TE OGH 1989/6/14 1Ob601/89

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Veröffentlicht am 14.06.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann, Dr.Schlosser, Dr.Kodek und Dr.Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dkfm.Dr.Karl Alois E***, geboren am 16.2.1923 in Wien, Ministerialrat i.R., Waldgasse 40, 2371 Hinterbrühl, vertreten durch Dr.Josef Lenz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Hanne Stefanie E***, geb M***, geboren am 16.5.1941 in Wien, Kunstgewerblerin, Anger 3, 8990 Bad Aussee, vertreten durch Dr.Harald Hohenberg, Rechtsanwalt in Graz, wegen Ehescheidung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 6.März 1989, GZ 44 R 2005/89-41, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Mödling vom 14.November 1988, GZ 2 C 215/87-34, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.706,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 617,70 USt) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile schloßen am 17.4.1967 vor dem Standesamt Alland die Ehe, der der am 2.5.1971 geborene Johannes entstammt. Außerdem hat der Kläger die Tochter der Beklagten aus der Vorehe, die am 22.2.1961 geborene Elisabeth verehel. P***, 1967 an Kindesstatt angenommen.

Der Kläger begehrte die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden der Beklagten. Diese habe gegen Ende der 70iger Jahre die Ehegemeinschaft aufgehoben und sei mit dem gemeinsamen Sohn nach Bad Aussee gezogen, wo sie in der Folge mit einem verheirateten Mann eine Lebensgemeinschaft begründet habe. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Scheidungsbegehrens und wendete ein, der Kläger habe schon kurz nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes ohne zureichenden Grund den geschlechtlichen Verkehr mit ihr eingestellt und sei auch seiner Unterhaltspflicht nur unzureichend nachgekommen.

Im Verlaufe des Verfahrens stützte der Kläger sein Begehren auch auf § 55 EheG. Darauf beantragte die Beklagte für den Fall der Scheidung der Ehe aus diesem Grund, gemäß § 61 Abs 3 EheG das alleinige bzw überwiegende Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe auszusprechen.

Das Erstgericht schied - auch im zweiten Rechtsgang - die Ehe aus dem Grunde des § 55 Abs 3 EheG, sprach aus, daß das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe den Kläger treffe und wies dessen Begehren auf Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten ab. Es stellte fest, der Kläger sei 1944 im Krieg schwer verwundet worden. Der dabei zugefügte Scheitelbeinbruch habe zunächst eine Halbseitenlähmung herbeigeführt. Diese Verletzungsfolge habe sich zwar im Laufe der Zeit gebessert, der Kläger leide aber nach wie vor an zentralen Halbseitenausfällen und einem motorischen Halbseitensyndrom. Er sei aber auch während der ehelichen Gemeinschaft imstande gewesen, sich selbst anzukleiden und auszuziehen, Mahlzeiten zuzubereiten, zu essen und sich zu waschen; er sei bei diesen Verrichtungen nur schwerfälliger als ein gesunder Mensch. Die Verletzung habe ihn zwar am ehelichen Verkehr nicht gehindert, seit der Geburt des Sohnes sei es aber zu keinem solchen Verkehr mehr gekommen. Wegen seiner kriegsbedingten psychischen Belastung habe er ein weiteres Kind abgelehnt. Nach der Geburt des Sohnes sei es wegen der Wiederaufnahme der geschlechtlichen Beziehungen zwar zu keiner Aussprache zwischen den Streitteilen gekommen; sie ließen es jedoch bei bloßen Zärtlichkeiten bewenden, die auch vom jeweils anderen Teil nicht als Versuch, einen Geschlechtsverkehr herbeizuführen, aufgefaßt worden seien. Die Beklagte habe diesbezügliche Bemühungen eingestellt, als der Kläger 1974 einen Herzinfarkt erlitten und deshalb stets auf seine Schonbedürftigkeit hingewiesen habe.

Bis zum Einzug der Eltern der Beklagten im Juni 1969 sei die eheliche Gemeinschaft völlig intakt gewesen. In der Folge habe sich der Kläger durch das Verhalten seiner Schwiegermutter, Adolfine M***, eingeengt gefühlt, weil diese die Führung des Haushaltes "mehr oder minder" an sich gerissen habe. Der Kläger habe dem Einzug der Schwiegereltern zwar zugestimmt, habe sich jedoch in der Folge wegen seines psychisch labilen Zustandes den zunehmenden Auseinandersetzungen nicht mehr gewachsen gefühlt. Die Beklagte habe dem Kläger jede wegen seiner kriegsbedingten Behinderung erforderliche Hilfestellung geleistet; das Essen sei allerdings von ihrer Mutter zubereitet worden. Die Auseinandersetzungen zwischen dem Kläger und seiner Schwiegermutter hätten sich ab 1972 derart ausgeweitet, daß darunter auch die eheliche Gemeinschaft gelitten habe. Der Kläger habe sich im Haus geradezu als Fremder gefühlt, zumal Adolfine M*** die Haushaltsführung gänzlich an sich gezogen habe und selbst dann zugegen gewesen sei, wenn sich der Kläger mit seinem Sohn habe befassen wollen. Bei all diesen Auseinandersetzungen habe die Beklagte stets für ihre Mutter Partei ergriffen. Die Ehestreitigkeiten seien nicht zuletzt auch um das Haus in Bad Aussee gegangen. Die Eheleute hätten das Haus 1974 gemeinsam erworben, das bis 1978 bloß als Urlaubsdomizil verwendet worden sei. Etwa 1975 sei die Beklagte - unterstützt von ihrer Mutter - den Kläger um Anschreibung an der Liegenschaft in Hinterbrühl, dem gemeinsamen Wohnsitz, angegangen, der Kläger habe das aber unter Hinweis auf den von ihm zu respektierenden Willen seiner verstorbenen Mutter abgelehnt. Er habe der Beklagten hingegen vorgeschlagen, ihr seinen Hälfteanteil an der Liegenschaft in Bad Aussee zu übereignen, um ihre Ansprüche dafür, was sie in die Ehe eingebracht habe, abzugelten. Dies sei in der Folge auch geschehen. Bei den notwendigen Instandsetzungsarbeiten in Bad Aussee habe den Streitteilen Franz K***, ein gemeinsamer Bekannter, geholfen. Dieser sei Ende 1976 aus der Ehewohnung ausgezogen und habe mit Zustimmung der Streitteile ein Zimmer in deren Haus bezogen; erst ab 1980 oder 1981 habe er hiefür ein bares Entgelt geleistet. Franz K*** habe mit der Beklagten weder sexuelle Beziehungen unterhalten noch gar eine Lebensgemeinschaft aufgenommen. Er sorge und koche für sich selbst, helfe der Beklagten jedoch bei verschiedenen Arbeiten im Anwesen. Die Ehe des Franz K*** sei nach wie vor aufrecht. Mit den von der Beklagten mit Franz K*** gemeinsam unternommenen Ausflügen und Wanderungen sei der Kläger jedenfalls bis 1978 ausdrücklich einverstanden gewesen, zumal er infolge seiner Behinderung ohnehin daran hätte nicht teilnehmen können.

1979 sei die Beklagte mit Zustimmung des Klägers ganz nach Bad Aussee gezogen. Seither habe sie diesen nur mehr selten auf einige Tage besucht. Ab 1975 bis zu ihrem Auszug aus ihrer Ehewohnung in Hinterbrühl habe der Kläger der Beklagten ein monatliches Wirtschaftsgeld von S 6.000 überlassen, außerdem seien der Beklagten die Pensionsbezüge ihrer Mutter für die Haushaltsführung zur Verfügung gestanden. Mit diesen Beträgen habe die Beklagte das Auslangen gefunden. Nachdem die Beklagte nach Bad Aussee übersiedelt sei, habe der Kläger nur mehr Unterhaltszahlungen für den gemeinsamen Sohn geleistet. Außerdem habe er die Annuitäten für die Liegenschaft in Bad Aussee bestritten. Ersuchen der Beklagten, die Unterhaltsleistungen zu erhöhen, habe der Kläger mit dem Bemerken zurückgewiesen, ihr gebühre nicht mehr. Ab 1986 habe er die Unterhaltsleistungen auf monatliche S 5.000 erhöht. Der gemeinsame Sohn habe im Juni 1986 die Pflichtschule abgeschlossen und eine Zimmermannslehre aufgenommen. Die Tochter der Beklagten habe bis 1976 im gemeinsamen Haushalt der Streitteile gelebt, in der Folge sei sie in einem Internat untergebracht gewesen, habe dieses aber 1978 wegen Diebstählen an Mitschülerinnen verlassen müssen; deshalb sei sie auch strafgerichtlich verurteilt worden. Nach ihrer Rückkehr in die Ehewohnung habe ihr der Kläger die Aufnahme verweigert, weil er deren Verurteilung mit seinem Berufsstand als unvereinbar angesehen habe. Bis 1979 habe sie eine Lehranstalt für Fremdenverkehrsberufe in Bad Ischl besucht, habe aber die Ausbildung abgebrochen und wohne seither bei ihrer Mutter in Bad Aussee. Den Entschluß, gänzlich nach Bad Aussee zu übersiedeln, habe die Beklagte gefaßt, weil sie die von ihr hergestellten kunstgewerblichen Gegenstände nicht mehr über den mittlerweile aufgelösten Heimatverein in Mödling habe absetzen können und ihrer Tochter laufende Hilfe habe angedeihen lassen wollen. Die Beklagte sei mit den Wohnverhältnissen im Haus in Hinterbrühl unzufrieden gewesen, weil sie dieses nicht nach ihren Vorstellungen habe einrichten dürfen; diese Vorstellungen habe sie dagegen in Bad Aussee verwirklichen können. Der letztlich im Juni 1979 vollzogene Umzug der Beklagten sei von ihr gemeinsam mit dem Kläger vorbereitet worden, der gemeinsame Sohn sei schon im Frühjahr 1979 umgeschult worden. Den Vorschlag der Beklagten, in den Ruhestand zu treten und mit ihr nach Bad Aussee umzuziehen, habe der Kläger abgelehnt, weil sein Beruf sein ganzes Leben sei. Seit der Übersiedlung der Beklagten habe der Kläger das Haus in Bad Aussee nur mehr in Ausübung seines Besuchsrechtes stundenweise aufgesucht. Den Haushalt des Klägers habe eine ältere Nachbarin versorgt, habe diese Tätigkeit 1987 jedoch krankheitsbedingt einstellen müssen. Im Frühjahr 1985 habe der Kläger die am 25.6.1923 geborene Hildegard L*** bei einem Kuraufenthalt kennengelernt; diese sei im Dezember 1987 ins Haus des Klägers eingezogen. Zwischen den beiden bestehe jedoch keine Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft, Hildegard L*** koche nicht einmal für den Kläger.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, der Beklagten sei keine schwere Eheverfehlung vorzuwerfen, weshalb das auf § 49 EheG gestützte Scheidungsbegehren des Klägers abzuweisen sei. Da aber die häusliche Gemeinschaft seit Juni 1979 aufgehoben sei, erweise sich das Scheidungsbegehren, soweit es auf § 55 Abs 3 EheG gegründet sei, als berechtigt. Die Eheleute hätten sich seit der Geburt des einzigen Kindes schrittweise auseinandergelebt; die eheliche Gemeinschaft habe durch die Anwesenheit der Mutter der Beklagten Schaden gelitten. Der Kläger habe sich durch diese bevormundet gefühlt; außerdem habe die Beklagte für ihre Mutter Partei ergriffen. Die Beklagte sei zum Umzug nach Bad Aussee durch äußere Umstände genötigt gewesen, habe aber die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft angestrebt, wogegen der Kläger daran kein Interesse gezeigt habe. Da die Beklagte im Gegensatz zum Kläger am Ehewillen festgehalten habe, sei dem Kläger ein Zerrüttungsverschulden im Sinne des § 61 Abs 3 EheG anzulasten. Das Gericht zweiter Instanz änderte das erstgerichtliche Urteil teilweise dahin ab, daß es auch den Antrag der Beklagten, auszusprechen, daß das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe den Kläger allein oder überwiegend treffe, abwies. Es stellte ergänzend fest, die Adoptivtochter des Klägers, Elisabeth, habe ab September 1976 ein Internat in Bad Aussee besucht. Das Schulgeld - anfänglich S 1.700, ab 1978 S 2.300 monatlich - sei vom Kläger bezahlt worden.

In Erledigung der Rechtsrüge führte das Gericht zweiter Instanz aus, nach den erstgerichtlichen Feststellungen sei das Eheleben bis zum Einzug der Mutter der Beklagten völlig ungetrübt verlaufen. Der Kläger sei infolge seines psychisch labilen Zustandes den zunehmenden Auseinandersetzungen mit der Schwiegermutter nicht gewachsen gewesen. Er habe sich in seinem Haus wie ein Fremder gefühlt, nachdem die Mutter der Beklagten die Haushaltsführung an sich gezogen habe; die Beklagte habe von Anfang an für ihre Mutter Partei ergriffen. Da die Wiederaufnahme sexueller Beziehungen nach der Geburt des Sohnes von keinem der Ehegatten wirklich effizient betrieben worden sei, lasse sich die "Erstursache" der Zerrüttung der Ehe eindeutig darauf festlegen, daß die Beklagte die "Übernahme der Herrschaft" und die "Unterdrückung" des psychisch labilen Klägers durch ihre Mutter nicht nur nicht verhindert, sondern durch Parteinahme für diese offensichtlich sogar noch gefördert habe. Die Beklagte habe sich bereits seit der Entlassung ihrer Tochter aus dem Internat etwa alle 14 Tage vom Freitag abends bis zum Sonntag im Haus in Bad Aussee aufgehalten und dort für ihre Tochter gesorgt. Daraus ergebe sich, daß die Weigerung des Klägers, seine Adoptivtochter nach ihrer strafgerichtlichen Verurteilung bei sich aufzunehmen, nicht unmittlbare Ursache für den Auszug der Beklagten gewesen sein könne. Solange ihre Tochter die Lehranstalt in Bad Ischl besucht habe, hätte die Beklagte zunächst nicht nach Bad Aussee übersiedeln müssen. Den Entschluß der Beklagten, nach Bad Aussee umzuziehen, sei vielmehr dadurch ausgelöst worden, daß sie etwa sei 1977/78 ihre Waren nicht mehr im Raum Mödling habe absetzen können und ihre Tochter laufend ihre Hilfe benötigt habe. Letzteres sei aber nicht darauf zurückzuführen, daß ihre Tochter nach der Entlassung aus dem Internat "mutterseelenallein" dagestanden sei, sondern nach Abbruch einer weiteren Ausbildung und ihrer Tätigkeit als Kassierin schwanger geworden sei. Das ergebe sich nicht zuletzt auch aus der Aussage der Beklagten selbst. Abgesehen davon, daß die Tochter der Beklagten in dieser Situation mit Hilfe ihres Gatten wohl auch ohne ihre Mutter zurecht gekommen und der Verpflichtung der Beklagten zur Unterstützung ihres körperlich behinderten und seelisch labilen Ehegatten der Vorrang zugekommen wäre, sei auch gar nicht behauptet worden, Elisabeth habe im Zeitpunkt der Übersiedlung dem Kläger gegenüber noch den Wunsch geäußert, ins Haus in der Hinterbrühl zurückzukehren. Bei der Entscheidung der Beklagten sei wohl die Erwägung im Vordergrund gestanden, daß sie mit ihrem Unternehmen in Bad Aussee erfolgreicher sein könne. Keinesfalls könne aber ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Weigerung des Klägers, Elisabeth wieder bei sich aufzunehmen, und dem endgültigen Auszug der Beklagten hergestellt werden. Daß sich der Kläger der Verlegung des Wohnsitzes durch die Beklagte nicht entgegengestellt habe, spiele bei der Beurteilung seines Verschuldens an der Zerrüttung der Ehe keine Rolle. Habe die Beklagte den ernsthaften Willen gezeigt, die eheliche Gemeinschaft zu verlassen, sei der Kläger nicht mehr verhalten gewesen, sie daran zu hindern, was wohl auch gar nicht möglich gewesen wäre. Der Kläger hätte darauf lediglich durch Antragstellung nach § 92 Abs 3 ABGB oder durch Verweigerung weiterer Unterhaltsleistungen reagieren können. Durch ein solches Verhalten hätte er aber noch viel weniger der Zerrüttung entgegenwirken können. Daß die räumlichen Verhältnisse der Ehewohnung beengt gewesen seien und der Kläger eine Entspannung durch seine Weigerung, das Zimmer seiner verstorbenen Mutter zur Verfügung zu stellen, verhindert habe, falle bei der Beurteilung eines Verschuldens nicht mehr ins Gewicht, weil die Ehe damals bereits tiefgreifend zerrüttet gewesen sei und der Kläger mit Recht habe befürchten müssen, durch Überlassung des Zimmers zugunsten seiner Schwiegermutter noch weiter zurückgedrängt zu werden. Keinesfalls sei die Weigerung für den Entschluß der Beklagten, die Ehewohnung zu verlassen, entscheidend gewesen; das habe sie selbst auch gar nicht behauptet. Seit dem Auszug der Beklagten habe sich keiner der Ehegatten mehr ernsthaft bemüht, die eheliche Gemeinschaft wiederaufzunehmen. Auch die Beklagte habe seit 1979 den Kläger lediglich einige Tage in der Hinterbrühl besucht. Deshalb sei es auch verständlich, daß der Kläger seit 1979 das Haus in Bad Aussee nur mehr aufgesucht habe, um seinen Sohn abzuholen. Habe sich der Kläger schon im Haus in der Hinterbrühl nicht gegen seine Schwiegermutter durchsetzen können, so habe er wohl nicht damit rechnen können, daß es ihm im Haus in Bad Aussee besser gehen würde. Daß er es abgelehnt habe, mit seiner Schwiegermutter unter einem Dach zu leben, sei daher durchaus verständlich. Dazu komme, daß er den - allerdings nicht beweisbaren - Verdacht gehegt habe, die Beklagte unterhalte mit dem im Haus lebenden Franz K*** ehewidrige Beziehungen. Auch überwiegendes Zerrüttungsverschulden sei nur anzunehmen, wenn das Verschulden des Klägers fast völlig in den Hintergrund trete; davon könne im vorliegenden Fall aber keine Rede sein.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist nicht berechtigt.

Der Ausspruch über die Scheidung ist in Rechtskraft erwachsen. Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist nur mehr der von der Beklagten beantragte Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG, daß der Kläger die Zerrüttung (überwiegend) verschuldet habe. Für diesen Schuldausspruch genügt das unter Umständen geringergradige Zerrüttungsverschulden, doch muß nach Abwägung der beiderseitigen Verschuldensanteile unter Einbeziehung des Gesamtverhaltens beider Eheleute während der ganzen Dauer der Ehe der das "Überwiegen" rechtfertigende graduelle Unterschied augenscheinlich hervortreten (EFSlg 54.481, 51.665, 46.243 ua; Schwind,EheR2 284). Für den beantragten Ausspruch ist es nicht wesentlich, ob der Kläger einen Scheidungstatbestand verwirklicht hat, sondern ob ihm eine Schuld an der Zerrüttung der Ehe zur Last fällt (EFSlg 46.254; Aicher in Floretta, Das neue Ehe- und Kindschaftsrecht,124), und - sofern auch die Beklagte ein (Zerrüttungs-)Verschulden trifft - dieses fast völlig in den Hintergrund tritt (EFSlg 51.666, 46.253 ua). Bei Beurteilung der Frage, ob das Verschulden eines Teils überwiegt, ist nicht nur zu berücksichtigen, wer mit dem Verhalten, das später zur Zerrüttung der Ehe geführt hat, begonnen, sondern wer auch entscheidend dazu beigetragen hat, daß die Ehe unheilbar zerrüttet wurde (EFSlg 51.667, 46.258 ua). Es kommt also nicht bloß auf die Schwere der Verfehlungen an sich, sondern auch darauf an, in welchem Umfang die Verfehlung zu der unheilbaren Zerrüttung der Ehe beigetragen hat. Der Umstand, daß das schuldhafte Verhalten eines Teils das des anderen hervorgerufen hat, führt dabei regelmäßig zur Annahme, daß dem Beitrag des ersteren zur Zerrüttung der Ehe größeres Gewicht beizumessen ist (EFSlg 46.259 ua). Bei der Beurteilung des beiderseitigen Zerrüttungsverschuldens ist davon auszugehen, daß die Beklagte in den wachsenden Auseinandersetzungen zwischen dem Kläger und der Schwiegermutter, die die Haushaltsführung nach und nach an sich gerissen hatte, stets für diese Partei ergriff, obgleich sie wissen mußte, daß der Kläger infolge seiner nicht zuletzt auch auf seine Behinderung zurückzuführenden seelisch labilen Grundstimmung darunter schwer gelitten hat. Es konnte ihr nicht verborgen geblieben sein, daß zwischen ihr und dem Kläger, der sich im eigenen Haus immer mehr in die Rolle eines geduldeten Fremden gedrängt fühlte, angesichts ihrer Parteinahme für ihre Mutter eine zunehmende Entfremdung eintrat. War die eheliche Gemeinschaft bis zur Aufnahme der Eltern der Beklagten in die Familie und Hausgemeinschaft der Streitteile nachgerade ungetrübt verlaufen, war nun jener Unfrieden eingekehrt, der die Wurzel für die beginnende Entfremdung zwischen den Streitteilen war. Erst damit begannen sie sich auseinanderzuleben, bis schließlich die Beklagte, die sich schon längere Zeit hindurch in regelmäßigen Abständen über das Wochenende in Bad Aussee aufgehalten hatte, Mitte 1979 gänzlich dorthin übersiedelte. Beweggründe für diesen Schritt waren - wie das Berufungsgericht zutreffend herausgestrichen hat - nicht etwa das Verhalten des Klägersn, sondern es waren dies die von der Beklagten ohne zureichende Gründe unterstellte Hilfebedürftigkeit ihrer damals schon 18-jährigen Tochter und die Verlagerung ihres wirtschaftlichen Mittelpunkts vom Raume Mödling nach Bad Aussee. War der Kläger mit der Übersiedlung der Beklagten auch einverstanden, so war doch damit die gegenseitige Entfremdung zwischen den Eheleuten, zu welcher - wie schon weiter oben dargelegt und soweit es um die Beurteilung des Verhaltens der Streitteile geht - doch überwiegend die Beklagte beigetragen hat, besiegelt. Soweit das Erstgericht meinte, die Beklagte habe im Gegensatz zu ihrem Ehegatten trotz der einvernehmlichen Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft am Ehewillen festgehalten, übersieht es, daß der Kläger schon infolge seines Berufes als höherer Ministerialbeamter nur dann nach Bad Aussee hätte übersiedeln können, wenn er vorzeitig in den Ruhestand getreten wäre. Bedeutete ihm aber der Beruf, wie er versicherte, sehr viel, was angesichts seiner körperlichen Behinderung durchaus glaubhaft ist, so war ihm ein Umzug nach Bad Aussee gar nicht zumutbar. Im übrigen war auch die Beklagte mit der räumlichen Trennung einverstanden. Es mag zwar zutreffen, daß der Kläger nach Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft nur mehr wenig Kontakt mit seiner Ehegattin hielt, es darf aber dabei die bereits fortgeschrittene Entfremdung nicht außer Betracht gelassen werden. Im übrigen kann auch der Beklagten die Fortsetzung der Ehe - nicht nur wegen ihrer Übersiedlung - kein besonderes Anliegen gewesen sein, hat doch auch sie nach der Übersiedlung praktisch kaum mehr engeren Kontakt mit dem Kläger gesucht.

Mögen deshalb, zieht man das Gesamtverhalten der Streitteile in Betracht, beide Teile zur Zerrüttung beigetragen haben, so muß nach dem auch bei der Beurteilung des Zerrüttungsverschuldens (§ 61 Abs 3 EheG) anzuwendenden allgemeinen Grundsatz des § 60 Abs 2 zweiter Satz EheG (Schwind aaO 256) bei beiderseitigem Verschulden der Ehegatten das Verschulden des einen fast völlig in den Hintergrund treten, damit überwiegendes Verschulden des anderen angenommen werden kann. Es kann aber gerade auch bei Bedachtnahme auf die schwere körperliche Behinderung des Klägers und seine darauf beruhende psychische Labilität keine Rede davon sein, daß der Beitrag der Beklagten von derart geringem Gewicht gewesen wäre, daß der von ihr begehrte Ausspruch im Sinne des § 61 Abs 3 EheG gerechtfertigt erschiene.

Der Revision war deshalb ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E17653

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0010OB00601.89.0614.000

Dokumentnummer

JJT_19890614_OGH0002_0010OB00601_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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