Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Juni 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Steininger, Dr.Lachner, Dr.Massauer und Dr.Markel als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vondrak als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Josef D*** wegen des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 12. April 1989, GZ 22 Vr 757/89-15, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Josef D*** wurde des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach § (§ 127,) 131 StGB (1) und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (2) schuldig erkannt. Darnach hat er in Kufstein
1. am 5. August 1988 eine fremde bewegliche Sachen, nämlich eine 100-Schilling-Note dem Rudolf E*** aus dessen Hemdbrusttasche (US 4) mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und bei diesem Diebstahl auf frischer Tat betreten, Gewalt gegen eine Person angewendet, um sich die weggenommene Sache zu erhalten, indem er den Rudolf E***, der sich die Banknote zurückholen wollte, mit den Fäusten zu Boden schlug und sodann mit Fußtritten traktierte;
2. am 2. Jänner 1989 die Herlinde H*** vorsätzlich am Körper verletzt, indem er sie in die Nase biß, wodurch sie zwei klaffende Wunden erlitt.
Rechtliche Beurteilung
Nur den Schuldspruch wegen Verbrechens (1) bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde aus den Gründen der Z 5, 5 a, "9" und 10 des § 281 Abs 1 StPO, der jedoch keine Berechtigung zukommt.
Der Sache nach ausschließlich eine Unvollständigkeit der Begründung (und nicht auch eine ein unrichtiges Beweismittelzitat voraussetzende Aktenwidrigkeit) macht der Beschwerdeführer mit dem Einwand (Z 5) geltend, der Zeuge Rudolf E***, auf den sich das Erstgericht stützt, habe über den Aufbewahrungsort des 100-Schilling-Scheines und den Grund der gegen ihn gerichteten Gewaltanwendung des Angeklagten einander widersprechende Angaben gemacht, die im Urteil nicht erörtert worden wären. Richtig ist, daß der Zeuge nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls davon gesprochen hat, daß der Angeklagte den Geldschein "aus der Hosentasche herausgeholt" (S 77) und ihn nur deshalb niedergeschlagen hätte, "weil er (E***) ihm das Geld nicht geben wollte" (S 77). Aus dem Zusammenhang ist allerdings klar ersichtlich, daß es sich bei der Erwähnung der "Hosentasche" bloß um einen Versprecher des Zeugen oder ein Protokollierungsversehen gehandelt haben kann, hat doch der Zeuge unmittelbar davor - ebenso wie bei der Gendarmerie (S 29) und vor dem Untersuchungsrichter (S 43 und f) - ausdrücklich die Hemdbrusttasche als Aufbewahrungsort der Banknote bezeichnet. Die Passage über die Gewaltanwendung hinwieder ist gleichfalls nicht so zu deuten, wie es der Beschwerdeführer tut, nämlich dahin, daß der Angeklagte ihn zum Zwecke der Wegnahme des Geldes niedergeschlagen hätte. Dabei wird nämlich übersehen, daß nach der Protokollierungsvorschrift des § 271 Abs 3 StPO (wonach der Aussage der Zeugen nur dann eine Erwähnung geschieht, wenn sie Abweichungen, Veränderungen oder Zusätze der in den Akten niedergelegten Angaben enthalten) die im Hauptverhandlungsprotokoll wiedergegebenen Aussagen grundsätzlich im Lichte der bereits aktenkundigen Angaben im Vorverfahren zu lesen sind. Darnach ist aber der fragliche Satz im Protokoll eindeutig dahin zu verstehen, daß der Angeklagte den Zeugen niedergeschlagen hat, weil ihm dieser die Banknote eben nicht belassen wollte, die ihm jener zuvor "einfach" (ohne Gewalt) aus der (gemeint: Hemdbrust-)Tasche herausgezogen hat (S 77). Die behaupteten inneren Widersprüche der Zeugenaussage des Tatopfers liegen daher in Wahrheit gar nicht vor.
Damit erledigt sich aber auch der auf den selben
Mißverständnissen des Beschwerdeführers basierende Einwand
erheblicher Bedenken (Z 5 a) gegen die Richtigkeit entscheidender
Tatsachenfeststellungen.
Einen unzulässigen Angriff auf die tatrichterliche
Beweiswürdigung beinhaltet der Vorwurf (Z 5), die Beurteilung des Zeugen E*** als "glaubwürdig" könne für sich allein nicht als ausreichende Begründung dienen, weil nicht dargelegt wird, warum die Tatrichter dieser Aussage Glauben geschenkt haben. Damit verkennt der Beschwerdeführer das Wesen der freien Beweiswürdigung und den sich daraus ergebenden Umfang der Begründungspflicht des Gerichtes. Die Bestimmungen der §§ 258 Abs 2 und 270 Abs 2 Z 5 StPO verpflichten das Gericht nämlich keineswegs, sich bei der Würdigung der Aussage eines im Zuge der Hauptverhandlung von ihm persönlich vernommenen Zeugen mit allen im Verfahren hervorgekommenen, für und wider die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen sprechenden Umständen im einzelnen auseinanderzusetzen. Gerade die Unmöglichkeit, alle diese auch durch den unmittelbaren persönlichen Eindruck von einem Zeugen vermittelten, für die Einschätzung seiner Glaubwürdigkeit relevanten Umstände vollständig bewußt zu machen, nach ihrem Gewicht logisch gegeneinander abzuwägen und überhaupt in Worte zu fassen, hat dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung gegenüber den starren Regeln historischer Prozeßordnungen zum Durchbruch verholfen. Insbesondere dann, wenn - wie hier - der zur Widerlegung der Verantwortung des Angeklagten herangezogenen Aussage eines Zeugen erörterungsbedürftige gegenteilige Beweisergebnisse gar nicht entgegenstehen und diese Aussage im konkreten Fall - wie oben dargestellt - auch in sich nicht widersprüchlich ist, genügt daher im Sinn der erwähnten Begründungsvorschriften grundsätzlich der Hinweis, daß das Gericht die Überzeugung von der Glaubwürdigkeit der Beweisaussage gewonnen habe, ohne daß es noch zusätzlich verhalten wäre, den von ihm vollzogenen kritisch-psychologischen Vorgang, der eben einer erschöpfenden Analyse gar nicht zugänlich ist, besonders zu erläutern (vgl. Mayerhofer-Rieder StPO2 E 88 zu § 258, E 134 ff zu § 270 und E 5 f zu § 281 Abs 1 Z 5).
Wenn das Schöffengericht zur Darlegung seiner diesbezüglichen Erwägungen dennoch eigens ausführt, der Zeuge habe die Angelegenheit mit dem Angeklagten zunächst gütlich bereinigen wollen und sei ihm daher keineswegs feindselig gesinnt (US 5), so liegt darin keine Scheinbegründung (Z 5) in dem vom Beschwerdeführer gemeinten Sinn, daß sich das Erstgericht zum Beweis einer Tatsache auf eine andere Tatsache beriefe, die ihrerseits unbewiesen ist. Ersichtlich sollte vielmehr damit nur die innere Ausgewogenheit der Darstellung des Zeugen besonders hervorgehoben werden, die sich als Teilaspekt der tatrichterlichen Beweiswürdigung einer Anfechtung entzieht. Daß auch eine andere Beurteilung der Zeugenaussage möglich gewesen wäre, vermag einen formellen Begründungsmangel in der Bedeutung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes nicht abzugeben. Erörterungen darüber, ob Rudolf E*** rein rechnerisch überhaupt noch im Besitz eines 100-Schilling-Scheines gewesen sein konnte, waren - dem insoweit spekulativen Beschwerdevorbringen (Z 5) zuwider - im Hinblick darauf entbehrlich, als weder der ursprüngliche Umfang der gesamten Barschaft des Zeugen (außer der 100-Schilling-Note zusätzlich etwa 50 S in der Hosentasche) noch die betragliche Höhe der Konsumation (zwei "Bier", fraglich ob auch Zigaretten) exakt festgestellt werden konnten, somit von daher kein sicheres Beweisergebnis vorlag, das der Aussage des Zeugen E*** zuwidergelaufen und im Urteil zu erörtern gewesen wäre. Erhebliche Bedenken (Z 5 a) gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen vermag der Beschwerdeführer weder damit noch sonst aufzuzeigen. Die Rechtsrüge schließlich (der Sache nach nur Z 10) ist nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt, weil sie die Feststellung (US 4) übergeht, daß der Angeklagte bei der Wegnahme des Geldscheines mit Bereicherungs- und Zueignungsvorsatz gehandelt hat, sodaß für eine Beurteilung seiner Tat nach §§ 134 Abs 2, 83 Abs 1 StGB kein Raum ist.
Die daran anknüpfenden subsidiären Rügen formeller Natur (Z 5 und 5 a) gehen aber deshalb ins Leere, weil der Umstand, daß der Angeklagte den Zeugen E*** zunächst um ein Darlehen "angebettelt" hat, angesichts der unmißverständlichen Ablehnung dieses Ansinnens (US 4) dem angenommenen Bereicherungsvorsatz des Beschwerdeführers bei der nachfolgenden eigenmächtigen Sachwegnahme nicht entgegensteht, und dem Versprechen, das Geld am nächsten Tag ohnehin wieder zurückgeben zu wollen (US 4), nur die Bedeutung der Zusage nachträglicher Schadensgutmachung zukommt. Mit diesen für die Entscheidung sohin unmaßgeblichen Nebenumständen mußte sich das Schöffengericht daher nicht besonders auseinandersetzen. Erhebliche Bedenken gegen die Konstatierung eines Bereicherungsvorsatzes lassen sich daraus ebensowenig ableiten.
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war somit als zum Teil offenbar unbegründet, im übrigen aber mangels prozeßordnungsgemäßer Ausführung schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285 d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Innsbruck zur Entscheidung über die mit der Nichtigkeitsbeschwerde verbundene Berufung folgt (§ 285 i StPO).
Anmerkung
E17855European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0140OS00073.89.0621.000Dokumentnummer
JJT_19890621_OGH0002_0140OS00073_8900000_000