen entgegen zu halten, dass im hier zu entscheidenden Fall eine die Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien einfordernde Rechtsprechung des EuGH vorliege, die keinen Zweifel darüber offen lasse, dass die Offenlegung mit den von den Beschwerdeführern relevierten Grundrechten im Einklang stehe. Diese Ansicht werde durch die (neue) Richtlinie 2003/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2003 zur Änderung der Richtlinie 68/151/EWG des Rates in Bezug auf die Offenlegungspflichten von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen (1. Richtlinie - Publizitätsrichtlinie) vom 4. September 2003, mit welcher der Gesetzgeber der Gemeinschaft an der obligatorischen Offenlegung von Kapitalgesellschaften festhalte, bestätigt. Es könne weder diesem Gesetzgeber noch dem EuGH unterstellt werden, sie hätten verkannt, dass es sich bei den offenzulegenden Bilanzangaben um grundrechtlich geschützte Geschäftsgeheimnisse handle. Mit der zitierten Richtlinie vom 15. Juli 2003 sei auch der Einwand der Beschwerdeführer, die angeblich "aus grauer Vorzeit" stammenden Richtlinien seien längst als materiell-rechtlich derogiert anzusehen, wohl endgültig widerlegt.
Der Hinweis der Beschwerdeführer auf die Europäische Charta der Grundrechte der Europäischen Union gehe allein deshalb fehl, weil diese Charta (noch) nicht für die Mitgliedstaaten der EU verbindlich sei (Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Dezember 2003, A2/01 u.a.). Der von den Beschwerdeführern behauptete umfassende Datenschutz des Gemeinschaftsrechtes ergebe sich aus sekundärrechtlichen Vorschriften, insbesondere der Datenschutz-Richtlinie. Diese Vorschriften stünden auf einer Stufe mit den gesellschaftsrechtlichen Richtlinien und könnten schon deshalb kein Maßstab dafür sein, ob andere Richtlinien mit dem Primärrecht vereinbar seien. Die zum Art. 8 EMRK ergangenen Entscheidungen des EGMR beträfen jeweils die Privatsphäre natürlicher Personen und seien auf Offenlegungspflichten von Gesellschaften nicht übertragbar.
Dieser Beschluss wurde den Beschwerdeführern am 11. Mai 2004 zugestellt.
Mit Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 3. Juni 2004 wurde gemäß § 6 Abs. 1 GEG 1962 die Einbringung der geschuldeten Beträge gegenüber dem Zweitbeschwerdeführern durch den Kostenbeamten veranlasst (Zahlungsauftrag). In der Folge erging ein entsprechender Zahlungsauftrag des Kostenbeamten vom 28. Juni 2004 gegen den Zweitbeschwerdeführer.
Dagegen erhoben beide Beschwerdeführer einen Berichtigungsantrag gemäß § 7 Abs. 1 Gerichtliches Einbringungsgesetz 1962 (GEG 1962) und einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens wegen angeblich anhängiger präjudizieller Verfahren vor dem EuGH.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde
1. den gemeinsamen Berichtigungsantrag der Beschwerdeführer zurückgewiesen und 2. ausgesprochen, dass zu einer Aussetzung der Entscheidung über den gemeinsamen Berichtigungsantrag kein Anlass bestehe.
Dagegen erhoben die Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 4. März 2005, u.a. B 1541/04-3, abgelehnt und sie mit weiterem Beschluss vom 20. Mai 2005, u.a. B 1541/04-5, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.
2. Zu Spruchpunkt 1. (Beschluss):
Die Erstbeschwerdeführerin ist der am 1. Juni 2005 an sie ergangenen Aufforderung, die Mängel der von ihr eingebrachten Beschwerde zu beheben, nicht nachgekommen, weshalb gemäß § 34 Abs. 2 und § 33 Abs. 1 VwGG wie im Spruchpunkt 1. angeführt zu verfahren war.
3. Zu Spruchpunkt 2. (Erkenntnis):
In der über Auftrag des Verwaltungsgerichtshofes ergänzten Beschwerde wird vom Zweitbeschwerdeführern inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Die belangte Behörde hat die Akten vorgelegt und eine Gegenschrift samt Antrag auf kostenpflichtige Abweisung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Der Beschwerdeführer macht als inhaltliche Rechtswidrigkeit zunächst geltend, gemäß § 283 Abs. 2 HGB könne eine Durchsetzung der Zwangsstrafe erst nach rechtskräftiger Verhängung und auch dann erst nach Ablauf einer Zweimonatsfrist zur allfälligen Nachholung der ausständigen Vorlage in Betracht kommen. Im Beschwerdefall sei der Beschluss des Obersten Gerichtshofes am 11. Mai 2004 zugestellt worden. Der Zahlungsauftrag sei bereits am 28. Juni 2004, und damit vor Ablauf der Zweimonatsfrist, ergangen.
Im vorliegenden Fall liegt dem Zahlungsauftrag eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung zu Grunde. Die belangte Behörde hat den Berichtigungsantrag zu Recht im Hinblick darauf zurückgewiesen, dass vom Beschwerdeführer keiner der in § 7 Abs. 1 dritter Satz GEG 1962 statuierten Gründe geltend gemacht worden sei. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in dem Erkenntnis vom 14. September 2004, Zl. 2004/06/0074, ausgesprochen, dass die Gesetzmäßigkeit der durch die gerichtliche Entscheidung dem Grunde und der Höhe nach bereits rechtskräftig festgestellte Zahlungspflicht nicht mehr auf dem Wege des Verwaltungsverfahrens zur Einbringung der Forderung aufgerollt werden darf.
Abgesehen davon sieht § 283 Abs. 2 HGB vor, dass, wenn die Vorstandsmitglieder ihrer im § 283 Abs. 1 leg. cit. erwähnten Pflicht (im Beschwerdefall zur Vorlage des Jahresabschlusses) nicht innerhalb von zwei Monaten ab Rechtskraft des Beschlusses über die Verhängung der Zwangsstrafe nachkommen, eine weitere Zwangsstrafe zu verhängen und der Beschluss über die verhängte Zwangsstrafe zu veröffentlichen ist. Das Verstreichen der Zweimonatsfrist ist demnach Voraussetzung für die Verhängung einer weiteren Zwangsstrafe, nicht jedoch für die Einhebung der bereits zuvor rechtskräftig verhängten Zwangsstrafe.
Im Übrigen gleicht der vorliegende Beschwerdefall sowohl hinsichtlich des maßgeblichen Sachverhaltes als auch in Ansehung der zu lösenden Rechtsfragen jenem, der dem bereits erwähnten hg. Erkenntnis vom 14. September 2004, Zl. 2004/06/0074, zu Grunde liegt. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.
Aus den darin angestellten Erwägungen war auch die vorliegende Beschwerde des Zweitbeschwerdeführers als unbegründet abzuweisen.
Der Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung wurde erst im Mängelbehebungsschriftsatz und damit verspätet gestellt (vgl. die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 540, 5. Absatz, angeführte hg. Judikatur).
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 20. Oktober 2005
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2005060163.X00Im RIS seit
28.11.2005