Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder Mathias K***, geboren am 31. Jänner 1975, Gottfried K***, geboren am 17. Jänner 1978, und Birgit K***, geboren am 22. Jänner 1981, sämtliche vertreten durch die Mutter Brigitte K***, Kirchberg am Wechsel, Markt 235, diese vertreten durch Dr. Helene Klaar, Rechtsanwalt in Wien, infolge Revisionsrekurses der Mutter gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 17. Mai 1989, GZ R 171/89-53, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Aspang vom 1. März 1989, GZ P 9/88-48, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Die minderjährigen Kinder Mathias K***, geboren am 31. Jänner 1975, Gottfried K***, geboren am 17. Jänner 1978 und Birgit K***, geboren am 22. Jänner 1978 entstammen der Ehe der Brigitte K*** mit Dr. Wolfgang K***. Die Ehe wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Hietzing vom 25. Juni 1987 gemäß § 55 a EheG rechtskräftig geschieden. Auf Grund des anläßlich der Scheidung geschlossenen Vergleiches verblieben die Kinder bei der Mutter. Dem Vater wurde ein Besuchsrecht an jedem 1. und 3. Sonntag im Monat in der Zeit von 9 Uhr bis 19 Uhr eingeräumt. Das Erstgericht hat unter anderem dem Vater das Besuchsrecht zu seinen Kindern vorläufig entzogen. Das Rekursgericht hat diesen Teil des erstgerichtlichen Beschlusses im Sinne einer Abweisung des diesbezüglichen Antrages der Mutter abgeändert.
Die Vorinstanzen gingen von folgenden wesentlichen Feststellungen aus:
Die Scheidung der Ehe wurde von der Mutter betrieben, weil diese den in Konfliktsituationen zu verbaler und tätlicher Gewalt neigenden Vater fürchtete und ablehnte. Der Vater hat das ihm eingeräumte Besuchsrecht bis September 1987 (im erstgerichtlichen Beschluß fälschlich 1988) ausgeübt. In der Folge übersiedelte die Mutter mit den Kindern nach Kirchberg am Wechsel, was sie sowohl dem Vater als auch dem Pflegschaftsgericht im September 1987 mitteilte. In der Folge übte der Vater das Besuchsrecht nicht mehr aus. Welcher Grund dafür bestimmend war, ist nicht bekannt. Jedenfalls hat die Mutter nie versucht, die Ausübung des Besuchsrechtes zu vereiteln oder die Kinder im Sinne einer Ablehnung der Besuche beeinflußt. Dagegen lehnen die Kinder weitere Besuche beim Vater ab, weil sie sich durch dessen Verhalten bei Auseinandersetzungen bedroht fühlen. Sie sind auch nicht mit der Art und Weise, wie der Vater aus Anlaß der durchgeführten Besuchsrechte auf ihre Freizeitgestaltung Einfluß genommen hat, einverstanden. Sie empfinden daher die Besuchsrechte als ihnen vom Vater aufgezwungen und in punkto Freizeitgestaltung als uninteressant.
Sämtliche Kinder sind altersgemäß entwickelt.
Mathias hat das Verhalten des Vaters, der offensichtlich die Tochter den beiden Söhnen vorzieht, ihm gegenüber als Zurückweisung und Willkür erlebt. Als er im Sommer 1987 mit dem Vater die Gestaltung des Besuchsrechtes nach Vorschlägen der Mutter besprechen wollte, wurde er vom Vater nach Hause geschickt und ihm bedeutet, daß er nicht mehr zu kommen brauche. In der Folge hat der Vater zwar den anderen Kindern aus bestimmten Anlässen Glückwünsche und Geschenke geschickt, nicht jedoch Mathias.
Gottfried empfindet das Verhalten des Vaters gegenüber der Mutter und gegenüber dem älteren Bruder als aggressiv und ungerecht. Er hat deswegen Angst vor dem Vater und ergreift die Partei der Mutter und der Geschwister.
Birgit hat die besten Beziehungen zum Vater, ist jedoch derzeit auch gegen das Besuchsrecht, wobei allerdings hauptsächlich Solidaritätsgefühle zu den Brüdern maßgeblich sind. Die Kinder haben die Übersiedlung aus Wien in ihre neue Lebensumgebung anstandslos gemeistert, erbringen sehr gute schulische Leistungen und leben in sehr guten Pflegeverhältnissen. Sie werden von der Mutter untadelig betreut. Die bei der Scheidung der Ehe vorhandene emotionale Verstimmung und Beunruhigung der Kinder hat sich infolge der jetzigen Lebens- und Betreuungsverhältnisse gelegt. Zu dieser Konsolidierung der Kinder hat aber auch beigetragen, daß der Vater über einen längeren Zeitraum sein Besuchsrecht nicht ausgeübt hat. Eine Wiederaufnahme des väterlichen Besuchsrechtes würde unter den gegebenen Bedingungen, nämlich bei der begründeten Ablehnung des Vaters durch Mathias und Gottfried, die Gefahr einer erheblichen Irritierung aller Kindern mit sich bringen. Würde Birgit das Besuchsrecht allein ausüben, so bestünde die Gefahr, daß die Geschwister auf längere Sicht betrachtet eine separierte Entwicklung in ihrem Verhältnis zum Vater nehmen, wodurch einerseits Rivalitäten entstehen und andererseits die elterlichen Probleme für Konfliktstoff zwischen den Kindern sorgen.
Das Erstgericht vertrat die Rechtsansicht, bei dem festgestellten Sachverhalt müsse die Aufrechterhaltung des väterlichen Besuchsrechtes als dem Wohl der Kinder widersprechend angesehen werden.
Das Rekursgericht vertrat die Rechtsansicht, grundsätzlich hätten beide Eltern ein Recht auf Kontakt zu den Kindern. Maßgebend sei bei der Entscheidung über das Besuchsrecht allerdings das Wohl der Kinder. Eine Entziehung des Besuchsrechtes sei jedoch nur ausnahmsweise aus besonders schwerwiegenden Gründen dann zulässig, wenn das Wohl der Kinder eine solche Maßnahme wegen einer konkreten Gefährdung ihrer psychischen und physischen Integrität unumgänglich mache. Derartige schwerwiegende Gründe lägen aber hier nicht vor. Es sei grundsätzlich Pflicht jenes Elternteiles, bei dem sich die Kindern befinden, nicht nur Beeinflussungen gegen das Besuchsrecht des anderen Elternteiles zu unterlassen, sondern vielmehr auch positiv auf die Kinder im Sinne des Besuchsrechtes einzuwirken. Im vorliegenden Fall ergebe sich, daß bei Birgit überhaupt keine ernstliche Ablehnung des Vaters vorliege. Auch bei Gottfried sei diese Ablehnung mehr auf Solidarität mit seinem Bruder zurückzuführen. Was nun Mathias anlange, sei dessen Ablehnung des Vaters tatsächlich auf dessen Verhalten zurückzuführen, doch könne auch hier angenommen werden, daß sich die Stellung des Kindes gegen den Vater dann ändern könne, wenn dieser sein Verhalten eindeutig ändere. Es sei im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen, daß der Vater sich in dieser Richtung ernstlich bemühen werde. Ein Verhalten des Vaters während der aufrechten Ehe könne eine Änderung des Besuchsrechtes schon deshalb nicht rechtfertigen, weil dieses Verhalten der Mutter bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleiches im Scheidungsverfahren bekannt gewesen sei. Der von der Mutter gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs ist nicht gerechtfertigt.
Die Rechtslage wurde vom Rekursgericht erschöpfend und richtig dargelegt. Es kann daher auf die diesbezüglichen Ausführungen verwiesen werden.
Rechtliche Beurteilung
Was die konkrete Beurteilung des vorliegenden Falles im Hinblick auf die vom Rekursgericht geschilderte Rechtslage anlangt, ist folgendes zu sagen:
Natürlich kann von der Mutter nicht verlangt werden, ihre persönlichen Gefühle gegen den Vater den Kindern gegenüber so darzustellen, als würde es sich um positive Gefühle handeln. Eine derartige Pervertierung der eigenen Gefühle würde von den Kindern auf Dauer kaum für richtig gehalten werden. Vielmehr würde dies nur dazu führen, daß die Kinder letzten Endes sämtlichen Äußerungen der Mutter mißtrauen würden. Richtig ist allerdings, daß die Mutter nicht berechtigt wäre, die Kinder negativ gegen den Vater zu beeinflussen und auf sie im Sinne einer Ablehnung des Besuchsrechtes einzuwirken. Vielmehr muß von ihr verlangt werden, daß sie den Kindern rein vernunftmäßig die Notwendigkeit einer Ausübung des väterlichen Besuchsrechtes darlegt. Gerade bei den beiden älteren Kindern kann erwartet werden, daß sie entsprechende Vernunftargumente begreifen und daß sie einsehen, daß die persönliche Ablehnung des Vaters durch die Mutter nicht zu einer Verneinung des Besuchsrechtes des Vaters führen muß, vielmehr auf die Dauer ein persönlicher Kontakt mit dem Vater auch für sie positive Auswirkungen haben kann. Allerdings ist es richtig, daß solche positive Auswirkungen nur zu erwarten sind, wenn auch der Vater entsprechend auf die Kindern eingeht und nicht versucht, autoritativ einen Prestigestandpunkt durchzusetzen. Nur dann wird es ihm gelingen, den zum Teil durch seine eigene Schuld abgebrochenen Kontakt wieder aufzubauen. Daß dies unmöglich wäre, kann nach den getroffenen Feststellungen nicht gesagt werden. Vor allem lassen, wie das Rekursgericht zutreffend darlegt, die bisherigen Verfahrensergebnisse nicht die Befürchtung zu, die Aufnahme des Kontaktes zwischen dem Vater und den Kindern wäre auf jeden Fall mit schweren Nachteilen für die Kinder verbunden. Wie bereits ausgeführt, wäre die Frage der positiven oder negativen Entwicklung erst auf Grund des Verhaltens des Vaters zu beantworten. Es wird seine Sache sein, entsprechend behutsam und mit Einfühlung bei der Aufnahme des Kontaktes mit den Kindern vorzugehen. Ein unzweckmäßiges Verhalten des Vaters könnte nämlich dazu führen, daß die jetzt vielleicht noch nicht unüberwindliche Ablehnung der Kontakte durch die Kinder derart verstärkt würde, daß die Ausübung des Besuchsrechtes in Hinkunft tatsächlich unmöglich gemacht würde. Dem Rekursgericht ist dahin zu folgen, daß dies bisher noch nicht der Fall ist.
Richtig hat das Rekursgericht auch erkannt, daß Vorkommnisse während der Ehe für die Entscheidung über einen Entzug des Besuchsrechtes keine Bedeutung haben können, weil diese Vorkommnisse der Mutter bei Abschluß des Vergleiches über das Besuchsrecht bekannt waren. Sie mögen eine ablehnende Haltung der Kinder gegenüber dem Vater verständlich erscheinen lassen, sind jedoch für sich allein kein Grund für den Entzug des Besuchsrechtes. Allerdings wird es auch hier Sache des Vaters sein, jenen negativen Eindruck auf die Kinder, den er nach seinen eigenen Angaben vor dem Sachverständigen in der letzten Zeit der Ehe hinterlassen hat, durch ein entsprechendes Verhalten abzubauen. Die Gelegenheit dazu muß ihm aber gegeben werden. Eine solche Gelegenheit hat er nur, wenn das Besuchsrecht besteht und er beim Aufbau von Kontakten nicht nur auf ein Entgegenkommen der Mutter angewiesen ist. Möglicherweise wird seinem Ziel der Wiederherstellung eines gedeihlichen Verhältnisses durch schonende und nur teilweise Ausübung des Besuchsrechtes besser entsprochen werden als dem Beharren auf Ausübung des eingeräumten Rechtes im vollen Umfang. Hier wird es ebenfalls auf das Einfühlungsvermögen des Vaters ankommen. Starrsinniges Beharren auf seinem "Recht" könnte nämlich gerade das Gegenteil, also die endgültige Verwirkung jeder Möglichkeit zu einer Kontaktaufnahme, bewirken. Der entscheidende Beitrag wird also von einem verantwortungsbewußten Verhalten des Vaters abhängen. Dies kann ihm nicht durch eine teilweise Einschränkung des Besuchsrechtes abgenommen werden. Keinesfalls geht es an, solange nicht endgültig feststeht, daß Besuchskontakte der Kinder zum Vater für die Kinder erhebliche Nachteile mit sich bringen, derartige rechtlich gesicherte Kontakte zur Gänze zu verweigern.
Die zwangsweise Durchsetzung des Besuchsrechtes gegen deren Willen steht derzeit überhaupt nicht zur Diskussion. Es geht vielmehr nur darum, daß dem Vater die Gelegenheit geboten wird, zu den Kindern Kontakt aufzunehmen und daß die Mutter den Kindern die Notwendigkeit eines solchen Kontaktes klar macht. Daß sich die Kinder in einem solchen Fall auch gegen den Willen der Mutter weigern würden, mit dem Vater zusammenzukommen, ist nach den bisherigen Verfahrensergebnissen äußerst unwahrscheinlich, weshalb die Folgen eines solchen Verhaltens derzeit nicht erörtert werden müssen.
Zusammenfassend ergibt sich also, daß das letztlich im Interesse der Kinder gelegene Besuchsrecht nur aus besonders triftigen Gründen vorübergehend eingestellt werden darf (7 Ob 563/85, 1 Ob 509/83 ua.), daß aber derartige triftige Gründe hier noch nicht erkennbar sind. Der Gesetzgeber wünscht auch weiterhin die Ausübung des Besuchsrechtes durch den nicht pflege- und erziehungsberechtigten Elternteil aufrecht zu erhalten, um den persönlichen Kontakt zwischen diesem und dem Kind nicht abreißen zu lassen. Eine Unterbindung dieses Kontaktes ist nur in Ausnahmsfällen aus besonders schwerwiegenden Gründen zulässig (EvBl. 1981/143 ua.). die Aufrechterhaltung des Kontaktes zu beiden Elternteilen ist grundsätzlich für eine gedeihliche Entwicklung des Kindes erforderlich und liegt daher im wohlverstandenen Interesse des Kindes (EFSlg. 35.868, 33.480 ua.).
Aus den aufgezeigten Erwägungen war demnach dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
Anmerkung
E18114European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0070OB00619.89.0706.000Dokumentnummer
JJT_19890706_OGH0002_0070OB00619_8900000_000