Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Angst und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Elmar Peterlunger (AG) und Anton Degen (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Alois S***, Maurer, 8311 Markt Hartmannsdorf, Öd Nr. 31, vertreten durch Dr. Walter Dürnberger, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei A*** U***, 1200 Wien,
Adalbert Stifter-Straße 65, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Jänner 1989, GZ 8 Rs 6/89-20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 10. August 1988, GZ 32 Cgs 1287/87-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die beklagte Partei gewährte dem Kläger für die Folgen eines Arbeitsunfalles vom 29. August 1985 eine Versehrtenrente im Ausmaß von 20 % der Vollrente als Dauerrente.
Mit Bescheid vom 3. November 1987 wies die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 24. Juli 1987 auf Erhöhung dieser Rente ab. Das Erstgericht wies das Begehren des Klägers, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 29. August 1985 anstelle der bisher gewährten Versehrtenrente im Ausmaß von 20 v.H. der Vollrente ab 1. August 1987 eine Versehrtenrente im Ausmaß von mindestens 30 v.H. der Vollrente als Dauerrente zu gewähren, ab. Es traf zusammengefaßt folgende wesentlichen Feststellungen:
Grundlage des Bescheides auf Zuerkennung einer Dauerrente von 20 v.H. der Vollrente war ein Gutachten vom 22. Jänner 1986. Danach wurde der Kläger, der von Beruf Maurer ist, am 29. August 1985 beim Einschlagen eines Nagels von einem abgesprungenen Splitter am linken Auge perforierend verletzt. Es bestand ein Zustand nach Entfernung des intraokularen Fremdkörpers links mit Perforationsnarbe der Hornhaut, Operationsnarbe der Sklera, Aderhaut- und Netzhautnarben, narbige Glaskörpertrübungen, Linsenlosigkeit und entrundete Pupille mit hinteren Verwachsungen der Regenbogenhaut. Rechts war ein reizfreies Auge vorhanden, beim linken Auge die Bindehaut mäßig gerötet. Es wurde festgehalten, daß vom Kläger eine harte Kontaktlinse nicht vertragen wurde, "vor einer Woche" gegen eine weiche Kontaktlinse ausgetauscht und diese bisher vom Kläger vertragen wurde. Die Frage, ob eine Besserung der noch bestehenden Unfallfolgen möglich sei, wurde im Gewährungsgutachten mit "Gewöhnung an die Kontaktlinse" beantwortet.
Derzeit besteht beim Kläger als Folge des Arbeitsunfalles eine Hornhautnarbe nach durchbohrender Verletzung, ein traumatisches Irisloch, ein Zustand nach Entfernung eines intraokularen Fremdkörpers und Laserkoagulation der Netzhaut sowie eine unkomplizierte Linsenlosigkeit am linken Auge. Das Sehvermögen des rechten Auge ist für die Ferne und Nähe normal. Das Sehvermögen des linken Auges ist mit Brillenkorrektur - erforderlich ist ein starkes Plusglas - in der Ferne und Nähe praktisch normal. Das Naheinstellungsvermögen des Auges ist jedoch verlorengegangen und das Auge diesbezüglich mit einem stark alterssichtigen Auge vergleichbar. Das linke Auge kann nicht zugleich mit dem normalen rechten Auge verwendet werden, da der Bildunterschied auf der Netzhaut zu groß wäre. Dies könnte durch das Tragen einer Kontaktlinse links oder nach Einpflanzung einer Kunstlinse in das linke Auge, wobei eine solche Operation schon sehr verbreitet ist und durch die medizinische Entwicklung nur ein minimales Operationsrisiko darstellt, behoben werden. Ohne Kontaktlinse oder Implantatlinse erweitert das linke Auge nur das Gesichtsfeld, ein normales räumliches Sehen ist nicht möglich und es besteht auch die Gefahr, daß das linke Auge mit der Zeit nach außen abweicht. Die einseitige Linsenlosigkeit ist keinesfalls mit dem unwiderbringlichen Verlust des Sehvermögens eines Auges oder Augapfels, welcher üblicherweise mit 30 % Minderung der Erwerbsfähigkeit beurteilt wird, vergleichbar und kann daher mit einer solchen Verletzung nicht gleichgestellt werden. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers ist mit 20 % einzuschätzen. In dieser Einschätzung ist berücksichtigt, daß beim Kläger eine Kontaktlinsenunverträglichkeit vorliegt, bei guter Verträglichkeit einer Kontaktlinse wäre die Minderung der Erwerbsfähigkeit unter 10 % einzuschätzen.
Aus diesen Feststellungen folgerte das Erstgericht, daß sich beim Kläger objektiv keine Verschlechterung ergeben habe. Da keine wesentliche Verschlechterung im Sinne des § 183 ASVG um mindestens 10 % vorliege, sei das Klagebegehren abzuweisen.
Das Berufungsgericht gab der wegen Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger bzw. unvollständiger Tatsachenfeststellung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers keine Folge. Es verneinte das Vorliegen einer Nichtigkeit und von Verfahrensmängeln und billigte die Beweiswürdigung des Erstgerichtes. Da aus dem Gewährungsgutachten nur hervorgehe, der Kläger habe eine harte Kontaktlinse nicht vertragen, welche "vorige Woche" gegen eine weiche ausgetauscht worden sei, die "bis jetzt" gut vertragen werde und eine Besserung der noch bestehenden Unfallfolgen bei Gewöhnung an die Kontaktlinse angenommen worden sei, müsse dem gerichtlichen Sachverständigen beigepflichtet werden, daß man in neuerer Zeit davon abgegangen sei, bei der Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu berücksichtigen, ob der Rentenwerber Kontaktlinsen vertrage oder nicht, sondern davon ausgehe, daß dies nicht der Fall sei. Nur eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, nicht aber ein Abgehen von der Einschätzung bei unveränderten Verhältnissen stelle die Voraussetzung für eine neue Feststellung der Rente her. Da nicht von einer Änderung der Verhältnisse gesprochen werden könne und die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach wie vor mit 20 % einzuschätzen sei, lägen die Voraussetzungen des § 183 Abs. 1 ASVG für eine Erhöhung der Dauerrente nicht vor.
Rechtliche Beurteilung
Der wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision des Klägers kommt keine Berechtigung zu.
Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens werden nur angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, deren Vorliegen schon das Berufungsgericht verneint hat, angeführt. Solche Mängel können mit Revision nicht mehr geltend gemacht werden (SSV-NF 1/32).
Eine Aktenwidrigkeit liegt nur bei einem Widerspruch zwischen den Prozeßakten und den tatsächlichen Urteilsvoraussetzungen vor, nicht aber, wenn Tatsachenfeststellungen durch Schlußfolgerungen gewonnen werden. Das Berufungsgericht hat im vorliegenden Fall aus den Formulierungen im Gewährungsgutachten (harte Kontaktlinsen wurden nicht vertragen, weiche werden bis jetzt gut vertragen, Besserung der Unfallfolgen durch Gewöhnung an Kontaktlinsen möglich) und den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen (bei Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit geht man in neuerer Zeit davon aus, daß der Rentenwerber Kontaktlinsen nicht verträgt) nur den Schluß gezogen, daß die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zum Zeitpunkt der Gewährung und während des Verfahrens unter den selben Prämissen erfolgt und damit objektiv keine Verschlechterung eingetreten sei.
Auch wenn man dem Standpunkt des Klägers folgte, daß ein Verschlechterung der Unfallfolgen durch
die - spätere - Linsenunverträglichkeit eingetreten sei, ist für ihn rechtlich nichts gewonnen. Gemäß § 183 ASVG hat bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse die für die Feststellung einer Rente maßgebend waren, der Träger der Unfallversicherung auf Antrag oder von Amts wegen die Rente neu festzustellen. Als wesentlich gilt eine Änderung der Verhältnisse nur, wenn durch sie die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch mehr als drei Monate um mindestens 10 v.H. geändert wird (durch die Änderung ein Rentenanspruch entsteht oder wegfällt oder die Schwerversehrtheit entsteht oder wegfällt).
Zum Vergleich dafür, ob eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist, ist der Tatsachenkomplex heranzuziehen, der jener Entscheidung zugrundelag, deren Rechtskraftwirkung bei unveränderten Verhältnissen einer Neufeststellung der Rente im Wege steht. Eine früher unrichtige Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit kann nicht im Wege des § 183 Abs. 1 ASVG korrigiert werden. Die Neufeststellung der Rente kann dabei allerdings nicht ohne jede Berücksichtigung der weiterhin bestehenden Minderung der Erwerbsfähigkeit erfolgen. Dies würde zu dem Ergebnis führen, daß einerseits ein Versehrter, der sich mit einer zu gering bemessenen Rente zufrieden gab, bei einer Besserung seines Zustandes eine Herabsetzung oder die Entziehung der Rente in Kauf nehmen müßte, obwohl auf Grund des zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung bestehenden Zustandes die Voraussetzungen für die Gewährung der Rente im bisherigen Ausmaß weiterhin vorliegen, andererseits der Unfallversicherungsträger bei einer zu hohen Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit anläßlich der Gewährung, im Falle eines Erhöhungsantrages ab diesem Zeitpunkt eine dem Zustand des Versehrten trotz eingetretener Verschlechterung nach den Feststellungen im Leistungsstreitverfahren nicht entsprechende höhere Rente zu leisten hätte. Die Untergrenze für die Herabsetzung und die Obergrenze für das Hinaufsetzen einer Rentenleistung im Falle der Neubemessung gemäß § 183 Abs. 1 ASVG bildet daher der durch den im Zeitpunkt der Neufestsetzung bestehenden Zustand bedingte Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (vgl. SSV 1/16). Nach den Feststellungen ist die Minderung der Erwerbsfähigkeit medizinisch bei Linsenlosigkeit eines Auges und guter Verträglichkeit einer Kontaktlinse unter 10 % und nur bei Unverträglichkeit einer Kontaktlinse mit 20 % einzuschätzen. Da der Kläger ohnedies schon eine Dauerrente von 20 % bezieht und ein Abweichen von der medizinischen Einschätzung mangels eines besonderen Härtefalles (der Kläger arbeitet nach wie vor in seinem erlernten Beruf) nicht geboten erscheint, wurde das Begehren des Klägers auf Erhöhung der Versehrtenrente zu Recht abgewiesen. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Revisionskosten beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG.
Anmerkung
E18395European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00182.89.0704.000Dokumentnummer
JJT_19890704_OGH0002_010OBS00182_8900000_000