Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Herbert Bauer und Dr.Bernhard Schwarz als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gerlinde E***, Arbeiterin, Rainbach, Wienering 2, vertreten durch Mag.Herbert S***, Sekretär des ÖGB-Insolvenzreferates, dieser vertreten durch Dr.Aldo Frischenschlager, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei A*** R***, Ried, Peter Rosegger-Straße 27, vertreten durch Dr.Leo P***, Bediensteter des Landesarbeitsamtes Oberösterreich, Linz, Gruberstraße 63, wegen S 19.052 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20.Dezember 1988, GZ 12 Rs 150/88-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom 3.August 1988, GZ 5 Cgs 46/88-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.966,40 (darin S 494,40 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war seit 18.Juli 1983 bei der Karl E***, Fleisch- und Wurstwarenerzeugung Gesellschaft mbH in Schärding als Ladnerin beschäftigt. Über das Vermögen ihrer Arbeitgeberin wurde am 15. September 1987 das Konkursverfahren eröffnet. Mit Schreiben vom 21. September 1987 kündigte der Masseverwalter Dr.W*** ihr Arbeitsverhältnis. Er nahm in dem Schreiben darauf Bezug, daß die Klägerin bei der Gemeinschuldnerin "als Angestellte" beschäftigt sei und führte aus, daß er ihr Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist von drei Monaten gemäß § 25 Abs 1 KO aufkündige. Am 12.Oktober 1987 trat die Klägerin wegen Vorenthaltens des Entgelts und wegen Konkurseröffnung aus dem Arbeitsverhältnis aus. Sie meldete ihre Ansprüche, insbesondere jene auf Kündigungsentschädigung in Höhe von S 18.857 sA, als Konkursforderungen an; ihre Ansprüche wurden vom Konkursgericht im Anmeldungsverzeichnis festgestellt.
Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin S 19.052 an Kündigungsentschädigung. Der Masseverwalter habe durch seine Kündigung die Rechtslage gestaltet und diese Kündigung nicht wegen Irrtums hinsichtlich des Kündigungstermins angefochten. Die beklagte Partei stellte das Klagebegehren der Höhe nach außer Streit und beantragte im übrigen, das Klagebegehren abzuweisen. Der Masseverwalter habe die Klägerin irrtümlich als "Angestellte" gekündigt. Dieser Irrtum habe der Klägerin auffallen müssen und sei vom Masseverwalter in einem Schreiben an die beklagte Partei "einvernehmlich" richtiggestellt worden. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Kündigungsentschädigung.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die bereits zugegangene Kündigung, mochte sie auch fehlerhaft gewesen sein, nicht mehr einseitig habe zurückgenommen werden können. Hinsichtlich der Kündigungsfrist habe für die Klägerin keine Verpflichtung bestanden, den Masseverwalter auf Fehler aufmerksam zu machen. Die Klägerin habe vielmehr darauf vertrauen dürfen, daß der Erklärungsinhalt und der Erklärungswille übereinstimmten. Einer Anfechtung des Irrtums über die Art des Arbeitsverhältnisses stehe entgegen, daß es sich dabei um einen Motivirrtum gehandelt habe. Bei der Ermittlung der für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses erforderlichen Voraussetzungen handle es sich um Umstände, die der Kündigende nach der Verkehrsauffassung auf eigene Gefahr festzustellen habe und über die er vom anderen eine Aufklärung nicht erwarte. Der Anspruch der Klägerin bestehe daher zu Recht.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab und sprach aus, daß die Revision nach § 46 Abs 2 Z 1 ASGG mangels einer entsprechenden Vorentscheidung des Obersten Gerichtshofes zulässig sei. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß der dem Masseverwalter unterlaufene Irrtum ein Geschäftsirrtum (im engeren Sinn) sei, da er eine wesentliche Eigenschaft der Person der Klägerin als Geschäftspartnerin betroffen habe; dies um so mehr, als die Qualifikation der Klägerin als "Angestellte" sogar in das Kündigungsschreiben aufgenommen worden sei. Der Geschäftsirrtum sei wesentlich im Sinne des § 871 ABGB gewesen und hätte der Klägerin offenbar auffallen müssen. Darauf, ob sie die entsprechenden Bestimmungen des Kollektivvertrags tatsächlich gekannt habe und ihr der Irrtum tatsächlich aufgefallen sei, komme es nicht an. Durch die nunmehr erfolgreiche Irrtumseinrede der beklagten Partei sei die Kündigungserklärung daher beseitigt und das Arbeitsverhältnis der Klägerin erst durch ihren Austritt am 12.Oktober 1987 beendet worden. Die geltend gemachte Kündigungsentschädigung stehe ihr sohin nicht zu. Gegen dieses Urteil richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, Aktenwidrigkeit und unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob im Hinblick auf die beabsichtigte Unternehmensfortführung für drei Monate überhaupt ein Irrtum des Masseverwalters über die Länge der Kündigungsfrist vorliegt oder ob die beklagte Partei in diesem Verfahren einen allfälligen Irrtum des Masseverwalters über die Kündigungsfrist der Klägerin mit Erfolg geltend machen kann (vgl. Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht4 394 ff, 397; W.Holzer, Irrtumsanfechtung bei zeitwidriger im Arbeitsverhältnis, JBl 1985, 83 ff, 87 ff; Schrank, Möglichkeiten und Grenzen der einseitigen Berichtigung zeitwidriger Kündigungen, FS Strasser, 309 ff, 326 ff; Kerschner, Zeitwidrige Kündigung-Wissenserklärung, DRdA 1983, 365 ff ua), da bereits der Hinweis der Klägerin auf § 7 Abs 1 IESG zum Erfolg der Revision führen muß.
Gemäß § 7 Abs 1 IESG ist das Arbeitsamt bei der Beurteilung des Vorliegens eines gesicherten Anspruches an die hierüber ergangenen gerichtlichen Entscheidungen gebunden (vgl. auch §§ 38, 69 Abs 1 lit c AVG). Eine solche Entscheidung liegt zwar hier nicht vor, doch besteht eine Bindung an die insolvenzrechtliche Feststellung der Forderung. Das Arbeitsamt hat nämlich, soweit der dritte Satz des § 6 Abs 5 IESG anzuwenden ist, dem Antrag ohne weitere Prüfung insoweit stattzugeben, als nach dem übersendeten Auszug des Anmeldungsverzeichnisses der gerichtliche Anspruch im Konkurs oder im Ausgleichsverfahren festgestellt ist. Ist ein Konkursverfahren anhängig und die Forderung Gegenstand der Anmeldung (also keine Masseforderung; siehe Arb. 10.098; ZfVB 1984/3/1099 und Schwarz-Holzer-Holler, Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz2 170 und 454), so tritt gemäß § 6 Abs 5 IESG an die Stelle der befristeten Erklärung (die der Arbeitgeber gemäß § 6 Abs 4 IESG über Aufforderung des Arbeitsamtes zur Richtigkeit jeder Forderung auf Zuerkennung von Insolvenzausfallgeld abzugeben hat) die unverzügliche Übersendung eines Auszuges aus dem Anmeldungsverzeichnis (§ 108 KO) durch den Masseverwalter. Mit der Bindung an gerichtliche Entscheidungen geht somit eine Bindung an die insolvenzrechtliche Feststellung des gesicherten Anspruches Hand in Hand (Schwarz-Holzer-Holler aaO 170). Diese Gleichstellung mit gerichtlichen Entscheidungen in bezug auf die Bindungswirkung entspricht der durch das Insolvenzrechtsänderungsgesetz neu gefaßten Bestimmung des § 60 Abs 2 Satz 2 KO, die wie folgt lautet: "Wenn der Gemeinschuldner eine Forderung nicht ausdrücklich bestritten hat, bindet ihre Feststellung die Gerichte und, soferne besondere Gesetze nichts anderes bestimmen, auch die Verwaltungsbehörden" (siehe dazu auch Fasching, Zivilprozeßrecht, Lehr- und Handbuch, Rz 1508, 697). Für die Feststellung im Konkurs kommt es darüber hinaus nur darauf an, daß die Forderung vom Masseverwalter anerkannt und von keinem hiezu berechtigten Gläubiger bestritten worden ist, während eine vom Gemeinschuldner ausgehende Bestreitung für den (Teilnahmeanspruch im) Konkurs keine rechtliche Wirkung hat (§ 109 Abs 1 und 2 KO). Der gegenteiligen Ansicht von Rechberger (ZAS 1981/31 ff), der die Neufassung des § 60 Abs 2 Satz 2 KO noch nicht berücksichtigen konnte, ist nicht zu folgen, weil damit die gesetzliche Anordnung "hat das Arbeitsamt dem Antrag ohne weitere Prüfung stattzugeben" einfach nicht berücksichtigt wird. Soweit diese Feststellungswirkung reicht, ist eine eigene Beurteilung durch das Arbeitsamt nicht zulässig; dieses ist vielmehr verpflichtet, die so entschiedene Frage bzw. die insolvenzrechtliche Feststellung des gesicherten Anspruches seiner Entscheidung zugrundezulegen (Schwarz-Holzer-Holler aaO 169; Arb. 10.098). Der
gegenteiligen - vor dem Inkrafttreten des IRÄG
ergangenen - Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Dezember 1979 (Arb. 9.876), wonach für den Bereich des IESG davon auszugehen sei, daß einerseits gerichtliche Entscheidungen, deren prozessuale Grundlage allein die Parteiendisposition ist (zB also Versäumungs- und Anerkenntnisurteile) hinsichtlich der Qualifizierung eines Anspruchs als gesicherten ebenso wenig bindend seien als Parteierklärungen im Konkursverfahren, selbst wenn sie kraft positiver Bestimmung der Konkursordnung teils im Konkurs (§ 109 Abs 1 KO), teils außerhalb des Konkurses (§ 61 KO) bestimmte rechtskraftähnliche Wirkung haben und daher die Verwaltungsbehörde aus eigenem zu prüfen habe, ob ein gesicherter Anspruch vorliegt, vermag der Oberste Gerichtshof nicht zu folgen, weil der Gesetzgeber in § 7 IESG in Einklang mit der (späteren) allgemeinen Regel des § 60 Abs 2 Satz 1 KO ausdrücklich das Gegenteil angeordnet und insbesondere bei der Normierung der Bindung an Urteile keinen Unterschied zwischen Entscheidungen gemacht hat, deren prozessuale Grundlage die Parteiendisposition ist und solchen, die auf der amtswegigen Prüfung des Sachverhalts beruhen (auch Rechberger aaO 33).
Für die Frage, ob und welcher Anspruch gegen den Arbeitgeber vorliegt, ist daher die Entscheidung des Gerichtes bindend, bzw. die Feststellung im Konkurs (§ 109 Abs 1 KO) der Entscheidung des Arbeitsamtes ohne weitere Prüfung zugrundezulegen. Ob dieser arbeitsrechtliche Anspruch auch gesichert ist, hat hingegen die Verwaltungsbehörde zu entscheiden, hiebei aber wiederum zugrundezulegen, ob nach den anspruchsbegründenden Feststellungen des Urteils bzw. der anerkannten Anmeldung ein Anspruch vorliegt, der seiner Art nach (§ 1 Abs 2 IESG) zu den gesicherten gehört (ähnlich ZfVB 1987/1/190). In der Beurteilung von Anspruchsbegrenzungen und Anspruchsausschlüssen bleibt das Arbeitsamt in allen Fragen, die in gerichtlichen Verfahren (als dort nicht anspruchsbegründend) von vornherein nicht zu prüfen waren oder (mangels Einwendung) nicht geprüft wurden, frei (9 Ob S 15/88). Derartige Anspruchsbegrenzungen und Anspruchsausschlüsse liegen aber nicht vor.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens ist in § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG begründet.
Anmerkung
E17994European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:009OBS00007.89.0614.000Dokumentnummer
JJT_19890614_OGH0002_009OBS00007_8900000_000