Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst und Dr.Kellner als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Elmar Peterlunger (AG) und Anton Degen (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Brigitte S***, Dienstnehmerin, 5020 Salzburg,
Friesachstraße 1/4, vertreten durch Dr.Hans Werner M***, Sekretär der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Salzburg, 5020 Salzburg, Auerspergstraße 11, dieser vertreten durch Dr.Peter Cardona, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei S*** G***, 5020 Salzburg, Faberstraße 19-23,
diese vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Wochengeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 1.März 1989, GZ 12 Rs 40/89-8, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 23.November 1988, GZ 20 Cgs 153/88-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin durfte während ihrer Schwangerschaft gemäß § 3 Abs 3 MSchG ab 7.4.1988 nicht beschäftigt werden, weil nach dem von ihr vorgelegten Zeugnis eines Amtsarztes bei Fortdauer der Beschäftigung das Leben und die Gesundheit des Kindes gefährdet war. Der Tag der voraussichtlichen Entbindung war der 2.8.1988. Die Entbindung fand aber schon am 25.7.1988 statt. Die Klägerin erhielt von der beklagten Partei für die Zeit vom 7.4. bis 19.9.1988 Wochengeld.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, ihr auch für die Zeit vom 20.bis 27.9. Wochengeld im gesetzlichen Ausmaß zu bezahlen, ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, 30.000 S nicht übersteige, daß die Revision aber zulässig sei. Beide Vorinstanzen waren der Auffassung, daß sich die Frist, während der nach der Entbindung Wochengeld zu bezahlen sei, nicht gemäß § 162 Abs 2 letzter Satz ASVG verlängert habe, weil die Klägerin infolge des Beschäftigungsverbotes vor der Entbindung für länger als 8 Wochen Wochengeld erhalten habe.
Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinn des Klagebegehrens abzuändern oder es allenfalls aufzuheben und (die Rechtssache) an das Berufungsgericht zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung zurückzuverweisen. Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist unabhängig von dem - demnach
überflüssigen - Ausspruch des Berufungsgerichtes gemäß § 46 Abs 4 ASGG zulässig, weil es sich beim Wochengeld um eine wiederkehrende Leistung im Sinn dieser Gesetzesstelle handelt (10 Ob S 85/87). Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.
Erfolgt die Entbindung zu einem anderen als dem vom Arzt angenommenen Zeitpunkt, so verlängert sich gemäß § 162 Abs 2 letzter Satz die Frist, für die nach der Entbindung Wochengeld gebührt, in jedem Fall bis zu dem Zeitpunkt, in dem das Beschäftigungsverbot nach den Vorschriften des Mutterschutzrechtes endet. Hiefür ist hier § 5 Abs 1 MSchG maßgebend. Nach dieser Bestimmung dürfen Dienstnehmerinnen bis zum Ablauf von acht Wochen nach ihrer Entbindung nicht beschäftigt werden. Nach Frühgeburten, Mehrlingsgeburten oder Kaiserschnittentbindungen beträgt diese Frist zwölf Wochen. Ist eine Verkürzung der Achtwochenfrist vor der Entbindung eingetreten, so verlängert sich die achtwöchige Schutzfrist nach der Entbindung im Ausmaß dieser Verkürzung, höchstens jedoch auf zwölf Wochen.
Gemäß § 3 Abs 1 MSchG dürfen werdende Mütter in den letzten acht Wochen vor der voraussichtlichen Entbindung (Achtwochenfrist) nicht beschäftigt werden. Gemäß dem nachfolgenden Absatz 3 darf eine werdende Mutter über die Achtwochenfrist (Abs 1) hinaus auch dann nicht beschäftigt werden, wenn nach einem von ihr vorgelegten Zeugnis eines Arbeitsinspektionsarztes oder eines Amtsarztes Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet wäre.
Strittig ist hier, ob sich bei Verkürzung der Achtwochenfrist vor der Entbindung die achtwöchige Schutzfrist nach der Entbindung gemäß § 5 Abs 1 letzter Satz MSchG auch dann verlängert, wenn die Dienstnehmerin wegen eines Beschäftigungsverbotes nach § 3 Abs 3 MSchG insgesamt länger als acht Wochen vor der Entbindung nicht beschäftigt war. Die Klägerin bejaht dies. Derselben Ansicht scheinen auch Knöfler-Martinek (Mutterschutzgesetz8 § 5 Anm.3.1.) zuzuneigen. Das Oberlandesgericht Wien als damaliges Höchstgericht vertrat hingegen in ständiger Rechtsprechung den gegenteiligen Standpunkt (SSV 23/54, 26/140; SVSlg.27.134 ua).
Der Wortlaut und die Systematik der angeführten Bestimmungen legt zwar auf den ersten Blick die Auslegung nahe, daß im § 5 Abs 1 letzter Satz MSchG unter der "Achtwochenfrist", deren Verkürzung die Verlängerung der achtwöchigen Schutzfrist nach der Entbindung zur Folge hat, die im § 3 Abs 1 MSchG genannte, vom Tag der voraussichtlichen Entbindung zu berechnende Achtwochenfrist gemeint ist, weil im nachfolgenden Absatz 3 eine solche Frist nicht mehr erwähnt wird. Entgegen der von Knöfler-Martinek (aaO) vertretenen Ansicht spricht aber gerade die Entstehungsgeschichte des § 5 Abs 1 MSchG gegen ihren Standpunkt. In der Stammfassung (BGBl.1957/76) war vorgesehen, daß Dienstnehmerinnen bis zum Ablauf von sechs Wochen nach ihrer Entbindung nicht beschäftigt werden dürfen. Entsprechend bestimmte § 3 Abs 1, daß werdende Mütter in den letzten sechs Wochen vor der voraussichtlichen Entbindung (Sechswochenfrist) nicht beschäftigt werden dürfen. Nach dem nachfolgenden Absatz 2 wird die Sechswochenfrist aufgrund eines ärztlichen Zeugnisses berechnet. Erfolgt die Entbindung zu einem früheren oder späteren als dem im Zeugnis angegebenen Zeitpunkt, so verkürzt oder verlängert sich diese Frist entsprechend. Diese Regelung enthielt eine Divergenz zu dem von der Internationalen Arbeitskonferenz im Jahr 1952 angenommenen Übereinkommen (Nr.103) über den Mutterschutz. Dort wird im Art.3 Z 2 verlangt, daß die Dauer des "Mutterschaftsurlaubs" mindestens zwölf Wochen zu betragen hat. Dieser Forderung wäre dann nicht entsprochen gewesen, wenn sich die Schutzfrist vor der Entbindung infolge eines früheren als des angenommenen Zeitpunkts verkürzte, weil für diesen Fall eine Verlängerung der Schutzfrist nach der Entbindung nicht vorgesehen war. Um die Divergenz zu dem Abkommen zu beseitigen und dessen Ratifikation zu ermöglichen (vgl 821 BlgNR 11.GP und Weisgram in RdA 1969, 285), wurde dem § 5 Abs 1 MSchG durch das Bundesgesetz BGBl.1968/281 folgender Satz angefügt:
"Ist eine Verkürzung der Sechswochenfrist vor der Entbindung eingetreten (§ 3 Abs 2 zweiter Satz), so verlängert sich die sechs- bzw.achtwöchige Schutzfrist nach der Entbindung in dem Ausmaß, das notwendig ist, um den Müttern eine Schutzfrist vor und nach der Entbindung von insgesamt nicht weniger als zwölf Wochen zu gewährleisten." Die geltende Fassung erhielt der letzte Satz des § 5 Abs 1 MSchG durch das Bundesgesetz BGBl.1974/178, wobei die Änderung allein auf die Verlängerung der Schutzfrist von sechs auf acht Wochen zurückzuführen ist (vgl EB zur RV 1033 BlgNR 13.GP 7). Das durch die Novelle BGBl.1968/281 angestrebte Ziel, der Dienstnehmerin den nach dem Übereinkommen geforderten "Mutterschaftsurlaub" von mindestens zwölf Wochen zu gewährleisten, ist aber auch dann erreicht, wenn man auf die Dauer des Beschäftigungsverbotes nach § 3 Abs 3 MSchG Bedacht nimmt, eine Verkürzung der Schutzfrist vor der Entbindung also nicht als gegeben ansieht, wenn diese einschließlich der Dauer des Beschäftigungsverbotes früher mindestens sechs Wochen und nunmehr mindestens acht Wochen betrug. Nun ist zwar im Art 3 Z 5 des Übereinkommens vorgesehen, daß die innerstaatliche Gesetzgebung im Fall einer Krankheit, die laut ärztlichem Zeugnis eine Folge der Schwangerschaft ist, einen zusätzlichen Urlaub vor der Niederkunft vorzusehen hat. Das Übereinkommen enthält aber keine Regelung für den Fall, daß sich die Schutzfrist vor der Entbindung verkürzt, weil diese vor dem angenommenen Zeitpunkt stattfindet. Es verbietet also nicht, den wegen der Krankheit der Frau gebührenden "Urlaub" auf die im Art.3 Z 2 geforderte Mindestdauer des "Mutterschutzurlaubs" von zwölf Wochen anzurechnen, soweit er in den entsprechenden Zeitraum fällt. Erforderlich ist nach dem Übereinkommen nur, daß der Frau wegen der Krankheit ein zusätzlicher "Urlaub" dann zusteht, wenn sie allein wegen der Schwangerschaft einen Mindesturlaub von zwölf Wochen beanspruchen kann.
Hat aber der Gesetzgeber durch die Änderung des § 5 Abs 3 MSchG nur die Anpassung des innerstaatlichen Rechts an das Übereinkommen beabsichtigt, so muß davon ausgegangen werden, daß die Dienstnehmerin dann, wenn die Entbindung vor dem angenommenen Zeitpunkt stattfindet, nicht günstiger gestellt werden sollte, als dies nach dem Abkommen erforderlich ist, und daß demnach eine zu einer Verlängerung der Schutzfrist nach der Entbindung führende Verkürzung der Schutzfrist vor der Entbindung nicht gegeben ist, wenn ihr unter Berücksichtigung der Dauer des Beschäftigungsverbotes nach § 3 Abs 3 MSchG bis zur Entbindung mindestens die gesetzliche Schutzfrist (von früher sechs und nunmehr acht Wochen) zur Verfügung stand. Die in eine andere Richtung weisende Fassung des § 5 Abs 1 MSchG geht daher offensichtlich auf ein Redaktionsversehen zurück, das im Wege der Auslegung zu berichtigen ist (vgl Bydlinski in Rummel, ABGB, Rz 25 d zu § 6 ABGB), zumal der Zweck der Regelung nicht entgegensteht. Für die medizinisch indizierten Fälle (Frühgeburt, Mehrlingsgeburt, Kaiserschnittentbindung) ist nämlich im § 5 Abs 1 ohnedies die Verlängerung der Schutzfrist nach der Entbindung vorgesehen. Ein medizinischer Grund, diese Verlängerung auch auf jene Fälle auszudehnen, in denen der werdenden Mutter infolge eines Beschäftigungsverbotes nach § 3 Abs 3 MSchG ohnedies die gesamte gesetzliche Schutzfrist vor der Entbindung zur Verfügung stand, besteht nicht. Es ist daher dem Ziel des Beschäftigungsverbotes nach der Entbindung auch dann entsprochen, wenn man bei der Lösung der Frage, ob die Schutzfrist vor der Entbindung verkürzt wurde, die Dauer des Beschäftigungsverbotes nach § 3 Abs 3 MSchG berücksichtigt. Bei einer anderen Auslegung könnten überdies Dienstnehmerinnen, die gemäß § 3 Abs 3 MSchG nicht beschäftigt werden durften, gegenüber anderen bessergestellt sein, weil ihnen nach der Entbindung, ohne daß medizinische Gründe vorliegen, eine längere Schutzfrist auch dann zur Verfügung stünde, wenn sie vor der Entbindung während mindestens acht Wochen nicht beschäftigt wurden. Diese Besserstellung wäre sachlich nicht gerechtfertigt und daher gleichheitswidrig, weshalb auch die gebotene (vgl JBl 1978, 438) verfassungskonforme Auslegung des § 5 Abs 1 MSchG zu dem aufgezeigten Ergebnis führt.
Der Oberste Gerichtshof ist somit wie schon die Vorinstanzen der Meinung, daß die Schutzfrist nach § 3 Abs 1 MSchG dann nicht im Sinn des § 5 Abs 1 letzter Satz dieses Gesetzes verkürzt wurde, wenn sie unter Berücksichtigung eines Beschäftigungsverbotes nach § 3 Abs 3 MschG insgesamt acht Wochen betrug. Dieser Fall ist hier gegeben, weshalb sich die achtwöchige Schutzfrist nach der Entbindung nicht verlängerte und daher am 19.9.1988 endete. Damit verlängerte sich aber auch die Frist, für die Wochengeld zu bezahlen ist, nicht gemäß § 162 Abs 2 letzter Satz ASVG. Die Klägerin hat daher gemäß § 162 Abs 1 ASVG nur bis zu dem angeführten Tag, nicht aber auch für den den Gegenstand der Klage bildenden nachfolgenden Zeitraum Anspruch auf Wochengeld.
Anmerkung
E18194European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00181.89.0704.000Dokumentnummer
JJT_19890704_OGH0002_010OBS00181_8900000_000