TE OGH 1989/8/30 2Ob34/89

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Veröffentlicht am 30.08.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Warta als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gertrude K***, Pensionistin, 4400 Steyr, Enge Gasse 21, vertreten durch Dr. Josef Lechner und Dr. Ewald Wirleitner, Rechtsanwälte in Steyr, wider die beklagte Partei Dr. Max H***, Kaufmann, 4400 Steyr, Kirchengasse 2, vertreten durch Dr. Walter Christl und Dr. Wilfried Werbik, Rechtsanwälte in Steyr, wegen S 200.000,-- s.A., infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 9. Jänner 1989, GZ 6 R 269/88-17, womit das Urteil des Kreisgerichtes Steyr vom 15.August 1988, GZ 2 Cg 407/86-13, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind als weitere

Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung:

Die Klägerin forderte vom Beklagten ein Schmerzengeld von S 200.000,-- s.A., weil sie am 8.12.1983 zwischen 16,00 und 17,00 Uhr in Steyr, Enge Gasse 12, auf der vereisten und nicht gestreuten Fahrbahn, die eines besonderen Gehsteiges ermangle, zum Sturz gekommen sei und sich einen Oberschenkelbruch zugezogen habe. Der Beklagte habe es als Verantwortlicher für die Verkehrssicherungspflicht im Bereich des Hauses Enge Gasse 12 unterlassen, die Straße vor diesem Objekt zu streuen, sodaß die Klägerin einen halben Meter von der Hausfront entfernt beim Beginn des Zuganges zum Geschäftseingang auf dem blanken Glatteis das Gleichgewicht verloren habe und mitsamt ihrem Enkelkind zu Boden gestürzt sei.

Die Haftung des Beklagten ergebe sich auch daraus, daß er sich anläßlich seiner Einvernahme durch die Polizei und bei einem Krankenbesuch bei der Klägerin zu seiner Verpflichtung zur Verkehrssicherung und seiner Schadenersatzverpflichtung bekannt habe. Der Beklagte beantragte Klagsabweisung und wendete ein, Miteigentümer der Liegenschaft Steyr, Enge Gasse 12 seien Gerda N*** und Maximilian H*** sen. Er selbst sei nicht

Miteigentümer dieses Hauses. Seine zunächst bestandene Verantwortung für die Agenden im Sinn des § 93 StVO habe er an einen Angestellten der Firma Kleiderhäuser H*** KG, Peter N***, delegiert, sodaß seine Passivlegitimation nicht gegeben sei. Um 7,30 Uhr des 8.12.1983 habe der Beklagte die vor den Häusern Steyr, Enge Gasse 7, 12 und 18 (Betriebsobjekte der Firma Kleiderhäuser H*** KG) bereits tags zuvor angebrachte Splittstreuung persönlich kontrolliert und ergänzt, und zwar angesichts der vorweihnachtlichen starken Personenfrequenz im Stadtzentrum. Gegen Mittag des 8.12.1983 habe er die Kontrolle wiederholt und ergänzend Splitt gestreut. Der Unfall sei auf die eigene Unachtsamheit der Klägerin zurückzuführen. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es im wesentlichen von folgenden Feststellungen ausging:

Die Verkehrssicherungspflicht für den Bereich der Liegenschaft Enge Gasse 12, die je zur Hälfte im Eigentum von Max H*** sen. und Gerda N*** steht und auf der sich das Damenmodengeschäft der Fa. H*** befindet, wurde bis Mai 1983 vom Beklagten wahrgenommen. Danach beauftragte er damit den damaligen Angestellten der Firma Kleiderhäuser H*** KG Peter N***. Gemäß der am 19.5.1983 zwischen ihnen geschlossenen Vereinbarung übernahm der Zeuge N*** die allgemeine Objektssicherungspflicht, Verkehrssicherungspflicht und Agenden als Sicherheitsbeauftragter bezüglich Brandschutz. Für die Übernahme dieser Funktionen erhielt er ab 1.Mai 1983 eine Gehaltserhöhung in der Höhe von S 1.000,-- netto. Der Zeuge N*** hatte sich im Rahmen dieser Verpflichtung insbesondere um die Straßensicherung, d.h. Streuung bei Glatteis, Schneeräumung oder Absicherung von Dachlawinen, auch an Sonn- und Feiertagen zu kümmern. Vor dem Unfallstag hatte es bereits mehrmals geschneit. Auch am 7.12.1983 waren im Zeitraum von 17,45 bis 18,15 Uhr 7 cm Neuschnee gefallen, sodaß die Fahrbahn der Enge Gasse, die keinen Gehsteig aufweist, sondern niveaugleich von einem Straßenrand zum anderen asphaltiert ist, schneebedeckt war. Die Enge Gasse wurde am 7.12.1983 gegen 18 Uhr und am 8.12.1983 gegen 6,30 Uhr von einem Fahrzeug des Magistrates Steyr geräumt und gestreut, sodaß die gesamte Schneefahrbahn, vor allem aber der mittlere Bereich, mit Streusplitt bedeckt war. Gegen 8 Uhr früh des 8.12.1983 ging ein leichter unergiebiger Schneefall auf das Stadtgebiet von Steyr nieder. Während des gesamten Tages (eines gesetzlichen Feiertages) herrschten Minustemperaturen. Um 15 Uhr betrug die Außentemperatur minus 3 Grad, um 18 Uhr minus 6 Grad. Zum Unfallszeitpunkt war der gestreute Splitt durch den regen Fußgängerverkehr bereits in den Schnee eingetreten, sodaß seine Wirkung stark vermindert und die Oberfläche eisig und glatt war. Ob sich der Beklagte an diesem Tag in irgendeiner Weise um die Streuung gekümmert hat, ist nicht feststellbar. Die Klägerin ging am linken Straßenrand der Enge Gasse stadtauswärts, wobei sie ihr rund 4 1/2 Jahre altes Enkelkind an der rechten Hand führte. Sie trug Winterstiefel mit einer Kreppsohle. Am Beginn der Eignangspassage des Damenbekleidungsgeschäftes H***, 1/2 bis 3/4 m von der Hausfront entfernt, rutschte die Klägerin auf der glatten Straßenoberfläche aus, verlor dadurch das Gleichgewicht und kam mit ihrem Enkel zu Sturz, wobei sie sich verletzte. Der zufällig zur Unfallsstelle kommende Zeuge Inspektor H*** forderte per Funk einen Rettungswagen und ein Streufahrzeug des Magistrates an, damit die Enge Gasse neuerlich gestreut werde, was in der Folge auch geschah. Die Klägerin wurde mit starken Schmerzen in der linken Hüftregion in das LKH Steyr eingeliefert, wo sie bis zum 14.1.1984 in stationärer Behandlung blieb. Zur Behandlung wurden zunächst Infusionen gegen Thrombose und Fettembolie verabreicht und eine Schienbeinkopfextension angelegt. Am 9.12.1983 erfolgte dann die operative Stabilisierung des Bruches mit vier Nägeln. Am 29.12.1983 wurden im Zuge des stationären Aufenthaltes im Krankenhaus 8 gestielte Fibrome operativ entfernt. Dieser Eingriff stand allerdings mit dem gegenständlichen Unfall in keinem kausalen Zusammenhang. Bei der Entlassung am 14.1.1984 konnte sich die Klägerin ohne fremde Hilfe mit Stützkrücken fortbewegen. Dieser Zustand war auch noch bei der ersten Nachbehandlung am 1.2.1984 gegeben, bei welcher die Klägerin noch über starke Schmerzen im Becken und in der Lendenwirbelsäule klagte. Auch am 18.3.1984 war die Klägerin nur mit einer Stockhilfe gehfähig und hatte weiterhin Hüftgelenksschmerzen; auch bei der Behandlung im Juni 1984 hatte sich das Schmerzgefühl nicht verändert, obwohl der Bruch röntgenologisch verheilt war. Während eines stationären Aufenthaltes im LKH Steyr zwischen dem 7.11. und 17.11.1984 wurden der Klägerin die Nägel operativ entfernt. Die Behandlung des Bruches wurde schließlich am 22.11.1984 abgeschlossen. Die Klägerin leidet aber subjektiv nach wie vor unter den Folgen der Verletzung. Es ist anzunehmen, daß die am 18.5.1919 geborene Klägerin unfallsbedingt 8 - 10 Tage starke Schmerzen, 3 - 4 Wochen mittelstarke Schmerzen und 4 - 5 Monate leichte Schmerzen (sämtliche Schmerzperioden gerafft gesehen einschließlich noch bestehender Restbeschwerden) zu erdulden hatte und hat. Der Beklagte bot der Klägerin anläßlich eines Besuches im Jänner 1984 an, ihr bei Bedarf zu helfen bzw. durch Angestellte helfen zu lassen. Er erklärte dabei auch, daß er für den Fahrbahnzustand verantwortlich sei und jemand dafür bezahle, der streut. Weitergehende Erklärungen über eine Haftung seinerseits machte er nicht.

Rechtlich begründete das Erstgericht die Abweisung des Klagebegehrens damit, daß der Beklagte die Reinigungs- und Streupflicht im Sinn des § 93 Abs 5 StVO seinem Angestellten Peter N*** delegiert habe. Als Verantwortlicher im Sinn des § 93 StVO sei somit Peter N*** und nicht der Beklagte anzusehen, zumal die Angestellteneigenschaft des Beauftragten die rechtsgeschäftliche Übertragungsmöglichkeit nicht ausschließe. Da zwischen den beiden Streitteilen selbst keine rechtsgeschäftliche Beziehung bestehe, sondern die Klägerin ihren Schadenersatzanspruch auf die sich aus dieser Bestimmung der Allgemeinheit gegenüber bestehende (gesetzliche) Obliegenheit zur Verkehrssicherung stütze, könnte der Beklagte auch dann, wenn der Zeuge N*** seiner Streupflicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen sei, zur Haftung nur im Rahmen eines Verschuldens bei der Auswahl des Besorgungsgehilfen unter den Voraussetzungen des § 1315 ABGB herangezogen werden. Dafür, daß es sich bei Peter N*** um einen untüchtigen bzw. bekanntermaßen gefährlichen Besorgungsgehilfen gehandelt hätte, gebe es weder Behauptungen noch sonstige Anhaltspunkte. Auch für irgendwelche Umstände, die allenfalls eine besondere Überwachungspflicht des Beklagten begründen hätten können, fehlten jegliche Hinweise. Da auch eine Halterhaftung gemäß § 1319 a ABGB nicht in Betracht komme, sei das Klagebegehren mangels eines haftungsbegründenden Verschuldens des Beklagten abzuweisen gewesen.

Infolge Berufung der Klägerin hob das Gericht zweiter Instanz das Urteil des Erstgerichtes unter Beisetzung eines Rechtskraftvorbehaltes auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Das Berufungsgericht führte aus, daß in der Rechtsprechung derjenige, der das Reinigen und Streuen eines Gehsteiges vornehme, vor allem dann, wenn er nicht etwa selbständiger Unternehmer oder - wie hier - gar in den Betrieb des Beklagten eingebunden war, eher als Besorgungsgehilfe nach § 1315 ABGB und nicht so sehr als Substitut und Vertragspartner im Sinne des § 93 Abs 5 StVO angesehen werde. Ob aus der negativen Feststellung im Rahmen der Beweiswürdigung, daß nicht erwiesen werden konnte, daß der Beklagte persönlich tagsüber nachgestreut habe, als der erstgerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt angesehen werden könne, daß er jedenfalls die Tätigkeit seiner Angestellten überwacht habe, erscheine problematisch. Es sei auch ungeklärt geblieben, ob der Beklagte oder ein anderes Familienmitglied (nach der Klagebeantwortung Max H*** sen.) als Miteigentümer der Liegenschaft anzusehen sei; ebenso, ob der Beklagte im eigenen Namen oder nur als Komplementär der Kleiderhäuser H*** KG die Verantwortung für die Reinigung und Streuung der Gehsteigfläche vor den Geschäftsbetrieben seiner Firma übernommen habe. Sei der unmittelbar dazu verpflichtete Zeuge Peter N*** vom Beklagten als seinem Vorgesetzten im Betrieb überwacht worden, müsse er eher als Besorgungsgehilfe und nicht als Substitut im Sinn des § 93 Abs 5 StVO angesehen werden. Seine Tätigkeit wäre dann eingegliedert in die vom Beklagten überwachte Betriebsorganisation. Nun existierten jedoch mehrere Aktenstellen, wonach sich der Beklagte persönlich für die Gehsteigreinigung und -streuung als gegenüber Dritten und vielleicht auch den Miteigentümern verantwortlich ansah, er aber diese Verantwortung an den Zeugen Peter N*** weitergegeben habe. Er wäre dann also persönlich selbständiges Zwischenglied einer Delegationskette gewesen. Die Betrauung des Zeugen N*** im Rahmen der Betriebsorganisation der Kleiderhäuser H*** KG lege nicht nur die Anwendung des § 1315 ABGB nahe, sondern es käme dabei auch in besonderer Weise zum Tragen, daß nach herrschender Rechtsprechung dann, wenn das schadenstiftende Verhalten in einer Unterlassung bestehe, der Geschäftsherr zu beweisen habe, sich bei der Besorgung einer gesetzlichen Verpflichtung eines tauglichen Gehilfen im Sinn des § 1315 ABGB bedient zu haben. Das Berufungsgericht könne aber von sich aus diesen Grundsatz nicht anwenden und würde den Beklagten überraschen, weil diese Frage in erster Instanz gar nicht erörtert worden sei.

Umgekehrt gehe das Berufungsgericht nicht so weit, daß eine Überwachung nicht behauptet worden sei, denn an sich wäre die Funktion des Zeugen N*** als Substitut umfassender. Eine derartige Substitution sei aber behauptet worden, sodaß ein Beweisergebnis im Sinne einer laufenden Überwachung als Minus durch das Vorbringen gedeckt wäre. Nicht gedeckt wäre jedoch das Argument einer schlüssigen Übertragung der Streutätigkeit an die Gemeinde, die nach den Beweisergebnissen sich offenbar nur auf die Hauptverkehrsbahn (also die Straßenmitte) konzentriert habe. Sei aber am Morgen letztmals gestreut worden, der Splitt schon eingetreten und Glatteisgefahr gegeben gewesen, deuteten doch die Indizien auf eine rechtswidrige Unterlassung hin, deren äußerer Anschein, sei sie dem Beklagten persönlich, sei sie dem von ihm beauftragten Besorgungsgehilfen zurechenbar, bei gesetzeskonformem und insoweit maßstabsgerechtem Verhalten nicht hätte entstehen dürfen. Es komme also darauf an, ob dem Beklagten die Tätigkeit des Reinigens und Streuens oblag und er weitgehend nur die unmittelbare Ausführung einem seiner Arbeitnehmer bzw. einem Arbeitnehmer des von ihm geleiteten Betriebes übertragen oder die Reinigung und Streuung gänzlich weitergegeben habe. Auf jeden Fall wäre es für das Berufungsgericht zu gewagt, lediglich aus der in der Beweiswürdigung enthaltenen negativen Feststellung, es sei nicht erwiesen, daß der Beklagte im Laufe des Tages nachgestreut habe, zu schließen, eine derartige Tätigkeit sei, wenngleich zusammen mit dem Zeugen N***, in seine Obliegenheit gefallen. Damit erweise sich aber die Rechtssache als nicht spruchreif. Im fortgesetzten Verfahren werde daher zunächst die Funktion des Beklagten als Miteigentümer der Liegenschaft bzw. im Rahmen der Kleiderhäuser H*** KG zu erörtern sein. Vom weiteren Vorbringen werde es dann abhängen, welche Feststellungen über die habituelle Tüchtigkeit oder Untüchtigkeit des Zeugen Peter N*** und zur Frage, inwieweit er eigenverantwortlich tätig war, getroffen werden können. Gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes wendet sich der Rekurs des Beklagten aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichtes zu bestätigen.

Die Klägerin beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Beklagte bringt vor, daß er zur Unfallszeit keineswegs Komplementär der Fa. Kleiderhäuser H*** KG, sondern lediglich deren Einzelprokurist gewesen sei. Komplementär sei der Vater des Beklagten, Max H*** sen., Kommanditistin dessen Schwester, Gerda N*** gewesen. Die Einlagen der beiden vorgenannten Gesellschafter in der Fa. Kleiderhäuser H*** KG (Max H*** als Komplementär 50 %, Gerda N*** als Kommanditist zu 50 %) hätten auch den Miteigentumsverhältnissen dieser beiden Gesellschafter an der Liegenschaft EZ 111, Grundbuch Steyr, Bezirksgericht Steyr (Haus Enge Gasse 12) entsprochen. Der Beklagte habe somit die einer Substitution gemäß § 93 Abs 5 StVO entsprechenden Niederschrift vom 19.5.1983 mit dem Zeugen Peter N*** in Vertretung der Fa. Kleiderhäuser H*** KG

aufgenommen, welcher die Disposition ihres Einzelprokuristen voll zuzurechnen sei. Die mit dem Beklagten und dem Zeugen Peter N*** getroffene Vereinbarung im Sinne des § 93 Abs 5 StVO sei somit einer Vereinbarung zwischen Geschäftsherrn und Besorgungsgehilfen gleichzusetzen, sodaß es an den Voraussetzungen für die Annahme einer Gehilfenkette mangle. Die Klägerin habe keinerlei Vorbringen hinsichtlich einer habituellen Untüchtigkeit des Zeugen N*** erstattet. Eine Überwachungspflicht bestehe nur, wenn dem Geschäftsherrn konkrete Umstände bekannt seien, die eine Überwachung des Gehilfen notwendig machten. Unzutreffend sei auch, daß der Geschäftsherr zu beweisen habe, sich bei der Besorgung einer gesetzlichen Verpflichtung eines tauglichen Gehilfen im Sinn des § 1315 ABGB bedient zu haben, wann das schadensstiftende Verhalten in einer Unterlassung bestehe. Eine solche Umkehr der Beweislast sei unhaltbar.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, daß zur Betreuung eines Weges im Sinne des § 1319 a ABGB auch die Säuberung und Bestreuung des Weges gehört (SZ 54/21; SZ 54/92 ua.). Die Ersatzpflicht für Schäden infolge Vernachlässigung dieser Pflichten durch den Halter des Weges (siehe dazu SZ 51/129; SZ 52/27

ua) richtet sich nach § 1319 a ABGB. Zum Verhältnis dieser Gesetzesstelle zu § 93 StVO hat der Oberste Gerichtshof den Standpunkt vertreten, daß die Pflichten des Liegenschaftseigentümers nach § 93 StVO nicht unter die Haftungseinschränkungen des § 1319 a ABGB fallen (SZ 54/21; SZ 54/92; ZVR 1982/261; siehe dazu auch Posch in ZVR 1984, 257 f, insbesondere 262). Dem Geschädigten kann demnach sowohl ein unter das Haftungsprivileg des § 1319 a ABGB fallender Ersatzanspruch gegen den Halter des Weges als auch ein nicht auf die Schuldform des Vorsatzes und der groben Fahrlässigkeit eingeschränkter Ersatzanspruch gegen den Anrainer zustehen. Ist der Anrainer zugleich Wegehalter, steht es dem Geschädigten frei, auf welche dieser Bestimmungen er seinen Anspruch stützen will (Koziol Haftpflichtrecht2 II 68 Anm.66; SZ 58/154). In einem solchen Fall haftet also der Anrainer bei Verletzung seiner im § 93 StVO normierten Verpflichtungen für die Folgen eines dadurch verursachten Unfalles auch bei leichter Fahrlässigkeit.

Die im § 93 Abs 1 StVO normierten Verpflichtungen gelten für alle Eigentümer von Liegenschaften im Ortsgebiet, gleichgültig, ob es sich bei ihnen um natürliche oder juristische Personen handelt. Sie sind auch inhaltlich von den allgemeinen Pflichten des Wegehalters im Rahmen seiner aus § 1319 a ABGB abzuleitenden Instandhaltungspflicht insoweit verschieden, als diese Pflichten im Gesetz nicht näher ausgeführt sind und ihr Umfang nur nach dem Verkehrsbedürfnis und der Zumutbarkeit entsprechender Maßnahmen beurteilt werden kann (ZVR 1979/316; ZVR 1982/261 ua.), während § 93 Abs 1 StVO die Pflichten des Anrainers sehr genau umschreibt: er hat nach dem ausdrücklichen Gesetzesbefehl dafür zu sorgen, daß die dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteige und Gehwege entlang der ganzen Liegenschaft in der Zeit von 6 bis 22 Uhr von Schnee und Verunreinigungen gesäubert und bei Schnee und Glatteis bestreut sind; ist ein Gehsteig (Gehweg) nicht vorhanden, so ist der Straßenrand in einer Breite von 1 m zu säubern und zu bestreuen. Gewiß spielt auch bei diesen umfänglich genau bestimmten Verpflichtungen des Anrainers die Zumutbarkeit eine gewisse Rolle; so wird etwa bei andauerndem Schneefall oder sich ständig erneuerndem Glatteis eine Säuberungs- und Bestreuungspflicht des Anrainers zu verneinen sein, weil sie mangels praktisch ins Gewicht fallender Wirkung für die Verkehrssicherheit nutzlos bleiben müßte (ZVR 1970/28 ua.). Unbedingt zu verlangen ist aber vom Anrainer, daß er entweder seine Verpflichtung nach § 93 Abs 1 StVO im Sinne des Abs 5 dieser Gesetzesstelle durch Rechtsgeschäft einem geeigneten Dritten überträgt oder aber sich selbst in die Lage versetzt, diese Verpflichtungen gehörig wahrzunehmen, zumal der Liegenschaftseigentümer schon auf Grund des Umstandes, daß er nur einen kleinen überschaubaren Bereich zu betreuen hat, zu dem er in der Regel in einem räumlichen Naheverhältnis steht, viel eher die im § 93 Abs 1 StVO genannten Maßnahmen treffen kann als der Wegehalter, der in der Regel sehr ausgedehnte Wegflächen in verkehrssicherem Zustand zu erhalten hat (ZVR 1984/226).

Bei den Vorschriften des § 93 StVO handelt es sich um eine Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB, deren Zweck im Schutz der die dort genannten Verkehrsflächen bestimmungsgemäß benützenden Fußgänger liegt. Nach ständiger Rechtsprechung hat bei Übertretung einer Schutznorm der Schädiger zu beweisen, daß das Schutzgesetz unverschuldet übertreten worden ist (ZVR 1975/111; ZVR 1980/33; SZ 54/92, SZ 58/154 uva.).

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist der Hauseigentümer von der Haftung dann befreit, wenn er die im § 93 StVO enthaltenen Verpflichtungen einem Dritten übertragen hat und dessen Untüchtigkeit nicht erwiesen ist (vgl. ZVR 1970/79, EvBl 1967/114, JBl 1982, 258 ua.). Im Falle der Schädigung durch Unterlassung hat der Schädiger die Tüchtigkeit seines Besorgungsgehilfen zu beweisen (SZ 36/159, SZ 44/187 ua.). Darüber hinaus hat der Schädiger auch zu beweisen, daß er für die nach Lage des Falles erforderliche Überwachung des Besorgungsgehilfen gesorgt habe (EvBl 1967/112, 2 Ob 77/88 ua.).

Werden diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall angewendet, ist dem Berufungsgericht aber beizupflichten, daß die bisher vorliegenden Feststellungen zur abschließenden Beurteilung, ob eine Übertragung der Verpflichtung nach § 93 Abs 1 StVO durch den Beklagten an den Zeugen N*** im Sinne des § 93 Abs 5 StVO stattgefunden hat oder ob N*** im Rahmen der vom Beklagten überwachten Betriebsorganisation als Besorgungsgehilfe im Sinne des § 1315 ABGB tätig wurde, und damit auch für die Beurteilung einer allfälligen Haftung des Beklagten für die der Klägerin entstandenen Schäden noch nicht ausreichen. Einer Beachtung der Rekursausführungen hinsichtlich der Stellung des Beklagten in der Firma Kleiderhäuser H*** KG steht das Neuerungsverbot entgegen. Erachtet aber das Berufungsgericht, von einer zutreffenden Rechtsansicht ausgehend, eine Ergänzung der Sachverhaltsgrundlage für erforderlich, kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, den diesbezüglich dem Erstgericht erteilten Aufträgen nicht entgegentreten.

Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E18054

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0020OB00034.89.0830.000

Dokumentnummer

JJT_19890830_OGH0002_0020OB00034_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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