Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Ferdinand Podkowicz (Arbeitgeber) und Gerhard Gotschy (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann F***, Frauenkirchnerstraße 56, 7141 Podersdorf, vertreten durch Dr. Günter Philipp, Rechtsanwalt in Mattersburg, wider die beklagte Partei P*** D*** A***, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Dezember 1988, GZ 32 Rs 253/88-36, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 27. Juni 1988, GZ 17 Cgs 1014/87-31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Revisionskosten sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Mit Bescheid vom 21. Jänner 1987 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 3. November 1986 auf Zuerkennung einer Invaliditätspension ab.
Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Es stellte im wesentlichen fest, daß der am 4. April 1935 geborene Kläger den Beruf eines Maurers erlernt und in den letzten 15 Jahren vor Antragstellung - ausgenommen eine Tätigkeit von zwei Monaten als Asphaltierer - auch ausgeübt hat. Seit Februar 1987 befindet er sich nicht mehr in Arbeit.
Dem Kläger sind alle leichten bis mittelschweren Arbeiten im Rahmen der üblichen Arbeitszeit und mit den üblichen Ruhepausen im Gehen, Stehen und Sitzen, im Freien und in geschlossenen Räumen kurzfristig auch an exponierten Flächen weiterhin zumutbar. Häufige und lang dauernde Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, länger dauernde Arbeiten unter besonderem Zeitdruck sind nicht zumutbar. Der Kläger ist unterweisbar und kann eingeordnet werden. Die Fingerfertigkeit für grob- und mittelmotorische Tätigkeiten ist ausreichend, die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes gegeben.
Die Lehrzeit des Maurers ersetzt jene des verwandten Lehrberufes Betonbauer zur Gänze. Im Bereich des Betonbauers bestehen Spezialisierungen von Maurern nach einer gewissen Praxis im Bauwesen, die vor allemin der Bauindustrie beschäftigt sind. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren und einer erworbenen Praxis im Bauwesen ist der Kläger auf die Endkontrolle in der Fertigteil- bzw. Bauelementeproduktion verweisbar. Dabei handelt es sich um eine überwiegend leichte bis mittelschwere Tätigkeit, die dem Kläger nach dem medizinischen Leistungskalkül zumutbar ist. Die Tätigkeit des Endkontrollores ist jener des Betonbauers sachlich unterzuordnen. Auch im Jahre 1954, als der Kläger die Maurerlehre abgeschlossen hat, gab es bereits das Berufsbild des Betonbauers. Der Endkontrollor ist eine Teiltätigkeit des Betonbauers aber auch des Maurers, die durch Spezialisierung auf dem Arbeitsmarkt entstanden ist. Die Endkontrolle, für welche gelernte Maurer auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt sind, erfordert für einen gelernten Maurer lediglich eine betriebliche Anlehre von maximal 6 Monaten. Es ist nicht Anstellungserfordernis, daß der Berufswerber vorher in einer Firma für Fertigteilhausprodukte gearbeitet hat. Bei der Endkontrolle in der Fertigteil- bzw. Bauelementeproduktion sind der Materialbedarf für Produktion und Schalungsanfertigungen nach Plänen und Zeichnungen zu errechnen, die Endkontrolle von Beton- und Putzgüte sowie die Montage und Fehlerkorrektur und einfache Manipulationen bei der Steuerung einschlägiger Maschinen und Einlegearbeiten vor dem Betonguß vorzunehmen. Der Kläger hat sich während seiner praktischen Berufslaufbahn Kenntnisse zur Beurteilung und Kontrolle der Betongüte angeeignet.
Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß der Kläger, auf den der Invaliditätsbegriff des § 255 Abs.1 ASVG anzuwenden sei, sich auf alle jene Erwerbstätigkeiten seiner Berufsgruppe verweisen lassen müsse, die bei ihrer Ausübung den weiteren Berufsschutz gewährleisteten. Eine Verweisung auf die Tätigkeit eines Endkontrollores in der Fertigteil- bzw. Bauelementeproduktion sei zulässig.
Das Berufungsgericht gab der wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unvollständiger und unrichtiger Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung und (inhaltlich) unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers keine Folge. Es verneinte die gerügten Verfahrensmängel, hatte keine Bedenken gegen die auf das berufskundliche Gutachten gestützte Beweiswürdigung und übernahm dessen Ausführungen, daß die Lehrzeit des Maurers auf jene eines Betonbauers voll anrechenbar sei und sich die Tätigkeit eines Endkontrollores in der Fertigteilerzeugung als Teiltätigkeit des Betonbauers darstelle. Damit sei die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes zutreffend.
Die wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision des Klägers ist im Sinne des gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.
Dem Sachverständigen für Berufskunde und den ihm folgenden Vorinstanzen ist insoweit ein Irrtum unterlaufen, als sie die "Endkontrolle in der Fertigbauteile- bzw. Bauelementeproduktion" dem Lehrberuf Betonbauer und nicht jenem des Betonwarenerzeugers zugeordnet haben.
Nach dem österreichischen Berufslexikon (Lehrberufe) errichtet der Betonbauer Bauwerke und Bauwerksteile aus Beton und Betonfertigteilen und stellt Fundamente, Mauern, Decken und sonstige Bauteile aus Beton für den Hoch-, Brücken- und Autobahnbau her (S 22), während der Betonwarenerzeuger Betonwaren und Betonfertigteile für den Hoch- und Tiefbau herstellt, wobei die Erzeugung von Betonwaren in hohem Maß automatisiert ist, so daß der Betonwarenerzeuger überwiegend Überwachungs- und Kontrollaufgaben ausführt. Die wichtigsten Erzeugnisse des Betonwarenerzeugers sind Mauer-, Schalungs- und Betonrandsteine sowie Bahnschwellen, Gehwegplatten und Rohre. Zusätzlich stellt er Betonfertigteile, wie zB Fundamente, Decken, Wandbauelemente, Stützen und Balken her (S 23).
Das Berufsbild des Lehrberufes "Betonbauer" war in der Anlage 1 zur V BMHGI 18. Februar 1972 BGBl 74, mit der Ausbildungsvorschriften über weitere Lehrberufe erlassen wurden, idF BGBl 1979/291 enthalten, das des "Betonwarenerzeugers" ist in der Anlage 2 dieser Verordnung idF BGBl 1980/15 beschrieben. Durch die V BMW 19. Juni 1987 BGBl 299, mit der die Lehrberufsliste geändert wurde, entfielen darin die Bestimmungen betreffend den Lehrberuf "Betonbauer" (Lehrberufsbezeichnung, Lehrzeitdauer, Verwandte Berufe samt Ausmaß der Anrechnung) (Art I Z 1). Weiters wurden folgende Bestimmungen betreffend den neuen Lehrberuf "Schalungsbauer" eingefügt: Lehrberuf: Schalungsbauer, Lehrzeit in Jahren: 3, Verwandter Lehrberuf: Betonwarenerzeuger, Maurer, Wärme-, Kälte- und Schallisolierer, Zimmerer, Anrechnung der Lehrzeit auf den verwandten Lehrberuf: auf alle verwandten Lehrberufe 1. Lehrjahr voll, nur auf Maurer auch 2. Lehrjahr voll (Art I Z 2). Die Bestimmungen betreffend die Lehrberufe "Betonwarenerzeuger" und "Maurer" lauten nunmehr wie folgt: "Lehrberuf: Betonwarenerzeuger,
Lehrzeit in Jahren: 3, Verwandter Lehrberuf: Kunststeinerzeuger, Maurer, Schalungsbauer, Steinholzleger und Spezialestrichhersteller, Terrazzomacher, Anrechnung der Lehrzeit auf den verwandten
Lehrberuf: auf alle verwandten Lehrberufe 1. Lehrjahr voll, nur auf Kunststeinerzeuger auch 2. Lehrjahr voll". "Lehrberuf: Maurer,
Lehrzeit in Jahren: 3, Verwandter Lehrberuf: Betonwarenerzeuger, Kunststeinerzeuger, Schalungsbauer, Steinholzleger und Spezialestrichhersteller, Stukkateur, Terrazzomacher, Anrechnung der Lehrzeit auf den verwandten Lehrberuf: auf alle verwandten Lehrberufe 1. Lehrjahr voll, nur auf Schalungsbauer auch 2. Lehrjahr voll" (Art I Z 3). Die bisherigen den Lehrberuf "Betonbauer" betreffenden Bestimmungen der Lehrberufsliste sind bis zum Ablauf des 31. Dezember 1991 auf Personen anzuwenden, deren Ausbildung im Lehrberuf "Betonbauer" vor dem 15. Juli 1987 begonnen hat (Art II Z 2). Für solche Personen ist die in diesem Lehrberuf zurückgelegte Lehrzeit auf die Lehrzeit der Lehrberufe "Betonwarenerzeuger" und "Maurer" hinsichtlich des ersten Lehrjahres im vollen Ausmaß, hinsichtlich des zweiten Lehrjahres im halben Ausmaß und auf die Lehrzeit des Lehrberufes "Schalungsbauer" hinsichtlich des ersten und zweiten Lehrjahres jeweils im vollen Ausmaß anzurechnen (Art II Z 3). Mit V BMW 19. Juni 1987 BGBl 300 wurden Ausbildungsvorschriften für den Lehrberuf "Schalungsbauer" erlassen, insbesondere das Berufsbild festgelegt (Art I) und bestimmt, daß die Ausbildungsvorschriften für den Lehrberuf "Betonbauer", V BGBl 1972/74 idF BGBl 1979/291 mit Ablauf des 31. Dezember 1991 außer Kraft treten (Art II).
Nach der V BMHGI 14. Mai 1975 BGBl 268, mit der die Lehrberufsliste erlassen wurde, idF vor der zit V BGBl 1987/299 war als verwandter Lehrberuf des Maurers nur der Betonbauer angeführt, wobei die Lehrzeit im vollen Ausmaß (3 Jahre) anrechenbar war. Verwandter Lehrberufe des Betonbauers waren Betonwarenerzeuger und Maurer, wobei von der Lehrzeit 2 bzw 3 Jahre anrechenbar waren. Verwandte Lehrberufe des Betonwarenerzeugers waren nur Betonbauer und Kunststeinerzeuger, auf deren Lehrzeit je 2 Jahre angerechnet werden konnten.
Die Ausbildung, Kenntnisse und Fähigkeiten eines gelernten Betonwarenerzeugers wurden nicht festgestellt und in die rechtliche Beurteilung einbezogen, die Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die Teiltätigkeit eines Endkontrollores erforderlich sind, sind nicht in ausreichender Deutlichkeit und Vollständigkeit festgestellt. Im berufskundlichen Gutachten und ihm folgend in den Feststellungen wird einerseits ausgeführt, für einen gelernten Maurer sei nur eine kurze Anlernzeit im Betrieb erforderlich, andererseits aber, diese Anlernzeit betrage "maximal 6 Monate", ein Zeitraum, der nicht mehr als kurz bezeichnet werden kann und auch einer üblichen betrieblichen Einschulung von etwa 3 Monaten nicht mehr entspricht. Auch hiezu wird eine Präzisierung erforderlich sein. Schließlich fehlen auch Feststellungen darüber, ob die Tätigkeit eines Endkontrollores unter besonderem Zeitdruck zu verrichten ist. Der berufskundliche Sachverständige führte in seinem schriftlichen Gutachten hiezu aus "Akkordbedingungen möglich".
Rechtliche Beurteilung
Bei der Prüfung der Verweisbarkeit ist dann davon auszugehen, daß einem überwiegend in einem erlernten oder angelernten Beruf tätig gewesenen Versicherten nicht zugemutet werden kann, Kenntnisse und Fähigkeiten in einem wegen unähnlicher Ausbildung und anderer zur Ausübung erforderlicher Kenntnisse und Fähigkeiten fremden Beruf zu erwerben, weil es sich dann um die Ausbildung für einen neuen Beruf, also um eine Umschulung im Sinne des § 19 Abs.1 lit b zweiter Fall AMFG handeln würde; geht es hingegen bloß um eine Nachschulung im Sinne des § 19 Abs.1 lit b dritter Fall AMFG, so beziehen sich deren Maßnahmen nur auf die Weiterentwicklung oder Spezialisierung im bisherigen Beruf. Eine Nachschulung, um die Kenntnisse an die sich ändernden Berufsanforderungen, insbesondere an neue Arbeitsmethoden, Werkstoffe, Verfahrensmethoden, Apparate und Instrumente anzupassen, muß aber gefordert werden, weil dies der Hebung der beruflichen Leistungsfähigkeit durch Vervollkommnung der Fachkenntnisse (auf einem Teilgebiet) dient (SSV-NF 2/122). Der Revision war daher im Sinne des gestellten Aufhebungsantrages Folge zu geben.
Die Entscheidung über den Vorbehalt der Revisionskosten beruht auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E18363European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00172.89.0620.000Dokumentnummer
JJT_19890620_OGH0002_010OBS00172_8900000_000