Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 24.August 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Friedrich, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vrabl-Sanda als Schriftführerin in der Strafsache gegen Hans Walter A*** wegen des Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB (aF) und § 15 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 8.März 1989, GZ 13 Vr 216/89-14, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, und des Verteidigers Dr. Schlick, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 99 Abs. 1 StGB (2) und demgemäß auch im Strafausspruch einschließlich des Ausspruches über die Vorhaftanrechnung aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:
Hans Walter A*** wird für das ihm nach den unberührt gebliebenen Schuldsprüchen weiterhin zur Last fallende Verbrechen der teils vollendeten, teils versuchten Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB (aF) und § 15 StGB (1 a und b), nach § 202 Abs. 1 StGB (aF) unter Bedachtnahme auf § 28 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 21 (einundzwanzig) Monaten verurteilt. Gemäß § 43 a Abs. 3 StGB wird ein Teil dieser Strafe im Ausmaß von 14 (vierzehn) Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
Die Vorhaftanrechnung wird aus dem Ersturteil übernommen. Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 18.April 1965 geborene Kraftfahrer Hans Walter A*** des Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB (aF) und § 15 StGB (1 a und b) und des Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs. 1 StGB (2) schuldig erkannt. Darnach hat er am 23.Dezember 1988 in Graz und Kalsdorf
1. außer dem Fall der Notzucht eine Person weiblichen Geschlechtes teils durch Gewalt, teils durch gefährliche Drohung zum außerehelichen Beischlaf
a) genötigt, indem er die Prostituierte Barbara F*** an einem abgeschiedenen Ort in seinem Personenkraftwagen festhielt, seinen Unterarm gegen ihren Hals preßte, ihren Kopf nach hinten zog, einen spitzen kalten metallischen Gegenstand gegen ihren Hals hielt und sie so veranlaßte, den Geschlechtsverkehr zu dulden;
b) zu nötigen versucht, indem er von der Prostituierten Silke K*** die Durchführung eines ungeschützten Geschlechtsverkehrs forderte und ankündigte, sie andernfalls umzubringen oder abzustechen, wobei die Vollendung der Tat nur am Verhalten der Silke K*** scheiterte;
2. der Prostituierten Barbara F*** vorsätzlich die
persönliche Freiheit entzogen, indem er sie auf der Fahrt vom
5. Bezirk in Graz bis Kalsdorf daran hinderte, aus seinem Personenkraftwagen auszusteigen oder Hilfe herbeizurufen, wobei er sie auch an den Haaren zurückriß, um das Öffnen der Tür oder des Fensters hintanzuhalten.
Dieses Urteil ficht der Angeklagte in den Schuldsprüchen mit einer auf § 281 Abs. 1 Z 1, 5 a, 9 lit. b und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde und im Strafausspruch mit Berufung an. Nicht gehörige Besetzung des Schöffengerichtes (Z 1) wird mit der Begründung behauptet, daß bei den beiden Hauptverhandlungen verschiedene Schöffen Dienst versahen, sohin die an der Urteilsfällung beteiligten Schöffen nicht der "gesamten" Hauptverhandlung beigewohnt haben.
Rechtliche Beurteilung
Richtig ist, daß in der Hauptverhandlung am 15.Februar 1989, die nach Vernehmung des Angeklagten und der Zeugin Silke K*** zur weiteren Beweisaufnahme vertagt wurde (ON 11), andere Schöffen tätig gewesen waren als in der der Urteilsfällung unmittelbar vorangegangenen Hauptverhandlung am 8.März 1989 (ON 13). Eingangs dieser zufolge geänderter Senatszusammensetzung gemäß § 276 a StPO zwingend neu durchzuführenden Hauptverhandlung wurde zwar protokolliert, daß die bisherigen Verfahrensergebnisse, "insbesondere das Ergebnis der Hauptverhandlung in ON 11" vorgetragen werden (S 127), in der Folge wurden jedoch der Angeklagte und die Zeugin Silke K*** neuerlich vernommen (S 127-131) und die weiteren beantragten Beweiserhebungen durchgeführt, ohne daß die Verteidigung Einspruch erhoben oder Anträge gestellt hätte.
Wenngleich eine formelle Beschlußfassung auf Neudurchführung der Hauptverhandlung unterblieb - was an sich nicht schadet (LSK 1984/35) - wurde die Hauptverhandlung am 8.März 1989 inhaltlich des Hauptverhandlungsprotokolles unter Beachtung der für die Durchführung der Hauptverhandlung geltenden Vorschriften - daß die Anklage verlesen und nicht vorgetragen wurde, steht nicht unter Nichtigkeitssanktion - tatsächlich neu durchgeführt. Es wird auch von der Beschwerde nicht bestritten, daß während dieser Verhandlung alle Richter ununterbrochen anwesend waren, sodaß bei der gegebenen Fallkonstellation der vom Beschwerdeführer angezogene Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs. 1 Z 1 StPO nicht vorliegt. Demnach könnte das Beschwerdevorbringen nur unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Unmittelbarkeitsprinzips Bedeutung gewinnen. Mangels Antragstellung auf (weitere) Vernehmung der bereits in der ersten Hauptverhandlung vernommenen Personen in der Hauptverhandlung am 8. März 1989 fehlt es aber an den formellen Voraussetzungen für eine erfolgversprechende Verfahrensrüge (Z 4); aber auch ein Begründungsmangel durch Berücksichtigung der am 15.Februar 1989 gemachten Angaben (Z 5) liegt nicht vor, weil auch diese Beweisergebnisse, wenn auch teilweise nur in Form des "Vortrages", Gegenstand der der Urteilsfällung unmittelbar vorangegangenen Hauptverhandlung waren und gemäß § 258 Abs. 1 StPO auch verwertet werden durften. Mit dem Vorbringen wurde daher ein unter Nichtigkeitssanktion stehender Verfahrensverstoß nicht aufgezeigt (vgl. hiezu schon EvBl. 1950/312, RZ 1957, 118, EvBl. 1975/85 uva). Das Schöffengericht stützte seine Tatsachenfeststellungen weitgehend auf die Aussagen der beiden Tatopfer Silke K*** und Barbara F***, deren Angaben nach der Überzeugung der Tatrichter durch die übrigen Beweisergebnisse bestätigt wurden; den Einlassungen des Angeklagten wurde hingegen der Glauben versagt. Mit seiner Tatsachenrüge (Z 5 a) versucht der Angeklagte, die Glaubwürdigkeit dieser Tatzeuginnen dadurch in Zweifel zu ziehen, daß er Abweichungen in ihren während des Verfahrens protokollierten Angaben, die indes für die Schuldfrage unbedeutend sind, herausgreift, wie etwa die Frage, ob er Silke K*** den Pullover hochzog und/oder das Leiberl herunterriß, ob diese sofort von einem silbrig glänzenden Gegenstand gesprochen hatte und wo K*** mit ihrer Kollegin F*** zusammentraf; weiters, ob die Zeitangaben der Zeugin F*** genau stimmen und ob deren Vorwand, an Tripper zu leiden, von ihm geglaubt wurde, und will daraus den Schluß abgeleitet haben, daß er von den Frauen zu Unrecht belastet werde. Bei Prüfung des gesamten Akteninhaltes, vor allem auch des erst in der Hauptverhandlung hervorgekommenen (durch die Verantwortung des Angeklagten teilweise erhärteten) und dem öffentlichen Ankläger gemäß § 263 StPO zur Verfolgung vorbehaltenen Verdachtes, der Beschwerdeführer habe versucht, Barbara F*** durch Bestechung zur Abschwächung ihrer belastenden Aussagen zu bewegen, kamen aber keine Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen auf.
Es kommt aber auch der unter Heranziehung des § 16 Abs. 1 StGB gegen den Schuldspruch wegen §§ 15, 202 Abs. 1 StGB (aF; 1 b) erhobenen Rechtsrüge (Z 9 lit. b) keine Berechtigung zu. Nach den Urteilsannahmen hat der Angeklagte, nachdem er die Zeugin K*** bereits durch Bedrohung mit dem Umbringen bzw. mit dem Abstechen und dem Ergreifen eines blitzenden (sohin den äußeren Anschein eines Messers erweckenden) Gegenstands zur Aufgabe des aktiven Widerstandes genötigt hatte, zwar auch wegen deren weiterer (passiver) Widersetzung, primär aber auf Grund ihrer Äußerung, daß das Kennzeichen seines Kraftfahrzeuges bei ihrem Zusteigen notiert worden sei und im Falle des längeren Ausbleibens einer Prostituierten die Polizei verständigt werde, vom beabsichtigten Geschlechtsverkehr Abstand genommen (S 159, 160, 167). Der Abstandnahme des Angeklagten von der Ausführung seines Vorhabens fehlt nach diesen Feststellungen jedenfalls das Merkmal der Freiwilligkeit, weil dieses Verhalten vornehmlich durch seine - auf der vorangeführten Mitteilung des Opfers fußende - Befürchtung motiviert wurde, die Tat nicht ungestört und unentdeckt (also nicht tatplangemäß) vollenden zu können (vgl. Kienapfel, AT, Z 23 RN 15 und Mayerhofer-Rieder3 E 12 zu § 16 StGB). Dagegen ist der Angeklagte mit seiner Subsumtionsrüge (Z 10), die einwendet, daß es verfehlt sei, sein Verhalten gegenüber Barbara F*** (auch) als Vergehen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs. 1 StGB zu beurteilen, im Recht.
Wenn auch die im § 99 Abs. 1 StGB für Freiheitsentziehung vorgesehene gewichtige Strafdrohung (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren) auf die eigenständige Bedeutung und den hohen Unwertgehalt dieses Deliktes hinweist, tritt doch in den Fällen, in denen der Freiheitsentzug zugleich Mittel zur Begehung eines anderen Deliktes (hier: der Nötigung zum Beischlaf) ist, und seine Folgen ganz in jenen der Haupttat aufgehen, unter dem Gesichtspunkt der Konsumtion der Tatbestand nach § 99 StGB als bloße Vortat zurück (EvBl. 1989/97 samt der dort zitierten Literatur und Judikatur). Denn die gewaltsame Hinderung des Tatopfers durch den Angeklagten, bis zum Eintreffen an einem ihm genehmen Ort seinen Kraftwagen zu verlassen und fremde Hilfe herbeizurufen, stellen in Anbetracht des auf die Durchführung eines Geschlechtsverkehrs gerichteten Täterwillens bloß seiner Durchsetzung dienende Teilakte der inkriminierten Nötigung zum Beischlaf dar, wenngleich der abgenötigte Beischlaf selbst erst an dem nach längerer Fahrt erreichten Zielort stattgefunden hat. Da derartige Vorakte, soweit sie, wie hier, über das mit dem Primärdelikt an sich verbundene Maß der Einwirkung auf das Opfer zur Willensbeugung nicht wesentlich hinausgehen, dem Angeklagten nicht gesondert zugerechnet werden können (vgl. Mayerhofer-Rieder3 E 35 und Leukauf-Steininger2 RN 27 jeweils zu § 201 StGB), erweist sich die gegenteilige Rechtsansicht des Erstgerichtes, das die gegenständliche Tat als "vorbereitendes Delikt" einstuft (S 169), als rechtlich verfehlt (siehe hiezu die klarstellende Neufassung lt. BGBl. 1989/242: § 201 Abs. 2 StGB: "... durch Entziehung der persönlichen Freiheit ...").
Es war daher in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Schuldspruch wegen des Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs. 1 StGB (2) ersatzlos aufzuheben und im Hinblick auf die darüber hinaus unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde für die verbleibenden Schuldsprüche (1 a und b) die Strafe nach § 202 Abs. 1 StGB (aF, da die Schuldsprüche nach § 202 StGB aF von der Aufhebung nicht erfaßt sind, zumal die Strafdrohung nach § 201 Abs. 2 StGB nF ident ist - vgl. 13 Os 45/88 ua) neu zu bemessen.
Dabei waren die drei Vorstrafen wegen Körperverletzung und die Begehung zweier gleichartiger Verbrechen knapp hintereinander erschwerend, mildernd hingegen nur, daß es in einem Fall beim Versuch geblieben ist.
Im Hinblick auf die auch aus den Vorstrafen ersichtliche Neigung des Angeklagten zur Begehung von Gewaltdelikten (§ 71 StGB) und den Mangel jedweder Schuldeinsicht bedarf es einer spürbaren Sanktion, die entgegen den Berufungsausführungen nicht wesentlich unter der bereits vom Schöffengericht ausgesprochenen Strafe liegen kann, zumal der Wegfall eines als idealkonkurrierend angenommenen Delikts nichts am Unrechtsgehalt der Taten an sich ändert. Es bedarf auch eines teilweisen Vollzugs dieser Strafe, um dem Angeklagten das Unrecht seiner Taten einprägsam vor Augen zu führen. Der Oberste Gerichtshof erachtete die aus dem Spruch ersichtliche, nur teilweise bedingt nachgesehene Strafe als tat- und tätergerecht.
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.
Anmerkung
E18410European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0120OS00085.89.0824.000Dokumentnummer
JJT_19890824_OGH0002_0120OS00085_8900000_000