Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Huber, Dr. Schwarz und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl.Ing. Emma B***, Architektin, Pulverturmgasse 16, 1090 Wien, vertreten durch Dr. Hans Rabl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dipl.Ing. Ernst B***, Architekt, Pulverturmgasse 16, 1090 Wien, vertreten durch Dr. Ernst Wukowitz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Wiederaufnahme des Ehescheidungsverfahrens, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 1. August 1988, GZ 14 R 105/88-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 14. Jänner 1988, GZ 2 Cg 237/86-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Ehe der Streitteile wurde aufgrund der primär auf Eheverfehlungen des Mannes gemäß § 49 EheG und hilfsweise auf § 50 EheG gegründeten Klage der Frau mit Urteil des Erstgerichtes vom 30. April 1986, GZ 2 Cg 222/79-73, gemäß § 50 EheG mit dem Ausspruch geschieden, daß ein Verschulden nicht vorliegt. Dieses Urteil erwuchs letztlich unangefochten in Rechtskraft. Darin wurde festgestellt, daß die Ehegatten sich schon zwölf Jahre vor der Eheschließung kannten und gut verstanden. Erst während der Schwangerschaft mit dem am 1. August 1969 geborenen Sohn Ernst wurde die Ehe geschlossen. Bei der Pflege und Erziehung dieses Sohnes gerieten die Ehegatten in Streit über harte oder gütig nachgebende Führung des Kindes, wobei sich der Mann zur "Mutterfigur" entwickelte, während die Frau mehr als "strenger fordernder Vater" auftrat. Im Zusammenhang mit den Belastungen aus der beiderseitigen Berufstätigkeit und der Sorge um die jeweils eigene Mutter traten zunehmend eheliche Spannungen einerseits um die Erziehung des Sohnes, andererseits um die Neigung der Frau, Schwierigkeiten durch Alkohol zu lindern, auf. In solchen Spannungsmomenten ließ sich der Mann zu Beschimpfungen der Frau hinreißen, dies auch in Gegenwart des Sohnes, der dann seinerseits die Ausdrucksweise des Vaters gegenüber der Mutter und deren Bekannten übernahm. Die Frau wiederum forderte im Zusammenhang mit ihrer Flucht in den Alkohol die Mißachtung durch den Mann und den Sohn heraus, benahm sich unkontrolliert und beschimpfte den Mann ebenfalls. Die Parteien lebten nicht mehr miteinander, sondern eher nebeneinander in der Ehewohnung. Beide Ehegatten litten an einer "konjugalen Neurose" und waren in Rollenbeziehungen geraten, die keiner von ihnen mehr aufzugeben vermochte, ohne sich dabei selbst aufzugeben, die aber das eheliche Zusammenleben unmöglich machten. Im Rahmen dieser Beziehungen dominierten der Mann und auf seiner Seite der Sohn gegenüber der Frau. Diese beiden hätten auch den Zustand weiter ertragen können, nicht hingegen die Frau, die außerhalb der Gemeinschaft von Vater und Sohn in einer Rolle als kurz zu haltende Haushälterin vom Mann und als "Hascherl" mitleidig und herabsetzend vom Sohn angesehen wurde.
Der Scheidungsrichter kam aufgrund dieses Sachverhalts rechtlich zu dem Schluß, daß die Ehe der Streitteile zerrüttet und eine Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft nicht mehr zu erwarten sei. Das Verhalten der Streitteile sei jedoch "neurotischer Art" und deshalb nicht vorwerfbar, so daß die Scheidung ohne Verschulden gemäß § 50 EheG auszusprechen sei.
Mit ihrer Wiederaufnahmsklage begehrte die Frau die Beseitigung des dargestellten Scheidungsurteils vom 30. April 1986, soweit darin der in der Scheidungsklage gestellte Antrag, die Ehe aus dem Alleinverschulden des Mannes zu scheiden, durch den Ausspruch der Scheidung ohne Verschulden inhaltlich abgewiesen worden sei, somit im Verschuldensausspruch und im Kostenpunkt, und sodann in der Sache selbst die Scheidung aus dem Alleinverschulden des Mannes. Dazu trug sie unter Berufung auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO vor, sie habe am 10. August 1986 erstmalig in Erfahrung gebracht, daß der Mann seit sechs Jahren ein ehewidriges Verhältnis zu Bertha W*** unterhalten habe, aus dem die am 28. Dezember 1984 geborene Doris W*** stamme; der Mann habe die Vaterschaft vor dem Bezirksjugendamt für den 17./18. Bezirk anerkannt. Sie sei daher ohne ihr Verschulden außerstande gewesen, die ehebrecherischen Beziehungen des Mannes im Scheidungsverfahren geltend zu machen. Hätte sie dies können, wäre eine für sie günstigere Entscheidung, nämlich die Scheidung aus dem Alleinverschulden des Mannes gemäß § 47 EheG, ergangen.
Der Mann beantragte die Abweisung der Wiederaufnahmsklage. Das Erstgericht gab der Wiederaufnahmsklage statt, hob sohin das Scheidungsurteil im Verschuldensausspruch und im Kostenpunkt auf und stellte fest, daß der Mann seit Oktober 1979 ehewidrige Beziehungen zu Bertha K*** (vormals W***) unterhalte, daß diese viermal durch ihn schwanger geworden sei und am 28. Dezember 1984 die Tochter Doris Anna geboren habe. Die Frau habe erst am 10. August 1986 diese Tatsache erfahren, so daß ihre Wiederaufnahmsklage rechtzeitig sei. Diese sei aber auch begründet, weil ungeachtet des auf § 50 EheG gestützten Scheidungsurteils ein Verschuldensausspruch nach § 47 EheG erfolgen könne, da eine Konkurrenz von Ehescheidungsgründen möglich sei.
Das Berufungsgericht bestätigte infolge Berufung des Mannes dieses Urteil. Da die Frau im Scheidungsverfahren auch einen Verschuldensantrag (wenn auch nach § 49 EheG) gestellt und ihr Scheidungsbegehren nicht allein auf § 50 EheG gestützt habe, sei sie mit ihrem neuen erwiesenen Vorbringen über den Ehebruch des Mannes nicht auf eine Ergänzungsklage im Sinne des Judikats 57 neu verwiesen, sondern könne diesen Umstand mit Wiederaufnahmsklage geltend machen. Erst im erneuerten Verfahren sei dann der Einwand des Mannes zu klären, daß und ob er seine ehebrecherische Beziehung ebenfalls in einem dem § 50 EheG zu unterstellenden Zustand der Willensbeeinträchtigung unterhalten habe.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Beklagten ist nicht berechtigt.
Gegen die rechtliche Beurteilung der vorliegenden Wiederaufnahmsklage durch die Vorinstanzen bestehen keine Bedenken, so daß auf die zutreffenden Rechtsausführungen insbesondere des Berufungsurteils verwiesen werden kann.
Der Revisionswerber unterliegt mit seinem Einwand, der nunmehr festgestellte Ehebruch sei für die bereits vorher eingetretene Zerrüttung nicht mehr kausal gewesen, so daß seine Feststellung keine für die Klägerin günstigere Entscheidung in der Scheidungssache bewirken könne, einem Fehler in der zeitlichen Einordnung dieses Sachverhaltes. Zwar trifft zu, daß die Klägerin bis nach Ausspruch der Scheidung (gemäß § 50 EheG) die langjährige ehebrecherische Beziehung des Beklagten nicht kannte und daher diese selbst als Zerrüttungsursache auch nicht heranziehen und beurteilen konnte. Dem steht jedoch entgegen, daß der fortgesetzte Ehebruch des Beklagten sich nicht als eine neue Eheverfehlung dargestellt, auf die er nach Zerrüttung der Ehe als Ehezerstörungsursache nicht mehr ankäme, sondern als eine "alte" Eheverfehlung des Mannes, welche die Frau trotz ihrer Absichten auf Herbeiführung einer Scheidung aus Verschulden (gemäß § 49 EheG) des Mannes mangels Kenntnis nicht verwenden konnte, die aber objektiv vorlag. Es kann daher zumindest im Wiederaufnahmeverfahren keine Rede davon sein, daß diese vom Beklagten mehrfach wiederholte absolute Eheverfehlung nach § 47 EheG nicht für die Zerrüttung der Ehe der Streitteile kausal gewesen wäre. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind somit frei von Rechtsirrtümern.
Die Revisionskostenentscheidung beruht auf den §§ 40, 50 ZPO.
Anmerkung
E18591European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0080OB00503.89.0713.000Dokumentnummer
JJT_19890713_OGH0002_0080OB00503_8900000_000