Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*** Ö*** (Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, und der der klagenden Partei beigetretenen Nebenintervenientin "I***" Aktiengesellschaft für chemisch-medizinische Produkte, Wien 22., Industriestraße 72, vertreten durch DDr. Walter Barfuß und andere Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei W*** T***, Wien 12., Khleslplatz 6, vertreten durch
Dr. Ulrike Christine Walter, Rechtsanwalt in Wien, wegen Herausgabe (Streitwert S 390.000,-), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 17. Jänner 1989, GZ 11 R 273/88-19, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 5. September 1988, GZ 26 Cg 114/87-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 11.851,- und ihrer Nebenintervenientin die mit S 15.643,98 (darin S 2.607,33 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 6. Mai 1982, Zl. MBA 22-09/001/2/Str, hatte der M*** DER STADT WIEN zwei von der Nebenintervenientin importierte Schimpansen ("Rosi" und "Hiasl") gemäß § 12 Abs 2 des BG 1. Juli 1981 BGBl 1982/189 zur Durchführung des Übereinkommens vom 3. März 1973 über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen beschlagnahmt und sodann mit Bescheid vom 14. Juli 1983, Zl. MBA 22-05/026/3 Str, für verfallen erklärt. Mangels geeigneter Unterbringungsmöglichkeiten wurden die beiden Schimpansen dem beklagten Verein in Verwahrung gegeben. In der Folge hob der Verwaltungsgerichtshof die beiden Bescheide wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes auf (Urteile vom 10. April 1984, Zl. 83/04/0311-6, und vom 18. September 1984, Zl. 84/04/0048, 0098-7).
Mit Urteil vom 10. Dezember 1986, A 15/85-16, erkannte der Verfassungsgerichtshof auf Klage der nunmehrigen Nebenintervenientin die (jetztige) Klägerin schuldig, die beiden beschlagnahmten und für verfallen erklärten Schimpansen auszufolgen. Die Schimpansen befinden sich weiterhin in der Gewahrsame des Beklagten, welcher der Aufforderung der Klägerin vom 23. März 1987 zur Herausgabe nicht nachgekommen ist.
Die Klägerin begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Übergabe der Schimpansen "Rosi" und "Hiasl".
Der Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin begehre die Herausgabe der Tiere zu dem alleinigen Zweck, sie ihrerseits an die Nebenintervenientin weiterzugeben; die Verwirklichung dieses Zieles würde aber dazu führen, daß die Schimpansen einer nicht artgerechten und daher für sie qualvollen Behandlung ausgesetzt wären, wodurch der Tatbestand der Tierquälerei gemäß § 222 StGB verwirklicht würde. Die Nebenintervenientin behaupte zwar, daß sie die Schimpansen dringend für Versuche im Zuge der Aids-Forschung benötige, deren Ziel es sei, Impfstoffe zur Verhütung des Ausbruches der Krankheit und Medikamente zu ihrer Heilung zu finden und zu entwickeln. Das stehe jedoch mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht im Einklang, weil Schimpansen als Versuchstiere in der Aids-Forschung ungeeignet seien. "Rosi" und "Hiasl" würden durch ihre Übergabe an die Nebenintervenientin besonderen Qualen ausgesetzt werden, weil sie seit der Übergabe an den Beklagten so artgerecht wie möglich untergebracht worden seien und eine verhältnismäßig große Bewegungsfreiheit genossen hätten; die Nebenintervenientin habe hingegen die Absicht, die beiden Schimpansen in kleine Käfige zu stecken, um sie rasch genug fangen zu können, wenn sie zu Versuchen herangezogen werden sollten. Das beweise, daß die Nebenintervenientin nicht die Absicht habe, den Tieren unnötige Qualen zu ersparen. Auch nach dem Tierversuchsgesetz dürften solche Versuche nur durchgeführt werden, wenn alles Zumutbare unternommen werde, um die Tiere vor unnötigen Qualen zu bewahren. Da es Zweck des beklagten Vereins sei, Tiere vor Quälereien, nicht artgerechter Behandlung und Halt ng udgl. zu schützen und Tierversuche weitestgehend einzuschränken, würde er seine Ziele aufgeben, um nicht zu sagen verraten, wenn er daran mitwirkte, zwei Schimpansen, die mittlerweile die Lieblinge einer unüberschaubaren Anzahl von Menschen geworden seien, einer artwidrigen, ihr Leben bedrohenden Behandlung zu unterwerfen, die noch dazu für die wissenschaftliche Forschung wertlos sei. Der Beklagte habe der Nebenintervenientin immer wieder angeboten, an Stelle der Herausgabe der Schimpansen einen Betrag - zuletzt von S 395.136,- - zu zahlen.
Der Erstrichter gab dem Klagebegehren, ohne Aufnahme von Beweisen, aus folgenden rechtlichen Erwägungen statt:
Auf die Rechtsbeziehungen zwischen den Streitteilen seien die §§ 957 ff ABGB anzuwenden. Danach müsse der Verwahrer die in Verwahrung genommene Sache dem Hinterleger auf dessen Verlangen jederzeit herausgeben; ihm stehe nicht einmal ein Zurückbehaltungsrecht nach § 471 ABGB zu (§ 1440 ABGB). Die vom Beklagten geltend gemachten Gründe könnten seine Weigerung, die Tiere herauszugeben, nicht rechtfertigen. Der Einwand, daß die Herausgabe den Statuten des Beklagten widerspräche, gehe schon deshalb ins Leere, weil Vereinsstatuten niemals eine gesetzliche Verpflichtung außer Kraft setzen könnten. Auch die Möglichkeit, daß den Schimpansen entgegen § 222 StGB unnötige Qualen zugefügt würden, rechtfertige die Zurückbehaltung nicht, weil eine solche vertragswidrige Handlung nur in den engen Grenzen der Notwehr und der Nothilfe gestattet wäre; die Unversehrtheit der Tiere sei aber nicht notwehrfähig. Ob die beiden Schimpansen für die beabsichtigten Tierversuche generell oder auf Grund ihres Alters ungeeignet seien, sei bedeutungslos. Die Überwachung der Einhaltung des Tierversuchsgesetzes obliege dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung sowie den Bezirksverwaltungsbehörden
(§ 8 TierversuchsG BGBl 1974/184), nicht aber dem Beklagten; eine allfällige Verletzung der einschlägigen Tierschutzgesetze könne der Beklagte nur im Wege einer Anzeige an die zuständigen Behörden wahrnehmen. Auch § 285 a ABGB, eingeführt durch BGBl 1988/179, bringe für den Beklagten kein günstigeres Ergebnis: Abgesehen davon, daß dieses Bundesgesetz erst am 1. Juli 1988 und damit nach Schluß der mündlichen Verhandlung (18. April 1988) in Kraft getreten sei, wären auch nach dieser Bestimmung Verwahrungsverträge über Tiere so zu behandeln wie solche Verträge über Sachen.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000,- übersteige. Vereinsstatuten könnten die auf dem Gesetz beruhenden Rechtsbeziehungen des Vereins zu Dritten nicht berühren; befolge der Beklagte ein gerichtliches Erkenntnis, dann könne ihn dies weder seiner Glaubwürdigkeit berauben noch seine Existenz durch Massenaustritte von Mitgliedern bedrohen. Auch wenn § 285 a ABGB hier anzuwenden wäre, könnte das an diesem Ergebnis nichts ändern, weil Tiere weiterhin Gegenstand eines Verwahrungsvertrages, aber auch des Eigentumsrechtes sein könnten. Die in § 3 Abs 1 StGB aufgezählten notwehrfähigen Rechtsgüter seien auf Tiere nicht anzuwenden. Die Unversehrtheit eines Tieres sei nur insofern notwehrfähig, als sich der Angriff gegen das Tier als Vermögensbestandteil richte; dabei müsse es sich aber um ein Vermögen handeln, über das nicht der Täter selbst verfügungsberechtigt sei, weil es sonst an der Rechtswidrigkeit des Angriffes fehlen würde. Dem Herausgabebegehren des Eigentümers oder Hinterlegers könne daher die Ausübung eines "Nothilferechtes" nicht entgegengesetzt werden, zumal der Beklagte nicht einmal behauptet habe, daß die befürchteten Angriffe der Nebenintervenientin auf die Integrität der Tiere gegenwärtig oder unmittelbar drohend wären, so daß behördliche Abhilfe zu spät käme. Der Beklagte habe zwar das Recht, auf die Einhaltung der Tierschutzvorschriften zu dringen; er dürfe aber seine unbestreitbar hohen ethischen Ziele nur im Rahmen der Legalität verfolgen, insbesondere nur innerhalb der durch § 19 ABGB gezogenen Grenzen. Danach stehe ihm aber ein "vorbeugendes" Zurückbehaltungsrecht an fremdem Eigentum zur Hintanhaltung befürchteter künftiger rechtswidriger Handlungen nicht zu. Angesichts dieser Rechtslage lägen auch keine Feststellungsmängel vor.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde.
Die Klägerin und die Nebenintervenientin beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Beklagte meint, daß seine Weigerung, die in Verwahrung genommenen Schimpansen auszufolgen, eine gerechtfertigte Notwehrhandlung sei. § 222 StGB schütze das Tier schlechthin. Bei Ausfolgung der Schimpansen - letztlich - an die Nebenintervenientin würden diese, weil die beabsichtigte Verwendung der Tiere zu Zwecken der Aids-Forschung sinnlos und daher nicht zu rechtfertigen sei, unnötigen Qualen im Sinne des § 222 StGB ausgesetzt, zumal sie dabei in "Einzelhaft" gehalten würden. Auch die Unversehrtheit von Tieren sei notwehrfähig. Dem kann nicht gefolgt werden: Nach § 19 Satz 1 ABGB ist die Selbsthilfe grundsätzlich versagt. In den Fällen der Notwehr (§ 3 Abs 1 StGB) ist sie zwar gerechtfertigt (§ 19 Satz 2 ABGB); der Katalog der notwehrfähigen Güter ist aber im § 3 Abs 1 StGB mit "Leben, Gesundheit, körperlicher Unversehrtheit, Freiheit und Vermögen" taxativ umschrieben (RV 30 BlgNR 13. GP 62). Eine Erweiterung für den Bereich des bürgerlichen Rechts ist unzulässig, weil der Eingriff in ein Gut nicht zugleich rechtmäßig und strafbar sein kann (Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 4 zu § 19 mit weiteren Nachweisen). Wie schon die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, umfaßt § 3 StGB nur die dort aufgezählten Rechtsgüter von Menschen, nicht aber (ua) die körperliche Unversehrtheit von Tieren. Demzufolge sind Tiere nur als Vermögen von Menschen notwehrfähig; eine Nothilfehandlung zugunsten eines Tieres gegen seinen Eigentümer ist somit begrifflich ausgeschlossen. Ob im vorliegenden Fall von einem unmittelbar drohenden Angriff auf die beiden Tiere gesprochen werden kann, bedarf demnach keiner Erörterung.
Neben der Notwehr im Sinne des § 3 StGB kommt allerdings auch noch die Selbsthilfe im engeren Sinn in Frage; sie ist erlaubte Eigenmacht, falls staatliche Hilfe zu spät käme (vgl. § 344 ABGB; Reischauer aaO Rz 16 zu § 19, Koziol, Haftpflichtrecht2 I 110 f). Geht es um den Schutz nicht notwehrfähiger Güter, dann hat eine umfassende Interessenabwägung stattzufinden, bei der insbesondere der durch das Unterbleiben der Selbsthilfe zu erwartende Nachteil und die durch die Selbsthilfe geschehene Güterbeeinträchtigung abzuwägen sind (Reischauer aaO Rz 18 zu § 19, Koziol aaO). Wie weit eine solche Selbsthilfe zum Schutz eines Tieres gehen kann, das von seinem Eigentümer gequält wird oder das zu quälen dieser Eigentümer im Begriffe steht, ist hier nicht zu erörtern. Auch wenn man in einem solchen Fall dem Tierschützer unter dem Gesichtspunkt des "übergesetzlichen Notstandes" (vgl. SSt 47/75; LSK 1975/98) das Recht zubilligen wollte, das Tier dem Eigentümer wegzunehmen und - bis zum Einschreiten der Behörde - zurückzubehalten, ist daraus für den Beklagten nichts zu gewinnen:
Nach seinem eigenen Vorbringen soll das Quälen der Schimpansen darin bestehen, daß an ihnen medizinische Versuche zur Entwicklung eines Mittels gegen Aids geplant sind. Soweit gesetzlich zulässige Tierversuche veranstaltet werden, sind die den Tieren allenfalls zugefügten Qualen nicht "unnötig" im Sinne des § 222 StGB; in einem solchen Fall liegt ein Rechtfertigungsgrund vor (Pallin im Wiener Kommentar Rz 24 und 25 zu § 222 StGB). Ob die von der Nebenintervenientin beabsichtigten Versuche zielführend sind, hat die zuständige Behörde (§ 4 Abs 3 TierversuchsG BGBl 1974/184) zu beurteilen, wenn sie die erforderliche Bewilligung zur Vornahme solcher Versuche (§ 3 TierversuchsG) erteilen soll. Wären solche Versuche tatsächlich wissenschaftlich wertlos, dann fehlte schon die Voraussetzung des § 3 Abs 2 Z 1 Tierversuchsgesetz, wonach die Bewilligung zur Durchführung von Tierversuchen unter anderem nur dann erteilt werden darf, wenn ein berechtigtes Interesse an den Versuchen zur Vorbeugung, Erkennung und der Heilung von Krankheiten bei Mensch und Tier gegeben ist. Daß aber die Nebenintervenientin ihre Versuche ohne die entsprechende behördliche Bewilligung durchführen wolle oder die Überwachung der Einhaltung des Tierversuchsgesetzes durch die zuständigen Behörden (§ 8 dieses Gesetzes) nicht zielführend wäre oder zu spät käme, hat der Beklagte nicht einmal behauptet.
Der Beklagte ist somit nicht berechtigt, die Herausgabe der beiden Schimpansen zu verweigern. Daß auch bei Anwendung des § 285 a ABGB nicht anders zu entscheiden wäre, ist dem Beklagten selbst bewußt.
Der Revision war ein Erfolg zu versagen.
Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E18068European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0040OB00544.89.0711.000Dokumentnummer
JJT_19890711_OGH0002_0040OB00544_8900000_000