TE OGH 1989/6/6 2Ob71/89

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Veröffentlicht am 06.06.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Efrem K***,

Angestellter, 4280 Königswiesen 161, vertreten durch Dr. Gottfried Lindner, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei O*** W*** V***, 4020 Linz,

Gruberstraße 32, vertreten durch Dr. Wolfgang Dartmann, Rechtsanwalt in Linz, wegen S 319.362,- und Feststellung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 16. März 1989, GZ 6 R 332/88-23, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 27. September 1988, GZ 9 Cg 514/86-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 14.221,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich S 2.370,30 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 3. März 1986 ereignete sich auf der Donau-Bundesstraße 3 bei Weißenkirchen gegen 7,30 Uhr ein Verkehrsunfall, bei dem der Kläger als Insasse des von Rupert L*** gelenkten PKWs, pol. Kennzeichen O-307.158, schwer verletzt wurde. Der PKW L*** war im Unfallszeitpunkt bei der beklagten Partei haftpflichtversichert. Rupert L*** wurde wegen dieses Unfalls mit Strafverfügung des Bezirksgerichtes Krems vom 2. Juni 1986, GZ U 232/86-6, des Vergehens der fahrlässigen schweren Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 StGB schuldig erkannt. Es wurde über ihn eine unbedingte Geldstrafe verhängt. Der Kläger begehrte auf Grund dieses Unfalls den Zuspruch eines Schadenersatzbetrages von S 319.362,- sA sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für künftige Schadenersatzansprüche, wobei deren Haftung auf den Rahmen des mit Rupert L*** abgeschlossenen Versicherungsvertrages zu beschränken sei. Das Leistungsbegehren setzt sich aus einem Schmerzengeld von S 300.000,-

und aus Ersatzbeträgen von S 2.700,- für Kleiderschäden, S 4.662,-

für Besuchsfahrten und S 12.000,- für Pflegegeld zusammen. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß ihrem Versicherungsnehmer L*** im Unfallszeitpunkt gegenüber dem Kläger die Stellung eines Aufsehers im Betrieb gemäß § 333 Abs 4 ASVG zugekommen sei. Es werde demnach der Einwand des Haftungsprivilegs nach § 332 ff ASVG erhoben. Da Rupert L*** auf Grund einer gültigen Betriebsvereinbarung vom 12. März 1982 von seinem Dienstgeber einen Betrag von 90 Groschen je Kilometer für jeden Insassen erhalte, seien ihm über die bloßen Pflichten eines Kraftfahrzeuglenkers hinausgehende Pflichten und Befugnisse zugekommen.

Der Kläger replizierte, daß die Fahrt vom Dienstgeber L*** nicht in Auftrag gegeben worden sei und dieser nicht die Eigenschaft eines Aufsehers im Betrieb gehabt habe. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf nachstehende, hier noch relevante Feststellungen:

Rupert L***, seiner Ausbildung nach ein Maschinist, war bei der Ing. H*** & Co OHG als Baggerfahrer beschäftigt und arbeitete im März 1986 gemeinsam mit dem Kläger und Gottfried S***, die als Hilfsarbeiter bei derselben Firma angestellt waren, auf einer Baustelle in Niederösterreich. Die genannten drei Personen bildeten insofern eine Arbeitspartie, "als sie gemeinsam gearbeitet haben". Beaufsichtigt oder geleitet wurde diese Arbeitspartie vom L*** jedoch nicht. Er war lediglich befugt, S*** Anweisungen zu erteilen, weil dieser bei seinem Bagger arbeitete. Die Polierbefugnisse kamen an der Baustelle einem Firmenangehörigen namens P*** zu.

Am Morgen des 3. März 1986 beabsichtigte L***, mit

seinem PKW zur Baustelle zu fahren. Zuvor hatte er mit S*** vereinbart, daß dieser mit ihm fahren werde. Bei dem vereinbarten üblichen Treffpunkt wartete neben S*** auch der Kläger, in der Hoffnung, zur Baustelle mitfahren zu können. Vorher war der Kläger üblicherweise entweder mit dem Polier H***, der zu dieser Zeit auf Urlaub war, oder mit dem Baggerfahrer N***, der jedoch an diesem Tag erkrankt war, mitgefahren.

Die Abwicklung der Fahrten der einzelnen Arbeitnehmer zur Baustelle erfolgte grundsätzlich auf die Weise, daß jeder Mitarbeiter entweder mit seinem eigenen PKW fuhr, ein öffentliches Verkehrsmittel benützte oder von einem anderen Mitarbeiter mitgenommen wurde. Es bestehen zwar auch Firmenbusse, die jedoch von der Firma H*** nach und nach abgeschafft werden. Aus diesem Grunde wurde eine Betriebsvereinbarung für Maschinisten und Poliere abgeschlossen, wonach diese für eine "wöchentliche Heimfahrt" (gemeint wohl: Fahrt von und zur Arbeitsstelle) 90 Groschen je Kilometer sowie für jede mitgenommene Person ebenfalls 90 Groschen je Kilometer vom Arbeitgeber rückvergütet bekamen. Die jeweils mitfahrende Person bestätigte die Mitfahrt auf einem speziell zu diesem Zwecke aufgelegten Formular. Hilfsarbeiter erhielten vom Arbeitgeber kein Kilometergeld, sondern nur den Ersatz der Auslagen für ein öffentliches Verkehrsmittel. Es besteht zwar eine allgemeine Anweisung der Firma, daß die Hilfsarbeiter grundsätzlich von anderen Mitarbeitern in ihrem PKW mitgenommen werden können, aber keine Verpflichtung hiezu. Vielmehr ist es dem jeweiligen Lenker überlassen, ob er tatsächlich jemandem mitnimmt oder nicht, und es hat dies keinerlei Auswirkungen auf sein Arbeitsverhältnis. Im übrigen wird von der Firma auch keine bestimmte Fahrtroute oder Abfahrtszeit festgelegt.

Am 3. März 1986 nahm L*** auch den bereits wartenden Kläger in seinem PKW mit, weil dieser keine andere Mitfahrgelegenheit hatte und mit einem öffentlichen Verkehrsmittel möglicherweise zu spät zur Baustelle gelangt wäre. Auf dieser Fahrt hatte L*** keinerlei wie immer gearteten betriebliche Weisungsrechte gegenüber dem Kläger und dem ebenfalls mitfahrenden S*** auszuüben.

Bei Weißenkirchen verlor L*** infolge überhöhter Geschwindigkeit auf der schneebedeckten Fahrbahn die Herrschaft über sein Auto, worauf dieses ins Schleudern geriet und gegen einen Baum prallte. Der Kläger erlitt dabei Serienrippenbrüche in der linken Brustkorbhälfte, eine Bauchprellung mit Zerreißung der Milz, einen Trümmerbruch des rechten Fersenbeines, eine Prellung mit Bluterguß am rechten Unterarm sowie einen Unfallschock.

Rechtlich verneinte das Erstgericht die Aufsehereigenschaft L***.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Auch das Gericht zweiter Instanz vertrat die Auffassung, daß Rupert L*** nicht als Aufseher im Betrieb mit den daraus resultierenden Konsequenzen des § 333 Abs 4 ASVG zu beurteilen sei. L*** habe den Kläger vollkommen freiwillig, und zwar nur deshalb mitgenommen, weil der Baggerführer N***, mit dem der Kläger ursprünglich mitfahren wollte, an diesem Tag erkrankt war. Der Umstand, daß L*** für diese Mitfahrt des Klägers der gemeinsamen Arbeitgeberfirma ein Kilometergeld von 90 Groschen verrechnen konnte, änderte an der Freiwilligkeit der Mitnahme des Klägers nichts. L*** habe außer seiner Verantwortlichkeit für die Sicherheit des Klägers als mitbeförderter Person nach den Vorschriften über den Straßenverkehr keine darüber hinausgehend Pflichten und Befugnisse gehabt.

Gegen die Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die beklagte Partei stellt sich in der Revision auf den Standpunkt, daß eine betriebliche Anweisung bestanden habe, Hilfsarbeiter von anderen Mitarbeitern in ihren PKWs mitzunehmen. Eine solche generelle Anweisung reiche zur Begründung der Aufsehereigenschaft L*** gegenüber dem Kläger aus. Durch Gegenverrechnung mit Kilometergeld sollte ganz offenkundig erreicht werden, daß die Anweisung auch befolgt wurde. Im übrigen habe der Lenker des PKWs L*** sowohl die Fahrtroute als auch die Abfahrtszeit festlegen können.

Dazu war zu erwägen:

Nach ständiger Rechtsprechung kommt es bei der Beurteilung der Frage, ob ein Fahrzeuglenker im Unfallszeitpunkt Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG war, vor allem darauf an, ob der betreffende Dienstnehmer zur Zeit des Unfalls eine mit einem gewissen Pflichtenkreis und mit Selbständigkeit verbundene Stellung innehatte und dabei für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte verantwortlich war. Bei der Beförderung von Personen ist zu unterscheiden, ob der Lenker für ihre Sicherheit nur nach den Vorschriften über den Straßenverkehr verantwortlich war oder ob er ihnen gegenüber noch darüber hinausgehende Befugnisse und Pflichten hatte (ZVR 1974/59; SZ 51/129; JBl 1985, 565 ua). Ein Arbeitnehmer, der einen im selben Betrieb tätigen Kollegen im eigenen Kraftwagen in den Betrieb oder zu einer anderen Arbeitsstätte mitnimmt, ohne daß ihm diese Beförderung vom gemeinsamen Arbeitgeber aufgetragen worden wäre, führt diese Fahrt nicht im Rahmen des Betriebes und nicht in Erfüllung einer Dienstpflicht aus. Er ist nur ein "gewöhnlicher" Kraftwagenlenker und als solcher nicht Aufseher im Betrieb iS des § 333 Abs 4 ASVG (EvBl 1979/103; JBl 1985, 65; JBl 1988, 117 ua).

Bevor diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall angewendet werden, ist zunächst klarzustellen, daß sich die oben wiedergegebenen Revisionsausführungen ihrem Sinngehalt nach nicht mit den Feststellungen der Vorinstanzen decken. Diese haben nämlich als erwiesen angenommen, daß für die Firmenangehörigen keine Verpflichtung bestand, andere Mitarbeiter in ihrem Fahrzeug mitzunehmen. Es war gänzlich dem jeweiligen Lenker überlassen, ob er tatsächlich jemand mitnimmt oder nicht; sein Entschluß hatte nicht die geringste Auswirkung auf das Arbeitsverhältnis. Damit unterscheidet sich der vorliegende Fall wesentlich von jenen, in welchen unmittelbare Aufträge des Arbeitgebers zur Mitnahme von Arbeitnehmern bestanden (vgl. JBl 1985, 565; JBl 1988, 117 ua), sodaß - anders als hier - ein organisiertes Zusammenführen der Belegschaft zu bestimmten Zeiten und zu entsprechenden Arbeitsstellen von vornherein geplant war und dem PKW-Lenker die Durchführung dieser Fahrten im Rahmen des Arbeitsverhältnisses, also mit Auswirkung auf dasselbe, zur Pflicht gemacht worden war. Im vorliegenden Fall zeigte sich der Betrieb zwar interessiert daran, daß Arbeitskollegen einander die Zufahrt zur Betriebsstätte aus Gefälligkeit erleichterten, und honorierte dies auch entsprechend, überließ es aber gänzlich den PKW-Lenkern selbst, ob sie einen Betriebsangehörigen mitnehmen wollten oder nicht. Demgemäß war es eine reine Gefälligkeit L***, den Kläger, der genausogut ein öffentliches Verkehrsmittel mit Fahrtkostenersatz nehmen konnte (vgl. S 9 des Berufungsurteiles), in seinem PKW mitzunehmen. Sie war darüber hinaus durch die Zufälligkeit geprägt, daß der Polier H***, mit dem der Kläger sonst mitfuhr, auf Urlaub und der Baggerfahrer N*** an diesem Tage erkrankt waren. Daß letztlich der PKW-Lenker L*** die mit dem Lenken des Fahrzeugs verbundenen verkehrstechnischen Aufgaben nach seinem Ermessen zu erfüllen hatte, vermag noch nicht den Schluß zu rechtfertigen, er sei deshalb schon als Aufseher im Betrieb im Sinne der dargelegten Grundsätze anzusehen.

Die Vorinstanzen haben daher zutreffend die Aufsehereigenschaft L*** gegenüber dem Kläger verneint. Damit erweist sich die Revision der beklagten Partei nicht als stichhältig, sodaß ihr der Erfolg zu versagen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E18052

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0020OB00071.89.0606.000

Dokumentnummer

JJT_19890606_OGH0002_0020OB00071_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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