Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in der Pflegschaftssache des am 19. Juni 1984 ehelich geborenen mj. Marco F***-A***, infolge Revisionsrekurses des Vaters Mehdi F***-A***, Hifdah sharivar shomalie Ave.-Beyn, Between meydan, Emam Hosien and Meydan sohada, sehrah khayam No. 445, Teheran, Iran, vertreten durch Dr. Hans G. Mondel, Rechtsanwalt in Wien, als bestellten Verfahrenshelfers, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 27. Oktober 1988, GZ 47 R 357/88-191, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 11. April 1988, GZ 3 P 110/85-178, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 20. Jänner 1987, AZ. 26 Cg 111/85, wurde die Ehe der Eltern des Minderjährigen aus dem Alleinverschulden des Vaters geschieden. Das Erstgericht wies die elterlichen Rechte hinsichtlich des Minderjährigen der Mutter allein zu (Punkt 1.). Der Antrag des Vaters, ihm die Pflege und Erziehung des Minderjährigen zu überweisen, wurde abgewiesen und es wurden ihm die Elternrechte zur Gänze entzogen (Punkt 2.). Der hilfsweise vom Vater gestellte Antrag, ihm ein Besuchsrecht für den Minderjährigen an jedem ersten und dritten Sonntag im Monat von 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr einzuräumen, wurde abgewiesen (Punkt 3.). Weiters wurde der Antrag des Vaters auf Ausforschung des Minderjährigen sowie der Antrag auf Übertragung des Aktes an das Bezirksgericht Floridsdorf abgewiesen (Punkt 4.). Schließlich wurde der Vater mit seinem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung des Inhalts, den Minderjährigen in die Obhut des Vaters in dessen Wohnung in Wien, Engerthstraße 144/3/37, zurückzubringen, auf die Punkte 1.) bis 3.) des angefochtenen Beschlusses verwiesen.
Der Rekurs des Vaters blieb erfolglos.
Gegen den Beschluß des Rekursgerichtes wendet sich der Revisionsrekurs des Vaters aus dem Anfechtungsgrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne des Zuspruchs der Elternrechte an den Vater und Überweisung des Minderjährigen in seine Pflege und Erziehung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist unzulässig.
Der Rechtsmittelwerber führt aus, daß im gegenständlichen Fall entgegen den Ausführungen des Zweitgerichtes iranisches Recht anzuwenden sei, beweise schon die dem Rechtsmittel beiliegende Entscheidung der 115. Kammer des Sonderzivilgerichtes (Familiengerichtes) der Stadt Teheran vom 5. Oktober 1988 in beglaubigter Übersetzung. Wie schon ausgeführt, gehe gemäß Art. 1160 des iranischen Zivilgesetzbuches das Sorgerecht eines Knaben nach dem zweiten Lebensjahr auf den Vater über. Der mj. Marco F***-A*** sei am 19. Juni 1984 geboren, also über vier Jahre alt; gemäß der obzitierten Gesetzeslage und dem obzitierten Urteil stehe somit das Sorgerecht eindeutig dem Vater zu. Da nach der Aktenlage auch alle Beteiligten demselben
Vertragsstaat - nämlich Iran - angehören, sei Art. 10 Abs 3 des Freundschafts- und Niederlassungsvertrages vom 9. September 1959, BGBl. 1966/45, zwischen der Republik Österreich und dem Kaiserreich Iran anzuwenden.
Offenbare Gesetzwidrigkeit im Sinn des § 16 AußStrG liegt nur vor, wenn ein Fall im Gesetz ausdrücklich und so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wird, oder wenn die Entscheidung mit den Grundprinzipien des Rechts im Widerspruch steht, etwa weil das Wohl des Kindes gänzlich außer Acht gelassen wurde (vgl. SZ 39/103, EFSlg 39.807, EFSlg 37.392 ua.). Sie liegt allerdings auch vor, wenn die Entscheidung infolge unrichtiger Anwendung der Kollisionsnormen einer nicht berufenen Rechtsordnung beruht (vgl. EFSlg 37.390 ua.).
Zur Frage des anzuwendenden Rechtes hat das Rekursgericht, das ergänzend feststellte, daß der Vater inzwischen in den Iran abgeschoben wurde, ausgeführt, der im Rekurs vertretenen Rechtsansicht, daß im gesamten Verfahren betreffend den Minderjährigen iranisches Recht anzuwenden gewesen wäre, könne nicht gefolgt werden. Wie bereits in der Entscheidung des Rekursgerichtes vom 11. Juli 1985 (ON 42), ausgeführt wurde, besitze der Minderjährige sowohl die österreichische als auch die iranische Staatsbürgerschaft und die Rekursbehauptung des Vaters, daß der Minderjährige nur iranischer Staatsbürger sei, sei durch den im Akt erliegenden österreichischen Staatsbürgerschaftsnachweis des Minderjährigen, ausgestellt von der MA 61, widerlegt (ON 22). Es habe daher gemäß den Bestimmungen der §§ 9 und 27 IPRG österreichisches Recht zur Anwendung zu kommen. Art. 10 Abs 3 des Freundschafts- und Niederlassungsvertrages vom 9. September 1959, BGBl. 45/1966, zwischen der Republik Österreich und dem Kaiserreich Iran komme hier nicht zur Anwendung, weil dieser Vertragsbestimmung nur rein iranische Familienrechtsverhältnisse unterliegen, der Minderjährige aber auch die österreichische Staatsbürgerschaft besitze.
Zu der im Revisionsrekurs allein geltend gemachten Frage des anzuwendenden Rechts hat der Oberste Gerichtshof folgendes erwogen:
Gemäß Art. 10 Abs 3 des Freundschafts- und Niederlassungsvertrages vom 9. September 1959 zwischen der Republik Österreich und dem Kaiserreich Iran, BGBl. 45/1966, bleiben in Angelegenheiten der Eheschließung, des ehelichen Güterrechts, der Ehescheidung und Ehetrennung, der Mitgift, der Vaterschaft, der Abstammung, der Annahme an Kindesstatt, der Rechts- und Handlungsfähigkeit, der Großjährigkeit, der Vormundschaft, der gesetzlichen und testamentarischen Erbfolge die Angehörigen einer Hohen Vertragschließenden Partei auf dem Gebiete der anderen Partei den Bestimmungen des in ihrem Heimatstaat geltenden Rechtes unterworfen.
Familienrechtliche Rechtsverhältnisse fallen nur dann in den Anwendungsbereich des Art. 10 Abs 3, wenn alle Beteiligten demselben Vertragsstaat angehören. Ist einer der Beteiligten (auch) Angehöriger des anderen oder eines dritten Staates, findet Art. 10 Abs 3 keine Anwendung. Maßgebend ist dann das einschlägige nationale Kollisionsrecht (Duchek-Schwind, IPR 177 f., JBl 1988, 519).
Gemäß § 24 IPRG sind die Wirkungen der Ehelichkeit und der Legitimation eines Kindes nach dessen Personalstatut zu beurteilen, gemäß § 27 Abs 1 IPRG die Voraussetzungen für die Anordnung und Beendigung einer Vormundschaft oder Pflegschaft sowie deren Wirkungen nach dem Personalstatut des Pflegebefohlenen. Nach beiden Bestimmungen ist somit das Personalstatut maßgebend. Das Personalstatut einer natürlichen Person ist das Recht des Staates, dem die Person angehört. Hat eine Person neben einer fremden Staatsangehörigkeit auch die österreichische Staatsbürgerschaft, so ist diese maßgebend (§ 9 Abs 1 IPRG). Gemäß § 7 Abs 1 lit a Staatsbürgerschaftsgesetz i.d.F. der am 1. September 1983 in Kraft getretenen Staatsbürgerschaftsgesetz-Novelle 1983, BGBl. Nr. 170, erwerben eheliche Kinder die Staatsbürgerschaft mit der Geburt, wenn in diesem Zeitpunkt ein Elternteil österreichischer Staatsbürger ist. Wie der Oberste Gerichtshof in der die Ehescheidung der Eltern des Minderjährigen betreffenden E. 7 Ob 700/87 = JBl 1988/519, ausgesprochen hat, hat die Mutter des Minderjährigen durch ihre Eheschließung mit dem Revisionsrekurswerber die österreichische Staatsbürgerschaft nicht verloren und besaß daher im Zeitpunkt der Geburt des Minderjährigen neben der iranischen auch weiterhin die österreichische Staatsbürgerschaft, die der Minderjährige daher gemäß § 7 Abs 1 lit a Staatsbürgerschaftsgesetz mit der Geburt erworben hat und nach der Aktenlage weiterhin besitzt (vgl. die Staatsbürgerschaftsnachweise ON 22 und ON 98).
In der Auffassung des Rekursgerichtes, daß mit Rücksicht auf das Personalstatut des Minderjährigen bei der Entscheidung über die verfahrensgegenständlichen Anträge eine Anwendung der Bestimmungen des Freundschafts- und Niederlassungsvertrages vom 9. September 1959, BGBl. 45/1966, zwischen der Republik Österreich und dem Kaiserreich Iran nicht in Betracht kommt, sondern österreichisches Recht anzuwenden ist, kann daher keine offenbare Gesetzwidrigkeit erblickt werden; die Rechtsansicht des Rekursgerichtes steht vielmehr mit der Gesetzeslage im Einklang; entgegen der Ansicht des Rechtsmittelwerbers ist der Umstand, daß auch ein iranisches Gericht unter Anwendung iranischen Rechts über das Sorgerecht betreffend den Minderjährigen entschieden und einen Vollstreckungsbescheid erlassen hat, nicht mehr entscheidend. Mangels Vorliegens der im § 16 AußStrG festgesetzten Voraussetzungen war der Revisionsrekurs daher als unzulässig zurückzuweisen.
Anmerkung
E17865European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0020OB00536.89.0606.000Dokumentnummer
JJT_19890606_OGH0002_0020OB00536_8900000_000