Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Juli 1989 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hörburger, Dr. Brustbauer, Dr. Kuch und Dr. Markel (Berichterstatter) als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vondrak als Schriftführerin in der Strafsache gegen Jakob R*** wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB. über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 10. März 1988, GZ. 3 b E Vr 13.459/86-42, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Raunig, und des Verteidigers Dr. Gussenbauer, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Beschluß des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 10. März 1988, GZ. 3 b E Vr 13.459/86-42, verletzt §§ 1 Abs. 1 und 4, 8 Abs. 2 Tilgungsgesetz.
Dieser Beschluß wird aufgehoben und dem Landesgericht für Strafsachen Wien aufgetragen, neuerlich über den Antrag des Jakob R*** auf Strafmilderung nach § 410 StPO. zu entscheiden.
Text
Gründe:
Jakob R*** wurde mit Urteil des Oberlandesgerichts Wien (in Abänderung eines Urteils des Landesgerichts für Strafsachen Wien) vom 7. April 1987, 23 Bs 88/87, wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB. zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen, im Fall der Uneinbringlichkeit zu 50 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, unter gleichzeitiger Festsetzung der Tagessatzhöhe mit 300 S verurteilt.
In einem Antrag gemäß § 410 Abs. 1 StPO. (ON. 41) machte er die Tilgbarkeit seiner Vorverurteilungen (schon vor dem Urteil des Oberlandesgerichts Wien) und Belastungen durch Sorfgepflichten als Gründe für die von ihm angestrebte Herabsetzung von Zahl und Höhe der Tagessätze geltend.
Dieser Antrag wurde mit dem im Spruch angeführten Beschluß einerseits (insoweit zutreffend: ZVR. 1976/90, 1981/124), weil Sorgepflichten nicht als Milderungsgründe im Sinn des § 410 StPO. anzusehen sind, andererseits aber abgelehnt, weil nach Ansicht des Landesgerichts eine nachträgliche Tilgung aller Vorverurteilungen nicht mildernd in der Bedeutung des § 410 StPO. wirken könne. Es sei Eigenschaft jeder ausgesprochenen Strafe, daß später ihre Tilgbarkeit eintrete, überdies sei die Tilgung der ausländischen Verurteilungen des Jakob R*** fraglich.
Rechtliche Beurteilung
Dieser Beschluß steht mit dem Gesetz nicht im Einklang. Nach der Strafregisterauskunft (ON. 22) war Jakob R*** vor Einleitung des Verfahrens zum AZ. 3 b E Vr 13.459/86 des Landesgerichts für Strafsachen Wien bereits fünfmal strafgerichtlich verurteilt, die Tilgungsfrist war jedoch zu allen Verurteilungen bereits abgelaufen. Die beiden ersten Verurteilungen (Bezirksgericht Salzburg, 7 U 1549/65, rechtskräftig seit 25. Oktober 1965, wegen § 431 StG., Geldstrafe von 500 S, im Uneinbringlichkeitsfall 48 Stunden Freiheitsstrafe; 7 U 773/70, rechtskräftig seit 11. August 1970, wegen § 9 Abs. 1 Z. 1 SuchtgiftG., Geldstrafe von 500 S, im Uneinbringlichkeitsfall 5 Tage Freiheitsstrafe) bewirkten keine Verlängerung der Tilgungsfrist (§ 4 Abs. 3 TilgG.). Für die Verurteilung durch das Amtsgericht Frankfurt am Main, 94 Cs 93/72, rechtskräftig seit 22. März 1972 (zu sechs Wochen Freiheitsstrafe wegen Erwerbs und Führens einer Schußwaffe) begann die Tilgungsfrist ebenso wie für die erste und zweite Verurteilung, weil alle vor dem 1. Juli 1972 ergingen, mit deren Rechtskraft zu laufen (§ 8 Abs. 2 TilgG.). Durch die dritte und die folgende vierte Verurteilung (siehe unten) wurde die gemeinsame Tilgungsfrist der ersten vier Vorverurteilungen um zwei Jahre verlängert (§ 4 Abs. 1, 2 und 3 TilgG.). Sonach war die Tilgungsfrist aller vier Erkenntnisse nach der - vierten - Verurteilung durch das Amtsgericht Frankfurt am Main 94 Gs 227/72, rechtskräftig seit 29. August 1972, zu drei Monaten Freiheitsstrafe (wegen §§ 259, 267 dStGB. d.h. wegen Sachhehlerei und Urkundenfälschung), welche mit dem Vollzug dieser Freiheitsstrafe am 24. September 1972 zu laufen begonnen hatte (Schreiben der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt am Main vom 14. Dezember 1988, erliegend in Ablichtung im Akt), nach sieben Jahren, also seit dem 24. September 1979 abgelaufen (§§ 3 Abs. 1 Z. 1, 4 Abs. 1, Abs. 2, letzter Satz, und Abs. 3, 7, 8 Abs. 2 TilgG.).
Das ergibt: Jakob R*** war bereits im Zeitpunkt seiner fünften Verurteilung (durch den Jugendgerichtshof Wien, 22 U 501/80, rechtskräftig seit 9. September 1980, ein Monat Freiheitsstrafe wegen § 198 Abs. 1 StGB., bedingte Strafnachsicht mit dreijähriger Probezeit, endgültig nachgesehen am 14. Dezember 1983) ebenso gerichtlich unbescholten wie bei seiner letzten Verurteilung, weil, der erstgerichtlichen Ansicht zuwider, die Tilgung als solche (§ 1 Abs. 1 TilgG.) und die Tilgungswirkung (§ 1 Abs. 4 und 5 TilgG.) mit Ablauf der Tilgungsfrist kraft Gesetzes eintreten. Daraus wiederum folgt, daß die oft verwendete Ausdrucksweise "Tilgbarkeit" (der Verurteilung), soweit damit eine schon abgelaufene Tilgungsfrist gemeint ist, die Rechtslage nicht korrekt wiedergibt, weil die Tilgung eben zufolge dem schon zitierten § 1 Abs. 1 TilgG. eine Rechtswirkung ipso iure ist. Der Ausdruck "Tilgbarkeit" einer Verurteilung könnte also in gesetzgemäßer Weise nur prognostizierend verwendet werden, d.h. so, daß damit der voraussichtliche oder mögliche Eintritt der Tilgung in der Zukunft gemeint ist. - Im gegenständlichen Fall wurde lediglich der Zeitpunkt der Verbüßung der Freiheitsstrafe von drei Monaten zur vierten Verurteilung erst im nachhinein bekannt.
Es kann deshalb im vorliegenden Fall gemäß § 7 TilgG. ausländisches Tilgungsrecht - bei beiderseitiger Strafbarkeit der Urteilstaten der dritten und vierten Verurteilung - außer Betracht bleiben. Der unter der irrigen Annahme, der Antragsteller wäre im Urteilszeitpunkt nicht unbescholten gewesen, gefaßte abweisliche Beschluß gemäß § 410 Abs. 1 StPO. verletzt folglich die §§ 1 Abs. 1 und 4 und 8 Abs. 2 TilgG. Da sich diese Gesetzesverletzung zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt hat, war gemäß § 292 letzter Satz StPO. dieser Beschluß aufzuheben und dem Landesgericht für Strafsachen Wien die neuerliche Entscheidung aufzutragen.
Anmerkung
E18017European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0130OS00069.89.0706.000Dokumentnummer
JJT_19890706_OGH0002_0130OS00069_8900000_000