TE OGH 1989/6/28 3Ob544/89

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Veröffentlicht am 28.06.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hule, Dr.Warta, Dr.Klinger und Dr.Angst als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Eugen S***, Sportwart, Linz, Schillerstraße 39, vertreten durch Dr.Alfred Haslinger ua, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei N*** T*** Gesellschaft mbH, Frankfurt 11, Hochhaus am Baseler Platz, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr.Hans Bichler ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen 69.707,70 S sA, infolge Rekurses beider Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 12.Dezember 1988, 1 R 168/88-28, womit das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 14. April 1988, GZ 3 a Cg 239/86-21, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Den Rekursen wird nicht Folge gegeben.

Beide Teile haben die Kosten ihrer Rekurse selbst zu tragen. Die Kosten ihrer Rekursbeantwortungen sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung:

Der in Österreich wohnhafte Kläger buchte im Jänner 1986 bei einem österreichischen Reisebüro (früher erstbeklagte Partei) eine von der (früher zweit-)beklagten (im folgenden nur noch: beklagten) Partei, einem deutschen Reiseveranstalter, angebotene Pauschalreise für mehrere Personen nach Lanzarote für die Zeit vom 17.Jänner 1986 bis 7.Februar 1986.

Mit einer am 30.Juni 1986 eingebrachten Klage begehrte der Kläger aus dem Titel des Schadenersatzes den von ihm für die Reise bezahlten Rechnungsbetrag von 33.217 S, frustrierte weitere Auslagen von 6.490,70 S und an Entschädigung für entgangene Urlaubsfreude den Betrag von 30.000 S. Er behauptete, es seien verschiedene im Prospekt der beklagten Partei enthaltene Zusicherungen nicht erfüllt gewesen und wegen verschiedener sonstiger Mängel der Genuß eines normalen Urlaubes nicht möglich gewesen. Der am Urlaubsort anwesende Vertreter der beklagten Partei habe weder ein Ersatzquartier beschafft noch die sofortige Rückreise ermöglichen können. Gemäß § 36 IPRG sei auf den Fall deutsches Zivilrecht und damit insbesondere auch die Bestimmung des § 651 f Abs. 2 BGB anzuwenden. Die Ausschlußfrist des § 651 g Abs. 1 BGB sei schon durch eine schriftliche Rüge am Urlaubsort gewahrt worden.

Die örtliche Zuständigkeit für die beklagte Partei sei in den Gerichtsständen der Streitgenossenschaft nach § 93 Abs. 1 JN (solidarische Haftung mit der früher erstbeklagten Partei), im Gerichtsstand des Vermögens nach § 99 Abs. 1 und 2 JN (Forderungen der beklagten Partei gegen die früher erstbeklagte Partei aus abgeschlossenen Reiseveranstaltungsverträgen) und im Gerichtsstand nach § 99 Abs. 3 JN (Vorliegen einer ständigen Vertretung für Österreich bzw eines mit der Besorgung der Geschäfte der beklagten Partei betrauten Organs in Linz) begründet.

Das Klagebegehren gegen die früher erstbeklagte Partei wurde rechtskräftig abgewiesen, sodaß nur mehr die Einwendungen der beklagten Partei darzustellen sind.

Die beklagte Partei brachte in der mit schriftlichem Beschluß aufgetragenen Klagebeantwortung vor, daß die in der Klage geltend gemachten Gerichtsstände nicht vorlägen, aber auch nicht der Gerichtsstand der Niederlassung nach § 87 JN, und stellte den Antrag auf Zurückweisung der Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit. In der Sache selbst beantragte die beklagte Partei die Abweisung des Klagebegehrens. Sie stellte außer Streit, daß auf die Sache deutsches Zivilrecht anzuwenden sei, wendete aber ein, daß die Ansprüche des Klägers im Sinne des § 651 g BGB verspätet angemeldet worden seien. Die Verständigung des örtlichen Reiseleiters genüge nicht. Ein von der klagenden Partei an die N*** N*** und Reisen Österreich Gesellschaft mbH gerichtetes Anmeldungsschreiben sei der beklagten Partei erst nach Ablauf der Frist zugegangen. Das Erstgericht fällte ein das Klagebegehren zur Gänze abweisendes Urteil, ohne sich im Spruch oder in den Gründen mit der Unzuständigkeitseinrede der beklagten Partei zu befassen oder zur inländischen Gerichtsbarkeit Stellung zu nehmen.

In der Sache selbst nahm das Erstgericht als erwiesen an, daß der Kläger anläßlich der Buchung die Reisebedingungen der beklagten Partei anerkannt habe, ohne eine Ausfolgung derselben verlangt zu haben. Nach Punkt 10.7 dieser Allgemeinen Geschäfts- und Reisebedingungen müßten Schadenersatzansprüche innerhalb eines Monats nach dem vertraglich vereinbarten Reiseende bei der beklagten Partei in Frankfurt geltend gemacht werden. Der Kläger habe wohl der örtlichen Reiseleitung auf Lanzarote am 25.Jänner 1986 ein ausgefülltes Reklamationsformular übergeben. Ein Anmeldungsschreiben sei jedoch vom Kläger erst am 12.Februar 1986 nur an die früher erstbeklagte Partei gerichtet worden, die das Schreiben an den österreichischen Generalvertreter der beklagten Partei in Wien weiterleitete, welche es an die beklagte Partei weiterleitete, wo das Schreiben erst am 22.April 1986 eingelangt sei. Die Ansprüche des Klägers seien daher verfristet, weil weder die Rüge bei der örtlichen Reiseleitung noch die Übergabe des Forderungsschreibens an die früher erstbeklagte Partei zur Wahrung der sowohl nach den getroffenen Vereinbarungen als auch nach dem anzuwendenden deutschen Recht geltenden Präklusivfrist ausgereicht hätte.

Das Berufungsgericht hob das Urteil gegen die beklagte Partei mit Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Sache an das Erstgericht zurück.

Das Berufungsgericht prüfte von Amts wegen die inländische Gerichtsbarkeit und bejahte sie. Selbst wenn man beim Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach § 93 JN im Sinne einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (JBl 1989, 48) nicht von den Klagsbehauptungen, sondern von der wirklichen Rechtslage, also dem tatsächlichen Fehlen einer Solidarverpflichtung der Streitgenossen, ausgehe, lägen doch die Gerichtsstände nach § 99 Abs. 1 und Abs. 3 JN vor. Der beklagten Partei stünden nämlich aus der ständigen Geschäftsbeziehung mit der früher erstbeklagten Partei Forderungen aus abgeschlossenen Reiseverträgen zu, weil die Reisekosten nicht von der beklagten Partei direkt kassiert würden.

Die laufende Betrauung der früher erstbeklagten Partei mit dem Auflegen von Prospekten und der Vermittlung von Reiseverträgen bedeute, daß diese ein mit der Besorgung der Geschäfte der beklagten Partei betrautes Organ sei. Aus dem Vorliegen der beiden Gerichtsstände schloß das Berufungsgericht offenbar auf das Vorliegen der inländischen Gerichtsbarkeit.

In der Sache selbst gelangte das Berufungsgericht zum Ergebnis, daß auf den Klagsanspruch österreichisches Recht anzuwenden sei. Eine Rechtswahl hätten die Streitteile nicht behauptet. Mangels geeigneter Anhaltspunkte sei sie auch nicht von Amts wegen festzustellen. Die Außerstreitstellung der Parteien sei unerheblich. Es handle sich um einen Verbrauchervertrag nach § 41 IPRG; denn der Vertrag sei "im Zusammenhang" mit einer in Österreich entfalteten auf die Schließung von Reiseverträgen gerichteten Tätigkeit der beklagten Partei oder der von ihr hiefür verwendeten früher erstbeklagten Partei im Sinne des letzten Halbsatzes von § 41 Abs. 1 IPRG zustandegekommen. Eine "kausale Anbahnung" werde vom Gesetz nicht gefordert. Die früher erstbeklagte Partei habe sich nicht nur mit der Verteilung von Werbematerial befaßt, sondern die Buchung entgegengenommen. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes verdränge das Verbraucherstatut des § 41 IPRG das Schuldstatut des § 36 IPRG zur Gänze, ohne daß ein Günstigkeitsvergleich stattzufinden habe.

Bei Anwendung österreichischen Rechts gelte aber die sechsmonatige Gewährleistungsfrist, welche gemäß § 6 Abs. 1 Z 9 KSchG durch Vereinbarung nicht verkürzt werden könne. Die Klage sei daher nicht präkludiert, sondern das Erstgericht müsse die Voraussetzungen des Klagsanspruches prüfen. Für bloße entgangene Urlaubsfreude, also einen rein ideellen Schaden, gebühre nach österreichischem Recht kein Ersatz, sodaß die Klage hinsichtlich des Teilbetrages von 30.000 S derzeit nicht schlüssig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Rekurse beider Parteien sind nicht berechtigt.

Soweit im Rekurs der beklagten Partei die inländische Gerichtsbarkeit in Zweifel gezogen wird, ist der Rekurs unzulässig. Gemäß § 42 Abs. 3 JN können Prozeßhindernisse in höherer Instanz nicht mehr wahrgenommen werden, wenn diesem Ausspruch eine noch bindende Entscheidung entgegensteht. Diese Rechtsfolge gilt nicht nur dann, wenn eine entsprechende Einrede von den Untergerichten ausdrücklich verworfen wurde, sondern auch dann, wenn ohne Vorliegen einer Einrede zumindest das Berufungsgericht das Vorliegen des Prozeßhindernisses geprüft und wenn auch nur in den Entscheidungsgründen verneint hat (RZ 1988/61). Dies gilt auch für die Prüfung von Prozeßhindernissen in der Begründung eines Aufhebungsbeschlusses (SZ 54/190). Daraus folgt, daß es dem Obersten Gerichtshof verwehrt ist, zur Frage der inländischen Gerichtsbarkeit Stellung zu nehmen.

Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, daß ein Verbrauchervertrag im Sinne des § 41 Abs. 1 IPRG vorliegt. Der im Gesetz verlangte Zusammenhang des Vertragsabschlusses mit einer im Verbraucherland (Österreich) entfalteten, "auf die Schließung solcher Verträge gerichteten" Unternehmertätigkeit ist gegeben, weil die Vertragsverhandlungen in einem österreichischen Reisebüro stattfanden, das mit Billigung der beklagten Partei den Reisevertrag vermittelte (dazu ausführlich Schwimann in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 41 IPRG). Auch der erkennende Senat lehnt die zu enge Auffassung ab, die in der Entscheidung JBl 1988, 375 = ZfRV 1988, 49 vertreten wurde (abl Schwimann dort und Hoyer ZfRV 1988, 98 !103 ), und schließt sich der in JBl 1988, 779 = EvBl 1988/148 vertretenen Ansicht an.

Zu einer Rechtswahl iSd § 41 Abs. 2 IPRG kam es nicht. Eine ausdrückliche Rechtswahl fand nicht statt. Auch für eine schlüssige Bestimmung deutschen Rechts fehlen Anhaltspunkte.

Gemäß § 35 Abs. 1 zweiter Halbsatz IPRG steht allerdings einer schlüssigen Rechtswahl gleich, wenn sich aus den Umständen ergibt, daß die Parteien eine bestimmte Rechtsordnung als maßgebend angenommen haben. Aber auch eine solche konkludent geäußerte Geltungsannahme (Schwimann in Rummel, ABGB, Rz 6 zu § 35 IPRG) liegt nicht vor, weil die in dieser Richtung vorhandenen Indizien nicht für die Annahme ausreichen, daß die Parteien schon beim Vertragsabschluß die Maßgeblichkeit des deutschen Rechtes übereinstimmend vorausgesetzt haben.

Die Parteien haben sich zwar auf die beim deutschen Reiseveranstalter üblichen Reisebedingungen geeinigt, die in einigen Punkten dem deutschen Reisevertragsrecht (§§ 651 a ff BGB) entsprechen. Dieses wird aber nicht ausdrücklich bezogen, und der dem Kläger zur Verfügung stehende Teil dieser Reisebedingungen (auszugsweise Wiedergabe im Prospekt Blg K) enthielt nur in zwei nicht besonders aussagekräftigen Punkten für das deutsche Recht typische Klauseln, nämlich in Punkt 5.1, wo auf das Recht des Rücktritts vom Vertrag vor Reisebeginn iSd § 651 i BGB verwiesen wird, und in Punkt 10.5, wo die in § 651 h BGB enthaltene Beschränkung der Haftung auf die Höhe des dreifachen Reisepreises vorkommt. Erst in den vollen Reisebedingungen, die dem Kläger nach den getroffenen Feststellungen aber nicht bekannt waren und die auch im österreichischen Reisebüro, das die Buchung entgegennahm, nicht auflagen, wären weitere Punkte von Belang, so Punkt 9.1 (Abhilfeverlangen iSd § 651 c BGB) oder 10.2 (einmonatige Ausschlußfrist iSd § 651 g BGB). Nur die beklagte Partei hat überdies in der vorprozessualen Korrespondenz die Geltung des deutschen Rechts behauptet (Blg G). Dem weiteren Umstand, daß beide Parteien in ihrem Prozeßvorbringen davon ausgingen, es sei deutsches Recht anzuwenden, kommt im vorliegenden Fall keine besondere Bedeutung zu, weil zu vordergründig nur der jetzt vertretene Prozeßstandpunkt als Motivation erkennbar ist: Die klagende Partei wünscht die Anwendung des deutschen Rechts nur, um auch für die entgangene Urlaubsfreude eine Entschädigung beanspruchen zu können, die beklagte Partei nur, um in den Genuß der vielleicht versäumten einmonatigen Ausschlußfrist zu gelangen.

Die vorhandenen Indizien ergeben somit keine "eindeutig erschließbare Geltungsvorstellung" und weisen nicht in "überwältigender", jede andere Anknüpfung ausschließender Weise (§ 863 ABGB) auf das deutsche Recht als die von den Parteien "selbstverständlich" zugrundegelegte Rechtsordnung hin (dazu ausführlich Schwimann aaO Rz 6 zu § 35 IPRG).

Die Verweisung des § 41 Abs. 1 IPRG erstreckt sich nicht bloß auf die Verbraucherschutzbestimmungen, sondern auf das im Verbraucherland insgesamt geltende Recht (Schwimann aaO Rz 3 zu § 41 IPRG).

Ob dem im Schrifttum verschiedentlich vertretenen Standpunkt zu folgen ist, daß diese Gesamtverweisung wegen der im Gesetz enthaltenen Zweckbestimmung nur eintreten könne, wenn das Recht des Verbraucherlandes für den Verbraucher günstiger als das sonst maßgebliche Schuldstatut ist (Schwimann aaO Rz 3 zu § 41 IPRG; derselbe, FS Strasser 895 !904, 905 ; Hoyer, Entscheidungsbesprechung JBl 1988, 779 !783 ), kann hier auf sich beruhen. Die Rechtsstellung des Kunden eines Reiseveranstalters bei Verletzung der Vertragspflichten aus dem abgeschlossenen Reisevertrag ist nämlich für den Verbraucher insgesamt bei Anwendung des deutschen Rechts nicht günstiger als bei Anwendung des österreichischen Rechts. Neben der gefährlich kurzen Präklusivfrist ist auch die dem österreichischen Recht fremde Beschränkung der Haftung auf den dreifachen Reisepreis nachteilig, sodaß der einzige wirkliche Vorteil der Möglichkeit des Zuspruches einer Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit nicht den Ausschlag geben kann.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 40, 41, 50 und 52 Abs. 1 ZPO.

Anmerkung

E17875

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0030OB00544.89.0628.000

Dokumentnummer

JJT_19890628_OGH0002_0030OB00544_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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